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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 3 K 1892/07 Erb
Rechtsgebiete: AO, FGO, ErbStG


Vorschriften:

AO § 227 Abs. 1
FGO § 102 S. 1
ErbStG § 23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

3 K 1892/07 Erb

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Erlass der der Klägerin (Klin.) gegenüber festgesetzten Erbschaftsteuer.

Die Klin. war Vermächtnisempfängerin nach ihrem am 29.02.1980 verstorbenen Lebensgefährten. Erben und Vermächtnisverpflichtete waren dessen Sohn und Tochter. Das Vermächtnis bestand aus einer Einmalzahlung in Höhe von 500.000 DM, zahlbar in fünf gleichen Jahresraten, und aus einer wertgesicherten Leibrente in Höhe von monatlich anfangs 8.000 DM.

Der Beklagte (Bekl.) setzte mit Bescheid vom 22.09.1982 Erbschaftsteuer fest für Sachwerte (Einmalzahlung 500.000 DM) in Höhe von 212.000 DM und für die Rente (monatlich 8.000 DM) in Form der beantragten Jahresversteuerung (§ 23 Erbschaftsteuergesetz - ErbStG -) in Höhe von 48.000 DM jährlich.

Ein Rechtsstreit der Klin. mit den Erben über das Vermächtnis endete am 21.03.1984 mit einem Vergleich vor dem Oberlandesgericht. Die Erbschaftsteuer auf Sachwerte wurde daraufhin mit Bescheid vom 12.10.1984 auf 156.730 DM herabgesetzt; die Versteuerung der Rente änderte sich nicht. Der Bescheid wurde bestandskräftig. In der Folge wurde die erbende Tochter zu Lasten ihres miterbenden Bruders aus der Vermächtnisverpflichtung entlassen. Zum Ausgleich dafür übernahm dieser eine Bankbürgschaft in Höhe von 1 Mio. DM. Die Rente betrug zu diesem Zeitpunkt monatlich 9.767,12 DM. Die festgesetzten Erbschaftsteuern auf die Einmalzahlung und die jährlich zum 28.02./01.03. fällige Jahressteuer wurden von der Klin. stets gezahlt.

Der Vermächtnisverpflichtete ging mit seinen Firmen in den Jahren 1997/1998 in die Insolvenz. Die monatlichen Rentenzahlungen erfolgten nunmehr ausschließlich aus der Bürgschaft und wurden im Mai 2005 nach Erschöpfung des Bürgschaftsbetrages eingestellt. Aus dem Vermächtnis erfolgten danach keinerlei Zahlungen mehr an die Klin. Nach ihren Angaben ist der Vermächtnisverpflichtete hoffnungslos überschuldet; allein seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Finanzverwaltung betrügen per 17.10.2005 6.683.849,66 Euro. Die Ermittlungen des Bekl. beim Wohnsitzfinanzamt des Vermächtnisverpflichten haben insoweit ergeben, dass das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt wurde, dass ein Vermögensverzeichnis eingereicht wurde, dass das Kontenabrufverfahren ohne Erfolg verlaufen sei und dass keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen würden. Auf die Gesprächsnotiz vom 07.03.2007 in der Stundungs- und Erlassakte wird insoweit Bezug genommen.

Die Klin. lebt zusammen mit ihrem Sohn im Einfamilienhaus ihrer Eltern (Baujahr 1927), das sie im Wege der Erbauseinandersetzung aus der Erbengemeinschaft mit ihrem Bruder erworben hat. Die Darlehensschulden aus dem Erwerb und der Renovierung des Hauses belaufen sich derzeit auf 61.985,48 Euro. Diese Darlehen werden nach den Angaben der Klin. nicht getilgt; lediglich die anfallenden Zinsen werden beglichen. Die Klin. bezieht eine Rente aus der Sozialversicherung in Höhe von monatlich 442,43 Euro, die in Höhe von 327,94 Euro durch Sozialhilfe aufgestockt wird.

Sowohl bzgl. der Jahressteuer 2005 als auch der Jahressteuer 2006 stellte die Klin. Erlassanträge aus sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen, die der Bekl. ablehnte. Die von der Klin. dagegen erhobenen Einsprüche blieben erfolglos. Zu den Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung (EE) vom 13.04.2007 in der Stundungs- und Erlassakte Bezug genommen.

Mit ihrer Klage vom 03.05.2007 verfolgt die Klin. ihr Begehren auf Erlass der Jahressteuerschulden 2005 und 2006 weiter. Sie meint, der Bekl. habe von dem ihm zustehenden Ermessen bei der Entscheidung über die Erlassanträge nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht. So ergebe sich auf Grund der Tatsache, dass der Vermächtnisverpflichtete zahlungsunfähig geworden sei, eine Besteuerung, obwohl ein Vermögensanfall nicht vorliege. Dies widerspreche dem aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beachtenden Übermaßverbot. Auch sei die Klin. entgegen der Auffassung des Bekl. erlassbedürftig und -würdig. Die Klin. bezieht sich insoweit auf die Urteile des BFH vom 27.09.2001 (X R 134/98, BStBl. II 2002, 176) und des Finanzgerichts des Landes Brandenburg vom 05.10.1995 (1 K 36/95, EFG 1995, 1092).

Die Klin. beantragt,

den Bekl. zu verpflichten, die aus den Erbschaftsteuerbescheiden vom 22.09.1982 und 12.10.1984 beruhende Jahressteuer 2005 und 2006 gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) zu erlassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf seine EE meint er, ein Erlass sei weder aus sachlichen noch aus persönlichen Billigkeitsgründen geboten. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen sei wegen des im Erbschaftsteuerrecht geltenden Stichtagsprinzips nicht gerechtfertigt. Auch bei mehreren Änderungen des Erbschaftsteuerrechts habe der Gesetzgeber in Kenntnis der Möglichkeit nachhaltiger Wertverluste von ererbtem Vermögen nach dem Stichtag am Stichtagsprinzip festgehalten. Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht, da die schwierige wirtschaftliche und finanzielle Situation der Klin. nicht auf dem Bestehen der Erbschaftsteuerrückstände sondern vielmehr auf dem Ausbleiben der monatlichen Rentenzahlungen seit der Insolvenz des Vermächtnisverpflichten beruhten. Auch verweist der Bekl. darauf, dass sich durch den Erlass der Erbschaftsteuer die finanzielle Situation der Klin. nicht verbessern würde, und bezieht sich dazu auf die Entscheidung des BFH vom 27.09.2001 (X R 134/98, a. a. O.).

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -) einverstanden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet. Die Klin. hat keinen Anspruch auf Erlass der Jahressteuern 2005 und 2006.

Gemäß § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann sich entweder aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Die Entscheidung über einen Erlassantrag stellt eine Ermessensentscheidung dar, die der finanzgerichtlichen Nachprüfung nur insoweit unterliegt, ob die Finanzbehörden von dem ihnen eingeräumten Ermessen bestimmungsgemäßen Gebrauch gemacht haben, ob also deren Entscheidung nicht auf einer Ermessensüberschreitung oder einem Ermessensfehlgebrauch beruht (§ 102 Satz 1 FGO). Eine Verpflichtung zum Erlass der beantragten Billigkeitsmaßnahme kann nur ausgesprochen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls das Ermessen so eingeengt ist, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (vgl. BFH-Urteil vom 24.09.1976 I R 41/75, BStBl. II 1977, S. 127).

Vorliegend ist ein Ermessensfehler des Bekl. nicht erkennbar. Ebenso wenig ist das Ermessen des Bekl. dahingehend eingeschränkt, dass die Gewährung eines Erlasses die einzig ermessensgerechte Entscheidung wäre. Denn der von der Klin. begehrte Erlass der Erbschaftsteuer ist weder aus sachlichen noch aus persönlichen Billigkeitsgründen gerechtfertigt.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn - unabhängig von der Wirtschaftslage des Steuerschuldners - nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage hätte er sie geregelt - im Sinne des begehrten Erlasses entschieden haben würde. Von einer für die Klin. positiven hypothetischen Entscheidung des Gesetzgebers ist vorliegend nicht auszugehen.

Das Erbschaftsteuerrecht wird nach dem Willen des Gesetzgebers vom Stichtagsprinzip beherrscht. Diese strenge Geltung des Stichtagsprinzips führt dazu, dass erst nach dem Stichtag eintretende Entwicklungen, die den Umfang bzw. den Wert des empfangenen Vermögens betreffen, für die Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht zu berücksichtigen sind. Demzufolge kommt auch ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen in Fällen des Vermögensverfalls nach dem Stichtag nicht in Betracht, da der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Problems weiter an der Stichtagsregelung festhält. So lehnt der BFH in ständiger Rechtsprechung, gefolgt von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, in derartigen Fällen einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen ab (vgl. BFH-Urteil vom 13.05.1998, II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376 m. w. N. zur Rechtsprechung; FG München, Urteil vom 24.07.2002 4 K 558/02, EFG 2002, 1493 m. w. N. zur Rechtsprechung; Hessisches FG, Urteil vom 03.04.2007 1 K 1809/04, EFG 2007, 1534). Dieser genannten Rechtsprechung schließt sich auch der erkennende Senat für den vorliegenden Fall an.

Der Fall ist auch nicht deshalb anders zu entscheiden, weil die Klin. für die Versteuerung der Leibrente gemäß § 23 ErbStG die Jahresversteuerung gewählt hat. § 23 ErbStG führt nicht zu abweichenden Entstehungszeitpunkten der Erbschaftsteuer, sondern regelt lediglich für bestimmte Sonderfälle deren Zahlungsmodalitäten (vgl. FG Münster, Urteil vom 18.09.2001 3 K 99/98, EFG 2003, 1029). Selbst die Tatsache, dass die Summe der bisher entrichteten Jahressteuern den bei einer Einmalzahlung zu entrichtenden Betrag inzwischen erheblich übersteigt, führt nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit. Der Gesetzgeber hat dem Steuerpflichtigen ausdrücklich ein Wahlrecht eingeräumt, ob er die Versteuerung im Wege der Einmalzahlung oder aber in Jahresbeträgen wünscht. Je nach Lage des Einzelfalls kann sich die Wahl im Ergebnis zu Gunsten oder aber zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Dies war dem Gesetzgeber bewusst. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber ein Entfallen der Jahressteuern gewollt haben könnte, sobald die geleisteten Beträge eine bestimmte Höhe erreichen. Diesen Ausführungen des FG München vom 25.10.1999 (4 K 2834/96, UVR 2000, 67) schließt sich der Senat sich auch für den vorliegenden Fall an.

Nach Auffassung des Senats kommt auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht in Betracht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 28.09.2006 V B 71/05, zitiert nach [...] m. w. N. zur Rechtsprechung) rechtfertigt eine wirtschaftliche Notlage des Steuerpflichtigen, auch wenn sie unverschuldet ist, ein Erlass von Steuern nur dann, wenn sie durch die Steuerfestsetzung selbst verursacht worden ist. Das ist hier nicht der Fall, da die wirtschaftliche Notlage, worauf der Bekl. zutreffend hingewiesen hat, bereits durch den Wegfall der Rentenzahlungen eingetreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

Die Zulassung der Revision erfolgt zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf die rechtskräftig gewordene Entscheidung des Finanzgerichts des Landes Brandenburg (in EFG 1995, 1092).



Ende der Entscheidung

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