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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: 9 K 4175/02
Rechtsgebiete: EStG 1999, AO, GG


Vorschriften:

EStG 1999 § 2 Abs. 3
GG Art. 2
GG Art. 14
GG Art. 20 Abs. 3
AO § 163
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Streitsache

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht, der Richterin am Finanzgericht und des Richters am Finanzgericht sowie der ehrenamtlichen Richter und auf Grund mündlicher Verhandlung vom 26. Oktober 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wurde im Streitjahr 1999 mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer (ESt) zusammenveranlagt. Er erzielte im Streitjahr hohe positive Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und aus Kapitalvermögen, positive gewerbliche Einkünfte als Einzelunternehmer sowie einen gewerblichen Verlust aus einer Beteiligung und erhebliche Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung, überwiegend aus der Beteiligung als Kommanditist an der Firma P-KG (KG). Auf seine Kommanditeinlage bei der KG hatte der Kläger im Jahr 1999 einen Betrag von 1.770.000 DM geleistet. Außerdem erzielte er positive ausländische Einkünfte in Höhe von 1.440.175 DM, die in Höhe von 1.396.887 DM dem Progressionsvorbehalt unterworfen wurden, und negative ausländische Einkünfte in Höhe von 398.785 DM. Seine Ehefrau erzielte Verluste aus Land- und Forstwirtschaft und aus Vermietung und Verpachtung. Der vorgelegten Steuererklärung für 1999 und dem zuletzt ergangenen ESt-Bescheid 1999 vom 10. Februar 2005 sind u. a. die folgenden Beträge zu entnehmen:

 Kläger Ehefrau
DM DM
Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft:  ./.90
Einkünfte aus Gewerbebetrieb    
- aus Einzelunternehmen: 10.550  
- aus Beteiligung:./.13.852  
Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit: 953.887  
Einnahmen aus Kapitalvermögen: 237.610  
./. Werbungskosten aus Kapitalvermögen: 13.891  
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung    
- aus bebautem Grundstück K./.29.188./.156.639
- aus Beteiligung KG:./.1.982.241  
- aus sonstigen Beteiligungen:./.191.134 23
Summe:./.1.028.259./.156.706

Die ESt 1999 wurde nach Anwendung des beschränkten Verlustausgleichs nach § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung auf 11.504 DM und der Solidaritätszuschlag auf 0 DM festgesetzt. Im Rahmen des gegen den ursprünglichen ESt-Bescheid 1999 vom 21. Dezember 2000 durchgeführten Einspruchsverfahrens wandten sich die Kläger u. a. gegen die Beschränkung des Verlustausgleichs nach § 2 Abs. 3 EStG. Der Einspruch hatte in diesem Punkt keinen Erfolg (vgl. Einspruchsentscheidung vom 13. August 2002).

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger den Abzug weiterer negativer Einkünfte und die Festsetzung der ESt 1999 auf 0 DM begehrt. Zur Begründung verweist er darauf, dass die negativen Einkünfte der Ehegatten im Streitjahr die positiven Einkünfte erheblich überstiegen. Insbesondere bei den Verlusten aus der Beteiligung an der KG handele es sich um echte Verluste und nicht um Buchverluste, wobei weitere verrechenbare Verluste in Höhe von 1.654.969 DM bereits nach § 15a EStG nicht berücksichtigt worden seien. Eine ESt-Festsetzung sei daher im Streitjahr nicht gerechtfertigt und widerspreche dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gemäß Art. 2, 3 sowie 14 Grundgesetz (GG). Verfassungswidrig sei ebenfalls, dass positive und negative Einkünfte einzelner Einkunftsarten sich nicht gleichwertig gegenüberstünden, sondern nur eingeschränkt ausgeglichen werden dürften. Schließlich sei § 2 Abs. 3 EStG auch deshalb verfassungswidrig, weil die Vorschrift unverständlich, unklar und damit nicht hinreichend bestimmt sei.

Der Kläger beantragt, in Änderung des ESt-Bescheids 1999 vom 10. Februar 2005 zusätzliche negative Einkünfte von 23.192 DM anzusetzen und die ESt 1999 auf 0 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt Klageabweisung.

Es verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

1. Das FA hat die ESt der Ehegatten im Streitjahr 1999 zutreffend festgesetzt. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass § 2 Abs. 3 EStG grundgesetzwidrig ist.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) widerspricht § 2 Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht dem aus Art. 2 und 14 GG abgeleiteten Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2001, 552). Die bloße Existenz steuerlicher Verluste erzwingt nach der BFH-Rechtsprechung noch nicht deren unbedingte und uneingeschränkte Berücksichtigung. Vielmehr könne der Gesetzgeber danach differenzieren, durch welche Umstände die Minderung der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und ob Steuerpflichtige, die - wie im Streitfall der Kläger - über hohe positive Einkünfte verfügen, durch gezielte Maßnahmen, die steuerrechtlich zu Verlusten führen, ihre Einkommensteuerschuld herabzusetzen versuchen. Der Senat schließt sich insoweit der im BFH-Beschluss in BStBl II 2001, 552 angeführten Begründung an.

b) Zwar hat der BFH zwischenzeitlich in einer Reihe von Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ausgeführt, dass ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG insoweit bestehen können, als aufgrund des begrenzten Verlustausgleichs eine ESt auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen - nach Erfüllung der Einkommensteuerschuld - nicht einmal das Existenzminimum verbleibt (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juni 2004 XI B 20/03, BFH/NV 2005, 176 und vom 7. Juli 2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178). In einem weiteren Beschluss vom 25. Februar 2005 XI B 78/02 (BFH/NV 2005, 1279) hat der BFH derartige Zweifel auf die Begrenzung des Verlustausgleichs bei Vorliegen "echter", die positiven Einkünfte übersteigender Verluste, die durch den tatsächlichen Abfluss von Mitteln entstanden sind, beschränkt.

Eine solche einschränkende Betrachtung unter Berücksichtigung des noch dazu auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum begrenzten verbleibenden Existenzminimums wird jedoch nach Auffassung des Senats insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in denen langfristige Anlageentscheidungen getroffen werden, bei denen hohe Anlaufverluste eingeplant sind, den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht gerecht. Die nach der Auffassung des BFH neben der steuerlichen Einkünfteermittlung zur Ermittlung des Existenzminimums erforderliche Liquiditätsrechnung in jedem einzelnen Fall könnte sich nicht auf die steuerliche Einkünfteermittlung des Streitjahres beschränken, sondern müsste - da der BFH in dem Beschluss in BFH/NV 2005, 1279 auf den tatsächlichen Mittelabfluss abstellt - alle Zu- und Abflüsse des Streitjahres erfassen und dürfte zur Erzielung eines sachgerechten Ergebnisses auch die Vermögenslage des Steuerpflichtigen nicht außer Acht lassen. Eine solche detaillierte Ermittlung des verbleibenden Existenzminimums entspricht - u. a. auch im Hinblick auf die vom BFH in diesem Zusammenhang an Hand von Sonder- und Normalabschreibungen vorgenommene, nicht nachvollziehbare Unterscheidung von sogenannten "echten" und "unechten" Verlusten - nicht der Lebenswirklichkeit, ist regelmäßig an Hand der Steuererklärung eines Veranlagungszeitraums praktisch nicht durchführbar und erscheint dem Senat gerade in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht erforderlich. Vielmehr wäre es sachgerecht, im Einzelfall auf Antrag eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen vorzunehmen, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich dartun kann, dass ihm im Veranlagungszeitraum auf Grund der aus der Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG resultierenden Steuerbelastung nicht mehr ausreichend liquide Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verblieben sind. Eine - punktuelle - Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 EStG anzunehmen, ist danach weder geboten noch sachgerecht.

c) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Klägers, die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG sei mangels der nach Art. 20 Abs. 3 GG gebotenen Verständlichkeit und Berechenbarkeit verfassungswidrig.

Das im Rechtsstaatsprinzip begründete Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze zwingt den Gesetzgeber lediglich dazu, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Es genügt, wenn die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. z. B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Mai 1988 2 BvR 579/84, BVerfGE 78, 205, 212). Zwar ist die Regelung des § 2 Abs. 3 EStG sehr kompliziert gefasst und erfordert ggf. in einschlägigen Fällen eine qualifizierte Beratung; dies gilt jedoch für eine Vielzahl von Steuergesetzen und führt nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

3. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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