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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 3 K 1715/04 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 64 Abs. 1
EStG § 64 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

3 K 1715/04 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin (Klin.) für ihre Tochter T..... von September 2003 bis Januar 2004 Kindergeld zusteht.

Die Klin. hat eine Tochter T..... (geb. 07.01.1988) und einen Sohn S..... (geb. am 31.03.1990). Der Vater der Kinder ist V....., der Beigeladene, mit dem die Klin. bis zur ihrer Scheidung verheiratet war. T..... lebte im Haushalt der Klin. Sie ist Mitte August 2003 zu ihrem Vater gezogen, Mitte Januar 2004 kehrte sie in den Haushalt der Klin. zurück.

Nach Ankündigung der Beklagten (Bekl.), die Kindergeldbewilligung ab September 2003 aufzuheben, teilte die Klin. mit, sie allein habe das Sorgerecht. T..... sei ohne ihr Wissen zum Vater gezogen. Sie sei damit nicht einverstanden. Auf Zwangsmaßnahmen habe sie zum Wohle des Kindes verzichtet. Gemeldet sei T..... nach wie vor bei ihr.

Mit Bescheid vom 24.02.2004 hat die Bekl. die Kindergeldfestsetzung für T..... für September 2003 bis Januar 2004 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von insgesamt 770 Euro zurückgefordert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 24.02.2004 Bezug genommen, Bl. 65 f. der KG-Akte.

Den Einspruch der Klin. wies die Bekl. zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die EE vom 25.03.2004 Bezug genommen, Bl. 75 ff. der KG-Akte.

Die Klin. erhob Klage.

Sie habe das alleinige Sorgerecht für T..... . T..... habe sich ohne ihr Wissen zu ihrem Vater abgesetzt, da sie dort keine erzieherischen Maßnahmen erwartet habe. Dem Aufenthalt von T..... bei ihrem Vater habe sie ausdrücklich widersprochen. Auf Zwangsmaßnahmen sei zum Wohl des Kindes verzichtet worden. Im Februar 2004 sei T..... in den Haushalt der Klin. zurückgekehrt. Der vom Vater von T..... beim Amtsgericht B-Stadt gestellte Antrag auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Übertragung der elterlichen Sorge sei zurückgenommen worden. T..... sei übrigens stets bei der Klin. gemeldet gewesen. Bei dem Aufenthalt von T..... bei ihrem Vater habe es sich um einen vorübergehenden Aufenthalt gehandelt, dies sei von vornherein absehbar gewesen.

Der der Entscheidung des BFH vom 20.06.2001 (IV R 224/89, BStBl II 2001, 713) zugrunde liegende Sachverhalt sei mit dem mit dem hier vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Gleichgelagert sei der zitierte Sachverhalt, über den der BFH zu entscheiden gehabt habe, mit dem hier vorliegenden Rechtsstreit lediglich dahingehend, dass die Töchter des Kl. in dem Streitfall beim BFH entgegen seinem Willen zur nicht sorgeberechtigten Mutter gezogen seien. Der entscheidende Unterschied sei darin zu sehen, dass die sich seiner Zeit streitenden Parteien darauf verständigt hätten, dass die Kinder bis zur Entscheidung des Sorgerechtsverfahren bei der damals nicht sorgeberechtigten Mutter bleiben sollten. Für die Unterbringung der Kinder sei damit ein rechtmäßiger Zustand geschaffen worden. Der hier zu entscheidende Fall liege anders. Der Vater von T..... sei mit anwaltlichem Schreiben vom 29.08.2003 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass der Aufenthalt des Kindes in seinem Haushalt nicht geduldet werde (Bl. 38 der Gerichtsakte des AG B-Stadt 34 F 337/03). Mit weiterem Schreiben vom 16.10.2003 sei er aufgefordert worden, alles daran zu setzen, dass das Kind sich wieder in die Obhut der sorgeberechtigten Mutter begebe (Bl. 3 der Gerichtsakte des AG B-Stadt 34 F 337/03). Eine betreuende Funktion sei auf den Kindesvater also gerade nicht übergegangen. Ein Betreuungsverhältnis sei aber Voraussetzung, so heiße es in der Entscheidung des BFH vom 20.06.2001, a. a. O.: "Haushaltsaufnahme i. S. d. Vorschrift (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG) bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Sorge, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein." Ein solches Betreuungsverhältnis sei aber im Streitfall nicht entstanden.

So habe es auch das OLG C-Stadt in einem Rechtsstreit gesehen, mit dem die Klin. für den streitgegenständlichen Zeitraum Unterhaltszahlungen von dem Kindesvater verlangt habe. In dem Verfahren (9 UF 95/04) habe der Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wegen der fehlenden Sorgeberechtigung und des Widerspruchs der Klin. und Kindesmutter ein Betreuungsverhältnis nicht habe entstehen können und der Kindesvater demnach trotz der Abwesenheit des Kindes weiterhin Unterhalt an die Kindesmutter hätte zahlen müssen. Das Verfahren sei allerdings durch Vergleich beendet worden, da die Klin. und Kindesmutter dem seinerzeit beklagten Vater eine Vergütung für die von ihm tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen kulanterweise habe zukommen lassen wollen. Demgemäß habe der Kindesvater lediglich die Hälfte des von ihm geschuldeten Kindesunterhalts für den streitgegenständlichen Zeitraum an die Mutter nachgezahlt.

Die Klin. beantragt,

den Bescheid vom 24.02.2004 und die EE vom 25.03.2004 aufzuheben.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Bekl. meint, es sei für die Frage der tatsächlichen Haushaltsaufnahme nicht von Bedeutung, ob die Klin. ihr Einverständnis hierzu erteilt habe oder ob sie nicht mit dem Aufenthaltsort einverstanden gewesen sei. Im Übrigen bezieht sich die Bekl. auf ihre EE.

Mit Beschluss vom 11.02.2005 hat der Senat die Entscheidung des Rechtsstreits dem Einzelrichter übertragen.

Das Gericht hat den Vater von T..... mit Beschluss vom 23.03.2005 zum Verfahren notwendig beigeladen.

Die Akten des Amtsgerichts B-Stadt und des OLG C-Stadt (34 F 337/03 und 9 UF 95/04) sind zum Verfahren beigezogen worden.

Das Gericht hat am 01.12.2005 mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Der Klin. steht für die Zeit von August 2003 bis Januar 2004 kein Kindergeld zu.

Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat.

Haushaltsaufnahme im Sinne dieser Vorschrift bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.2001 VI R 224/98, BStBl II 2001, 713; BFH-Beschluss vom 19.10.2000 VI B 68/99, BFH/NV 2001, 441). Danach gehört ein Kind dann zum Haushalt eines Elternteils, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse. Formale Gesichtspunkte wie die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein Melderegister sind demgegenüber grundsätzlich nicht entscheidend, sie können allenfalls bei der Beurteilung, in welchen Haushalt ein Kind aufgenommen ist, unterstützend herangezogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.2001, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BFH, der das Gericht folgt, verstößt die Regelung, dass bei mehreren Berechtigten das Kindergeld an denjenigen zu zahlen ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Obhutsprinzip), weder gegen Verfassungsrecht noch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2003 VIII R 60/99, BFH/NV 2004, 320).

Nach der Rechtsprechung des BFH, der das Gericht folgt, besteht ein Obhutsverhältnis in diesem Sinne allerdings dann nicht, wenn sich das Kind nur für einen vornherein begrenzten, kurzfristigen Zeitraum bei einem Elternteil befindet, etwa zu Besuchszwecken oder in den Ferien. Dagegen steht einer Aufnahme in den Haushalt des einen Elternteils nicht entgegen, wenn die Aufnahme in diesen Haushalt zunächst noch nicht endgültig ist, aber für einen längeren Zeitraum gelten soll, so dass das Obhutsverhältnis zu dem abgebenden Elternteil jedenfalls zunächst beendet ist (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.2001, a.a.O.; BFH-Urteil vom 24.10.2000 VI R 21/99, BFH/NV 2001, 444).

Ob etwas anderes gilt, wenn das Kind dem abgebenden Elternteil widerrechtlich entzogen wird, z.B. in Entführungsfällen, hat der BFH zunächst ausdrücklich offen gelassen (vgl. BFH-Urteil vom 20.06.2001, a.a.O.; BFH-Beschluss vom 19.05.1999 VI B 22/99, BFH/NV 1999, 1425).

Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die oben dargestellten Grundsätze für den Fall des widerrechtlichen Kindesentzugs mit der Besonderheit , dass es bei Entführungen des Kindes ins Ausland zu einer Beendigung des inländischen Wohnsitzes des Kindes nur kommt, wenn die Umstände darauf schließen lassen, dass das Kind nicht zurückkehren wird (BFH-Urteile vom 19.03.2002 VIII R 52/01, BFH/NV 2002, 1148;vom 19.03.2002 VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 und vom 30.10.2002 VIII 86/00; BFH/NV 2003, 464). Der inländische Wohnsitz und damit die Zugehörigkeit zum Haushalt des inländischen Elternteils soll auch bei längerer Abwesenheit erhalten bleiben, wenn der inländische Elternteil umgehend die erforderlichen Schritte für die Rückführung des Kindes einleitet und die sonstigen Umstände eine Rückkehr des Kindes Erfolg versprechend erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 19.03.2002, a.a.O.).

Für eine Kindesentziehung bzw. bei einem freiwilligen Wechsel des Kindes von dem Haushalt des sorgeberechtigten Elternteils in den Haushalt des nicht sorgeberechtigten Elternteils ohne Einverständnis des sorgeberechtigten Elternteils gelten diese Grundsätze nach Auffassung des Gerichts entsprechend. Der sorgeberechtigte Elternteil behält danach seinen Kindergeldanspruch nur dann, wenn er umgehend seinen Rechtsanspruch auf Rückführung des Kindes in seinen Haushalt geltend macht (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 27.08.2004 18 K 7715/00 Kg, EFG 2005, 124 rechtskräftig, für den Fall der Entziehung eines 2-jährigen Kindes im Inland).

Im Streitfall hat die Klin. dem Beigeladenen zwar mit anwaltlichen Schreiben vom 29.08.2003 mitgeteilt, dass sie dem Aufenthalt ihrer Tochter T..... seinem Haushalt ausdrücklich widerspreche. Mit weiterem Schreiben vom 16.10.2003 hat sie den Beigeladenen aufgefordert, "alles daran zu setzen, dass sich das Kind wieder in die Obhut der sorgeberechtigten Mutter begibt". Sie hat aber, wie sie selbst vorträgt, auf die gerichtliche Geltendmachung ihres Herausgabeanspruchs verzichtet und damit nicht die Voraussetzungen erfüllt, die zum Erhalt des Kindergeldanspruchs erforderlich sind. Aus welchen Motiven die Klin. auf die gerichtliche Durchsetzung ihres Anspruchs verzichtet hat, ist für die Frage des Kindergeldanspruchs ohne Bedeutung. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klin., wie sie vorträgt, im wohlverstandenen Interesse ihrer damals 15 jährigen Tochter auf die gerichtliche Durchsetzung ihres Herausgabeanspruchs verzichtet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen waren nicht zu erstatten (§ 139 Abs. FGO).

Ende der Entscheidung

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