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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 19.05.2009
Aktenzeichen: 8 K 2947/08 Kg
Rechtsgebiete: EStG, ZDG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
EStG § 32 Abs. 5
EStG § 32 Abs. 6
EStG § 33a Abs. 1
EStG § 70 Abs. 2
ZDG § 14b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtsfrage, ob Kindergeld auch für ein über 25 Jahre altes Kind zu gewähren ist, das einen sog. "Anderen Dienst" im Ausland gem. § 14b Zivildienstgesetz (ZDG) absolviert hat.

Die Klägerin (Klin.) ist Mutter des im Januar 1983 geborenen Kindes K. Sie bezog für K laufend bis einschließlich Januar 2008 (Vollendung des 25. Lebensjahres) Kindergeld.

K leistete nach der Schulzeit vom 29.7.2003 bis 30.9.2004 in X (Ausland) statt des Zivildienstes einen sog. "Anderen Dienst" i.S. des § 14 ZDG. Die Dienstleistung erfolgte - wie vom Gesetz vorgesehen - unentgeltlich. Lediglich Versicherungsleistungen (u.a. Krankenversicherungen) wurden vom Bund übernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung des Bischöflichen Generalvikariats N vom 10.7.2003 Bezug genommen (Bl. 29 der Kindergeldakte).

Unmittelbar nach Ende des Dienstes im Ausland nahm K an der Universität N ein Studium auf.

Mit Bescheid vom 19.2.2008 hob die beklagte Familienkasse (FK) die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klin. für K mit Wirkung ab Februar 2008 gem. § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf. Im Bescheid führte die FK an, für K sei bereits für die Zeit der Dienstleistung i.S. des § 14b ZDG Kindergeld gezahlt worden. Eine Verlängerung über das 25. Lebensjahr hinaus könne deshalb nicht erfolgen.

Im Einspruchsverfahren begehrte die Klin. die Fortbewilligung des Kindergeldes über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus für die Dauer des gesetzlichen Grundwehrdienstes. Die FK berücksichtige nicht ausreichend die wirtschaftliche Situation eines Dienstleistenden nach § 14b ZDG. Anders als ein Grundwehrdienstleistender bezöge ein Dienstleistender i.S. des § 14b ZDG keinen Sold, die Tätigkeit sei unentgeltlich. Die Unterhaltspflicht der Erziehungsberechtigten bestehe daher fort. Grundwehrdienst und Anderer Dienst i.S. des § 14b ZVG seien gleich zu behandeln. Die Berufsausbildung verzögere sich in beiden Fällen.

Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 30.6.2008, auf die Bezug genommen wird, wies die FK den Einspruch als unbegründet zurück.

Die Klin. erhob am 4.8.2008 Klage. Sie beruft sich auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch habe sie seinerzeit nicht wissen können, dass durch die Absolvierung des Dienstes im Ausland keine Verlängerung des Kindergeldanspruchs begründet worden sei. Die Entscheidung sei getroffen worden in der Annahme, dass keine weiteren wirtschaftlichen Nachteile während des Studiums eintreten würden. Der Auslandsdienst von zwölf Monaten habe den Abschluss des Studiums entsprechend verzögert.

Die Klin. beantragt (sinngemäß),

den Aufhebungsbescheid vom 19.2.2008 in Gestalt der EE vom 30.6.2008 aufzuheben und ihr auch für die Dauer des Anderen Dienstes i.S. des § 14b ZDG von zwölf Monaten über die Vollendung des 25. Lebensjahres von K hinaus Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu zahlen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die FK führt im Wesentlichen an, bei dem von K geleisteten Anderen Dienst i.S. des § 14b ZDG handele es sich nicht um einen Verlängerungstatbestand gem. § 32 Abs. 5 EStG.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die EE vom 30.6.2008 und die Schriftsätze der Beteiligten.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet. Der Aufhebungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klin. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Nach § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten. Aufzuheben oder zu ändern ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an.

Im Streitfall haben sich mit Ablauf des Monats Januar 2008 die kindergeldbegründenden Umstände zum Nachteil der Klin. geändert. Zwar befand sich K nach wie vor in einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Allerdings hat er im Januar 2008 sein 25. Lebensjahr vollendet, was - unabhängig von einer Fortdauer der Berufsausbildung - zur Beendigung des Anspruchs auf Kindergeld führt (vgl. zur zeitlichen Anwendung der Herabsetzung der Altersbegrenzung vom 27. auf das 25. Lebensjahr durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006, BGBl I 2006, 1652, § 52 Abs. 40 Sätze 6 ff.).

Eine Verlängerung des Kindergeldanspruchs über das 25 Lebensjahr hinaus gem. § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird für ein Kind, das

1. den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, oder

2. sich an Stelle des gesetzlichen Grundwehrdienstes freiwillig für die Dauer von nicht mehr als drei Jahren zum Wehrdienst verpflichtet hat, oder

3. eine vom gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst befreiende Tätigkeit als Entwicklungshelfer i.S. des § 1 Abs. 1 Entwicklungshelfer-Gesetz ausgeübt hat,

für einen der Dauer dieser Dienste oder der Tätigkeit entsprechenden Zeitraum, höchstens für die Dauer des inländischen gesetzlichen Grundwehrdienstes oder bei anerkannten Kriegsdienstverweigerern für die Dauer des inländischen gesetzlichen Zivildienstes, über das 21. oder 25. Lebensjahr hinaus berücksichtigt.

Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass Kinder während der Ableistung des Grundwehr- oder Zivildienstes steuerlich und auch kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt werden, die Berufsausbildung sich aber entsprechend zeitlich verzögert (vgl. BT-Drs. 13/1558, 155 f.; BFH-Urteil vom 14. Oktober 2002 VIII R 68/01, BFH/NV 2003, 460; Grönke-Reimann in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 Rdnr. 150; Heuermann in Blümich, EStG/KStG, § 32 Rdnr. 162).

Allerdings handelt es sich bei den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten Dienstleistungen um einen abschließenden Katalog. Im Falle der Absolvierung anderer Dienste kann der Verlängerungstatbestand nicht in Anspruch genommen werden (BFH in BFH/NV 2003, 460; Loschelder in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 32 Rdnr. 68; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG/KStG, § 32 Rdnr. C 65). Da der Sohn der Klin. keinen der in § 32 Abs. 5 EStG genannten Dienste geleistet hat, kommt eine fortdauernde Berücksichtung mit Kindergeld über das 25. Lebensjahr vom Gesetzeswortlaut nicht in Betracht.

Der Senat sieht auch keinen Anlass, den Verlängerungstatbestand des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG auf die hier zu entscheidende Konstellation eines Anderen Dienstes i.S. des § 14b ZDG analog anzuwenden. Es fehlt an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke mit Interessenvergleichbarkeit zwischen dem gesetzlich geregelten und nicht geregelten Sachverhalt (vgl. hierzu im Einzelnen Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 Rdnr. 365 ff. m.w.N.). Zum einen dürfte bereits keine planwidrige Regelungslücke vorgelegen haben. Der Gesetzgeber hat die Verlängerungstatbestände in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG dezidiert geregelt. Eine nicht beabsichtigte Nicht-Berücksichtigung der Dienstleistungen i.S. von § 14b ZDG kann dem Gesetzgeber daher nicht unterstellt werden. Zum anderen fehlt es zur Überzeugung des Senats an einer Interessenvergleichbarkeit zwischen den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten Verlängerungstatbeständen und der vorliegend in Frage stehenden Dienstleistung gem. § 14b ZDG. Zwar weist die Klin. zu Recht darauf hin, dass sich regelmäßig auch im Falle der Dienstleistung nach § 14b ZDG die Berufsausbildung des Kindes verzögert. Auch stehen (freiwillige) Dienstleistung i.S. des § 14b ZDG und der "normale" Zivildienst durchaus miteinander im Zusammenhang. Denn bei Erfüllung des Anderen Dienstes (§ 14b ZDG) erlischt die Pflicht, Zivildienst leisten zu müssen (§ 14b Abs. 2 ZDG). Elementarer Unterschied zwischen beiden Arten von Dienstleistungen ist allerdings, dass die Kindergeldberechtigten eines zivildienstleitenden Kindes für die Dauer des Zivildienstes keinen Anspruch auf Kindergeld haben, während sich diejenigen eines nach § 14b ZDG dienstleistenden Kindes - wie auch die Klin. - auf den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG berufen können. Hiermit mag vom Gesetzgeber zwar auch dem Umstand Rechnung getragen worden sein, dass die Dienstleistung nach § 14b ZDG - anders als der Grundwehr- und Zivildienst - unentgeltlich erfolgt (§ 14b Abs. 1 Nr. 2 ZDG), so dass die mit dem Kindergeldanspruch typisierend zugrunde gelegte Unterhaltsverpflichtung der Erziehungsberechtigten fortbesteht. Allerdings rechtfertigt der Gesetzgeber die Verlängerung des Kindergeldanspruchs um Zeiten der Absolvierung des Grundwehr- und Zivildienstes - wie dargelegt - insbesondere mit der fehlenden steuerlichen/kindergeldrechtlichen Begünstigung wehrdienst- bzw. zivildienstleistender Kinder (BT-Drs. 13/1558, 155 f.). Auf eben jenen Umstand kann sich der Berechtigte eines gem. § 14b ZDG dienstleistenden Kindes nicht berufen.

Der Senat hält die Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG und die Nichtberücksichtigung von Dienstleistungen gem. § 14b ZDG auch nicht für verfassungswidrig. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Grundgesetz (GG) kommt somit nicht in Betracht.

Zur Überzeugung des Senats liegt insbesondere kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07 u.a., NJW 2009, 48 m.w.N.). Dabei ist die Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedlich. Es kommt neben dem Willkürverbot auch ein strengeres Verhältnismäßigkeitserfordernis in Frage. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, "wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt" (vgl. BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BStBl II 2003, 534).

Eine unterschiedliche Behandlung zwischen den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG ab-schließend genannten Dienstleistungen und dem vom Sohn der Klin. geleisteten Anderen Dienst i.S. des § 14b ZDG ist durch sachliche Erwägungen hinreichend gerechtfertigt. Denn für Zeiten der Dienstleistung nach § 14b ZDG besteht - wie dargelegt - ein Kindergeldanspruch gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, im Gegenteil zu den in § 32 Abs. 5 Satz 1 EStG genannten Diensten. Eine zusätzliche Förderung mit Kindergeld über das 25. Lebensjahr hinaus wäre vor diesem Hintergrund sogar ungerechtfertigt.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass Dienstleistungen i.S. des § 14b ZDG - anders als der gesetzliche Grundwehr- und Zivildienst - auf rein freiwilliger Grundlage erfolgen. Zwar knüpft auch der Dienst nach § 14b ZDG an eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer an. Allerdings besteht keine Verpflichtung, anstelle des entgoltenen Zivildienstes (im Inland oder auch Ausland) Dienst i.S. des § 14b ZDG zu leisten. Insofern dürfte es sich nach Einschätzung des Senats regelmäßig um eine ideelle Entscheidung des Kindes handeln, bei der - vermeintliche - Nachteile hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld hinzunehmen sind.

Die von der Klin. angeführten wirtschaftlichen Nachteile sind zudem nicht zwingend. Etwaige fortwährende Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber einem sich noch in der Berufsausbildung befindlichen Kind, für das kein Anspruch auf Kindergeld (mehr) besteht, begünstigt der Gesetzgeber mit einem steuerlichen Abzug als außergewöhnliche Belastungen gem. § 33a Abs. 1 EStG. Unter der Voraussetzung, dass das unterhaltene Kind über keine bzw. nur geringe eigene Einkünfte verfügt (und auch kein oder nur geringes Vermögen besitzt), können die zum Unterhalt verpflichteten Eltern Aufwendungen von bis zu EUR 7.680 steuerlich in Abzug bringen. Insofern kann sich der Abzugsbetrag für Unterhaltspflichten gegenüber Kindern gem. § 33a Abs. 1 EStG steuerlich sogar günstiger auswirken als bei Unterhaltsaufwendungen gegenüber kindergeldberechtigten Kindern. Denn die Maximalförderung nach § 33a Abs. 1 EStG ist höher als die Summe der in § 32 Abs. 6 EStG genannten Freibeträge für (noch begünstigte) Kinder zuzüglich des in § 33a Abs. 2 EStG geregelten Ausbildungsfreibetrags.

Ob die Klin. - wie sie vorträgt - im Falle der Kenntnis eines Erlöschens des Kindergeldanspruchs mit Vollendung des 25. Lebensjahres ihres Sohnes von der seinerzeit gewählten Gestaltung Abstand genommen hätte, ist weder aus verfassungsrechtlichen noch aus einfachgesetzlichen Gründen von Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats rechtfertigt sich durch die eindeutige Gesetzeslage, an deren Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen.

Ende der Entscheidung

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