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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: 2 K 1660/03 E
Rechtsgebiete: DBA-Schweiz 1971/1992


Vorschriften:

DBA-Schweiz 1971/1992 Art. 15 Abs. 4
DBA-Schweiz 1971/1992 Art. 17 Abs. 4
DBA-Schweiz 1971/1992 Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

2 K 1660/03 E

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2000 vom 25.10.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.02.2003 wird nach Maßgabe der Urteilsgründe geändert.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zu entscheiden ist, ob die gesamten Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit als leitender Angestellter einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft - unter Progressionsvorbehalt - von der deutschen Besteuerung freizustellen sind.

Der im Streitjahr 2000 getrennt zur Einkommensteuer veranlagte Kläger hatte seinen Wohnsitz im Streitjahr im Inland. Er erzielte u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Speditionskaufmann bei der Firma E AG mit Sitz in C-Stadt (Schweiz). Nach den Eintragungen in dem vorliegenden Handelsregisterauszug vom 28.09.1999 war der Kläger zeichnungsberechtigt durch Kollektivunterschrift zu zweien.

Ausweislich der vorgelegten und von der Steuerverwaltung C-Stadt (Schweiz) bestätigten Bescheinigung seines Arbeitgebers war der Kläger als leitender Angestellter an mehr als 60 Arbeitstagen, nämlich an 74 Tagen, aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt. An 68 von 240 Arbeitstagen war er außerhalb der Schweiz tätig.

Nach der Quellensteuerberechnung des Finanzdepartements des Kantons C-Stadt (Schweiz) vom 15.10.2001 hatte der Schweizer Fiskus das gesamte Bruttoeinkommen des Klägers mit 71.640 Schweizer Franken (SFR) besteuert.

Mit Bescheiden zur Einkommensteuer zuletzt vom 25.10.2002 veranlagte der Beklagte den Kläger erklärungsgemäß. Dabei wurden die auf 68 Tage entfallenden Einkünfte als der deutschen Besteuerung unterfallende Einkünfte erfasst und die anteilig hierauf entfallenden Schweizer Steuern (71.640 x 1,23 (Umrechnungskurs) x 68/240) auf die festgesetzte deutsche Steuer angerechnet. Die verbleibenden ausländischen Einkünfte i.H.v. 249.783,- DM wurden in die Berechnung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) einbezogen.

Mit seinem Einspruch beantragte der Kläger, seine Einkünfte als leitender Angestellter nach Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11.08.1971 in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 21.12.1992 (DBA-Schweiz 1971/1992) insgesamt - unter Progressionsvorbehalt - von der deutschen Besteuerung freizustellen. Der Beklagte lehnte dies in seiner Einspruchsentscheidung vom 21.02.2003 unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 07.07.1997, BStBl. I 1997, 723 ab. Für die Anwendung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 d DBA-Schweiz 1971/1992 komme es auf den Ort der Tätigkeit an.

Hiergegen richtet sich die anhängige Klage, mit der der Kläger sein Begehren zunächst unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 15.12.1998 I B 45/98, BFH/NV 1999, 751 und dann unter Hinweis auf die Urteile des FG Köln vom 24.05.2004 10 K 494/00, EFG 2005, 22 sowie nachfolgend des BFH vom 25.10.2006 I R 81/04, BFH/NV 2007, 593 weiter verfolgt. Danach enthalte der Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 für leitende Angestellte eine Fiktion des Tätigkeitsortes. Die Tätigkeit eines leitenden Angestellten einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft gelte danach als am Sitz der Gesellschaft ausgeübt. Dies sei auch bei der Auslegung des § 24 Abs. 1 Nr. 1 d DBA-Schweiz 1971/1992 zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2000 vom 25.10.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.02.2003 die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit insgesamt nur unter Anwendung des Progressionsvorbehalts nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 d DBA-Schweiz 1971/1992 zu besteuern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung des Beklagten werde eine Besteuerung der auf Tätigkeiten außerhalb der Schweiz entfallenden Einkünfte nach dem Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 nicht durch Art. 15 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 d DBA-Schweiz 1971/1992 ausgeschlossen. Zur Begründung verweist er auf eine Stellungnahme des BMF vom 06.07.2007. Danach widerspreche es dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck des Art. 24 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/1992 (Methodenartikel) sowie der Systematik der weiteren, die Einkunftsart der nichtselbständigen Tätigkeit regelnden Zuweisungsnormen, wenn man annähme, dass physisch nicht in der Schweiz ausgeübte Tätigkeiten von der deutschen Besteuerung freizustellen seien. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass auch Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 als Zuweisungsartikel keine Fiktion des Tätigkeitsortes enthalte. Diese Auslegung könne entgegen der Annahme des BFH in seinem Urteil vom 25.10.2006 I R 81/04 aaO weder aus der Entstehungsgeschichte des Art. 15 Abs. 5 (jetzt) Abs. 4 DBA Schweiz 1971 i.V.m. der vor dem Inkrafttreten des DBA-Schweiz 1971 vorliegenden Rechtsprechung des BFH noch aus der angeführten Denkschrift der Bundesregierung (BT-Drucks. VI 3233, Abschnitt B, zu Art. 15) abgeleitet werden. Soweit der BFH die Praxis bei Anwendung des Art. 24 DBA-Schweiz 1971/1992 als Auslegungskriterium heranziehe, werde bestritten, dass es eine übereinstimmende Auslegung der Vertragsstaaten bei Durchführung des Abkommens gegeben habe. In älteren Kommentierungen der schweizer Literatur finde diese Annahme keine Bestätigung. Im Übrigen habe das Auslegungskriterium nach Art. 31 Abs. 3 b des Wiener Übereinkommens keinen Vorrang vor der Auslegung nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Verfahren hat auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten - zuletzt im Hinblick auf das beim BFH unter dem Aktenzeichen I R 81/04 anhängige und mit Urteil vom 25.10.2006 entschiedene Verfahren - geruht. Das Verfahren ist auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 30.01.2008 wiederaufgenommen worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage, über die der Senat gem. § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2000 vom 25.10.2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.02.2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Auch die auf 68 Tage entfallenden Einkünfte des Klägers sind unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Besteuerung freizustellen.

Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person aus der Schweiz stammende Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992, soweit sie nicht unter Art. 17 DBA-Schweiz 1971/1992 (Künstler, Sportler, Artisten) fallen, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen, wenn sie in der Schweiz besteuert werden können, vorausgesetzt die Arbeit wird in der Schweiz ausgeübt.

In der Schweiz besteuert werden können gem. Art. 15 Abs. 4 Satz 1 und vorbehaltlich des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 die Einkünfte einer natürlichen Person, die in Deutschland ansässig, aber als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft tätig ist. Die Tätigkeit darf allerdings nicht so abgegrenzt sein, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst. Besteuert die Schweiz diese Einkünfte nicht, so können sie in Deutschland besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992).

Im Streitfall war der Kläger unstreitig leitender Angestellter und kein Grenzgänger i.S.d. Art. 15 Abs. 4, 15a DBA-Schweiz 1971/1992. Er arbeitete für eine in C-Stadt (Schweiz) ansässige AG, für die er - ohne eigene Reisekosten geltend zu machen - an 74 Tagen mit 63 Übernachtungen auf Geschäftsreise war. Die Voraussetzungen für den Ausschluss der Grenzgängereigenschaft (60-Tage-Grenze) sowie der Begriffsbestimmung eines leitenden Angestellten (Eintragung seiner Zeichnungsbefugnis im Handelsregister des Kantons C-Stadt (Schweiz)) sind damit erfüllt (vgl. BMF-Schreiben vom 19.09.1994, BStBl. I 1994, 683 Rz. 9, 11ff und vom 07.07.1997, aaO unter 1a und 2a). Die für seine Tätigkeit bezogenen Einkünfte wurden nach den vorliegenden Bescheinigungen (Lohnausweis) des Arbeitgebers und der schweizer Finanzverwaltung in vollem Umfang in der Schweiz besteuert (vgl. Einführungsschreiben zum DBA-Schweiz 1971 vom 26.03.1975, BStBl. I 1975, 479 unter 2.2.8.).

Die Tätigkeit eines in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten für eine schweizerische Kapitalgesellschaft, die Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 unterfällt und nicht so abgegrenzt ist, dass sie nur Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst, wird i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 "in der Schweiz ausgeübt". Das gilt auch dann, wenn sie tatsächlich teilweise oder überwiegend außerhalb der Schweiz verrichtet wird. Denn Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 enthält für seinen Anwendungsbereich eine Fiktion des Tätigkeitsortes. Die Bedeutung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 als Fiktion des Tätigkeitsorts muss auch bei der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Schweiz 1971/1992 berücksichtigt werden.

Für diese Auslegung der Vorschriften sprechen vor allem die Entstehungsgeschichte des Art. 15 Abs. 4 (vorm. Abs. 5) DBA-Schweiz 1971/1992 und die langjährige Praxis der Vertragsstaaten bei der Auslegung des Art. 24 DBA-Schweiz 1971/1992. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung in dem Urteil des BFH vom 25.10.2006 I R 81/04, aaO unter 2.b)aa) und cc) m.w.N. verwiesen.

Nach diesen Ausführungen, denen sich der erkennende Senat vollinhaltlich anschließt, haben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweizerische Eidgenossenschaft bei Verhandlung, Paraphierung und Unterzeichnung des DBA-Schweiz 1971/1992 die langjährige Rechtsprechung und Praxis zu Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/1959, BStBl. I 1959, 1006 - nämlich dass die Einkünfte leitender Angestellter nur im Sitzstaat der Kapitalgesellschaft besteuert werden durften - festschreiben wollen. Diese Praxis wurde seitens des Bundesministers für Finanzen und Wirtschaft in dem Verfahren vor dem Großen Senat, Az. GrS 1/71, Az. GrS 1/71, BStBl. II 1972, 68 so dargestellt, dass für die Frage des Ortes der Tätigkeitsausübung als einem "von wirtschaftlicher Zugehörigkeit bestimmten steuerlichen Sachverhalt" auf den Ort abzustellen sei, "an dem die Tätigkeit ihren wirtschaftlichen Mittelpunkt" habe.

Weiter verweist der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen am Ende seiner Stellungnahme in diesem Verfahren aaO S. 70 darauf, dass diese Frage - nämlich das ausschließliche Besteuerungsrecht dem Sitzstaat der Kapitalgesellschaft zuzuweisen - im Sinne der bisherigen Rechtsprechung mit Wirkung ab dem 01.01.1972 "inzwischen ausdrücklich geregelt" sei. Hiermit waren die dem Art. 4 DBA-Schweiz 1931/1959 entsprechenden Vorschriften des DBA-Schweiz 1971, d.h. Art. 15 Abs. 4 (vormals Abs. 5) und 24 Abs. 1 Nr. 1, gemeint. Es sollte danach auch nach der Einführung des Methodenartikels im DBA-Schweiz 1971 eine die bisherige Praxis zu Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/1959 erhaltende Regelung getroffen werden. Die bisherige Auslegung und Praxis wird dabei nicht nur charakterisiert als "Auslegung nach der wirtschaftlichen Zugehörigkeit steuerlicher Sachverhalte", sondern sogar als mögliches "Gewohnheitsrecht" beschrieben, dessen Aufgabe eine "Erschütterung der Rechtssicherheit" bewirken würde.

Angesichts dieser eindeutigen Aussagen der Verwaltung ist es unerheblich, dass der Beschluss des Großen Senats vom 15.11.1971 GrS 1/71, aaO zum Zeitpunkt der Verhandlung und Unterzeichnung des DBA-Schweiz 1971 noch nicht bekannt war und auch nur - aber immerhin - im Ergebnis bestätigt wurde. Denn nach den Ausführungen des BFH sollte ausdrücklich nicht der wirtschaftliche Erfolg bzw. der Ort, wo dieser Erfolg eintritt, maßgeblich sein. Der BFH hat vielmehr darauf abgestellt, dass bei leitender Tätigkeit die erteilten Weisungen dem Weisungsempfänger zugänglich gemacht werden müssten. Erst mit dem Zugang der Weisung an diese Person sei die Tätigkeit beendet. Dieser Zugang vollziehe sich am Ort des Sitzes der Gesellschaft mit der Folge, dass "die nur einheitlich zu beurteilende Tätigkeit des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft am Ort des Sitzes der Gesellschaft persönlich ausgeübt wird".

Soweit der Beklagte meint, aus "Wortlaut, Sinn und Zusammenhang" der Art. 15 Abs. 1, Abs. 4 und Art. 15a des DBA-Schweiz 1971/1992 ergebe sich eindeutig, dass im Rahmen von dessen Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d nur die tatsächliche Arbeitsausübung in Form der physischen Anwesenheit in der Schweiz gemeint sein könne, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Wenn der Wortlaut einer Regelung einmal für diese und einmal für eine andere Auslegung herangezogen wird, kann eine Regelung nicht eindeutig sein. So heißt es z.B. in dem Schreiben des BMF 18.12.1985 (Schreiben betreffend Verständigungsvereinbarung über Arbeitnehmereinkünfte aus Tätigkeiten in Drittstaaten und Einkünfte leitender Angestellter BMF IV C 6 - S 1301 Schz - 138/85), aus "Sinn und Wortlaut" des Art. 15 Abs. 5 (heute Abs. 4) DBA-Schweiz (1971) folge, dass Arbeitseinkünfte leitender Angestellter im Staat der Ansässigkeit des Arbeitgebers (Kapitalgesellschaft) steuerbar seien.

Nach Auffassung des erkennenden Senats entsprach die Auslegung des BMF- Schreibens vom 18.12.1985 dem Willen der Vertragsparteien im Jahre 1971. Hätten die Vertragsstaaten bei Abfassung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971 ein anderes Verständnis gehabt, so hätte es angesichts der bestehenden Praxis zu Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/1959 und der in der Stellungnahme der Verwaltung in dem Verfahren vor dem Großen Senat des BFH GrS 1/1971, aaO zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung zum Tätigkeitsort leitender Angestellter nahegelegen, die Tätigkeiten leitender Angestellter nach Art. 15 Abs. 4 (vormals Abs. 5) im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971 ausdrücklich auszunehmen.

Dies ist nicht geschehen. Die Vertragsstaaten haben vielmehr über mehrere Jahrzehnte hinweg - sei es nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/1959 sei es nach Art. 15 Abs. 4 (vormals Abs. 5) und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 - die Fiktion des Tätigkeitsortes leitender Angestellter am Sitz der Gesellschaft anerkannt. Da - wie oben aufgezeigt - sowohl Wortlaut als auch Sinn/Zusammenhang der Vorschriften diese Auslegung möglich machen, kommt der Praxis der Vertragsdurchführung entgegen der Auffassung des Beklagten sehr wohl maßgebliche Bedeutung zu. Von der bei der Auslegung internationaler Verträge völkergewohnheitsrechtlich anerkannten und in Art. 31 Abs. 3 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge kodifizierten Notwendigkeit, die Praxis der Vertragsdurchführung zu berücksichtigen, kann sich die deutsche Finanzverwaltung nach Auffassung des erkennenden Senats nicht einseitig lösen (vgl. auch BFH-Urteil vom 15.10.2006 I R 81/04 aaO unter 2.b.cc m.w.N.). Denn eine langjährige Vertragspraxis ist ein gewichtiges und objektiv feststellbares Indiz dafür, wie die Parteien den Vertrag einvernehmlich verstehen bzw. zumindest im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und in den darauf folgenden Jahren verstanden haben. Dem steht jedenfalls nicht entgegen, dass in einer schweizer Kommentierung hierzu diese Auffassung nicht durchgängig dargestellt wird.

Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO und §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO. Angesichts der Vielzahl noch anhängiger Verfahren, denen die Finanzverwaltung entgegen der BFH-Rechtsprechung nicht abhilft, ist weiterhin das Interesse eines größeren Kreises von Steuerpflichtigen an der einheitlichen Handhabung und Entwicklung des Rechts berührt. Nicht auszuschließen ist auch, dass eine weitere Rechtsfortbildung durch das Revisionsgericht erfolgt.



Ende der Entscheidung

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