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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 01.12.2008
Aktenzeichen: 5 K 3420/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 52 Abs. 61a S. 2
EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

5 K 3420/06 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Kindergeldanspruch eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers für den Zeitraum Februar 2002 bis Oktober 2006.

Der Kläger (Kl.) ist ausländischer Staatsangehöriger. Er ist Vater der am 6.3.2000 geborenen Tochter T und des am 26.5.2002 geborenen Sohnes S. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 war er zunächst faktisch geduldet. Vom 16.7.2001 bis zum 15.7.2002 war er im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses tätig. Seit dem 3.4.2006 besitzt er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Am 1.11.2006 nahm er ein bis zum 30.6.2007 befristetes Arbeitsverhältnis auf.

Den Antrag des Kl. auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter T vom 11.10.2001 lehnte die Beklagte (Bekl.) durch Bescheid vom 25.1.2002 ab. Gegen diesen Bescheid wurde kein Einspruch eingelegt.

Am 19.5.2006 beantragte der Kl. erneut, nunmehr für beide Kinder, Kindergeld. Dieser Antrag wurde vom Bekl. am 23.5.2006 unter Verweis auf § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung (a.F.) abgelehnt. Der hiergegen unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.7.2004 (Az. 1 BvL 4/97) eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.7.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Bekl. aus, der Beschluss des BVerfG vom 6.7.2004 sei vorliegend nicht einschlägig.

Hiergegen hat der Kl. am 7.8.2006 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, ihm stehe Kindergeld für seine beiden Kinder zu. Die durch Gesetz vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915) eingeführte Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG (n.F.) sei insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar, als sie geduldeten Ausländern mit langjährigem Aufenthalt einen Anspruch auf Kindergeld verweigere. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.7.2004 (Az. 1 BvL 4/97) sei nicht die tatsächliche Beschäftigung maßgeblich. Vielmehr sei die bloße Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit ausreichend. Der Kl. bezieht sich im Übrigen auf die Gründe der Vorlagebeschlüsse des Finanzgerichts Köln vom 9.5.2007 (Az. 10 K 1689/07 / 10 K 1690/07).

Die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.3.2007 (Az. III R 93/03), vom 22.11.2007 (Az. III R 54/02) und vom 21.2.2008 (Az. III R 79/03) stünden dieser Auffassung nicht entgegen, da die Kläger in diesen Verfahren nicht erwerbstätig gewesen seien. Über geduldete Ausländer mit langjährigem Aufenthalt und langjährigen Beschäftigungsverhältnissen habe der BFH bisher keine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung getroffen.

Die Bekl. hat durch Bescheid vom 27.8.2007 von November 2006 bis Juni 2007 Kindergeld für beide Kinder des Kl. gewährt.

Nachdem der Kl. die Klage hinsichtlich des von der bestandskräftig gewordenen Ablehnung vom 25.1.2002 erfassten Zeitraums nicht mehr weiter verfolgt, beantragt er nunmehr, die Bekl. unter Aufhebung des Bescheids vom 23.5.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.7.2006 zu verpflichten, dem Kl. Kindergeld in gesetzlicher Höhe für das Kind T ab Februar 2002 sowie für das Kind S ab Juni 2002 jeweils bis einschließlich Oktober 2006 zu gewähren,

hilfsweise für den Unterliegensfall,

die Revision zuzulassen.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise für den Unterliegensfall,

die Revision zuzulassen.

Sie ist der Ansicht, die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG sei verfassungsgemäß.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 23.5.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.7.2006 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kl. nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO). Ihm steht kein Kindergeld für den streitigen Zeitraum zu.

Für den Zeitraum ab Februar 2002 hat der Kl. nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 c) EStG n.F. keinen Anspruch auf Kindergeld. Nach dieser Vorschrift erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzt, nur dann Kindergeld, wenn er sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldzahlungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Die durch Gesetz vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915) eingeführte Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ist gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.

Für den Zeitraum bis einschließlich März 2006 besteht bereits deshalb kein Anspruch auf Kindergeld, weil der Kl. erst seit dem 3.4.2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist. Eine bloße Duldung reicht nicht aus (st. Rspr., sh. z. B. BFH Beschluss vom 11.07.2008 III B 167/07, [...]).

Im Zeitraum April bis Oktober 2006 war der Kl. zwar im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und hielt sich auch seit mehr als drei Jahren gestattet in Deutschland auf. Er war jedoch in diesem Zeitraum nicht erwerbstätig. Dass er Leistungen nach dem SGB III bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen hat, ist vom Kl. nicht dargelegt worden und dafür bestehen auch keine Anhaltspunkte.

Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, sind sowohl die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG als auch die Anwendungsregelung (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG) verfassungsgemäß (BFH-Urteile vom 15.3.2007, III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234; vom 22.11.2007, III R 54/02, BFH/NV 2008, 457 und vom 21.2.2008, III R 79/03, BFH/NV 2008, 1036). In den beiden letztgenannten Entscheidungen tritt der BFH ausdrücklich den Entscheidungen des Finanzgerichts Köln vom 9.5.2007 (10 K 1690/07 und 10 K 983/04) entgegen, das die Neuregelungen für verfassungswidrig hält. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.7.2004 (1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160) liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die Gewährung von Kindergeld allein von der Art des Aufenthaltstitels abhängt. Da § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG im Hinblick auf die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c) EStG genannten Aufenthaltstitel eine Differenzierung vornimmt, wird gerade nicht mehr allein auf den Aufenthaltstitel abgestellt, so dass kein Verfassungsverstoß vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2007, III R 54/02, BFH/NV 2008, 457). Die von der Neuregelung vorgenommene Differenzierung bewegt sich nach Auffassung des Senats im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.

Ob die Auffassung des Kl. zutrifft, dass die Neuregelung des § 62 EStG insoweit verfassungswidrig sei, als sie geduldeten Ausländern mit langjährigem Aufenthalt und langjährigen Beschäftigungsverhältnissen keinen Anspruch auf Kindergeld gewähre und dass die genannten BFH-Entscheidungen zu dieser Frage nicht Stellung genommen hätten, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Der Kl. befand sich im streitbefangenen Zeitraum nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Er war außerhalb des Streitzeitraums lediglich vorübergehend in befristeten Arbeitsverhältnissen tätig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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