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Gericht: Finanzgericht München
Beschluss verkündet am 14.11.2008
Aktenzeichen: 14 V 3293/08
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 251 Abs. 1
AO § 256
AO § 258
AO § 281
AO § 309
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 V 3293/08

Erlass einer einstweiligen Anordnung in Sachen Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO)

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündliche Verhandlung

am 14. November 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Antragstellerin, die als Beraterin auf dem Gebiet der Astrologie und des Kartenlegens tätig ist, begehrt das Unterlassen von Vollstreckungsmaßnahmen.

Im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung 2005 erkannte das Finanzamt (FA) geltend gemachte Vorsteuern insbesondere im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs, Scheidungs-, Umzugs- sowie Telefonkosten nur teilweise an. Mit Bescheid vom 18. April 2007 wurde die Umsatzsteuer 2005 auf einen Negativbetrag von 746,03 EUR festgesetzt. Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte nur teilweise Erfolg. Mit Entscheidung vom 23. Januar 2008 setzte das FA die Umsatzsteuer 2005 auf einen Negativbetrag von 872,48 EUR herab.

Am 14. April 2008 betrugen die Steuerrückstände der Antragstellerin zuzüglich Säumniszuschläge 3.863,65 EUR. Nachdem das FA am 14. April und 5. Juni 2008 Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt hatte, brachte es am 24. Juli 2008 gegen die S eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung an. Mit Drittschuldnererklärung vom 12. August 2008 erkannte die Stadtsparkasse die gepfändete Forderung in Höhe von 140 EUR als begründet an (Bl. 28 Vollstreckungsakte).

Am 22. September und 14. Oktober 2008 hinterließ der Vollziehungsbeamte des FA unter der Anschrift der Antragstellerin Zahlungsaufforderungen. Nach Mitteilung des FA wurden Auskünfte über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Vorlage von Bescheiden über den Bezug von ALG II verweigert.

Mit ihrem bei Gericht gestellten Antrag macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass Pfändungsfreigrenzen vom FA nicht beachtet würden. Darüber hinaus sei die Festsetzung der Umsatzsteuer fehlerhaft erfolgt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß

den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der vom Antragsgegner bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Aussetzung aller Vollstreckungsmaßnahmen (sog. Regelungsanordnung i.S.d. § 114 Abs.1 Satz 2 FGO) begehrt, ist erforderlich, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-). Wird im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach den Vorschriften der Abgabenordnung 1977 (AO) als vorläufiger Rechtsschutz die Verpflichtung der Behörde zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme verlangt, so kommt als Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch die nach § 258 AO in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung in Betracht (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. August 1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317 und vom 4. November 1986 VII B 108/86, BFH/NV 1987, 555, 556 m.w.N.).

Voraussetzung für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO ist, dass die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Die Unbilligkeit der Vollstreckung folgt nicht daraus, dass die Steuerbescheide, auf denen die vollstreckbaren Forderungen beruhen, angefochten sind und hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Die Verwaltung ist grundsätzlich berechtigt, auch aus noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheiden zu vollstrecken, soweit --wie im Streitfall-- ihre Vollziehung nicht ausgesetzt ist (§ 251 Abs. 1 AO).

Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt sind außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen (§ 256 AO), so dass das Vorbringen der Antragstellerin, soweit es die Rechtmäßigkeit des den Steuerrückständen zugrundeliegenden Umsatzsteuerbescheides betrifft, im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden kann.

Darüber hinaus kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. August 1993 VII B 262/92, BFH/NV 1994, 719). Die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards für sich allein keine Anordnungsgründe (vgl. Beschlüsse des Senats vom 30. März 1989 VII B 221/88, BFH/NV 1989, 794, und vom 4. April 1989 VII B 35/85, BFH/NV 1989, 714, m.w.N.).

Im Streitfall hat die Antragstellerin solche existenzbedrohenden wesentlichen Nachteile nicht glaubhaft gemacht. Die beantragte Anordnung ist somit nicht gerechtfertigt, es fehlt bereits an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs.

Auch soweit die Antragstellerin die Rücknahme der Kontopfändung beantragt, hat ihr Begehren keinen Erfolg.

Im Interesse der Antragstellerin ist ihr auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Begehren als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO zu werten, da einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Forderungspfändung nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Finanzgerichtsordnung (FGO) erreicht werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juni 1990 VII B 161/89 in BFH/NV 1991, 393).

Gegen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung (§§ 309, 314 AO) kann ebenso wie gegen eine Einziehungsverfügung nach § 314 AO einstweiliger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) gewährt werden. Die Aussetzung der Vollziehung kann auch noch nach Einziehung der Forderung verlangt werden.

Die Voraussetzungen, die für die Anordnung einer solchen Maßnahme durch das Gericht vorliegen müssten, sind jedoch nicht erfüllt. Denn anhand der vorliegenden präsenten Beweismittel steht zur Überzeugung des Senats in diesem summarischen Verfahren fest, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bestehen. Die Pfändung einer Forderung ist eine gemäß § 309 AO mögliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Sie unterfällt den in § 281 AO aufgezählten Möglichkeiten der Durchsetzung von vollstreckbaren Forderungen. Anhaltspunkte dafür, dass die gemäß §§ 249 ff. AO erforderlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Zwangsvollstreckung nicht vorgelegen haben könnten, sind nicht erkennbar. Materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Forderung selbst können nicht im Vollstreckungsverfahren, sondern nur mit den gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt zulässigen Rechtsbehelfen verfolgt werden (§ 256 AO).

Nach Aktenlage haben die Voraussetzungen des § 254 AO für den Beginn der Vollstreckung hinsichtlich der Pfändung und Einziehung der Forderungen vorgelegen. Die Pfändung und Einziehung der Ansprüche, Forderungen und Rechte der Antragstellerin gegenüber der Stadtsparkasse lässt auch im Übrigen keine Rechts- bzw. Ermessensfehler zu ihren Lasten erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 VII B 49/03, BFH/NV 2003, 1538 m.w.N.) umfasst der Pfändungsschutz bei der Forderungspfändung grundsätzlich lediglich das Arbeitseinkommen und bestimmte gleichgestellte fortlaufende Bezüge des Vollstreckungsschuldners. Diese Regelung ist vom Gesetzgeber gewollt und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Vollstreckungsschuldner hat die mit der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen, insbesondere Kontenpfändungen einhergehenden Beschränkungen im Rahmen des gesetzlich geregelten Pfändungsschutzes hinzunehmen. Gegebenenfalls muss der Vollstreckungsschuldner es ertragen, dass seine Gläubiger nicht privilegierte Forderungen vollständig wegpfänden und er dadurch sozialhilfebedürftig wird.

Anhand präsenter Beweismittel steht im Übrigen nicht fest, dass es sich bei dem gepfändeten Konto auch um das Konto handelt, auf das die Zahlungen des Arbeitslosengeldes II erfolgt sind. Darüber hinaus können auch laufende Geldleistungen in Form der Grundsicherung für Arbeitssuchende i.S.d. § 19 a Sozialgesetzbuch I (SGB I - Arbeitslosengeld II) nach § 54 Abs. 4 SGB I unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen (§§ 313, 319 AO i.V.m. §§ 850 c, e bis g Zivilprozessordnung) wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Einen Antrag auf Pfändungsschutz für die auf dem Konto der Stadtsparkasse eingehenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (§ 55 Abs. 1 SGB I) hat die Antragstellerin gegenüber dem FA nicht gestellt. Nach dieser Vorschrift ist die Forderung, die durch die Gutschrift der Geldleistung entsteht, für die Dauer von sieben Tagen ab Gutschrift in vollem Umfang unpfändbar. Da es sich um eine gesetzliche Folge jeder Guthabenspfändung handelt, bedarf es keines besonderen Hinweises in der Pfändungs- und Einziehungsverfügung.

Die Vollziehung der vom Antragsgegner am 24. Juli 2008 ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügung stellt auch keine unbillige Härte dar. Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Zahlung Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder schwer wieder gutzumachen wären, oder wenn die wirtschaftliche Existenz gefährdet würde (vgl. Tipke/Kruse, AO-FGO, § 69 FGO Tz. 103 m.w.N.). Wie sich aus der vorstehend zitierten Rechtsprechung des BFH jedoch ergibt, hat der Vollstreckungsschuldner ggf. auch Pfändungen, durch die er sozialhilfebedürftig wird, hinzunehmen. Eine unbillige Härte kann deshalb allein in der Vollziehung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung, bei der die gesetzlichen Pfändungsschutzvorschriften - auch vom Drittschuldner - beachtet werden, grundsätzlich nicht liegen. Übertragen auf die beantragte Aussetzung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bedeutet dies, dass darüber hinaus eine existenzbedrohende Situation oder ein nicht wieder gutzumachender Schaden eintreten müsste. Dafür sind jedoch weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch nach dem Inhalt der vorliegenden Vollstreckungsakten ausreichende Anhaltspunkte gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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