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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Beschluss verkündet am 03.06.2009
Aktenzeichen: 9 V 1438/09
Rechtsgebiete: EGV, EStG, AStG


Vorschriften:

EGV Art. 52
EStG § 10d Abs. 2
AStG § 6 Abs. 1
AStG § 6 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

ohne mündliche Verhandlung

am 3. Juni 2009

beschlossen:

Tenor:

1. Die Vollziehung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31. Dezember 2007 wird für die Dauer des Einspruchsverfahrens ohne Sicherheitsleistung mit der Maßgabe von der Vollziehung ausgesetzt, dass von einem Verlust i.H.v. 1.860.248 EUR auszugehen ist.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe:

I. Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob ein Abzug von Verlustvorträgen nach § 10 d Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) von steuerpflichtigen Einkünften i.S.d. § 6 Abs. 1 Außensteuergesetz (AStG) i.V.m. § 17 EStG zur Ermittlung der nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 AStG zu stundenden Steuer vorzunehmen ist.

Die Antragsteller verzogen im Veranlagungszeitraum 2007 nach Österreich. Der Antragsgegner (Finanzamt - FA -) berücksichtigte im Einkommensteuer(ESt)-Bescheid 2007 vom 19. August 2008 Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG i.H.v. 4.599.228 EUR. Für die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens 2007 wurde ein Verlustabzug i.S.d. § 10 d EStG i.H.v. 2.180.619 EUR vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen.

Bei der Ermittlung der nach Maßgabe des § 6 AStG zu stundenden Beträge sowie bei der gesonderten Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zur ESt zum 31. Dezember 2007 wurde der zum 31. Dezember 2006 festgestellte Verlustvortrag i.H.v. 2.180.619 EUR in voller Höhe berücksichtigt, so dass der verbleibende Verlustvortrag zum 31. Dezember 2007 ebenfalls unter dem Datum vom 19. August 2008 mit 0 EUR festgestellt wurde.

Für Zwecke der Bemessung der ESt-Vorauszahlungen für 2008 und Folgejahre legte das FA die Einkünfte der Antragsteller aus dem Veranlagungszeitraum 2007 mit Ausnahme der Einkünfte i.S.d. § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG zugrunde. Ein Verlustabzug wurde nicht berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 11. September 2008 legten die Antragsteller gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31. Dezember 2007 und den Vorauszahlungsbescheid für 2008 und Folgejahre Einspruch ein, über die noch nicht entschieden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in Sachen gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags lehnte das FA mit Verwaltungsakt vom 30. April 2009 ab.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Antragsteller beantragen,

die Vollziehung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31. Dezember 2007 für die Dauer des Einspruchsverfahrens wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit ohne Sicherheitsleistung mit der Maßgabe von der Vollziehung auszusetzen, dass von einem Verlust i.H.v. 1.860.248 EUR auszugehen ist.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

II. 1. Der Antrag ist nach Rücksprache mit den Antragstellern (vgl. Aktenvermerk vom 27. Mai 2009) auf der Grundlage des Urteils des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 29. März 1984 dahingehend auszulegen, dass Aussetzung der Vollziehung nur für die Dauer des Einspruchsverfahrens begehrt wird (vgl. auch Gräber/Koch, FGO, 6. Aufl. § 69 Rz. 151).

2. Der Antrag ist begründet.

Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des aktenkundigen Sachverhalts treten neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Streitsache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bewirken (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994 und vom 24. Februar 2000 IV B 83/99, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2000, 298).

a) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staats ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist (Vertragsstaat des EWR-Abkommens), und er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt. Ist im Falle des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG der Gesamtbetrag der Einkünfte ohne Einbeziehung des Vermögenszuwachses nach § 6 Abs. 1 AStG negativ, ist dieser Vermögenszuwachs bei Anwendung des § 10 d EStG nicht zu berücksichtigen.

Mit diesen durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) geänderten Vorschriften sollte die Wegzugsbesteuerung des AStG den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in seiner Entscheidung vom 11. März 2004 in der Rechtssache C 9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant) angepasst werden. Nach der Entscheidung des EuGH ist der in Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung nunmehr Art. 43 EG) verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung einzuführen, wonach latente - also noch nicht realisierte - Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt (vgl. auch EuGH-Urteil vom 7. September 2006 Rechtssache C-470/04).

In der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG heißt es:

Satz 6 regelt die Steuerfestsetzung und Verlustermittlung im Falle eines Gesamtbetrags der Einkünfte, der ohne Anwendung des § 6 AStG negativ ist. In diesem Fall würden durch die Berücksichtigung des Vermögenszuwachses nach § 6 AStG der entstehende Verlustrücktrag und gegebenenfalls ein Verlustvortrag gemindert. Der Steuerpflichtige würde ohne Realisierung eines Veräußerungsgewinns durch die Kürzung des zu berücksichtigenden Verlusts schlechter gestellt als ein vergleichbarer Steuerpflichtiger im Inlandsfall (Bundestags- Drucksache - Bt-Drs. - 16/2710).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31. Dezember 2007.

Zwar ist - wie das FA richtig feststellt - der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung nicht einschlägig, da der Gesamtbetrag der Einkünfte im Streitfall ohne Einbeziehung des Vermögenszuwachses nach § 6 Abs. 1 AStG nicht negativ ist. Dennoch sind die Antragsteller in einer vergleichbaren Situation. Ihnen geht durch die Verrechnung des Verlustvortrags zum 31. Dezember 2006 mit den fiktiven Einkünften nach § 6 Abs. 1 AStG im Rahmen der ESt 2007 der Verlustvortrag vollständig verloren. Bei einem vergleichbaren Inlandsfall wäre dies nicht geschehen. Der Verlustvortrag würde trotz oder gerade wegen des positiven Gesamtbetrags der Einkünfte im Jahr 2007 für die Berechnung der Vorauszahlungen für die Jahre 2008 und folgende weiterhin zur Verfügung stehen, so dass keine Vorauszahlungen anfallen würden, solange der Verlustvortrag nicht vollständig aufgebraucht wäre. Ein entsprechender Vorauszahlungsbescheid wäre damit bis zu diesem Zeitpunkt nicht ergangen. Der Fall des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat wird folglich gegenüber dem Inlandsfall ohne sachlichen Grund benachteiligt, so dass auch im Streitfall eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EG die Folge wäre. Dies widerspricht den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 11. März 2004 C-9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant). Nach den Vorgaben des EuGH und der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommen, ist die Vorschrift daher bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des aktenkundigen Sachverhalts europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die fiktiven Einkünfte im Streitfall für die Ermittlung des Verlustabzugsbetrags nach § 10 d EStG insgesamt ohne Berücksichtigung bleiben (so wohl auch Richter/Escher, FR 2007, 674 [677]). Eine Vorlagepflicht an den EuGH i.S. des Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft scheidet im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO mit Rücksicht auf den summarischen Charakter des Verfahrens aus (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1997 I B 108/97, BStBl II 1998, 558; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 99 m.w.N.).

c) Der vortragsfähige Verlust ist demnach wie folgt festzustellen:

 Verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2006 2.180.619 EUR
Verlustabzug im ESt-Bescheid 2007 (FA)2.180.619 EUR 
Minderung wegen § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG./. 1.860.248 EUR 
Verlustabzug lt. AdV-Beschluss320.371 EUR./. 320.371 EUR
(Gesamtbetrag der Einkünfte ohne § 17 EStG)  
Verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2007 1.860.248 EUR

d) Die Aussetzung der Vollziehung erfolgt ohne Sicherheitsleistung.

Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 FGO kann die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung ist Nebenbestimmung. Sie steht als Ermessensmaßnahme unter dem Übermaßverbot, insbesondere unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Grundsätzlich kann auch bei Erfolgsaussicht wegen ernstlicher Gefährdung des Steueranspruchs Sicherheit verlangt werden.

Allerdings beeinflusst der Grad der Erfolgsaussicht das Bedürfnis nach Sicherheitsleitung.

Je größer nämlich die Erfolgsaussicht, desto geringer ist die wirkliche Gefahr des Steuerausfalls. Das öffentliche Interesse an Sicherheitsleistung entfällt, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist. Zu dem bedarf es konkreter Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruchs, die das FA darzulegen hat. Die Steuerforderung muss durch die Aussetzung der Vollziehung gefährdet sein. Dies kann bei einem Auslandswohnsitz oder aus dem Erfordernis einer erforderlichen Vollstreckung auch im EU-Ausland gegeben sein, allerdings dann nicht, wenn Vollstreckbarkeit wie im Inland gewährleistet oder im Inland genügend Vermögen vorhanden ist (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz 108 ff. m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist bei einer Abwägung der Gesamtumstände die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht geboten. Zum einen lassen bereits die Erfolgsaussichten einer etwaigen Klage gegen den Verlustfeststellungsbescheid vom 19. August 2008 das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung entfallen. Zum anderen wäre trotz des Auslandswohnsitzes der Antragsteller ein entsprechender Steueranspruch aufgrund der sich aus den Akten ergebenden Vermögensverhältnisse der Antragsteller, insbesondere dem Kapital- und Grundvermögen im Inland, gewährleistet. Gegenteilige konkrete Anhaltspunkte für die Anordnung einer Sicherheitsleistung wurden von Seiten des FA nicht vorgetragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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