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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 13.08.2008
Aktenzeichen: 7 K 2922/06 Kg
Rechtsgebiete: GG, AufenthG, EStG


Vorschriften:

GG Art. 3
AufenthG § 25 Abs. 3
EStG § 62 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

7 K 2922/06 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin (Klin.) Kindergeld für das Kind X ab Mai 2006 zu gewähren ist.

Die Klin. ist algerische Staatsangehörige und hält sich seit 1998 in der Bundesrepublik Deutschland auf.

Sie verfügte jedenfalls bis zum 20.06.2007 über eine gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Am 22.05.2006 stellte die Klin. einen Antrag auf Kindergeld für ihr Kind X. Diesen Antrag lehnte die Beklagte (Bekl.) am 30.05.2006 mit der Begründung ab, die Klin. gehöre nicht zu den in § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) genannten ausländischen Staatsangehörigen, die Kindergeld beanspruchen könnten.

Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 08.06.2006 wies die Bekl. mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 26.06.2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung trägt sie vor, die Klin. sei lediglich im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Sie falle somit nicht unter die Bestimmungen des § 62 Abs. 2 EStG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung.

Mit der hiergegen am 10.07.2006 erhobenen Klage vertritt die Klin. die Auffassung, ihr stehe gemäß Artikel 3 Grundgesetz (GG) ein Anspruch auf Kindergeld zu. Eine sachliche Rechtfertigung, Ausländer mit einer Aufenthaltsgenehmigung nach den in § 62 EStG nicht aufgeführten Vorschriften des AufenthG zu benachteiligen, gebe es nicht. Sie dürfe nicht deshalb benachteiligt werden, weil ihr in ihrem Heimatland menschenrechtswidrige Behandlung nicht durch staatliche Institutionen, sondern durch andere Gruppen drohe. Nur aus diesem Grund habe sie nicht die Anerkennung als politischer Flüchtling beanspruchen können.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe durch Beschluss vom 06.07.2004 entschieden, dass die entsprechenden Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in der damaligen Fassung vom 21.12.2003 mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar seien, weil keine gewichtigen Gründe für die Ungleichbehandlung von Ausländern mit Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis und solchen ohne den entsprechenden Aufenthaltstitel ersichtlich seien. Diese Erwägungen träfen in gleicher Weise auch auf § 62 Abs. 2 EStG zu.

Die Vorschrift des § 62 EStG ist durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss (Gesetz vom 13.12.2006, Bundesgesetzblatt - BGBl. - I 2006, 2915) neu gefasst worden und gemäß § 52 Abs. 61 a EStG auf alle nicht bestandskräftigen Fälle anzuwenden.

Nunmehr vertritt die Klin. die Auffassung, es sei zwar richtig, dass sie nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung vom 13.12.2006 keinen Anspruch auf Kindergeld habe, weil sie nicht erwerbstätig sei. Diese Regelung sei jedoch ebenso verfassungswidrig wie die Vorgängerregelung. Da der Gesetzgeber die ihm bis zum 01.01.2006 gesetzte Frist zur Schaffung einer verfassungskonformen Neuregelung habe verstreichen lassen, gelte nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 wieder das bis zum 31.12.2003 geltende Recht. Danach habe sie Anspruch auf Kindergeld, weil sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei.

Dass § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung vom 13.12.2006 wiederum nicht mit dem GG vereinbar sei, habe das Finanzgericht Köln in seinem Beschluss vom 09.05.2007 (10 K 1690/07) bereits festgestellt. Durch die Neuregelung würden Ausländer, die lediglich im Besitz von Aufenthaltstiteln nach §§ 24, 25 AufenthG seien, sowie geduldete Ausländer ohne ersichtlichen Grund schlechter gestellt als Deutsche und Ausländer, die unter § 62 Abs. 2 EStG fallen würden.

Die Schlechterstellung dieser Gruppen von Ausländern sei nach der Zielsetzung des Gesetzgebers nicht gerechtfertigt. Danach sollte das Kindergeld nur solchen Ausländern gewährt werden, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben. Zu diesem Personenkreis gehörten aber auch diejenigen Ausländer, denen vom Bundesamt Abschiebeschutz gewährt worden sei.

Nicht nachvollziehbar sei auch, dass der Gesetzgeber, der das Kindergeld grundsätzlich allen Ausländern gewähren wollte, die sich auf Dauer in Deutschland aufhielten, bei gewissen Aufenthaltstiteln als zusätzliche Voraussetzung die Erwerbstätigkeit aufgestellt habe.

Die Klin. beantragt,

ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 30.5.2006 in Gestalt der EE vom 26.06.2006 Kindergeld für das Kind X ab Mai 2006 zu gewähren.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihrer Auffassung nach sind die Voraussetzungen für eine Gewährung von Kindergeld nach der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt, weil die Klin. nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfüge, die keine Erwerbstätigkeit gestatte.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kindergeld für das Kind X, da sie nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG erfüllt.

Gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG, in der Fassung vom 13.12.2006, welche gemäß § 52 Abs. 61 a EStG in allen Fällen anzuwenden ist, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er

Liste in den Originaldaten

eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde nach § 16 oder § 17 des AufenthG erteilt, nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt oder

eine in Nr. 2 c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem III. Buch Sozialgesetzbuch (SBG III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Als Staatsangehörige Algeriens ist die Klin. Ausländerin im Sinne des § 2 Abs. 1 AufenthG, welches für den Ausländerbegriff des § 62 EStG maßgeblich ist (vgl. Dürr in Frotscher, EStG, § 62 Rdnr. 10). Sie ist auch nicht freizügigkeitsberechtigt, da das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern nur für Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gilt (vgl. § 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern).

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klin. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG ist. Dieser Aufenthaltstitel berechtigt gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG nur dann zum Bezug von Kindergeld, wenn der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SBG III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klin. nicht. Sie bezieht weder Sozialleistungen nach dem SGB III noch nimmt sie eine Elternzeit nach dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit in Anspruch. Unstreitig ist sie auch nicht erwerbstätig.

Der Senat hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der anzuwendenden Norm des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG.

Nachdem das BVerfG (Beschluss vom 06.07.2004 I BvL 4/97, BVerfGE 111, 160) die für die Gewährung von Kindergeld für Ausländer geltenden Regelungen des BKGG für die Jahre 1994 und 1995 für mit dem GG unvereinbar gehalten hat, ist die Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG neu gefasst worden. Danach kann im Gegensatz zur Vorgängerregelung eine Aufenthaltserlaubnis einen Kindergeldanspruch begründen, falls die zusätzlichen Voraussetzungen in Abs. 3 Nr. 3 a und b der Vorschrift erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat damit dem Beschluss des BVerfG Rechnung getragen. Dieses hatte moniert, dass die Gewährung von Kindergeld allein von der Art des Aufenthaltstitels abhängig war, ohne dass der Ausländer seinen Status durch eigenes Verhalten beeinflussen konnte.

Die Anknüpfung der Kindergeldgewährung an das Vorliegen einer Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis sollte gewährleisten, dass Kindergeld nur solchen Ausländern gewährt wird, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (vgl. BVerfG-Beschluss vom 06.07.2004 1 BVL 4/97, BVerfGE 111, 160 unter B III 3). Dieses Ziel - welches das BVerfG für sich genommen nicht beanstandet hat - wurde nach Ansicht des BVerfG durch die Anknüpfung an den Aufenthaltstitel nicht erreicht, da auch die Gründe für andere Aufenthaltstitel, etwa die Aufenthaltsbefugnis, nicht nur vorübergehender Natur waren.

Aus der Gesetzesbegründung zu § 62 Abs. 2 EStG (Bundestagsdrucksache 16/1368, Seite 8) ergibt sich nun, dass der Gesetzgeber an der Zielsetzung festhält, Familienleistungen nur für ausländische Staatsangehörige vorzusehen, die sich voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten. Er knüpft aber nicht mehr allein an die Art des Aufenthaltstitels an, zumal nach der Neuregelung des AufenthG grundsätzlich jede Aufenthaltserlaubnis einer Verfestigung zugänglich ist. Der Gesetzgeber stellt vielmehr darauf ab, dass zu dem Aufenthaltstitel ein weiteres Indiz hinzukommen müsse, welches einen voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt in Deutschland plausibel erscheinen lasse.

Die in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten Indizien stellen nach Ansicht des Senats hinreichende Anknüpfungspunkte für einen vermuteten dauerhaften Aufenthalt dar.

Dass die Ausübung einer Erwerbstätigkeit mit der damit einhergehenden Integration in den inländischen Arbeitsmarkt eine beachtenswerte Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik bietet, leuchtet ein. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem AufenthG Personengruppen, denen der Gesetzgeber eine von Beginn an bestehende Aufenthaltsperspektive prognostiziert, jede selbständige Erwerbstätigkeit ausüben dürfen, §§ 4 Abs. 2, 25 Abs. 1 Satz 4 AufenthG.

Der Gesetzgeber hat weiter berücksichtigt, dass bei ausländischen Staatsangehörigen, die einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürfen, in aller Regel davon auszugehen sein wird, dass sie nachrangige staatliche Fürsorgeleistungen beziehen. In derartigen Fällen ist das Kindergeld im Regelfall an den Träger der Sozialleistungen überzuleiten.

Mit der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG hat der Gesetzgeber somit unter Anwendung des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums sachgerechte Kriterien für die Gewährung von Kindergeld an Ausländer aufgestellt, so dass ein Verfassungsverstoß im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht festgestellt werden kann (so auch die Rechtsprechung zur Neuregelung, vgl. BFH-Urteile vom 15.03.2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234, III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298, vom 22.11.2007 III R 54/02, BFH/NV 2008, 457; BFH-Beschluss vom 14.05.2008 III S 22/08, BFH/NV 2008, 1330, Finanzgericht -FG- Köln, Urteile vom 14.06.2007 15 K 4522/05, EFG 2007, 1789 und 15 K 1928/02; FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007 10 K 5107/05, EFG 2007, 600 sowie FG Münster, Urteile vom 24.04.2007 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007; 448 und 7 K 3295/05 Kg).

Entgegen der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (FG Köln, Urteil vom 09.05.2007 10 K 983/04, EFG 2007, 1254) hält der Senat die Übergangsregelung des § 52 Abs. 61 a EStG auf den hier zu entscheidenden Fall für anwendbar. Das BVerfG hat eine zeitliche Vorgabe für die Neuregelung lediglich im Rahmen der Entscheidung über § 1 Abs. 3 BKGG a. F. getroffen, während über die Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG a. F. gerade nicht entschieden worden ist (so auch FG Köln, Urteil vom 14.06.2007 15 K 1928/02 und BFH-Urteil vom 15.03.2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung der FG (vgl. u. a. FG Köln Urteil vom 09.05.2007, 10 K 983/04, EFG 2007, 1254 und Beschluss vom 09.05.2007 10 K 1690/07, EFG 2007, 1247 sowie FG Düsseldorf Urteil vom 23.01.2007 10 K 5107/05, EFG 2007, 600, FG Köln Urteil vom 14.06.2007 15 K 4522/05, EFG 2007, 1789, FG Münster, Urteile vom 24.04.2007 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007; 448 und vom 19.12.2007 7 K 3295/05 Kg) hat die Sache grundsätzliche Bedeutung.



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