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Gericht: Finanzgericht Münster
Beschluss verkündet am 28.03.2000
Aktenzeichen: 5 V 7028/99 E,G,U
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 158
AO 1977 § 162 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

5 V 7028/99 E,G,U

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Verfahrenskosten werden zu 76 % dem Antragsteller N1 und zu 24 % der Antragstellerin N2 auferlegt.

Der Streitwert wird auf 20.545 DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller (Ast.), der mit der Antragstellerin zur Einkommensteuer (ESt) zusammenveranlagt wird, erzielte aus dem Betrieb eines Restaurants (Pizzeria) Einkünfte aus Gewerbebetrieb (GewB). Der Antragsgegner (Ag.) folgte den Umsatzsteuer(USt)-, Gewerbesteuer(GewSt)- und Einkommensteuer(ESt)-Erklärungen der Ast. für die Streitjahre zunächst. Nach einer Außenprüfung vertrat er jedoch die Auffassung, daß die Buchführung des Ast. nicht ordnungsmäßig gewesen sei, schätzte Wareneinkäufe und Umsätze/Betriebseinnahmen hinzu (Prüfungsbericht vom 25.8.1999) und änderte die Bescheide entsprechend (USt-Bescheide 1994 vom 10.9.1999, 1995 bis 1997 vom 17.9.1999, GewSt-Meßbescheide vom 13.9.1999, ESt-Bescheide vom 10.9.1999). Hiergegen legten die Ast. Einsprüche ein und beantragten zugleich bei dem Ag., die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen. Nachdem der Ag. diesen Antrag abgelehnt hatte (Ablehnungsbescheid vom 12.10.1999), stellten die Ast. am 9.11.1999 bei dem Finanzgericht (FG) Münster Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Während der Anhängigkeit dieses Verfahrens wies der Ag. die Einsprüche in der Hauptsache als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidungen EE jeweils wegen USt, GewSt-Meßbetrag und ESt vom 10.12.1999), und die Ast. erhoben Anfechtungsklage, über die noch nicht entschieden ist (FG Münster, Aktenzeichen 5 K 158/00 E, G, U). Zur Begründung ihres AdV-Antrages tragen die Ast. vor:

An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden ernstliche Zweifel. Die Hinzuschätzungen könnten mit den formellen Mängeln der Kassenführung nicht gerechtfertigt werden. Kassenbons oder ähnliches habe der Ast. schon deshalb nicht aufbewahren können, weil er die im Jahre 1995 angeschaffte Registrierkasse nach anfänglichen Versuchen wegen technischer Überforderung nicht mehr benutzt habe. Lediglich die Aufzeichnungen der Barkasse seien zu beanstanden. Daraus könne aber keine generelle Verletzung der Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten abgeleitet werden. Vielmehr habe der Ast. sämtliche Einkünfte vollständig erklärt. Der Ag. belege seine Behauptung, daß der Ast. in den Streitjahren Wareneinkäufe im Werte von jährlich zwischen 18.000 DM und 24.000 DM in seiner Buchführung nicht erfaßt habe, durch kein Beweismittel. Der Ast. habe alle Waren, die in seinem Betrieb zur Verarbeitung oder zum Verkauf gelangten, in seiner Buchführung erfaßt. Der Umstand, daß er bestimmte Warengruppen (Spirituosen, Schweppes, Kaffee, Espresso, Capuccino, Schokolade, Martini) in den Jahren 1995 und 1996 in einigen Zeiträumen nicht oder nur sehr spärlich eingekauft habe, sei kein Indiz für die Nichtverbuchung von Wareneinkäufen, sondern könne darauf beruhen, daß die Waren in seinem Betrieb nicht gefragt gewesen seien. Das Fehlen in Bestandsaufnahmen könne damit erklärt werden, daß angebrochene Flaschen bei der Inventur oft übersehen würden. Die Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen von jährlich brutto 114.049 DM bis 154.506 DM seien schon deshalb fragwürdig, weil sie wenn man von den wirklichen und gebuchten Wareneinkäufen ausgehe auf überhöhten Aufschlagsätzen (370,70 %, 394,72 %, 385,89 %, 357,92 %) und unzutreffenden Gästezahlen (durchschnittlich 60 Personen je Tag) beruhten. In Wirklichkeit bewege sich die tägliche Gästezahl an Wochentagen zwischen 15 und 20 Personen und an Wochenenden zwischen 20 und 25 Personen. Da der Ag. das Geschäftskonto des Ast. gepfändet habe, sei dessen Betrieb so gut wie lahmgelegt. Er sei nicht in der Lage, notwendige Zahlungen zu leisten. Außerdem sei dadurch die Existenz seiner Familie gefährdet.

Die Ast. beantragen,

die Vollziehung der UStBescheide 1994 vom 10.9.1999, 1995 bis 1997 vom 17.9.1999, der GewStMeßbescheide 1994 bis 1997 vom 13.9.1999 und der EStBescheide 1994 bis 1997 vom 10.9.1999 in voller Höhe auszusetzen.

Der Ag. beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt unter Bezugnahme auf seinen Prüfungsbericht vor:

Die Hinzuschätzungen seien gerechtfertigt, weil die Buchführung des Ast. in formeller Hinsicht nicht ordnungsmäßig sei und die Nachkalkulationen auch hinreichende Zweifel an ihrer sachlichen Richtigkeit begründeten. Die Kassenführung sei deshalb nicht ordnungsmäßig, weil der Ast. die Kassenuraufzeichnungen nicht aufbewahrt habe. Für das Streitjahr 1994, in dem er eine sog. offene Ladenkasse geführt habe, habe er die Belege für Barentnahmen (z. B. Quittungen oder Eigenbelege) nicht aufbewahrt. Für den Zeitraum ab 1995, als er eine EDV-Registrierkasse angeschafft habe, habe er trotz der sechsjährigen Aufbewahrungspflicht weder die Programmierungsprotokolle noch die Kassenstreifen, Kassenzettel, Kassenbons, Kassenausdrucke und Warengruppenberichte aufbewahrt. Gegen die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung spreche auch die Tatsache, daß der Ast. bei der rechnerischen Ermittlung der Tageseinnahmen stets zu glatten 100 DM- oder 50 DM-Beträgen gelangt sei. Zudem hätten sich aus den Buchführungsunterlagen zahlreiche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Ast. auch seine Wareneinkäufe nicht vollständig gebucht habe. Da bei der Verprobung der einzelnen Wareneinkäufe erhebliche Differenzen festgestellt worden seien, seien die fehlenden Wareneinkäufe unter Beachtung des in den amtlichen Richtsätzen für Pizzerien ausgewiesenen mittleren Rohgewinnaufschlagsatzes von 270 % geschätzt worden (vgl. wegen der Einzelheiten die Textziffer Tz 13 und die Anlagen 4 und 5 des Prüfungsberichts). Bei der Schätzung der Umsätze bzw. Betriebseinnahmen sei der Prüfer von ca. 60 Gästen je Tag ausgegangen und habe das Verhältnis des Getränkeanteils zum Speiseanteil mit 35 zu 75 angenommen (vgl. wegen der Einzelheiten die Textziffer Tz 12 und die Anlagen 1 bis 3 des Prüfungsberichts).

Der Antrag ist nicht begründet.

Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen oder aufheben, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 FGO). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.

1. An der Rechtmäßigkeit der mit der Klage angefochtenen Bescheide bestehen keine ernstlichen Zweifel. Bei summarischer Prüfung nach Aktenlage treten keine gewichtigen gegen seine Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe zutage, die Unsicherheit in der Beurteilung einer maßgebenden Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung einer entscheidungserheblichen Tatfrage auslösen könnten. Das gilt insbesondere für die in dem Bescheid angesetzten Umsätze und Gewinne des Ast. Diese Ansätze sind nicht überhöht. Sie beruhen auf dem Grunde und der Höhe nach zulässigen Schätzungen.

a) Dem Grunde nach sind die Schätzungen zulässig, weil die Buchführung des Ast. für die Streitjahre nicht ordnungsmäßig ist.

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Letzteres ist der Fall, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nicht den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen (vgl. § 158 AO). Nach diesen Vorschriften müssen sich die Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 145 Abs. 1 Satz 2 AO). Das ist nur möglich, wenn der Zusammenhang zwischen Buchung und Beleg sichtbar gemacht wird (sog. Belegprinzip). Die Buchführung muß sicherstellen, daß jeder Geschäftsvorfall belegmäßig erfaßt wird. Dies setzt Belege voraus, die den Geschäftsvorfall entweder selbst angeben oder auf die einschlägigen Geschäftspapiere verweisen. Insbesondere für Bareinnahmen und -ausgaben sind Belege zu erstellen, sofern das Kassenbuch nicht als Kassenbericht geführt wird. Buchungsbelege wie z. B. als Kassenberichte geführte Kassenbücher und sonstige Unterlagen wie z. B. Registrierkassenstreifen, Kassenzettel, Bons sind geordnet aufzubewahren (vgl. § 147 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 AO). Diesen Anforderungen wird die Kassenführung des Ast. nicht gerecht.

Unstreitig hat er für das Streitjahr 1994, in dem er eine sog. offene Ladenkasse führte, die Belege für Barentnahmen (z. B. Quittungen oder Eigenbelege) nicht aufbewahrt (vgl. Tz. 9 des Prüfungsberichts). Die Ast. tragen selbst vor, daß die Aufzeichnungen der Barkasse zu beanstanden seien. Für den Zeitraum ab 1995, als er eine EDV-Registrierkasse angeschafft hatte, hat er weder die Programmierungsprotokolle noch die Kassenstreifen, Kassenzettel, Kassenbons, Kassenausdrucke oder Warengruppenberichte aufbewahrt (vgl. Tz. 9 des Prüfungsberichts). Falls er wie er nunmehr behauptet die Registrierkasse nach anfänglichen Versuchen nicht mehr benutzt haben sollte, hätte er zumindest die Belege für Barentnahmen aufbewahren müssen. Hierbei handelt es sich entgegen der Ansicht der Ast. nicht nur um formelle Buchführungsmängel, sondern um schwerwiegende Mängel, die die Beweiskraft der Buchführung in einem für ein Restaurant wesentlichen Bereich in Frage stellen, nämlich dem der Bareinnahmen und -ausgaben. Aus ihnen ergeben sich Zweifel, ob der Ast. seine Umsätze bzw. Betriebseinnahmen vollständig aufgezeichnet und erklärt hat. Diese Zweifel werden durch die unstreitige Tatsache verstärkt, daß der Ast. bei der rechnerischen Ermittlung seiner Tageseinnahmen stets zu glatten 100 DM- oder 50 DM-Beträgen gelangte (vgl. Tz. 9 des Prüfungsberichts). Obwohl ein solches Ergebnis jeder Lebenserfahrung widerspricht, geben die Ast. dazu keine Erklärung ab. Ihre schlichte, durch kein Beweismittel belegte Behauptung, der Ast. habe sämtliche Einkünfte vollständig erklärt, ist nicht geeignet, die Beweiskraft seiner mangelhaften Buchführung wiederherzustellen.

Darüber hinaus ist nach Aktenlage davon auszugehen, daß der Ast. entgegen der Vorschrift des § 143 AO auch seine Wareneinkäufe nicht vollständig aufgezeichnet hat. Zwar bestreiten die Ast. die entsprechende Behauptung des Ag. (vgl. Tz. 13 des Prüfungsberichts). Jedoch reicht ihr Vorbringen nicht aus, die für ihre Richtigkeit sprechenden Beweisanzeichen zu entkräften. Die Ast. versuchen lediglich den Umstand zu erklären, daß der Ast. in den Jahren 1995 und 1996 bestimmte Getränkegruppen nicht oder nur in geringen Mengen als Wareneinkauf gebucht hat. Der Ag. stützt seine Annahme jedoch darüber hinaus noch auf weitere Indizien, nämlich auch auf die Tatsache, daß sich bei Mengenverprobungen der Pizzazutaten und der eingekauften Kohlensäure erhebliche Fehlmengen an Käse bzw. Bier ergaben (vgl. Tz. 13 und Anlagen 4 und 5 des Prüfungsberichts). Zu diesen ebenfalls gegen eine vollständige Buchung des Wareneinkaufs sprechenden Umständen äußern sich die Ast. nicht.

b) Auch der Höhe nach sind die Schätzungen gerechtfertigt.

Das Ziel einer Schätzung besteht darin, diejenigen Besteuerungsgrundlagen anzusetzen, für die die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Zu diesem Zweck sind bei der Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für sie von Bedeutung sind (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Das hat der Ag. ausweislich des Prüfungsberichts getan. Er ist bei der Hinzuschätzung von Wareneinkäufen und Umsätzen bzw. Betriebseinnahmen von allen feststellbaren Umständen des Streitfalles ausgegangen, hat hierauf allgemeine Erfahrungssätze angewandt und die Schätzungsergebnisse einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Verbleibende Unsicherheiten müssen hingenommen werden, weil sie im Wesen jeder Schätzung liegen.

Entgegen der Ansicht der Ast. beruhen die Umsatz- und Gewinnhinzuschätzungen nicht auf überhöhten Aufschlagsätzen, sondern, wenn man wie erforderlich von den vom Ag. fehlerfrei geschätzten Wareneinkäufen ausgeht, auf Sätzen, die sich im mittleren Bereich der für Pizzerien ermittelten Aufschlagsätze bewegen. Sie betragen 269,36 % (1994), 272,40 % (1995), 272,07 % (1996) und 272,98 % (1997) (vgl. Anlage 2 des Prüfungsberichts). Nach den amtlichen Richtssatz-Sammlungen lag der mittlere Aufschlagsatz von Pizzerien in den Streitjahren erfahrungsgemäß bei 270 %.

Die Behauptung der Ast., die Hinzuschätzungen des Ag. beruhten auf überhöhten Gästezahlen, vermag bei Prüfung nach Aktenlage ebenfalls keine Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht auszulösen. Ob die vom Ag. zugrunde gelegte Zahl von durchschnittlich 60 Gästen je Tag (vgl. Tz. 12 des Prüfungsberichts) oder die von den Ast. behauptete Zahl von 15 bis 20 Personen je Tag an Wochentagen und 20 bis 25 Personen je Tag an Wochenenden zutrifft, kann allein anhand des Akteninhalts nicht aufgeklärt werden. Die Ast. machen ihre Behauptung auch nicht durch Vorlage oder Benennung von Beweismitteln glaubhaft, obwohl sie dafür wegen der Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung die Feststellungslast tragen.

2. Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide hätte für die Ast. auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Eine solche Härte kann nur dann vorliegen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache zumindest eine geringe Erfolgsaussicht hat. Das ist hier nicht der Fall. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen so gut wie keine Zweifel.

Die Verfahrenskosten sind entsprechend § 135 Abs. 1 FGO den Ast. als den unterliegenden Beteiligten aufzuerlegen, und zwar gemäß § 135 Abs. 5 Satz 2 FGO entsprechend ihrer Beteiligung am Gegenstand des Antragsbegehrens.

Der Streitwert wird gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes auf 10 % der streitigen Steuern geschätzt.

Der Streitwert wird auf 20.545 DM festgesetzt.



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