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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 09.07.2009
Aktenzeichen: 11 K 524/08
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 68
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, mit dem der Beklagte die Klägerin als ehemalige Geschäftsführerin einer Limited nach §§ 69, 34 AO in Anspruch genommen hat, weiterhin die Frage, inwieweit ein während des Klageverfahrens ergangener Haftungsbescheid nach § 68 FGO Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

Die Klägerin war einzige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin einer Ltd. Die Ltd wurde im Januar 2005 gegründet und betrieb ein Dienstleistungsunternehmen.

Die Ltd wurde am 31. Oktober 2005 beim Beklagten umsatzsteuerlich aufgenommen, zum 3. Oktober 2006 aber wieder gelöscht, nachdem der Beklagte davon Kenntnis erhielt, dass die Ltd zu diesem Zeitpunkt im englischen Handelsregister gelöscht worden war.

Die Ltd hatte zunächst keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2005 ging erst im Mai 2007 und die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2006 im April 2008 beim Beklagten ein. Bei der Erstellung der Erklärung hatte jeweils ein steuerlicher Berater mitgewirkt. Nach den Umsatzsteuererklärungen ergaben sich Abschlusszahlungen in einer Gesamthöhe von 7.883,03 EUR. Die Ltd entrichtete die Abschlusszahlungen nicht.

Da die Vollstreckung der Rückstände nach der Löschung der Ltd aussichtslos war, prüfte der Beklagte die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende.

Durch Haftungsbescheid vom 14. Juli 2008 nahm der Beklagte die Klägerin als ehemalige Geschäftsführerin der Ltd nach §§ 69, 34 AO in Anspruch. Die Haftungssumme von 7.979,03 EUR ermittelte der Beklagte wie folgt:

 Umsatzsteuer 2005340,42 EUR
Zinsen zur USt 200521,00 EUR
Umsatzsteuer 20067.542,61 EUR
Zinsen zur USt 200675,00 EUR
 7.979,03 EUR

Zur Begründung für die Inhaftungnahme der Klägerin gab der Beklagte an, die Klägerin habe ihre Geschäftsführerpflichten in grob fahrlässiger Weise verletzt, wodurch dem Steuergläubiger ein Schaden entstanden sei. So habe die Klägerin speziell ihre Zahlungspflicht verletzt und dadurch bewirkt, dass die rückständigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht getilgt seien. Weiterhin habe sie gegen die Steuererklärungspflicht verstoßen. So habe sie zunächst keine Umsatzsteuererklärungen für die Ltd abgegeben. Dabei habe für sie die Verpflichtung bestanden, die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2005 zum 31. Dezember 2006 und die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2006 zum 31. Dezember 2007 abzugeben. Sie habe die Erklärungen also mit einer Verspätung von 5 bzw. 4 Monaten abgegeben. Die Klägerin habe weiterhin den Grundsatz der anteiligen Tilgung verletzt, indem sie im Haftungszeitraum den Steuergläubiger nicht in ungefähr gleichem Umfang wie die übrigen Gläubiger der Ltd befriedigt habe. Da die Klägerin die Haftungsanfrage nicht beantwortet habe, sei von einer Tilgungsquote im Haftungszeitraum von 100 v.H. auszugehen. Danach sei die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensgerecht.

Die Klägerin legte Einspruch ein und meinte, sie hafte nicht, da die Steuerschuldnerin keinerlei Rückstände an Umsatzsteuer gehabt habe. Sie verfüge sogar über ein Umsatzsteuerguthaben, welches der Beklagte aber bisher nicht verrechnet habe.

Durch Einspruchsbescheid vom 25. November 2008 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Beklagte hielt an seiner Auffassung fest, die Klägerin sei wegen grob schuldhafter Pflichtverletzungen in Haftung zu nehmen. Als Haftungszeitraum nahm der Beklagte nunmehr den Zeitraum vom 30. Juni 2006 (vom Beklagten angenommene "gesetzliche Fälligkeit der Umsatzsteuer") bis zum 3. Oktober 2006 (Löschung der Ltd im englischen Handelsregister) an. Durch die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärungen habe die Klägerin bewirkt, dass die Umsatzsteuern erst zu einem Zeitpunkt fällig geworden seien, in dem die Ltd über kein Vermögen mehr verfügt habe und im englischen Handelsregister bereits gelöscht gewesen sei. Bei rechtzeitiger Abgabe der Umsatzsteuererklärungen wären die Abschlusszahlungen bereits am 30. Juni 2006 fällig gewesen. Außerdem habe die Klägerin im Haftungszeitraum den Grundsatz der anteiligen Tilgung verletzt. Weiterhin habe sie ihre Zahlungspflicht verletzt.

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Sie meint weiter, dass Rückstände an Umsatzsteuer nicht vorhanden seien, da es der Beklagte unterlassen habe, die Abschlusszahlungen aufgrund der Steuererklärungen mit Guthaben zu verrechnen. Außerdem sei der Klägerin nicht vorzuwerfen, als verantwortliche Vertreterin der Ltd Erklärungspflichten nicht erfüllt zu haben.

Nachdem das Gericht durch Richterbrief vom 16. März 2009 angeregt hatte, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, hob der Beklagte mit Bescheid vom 17. April 2009 den angefochtenen Bescheid auf. Gleichzeitig erließ er allerdings einen erneuten Haftungsbescheid gegen die Klägerin.

Mit dem neuen Haftungsbescheid vom 17. April 2009 nimmt der Beklagte die Klägerin weiterhin nach §§ 69, 34 AO als ehemalige Geschäftsführerin der Ltd in Anspruch. Die Haftungssumme bezog sich in Höhe von 7.883,03 EUR auf dieselben Rückstände wie zuvor, nämlich auf Umsatzsteuer 2005 und 2006.

Zur Begründung des Haftungsbescheids gab der Beklagte wiederum an, die Klägerin habe ihre Pflichten als Geschäftsführerin in grob schuldhafter Weise verletzt und dadurch dem Steuergläubiger einen Schaden zugefügt. Die Pflichtverletzung der Klägerin liege allerdings nicht nur - wie bisher angenommen - in der Verletzung der Abgabepflicht für die Umsatzsteuerjahreserklärungen, sondern außerdem in der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen. Da die Ltd am 1. August 2005 ihre Tätigkeit aufgenommen habe, sei die Klägerin nämlich verpflichtet gewesen, ab August 2005 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben und Vorauszahlungen auf die Umsatzsteuer zu entrichten. Dies habe sie jedoch nicht getan. Der Haftungszeitraum sei danach zu erweitern auf den Zeitraum vom 10. September 2005, dem Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit für die Umsatzsteuer-Voranmeldung August 2005, bis zum 3. Oktober 2006, dem Tag der Löschung der Ltd. Weiterhin habe die Klägerin auch im nunmehr erweiterten Haftungszeitraum den Grundsatz der anteiligen Tilgung verletzt. Denn es sei davon auszugehen, dass die Ltd im Haftungszeitraum über hinreichende Mittel verfügt habe, um die sich aus der rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen August 2005 bis August 2006 ergebenden Nachzahlungen tilgen zu können.

Eine Erledigungserklärung gab der Beklagte nicht ab, weil seiner Meinung nach der neue Haftungsbescheid nach § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei. Die Klägerin erklärte hingegen wegen der Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und legte gegen den erneuten Haftungsbescheid Einspruch ein, da sie der Meinung war, der erneute Haftungsbescheid sei nicht nach § 68 FGO Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen,

hilfsweise

den Haftungsbescheid vom 17. April 2009 aufzuheben, soweit er Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, der Rechtsstreit sei durch die Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheids nicht erledigt, da der gleichzeitig mit der Aufhebung bekannt gegebene Haftungsbescheid vom 17. April 2009 nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist begründet.

Der Haftungsbescheid vom 17. April 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er haftungstatbestandlich den ursprünglich angefochtenen und durch Bescheid vom 17. April 2009 aufgehobenen Bescheid wiederholt, also wiederum für die Pflichtverletzung der Klägerin auf die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen abstellt. Insoweit ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass der Haftungsbescheid nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Denn hinsichtlich dieses Teils des Haftungsbescheids trat eine Ersetzung i.S.d. § 68 FGO ein.

1. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2001 wird ein angefochtener Verwaltungsakt (automatisch) Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, § 68 Satz 1 FGO.

Dem Wortlaut nach gilt § 68 Satz 1 FGO auch für Ermessensverwaltungsakte wie z.B. Haftungsbescheide. Die generelle Anwendbarkeit der Norm ist jedoch umstritten. So wird in der Literatur vertreten, § 68 FGO solle - wegen des hiermit verbundenen Verlusts der Möglichkeit einer erneuten Ermessensprüfung durch die Finanzbehörde - nicht für Ermessensentscheidungen gelten (von Groll in Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 68 Rz. 25; Nacke, AO-StB 2007, 106; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 24/2009, Anm. 3). Eine andere Auffassung gelangt zu dem Ergebnis, § 68 FGO komme auch bei Ermessensentscheidungen generell zur Anwendung (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Tz. 6; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Tz. 16).

Die Rechtsprechung des BFH hat § 68 FGO in seiner alten Fassung grundsätzlich auch bei Ermessensverwaltungsakten angewendet (z.B. BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 105/92, BStBl II 94, 836). Auch in seiner neuen Fassung hat der BFH § 68 FGO bereits auf einen Ermessensverwaltungsakt angewendet (BFH-Urteil vom 15. März 2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076 zu einem Verspätungszuschlag und vom 16. Dezember 2008 I R 29/08 BFHE nn, BFH-Homepage, [...]).

2. a) Soweit der Beklagte im Haftungsbescheid vom 17. April 2009 den ursprünglich angefochtenen Bescheid wiederholt hat, ist der erkennende Senat der Auffassung, dass § 68 FGO zur Anwendung kommt und der dargestellte Meinungsstreit insoweit nicht erheblich für die Entscheidung im Streitfall ist. Denn im Streitfall hat der Beklagte hinsichtlich desselben Haftungstatbestands sein Ermessen in derselben Weise wie im ursprünglichen Bescheid ausgeübt, so dass für die Klägerin kein Verlust einer erneuten Ermessensprüfung eingetreten ist.

b) Der erkennende Senat ist allerdings der Auffassung, dass - unabhängig von der Frage, ob § 68 FGO grundsätzlich auf Ermessensentscheidungen Anwendung findet - im Streitfall der neue Haftungsbescheid nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, soweit der Beklagte der Inanspruchnahme der Klägerin einen weiteren Haftungstatbestand zugrunde gelegt hat. Denn insoweit hat der Beklagte durch den Erlass des Haftungsbescheids vom 17. April 2009 den gleichzeitig aufgehobenen angefochtenen Haftungsbescheid weder geändert noch ersetzt i.S.d. § 68 FGO.

Wann der angefochtene Verwaltungsakt "geändert" oder "ersetzt" wird, ist in § 68 FGO nicht erläutert. Dem vorrangigen Gesetzeszweck der Rechtsschutzgewährung entspricht es, diese Tatbestandsmerkmale weit auszulegen (Gräber/von Groll FGO § 68 Rz. 61 m.w.N.). Erfasst werden die Fälle, in denen sich der Regelungsgehalt des angefochtenen Verwaltungsakts inhaltlich verändert. "Ändern" bedeutet dabei partielle inhaltliche Umgestaltung unter Wahrung der Identität der Einzelfallregelung (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2000 X R 42/96, BStBl. II 2001, 471). Entscheidend kommt es aber in den Fällen der Änderung und Ersetzung darauf an, dass zwischen der Einzelfallregelung des angefochtenen und der des neuen Verwaltungsakts eine sachliche Beziehung besteht, beide Bescheide also "dieselbe Steuersache", d.h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen (BFH-Urteil vom 17. April 1991 I R 142/87, BStBl II 1991, 527 und vom 17. September 1992 V R 17/86, BFH/NV 1993, 279 und BFH-Beschluss vom 25. Februar 1999 IV R 36/98, BFH/NV 1999, 1117).

Diese Grundsätze auf Haftungsbescheide übertragen bedeutet, dass ein Haftungsbescheid nur insoweit i.S.d. § 68 FGO geändert oder ersetzt ist, wie ihm derselbe Haftungstatbestand zugrunde liegt. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, sind Haftungsbescheide sachverhaltsbezogen und nicht, wie z.B. ein Einkommensteuerbescheid, zeitraumbezogen (vgl. BFH-Beschluss vom 7. April 2005 I B 140/04, BStBl II 2006, 530 und BFH-Urteil vom 11. Dezember 2008 VI R 20/05 BFH/NV 2009, 904).

Durch diese Rechtsprechung ist einerseits geklärt, dass ein Haftungsbescheid rechtswidrig ist, wenn der ihm zu Grunde liegende Sachverhalt bereits Gegenstand eines bestandskräftig gewordenen und fortbestehenden anderen Haftungsbescheids ist (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 29/02, BStBl II 2005, 3). Andererseits hindert ein Haftungsbescheid, der sich auf einen in einem bestimmten Kalenderjahr verwirklichten Sachverhalt bezieht, nicht den Erlass eines weiteren Haftungsbescheids wegen eines demselben Kalenderjahr zuzuordnenden anderen Sachverhalts (BFH-Urteile vom 30. August 1988 VI R 21/85, BStBl II 1989, 193; vom 21. Juni 1989 VI R 31/86, BStBl II 1989, 909). Die "Sperrwirkung" eines bestandskräftigen Haftungsbescheids gegenüber einer erneuten Inanspruchnahme des Haftungsschuldners besteht also nur, soweit es um ein und denselben Sachverhalt geht; sie ist in diesem Sinne nicht jahres-, sondern sachverhaltsbezogen (BFH-Urteil vom 8. November 1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657, 659, m.w.N.; s. auch Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 42d Rz. 47; Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 42d Rz. 138, jeweils zur parallelen Rechtslage bei der Lohnsteuer).

Danach durfte der Beklagte den bisher nicht als Grundlage für eine Inhaftungnahme der Klägerin herangezogenen Sachverhalt "Nichtabgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen im Zeitraum 10. September 2005 bis 3. Oktober 2006" zum Tatbestand eines erneuten Haftungsbescheids gegen die Klägerin machen. Denn dieser Sachverhalt ist ein anderer als der dem ursprünglichen Haftungsbescheid zugrunde liegende. Dort hatte der Beklagte nämlich lediglich die Sachverhalte "verspätete Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen", "Verletzung der Zahlungspflicht" und die "Verletzung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung im Haftungszeitraum" als Haftungstatbestände zugrunde gelegt.

Der Erlass eines neuen Haftungsbescheids, dem ein anderer Sachverhalt und damit ein anderer Haftungstatbestand zugrunde liegt, stellt keine Ersetzung oder Änderung i.S.d. § 68 FGO dar. Insoweit liegt der Fall entscheidungserheblich anders als der dem BFH-Urteil vom 16. Dezember 2008 I R 29/08 (BFHE nn, BFH-Homepage, [...]) zugrunde liegende Fall. Dort hatte das Finanzamt nämlich einen Haftungsbescheid wegen mangelhafter Ermessenserwägungen aufgehoben und inhaltsgleich, also unter Beibehaltung des Haftungstatbestands, wiederholt. In diesem Fall der Aufhebung eines Bescheids aus formellen Gründen und der inhaltsgleichen Wiederholung dieses Bescheids hatte der BFH eine "Ersetzung" i.S.d. § 68 FGO gesehen.

Im Streitfall hob der Beklagte den Bescheid jedoch nicht aus formellen, sondern aus materiellen Gründen auf. Denn der Berichterstatter hatte im Richterbrief vom 16. März 2009 deutlich gemacht, dass die vom Beklagten im ursprünglichen Haftungsbescheid zugrunde gelegten Haftungstatbestände, nämlich die nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen sowie eine daran anknüpfende Verletzung der Zahlungspflicht sowie Verletzung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung, eine Inanspruchnahme der Klägerin wohl nicht rechtfertigen könnten und eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids angeregt. Dieser Anregung ist der Beklagte zunächst gefolgt, hat dann die Aufhebung aber insoweit rückgängig gemacht, als er den ursprünglichen Bescheid teilweise wiederholte. Weiterhin nahm er den Hinweis aus dem Richterbrief auf, ggf. die Nichtabgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen zum Haftungstatbestand eines (neuen) Haftungsbescheids zu machen.

Ein Bescheid, der wie der Haftungsbescheid vom 17. April 2009 der Haftung mehrere Haftungstatbestände zugrunde legt, ist als sog. Sammelhaftungsbescheid insoweit teilbar, als ein einzelner Haftungstatbestand dieses Bescheids, der bereits zuvor Gegenstand einer Anfechtungsklage war, nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da insoweit eine Ersetzung stattgefunden hat, während ein anderer Teil desselben Bescheids, der einen weiteren Haftungstatbestand erstmals zur Grundlage einer Haftung macht, nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens nach § 68 FGO wird, sondern allenfalls Gegenstand eines Einspruchsverfahrens werden kann.

3. a) Soweit also nach alledem der Haftungsbescheid vom 17. April 2009 nicht nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist in diesem Verfahren darüber nicht zu entscheiden. Insoweit ist gegen den Bescheid ein Einspruchsverfahren zu führen, da die Klägerin bereits Einspruch eingelegt hat.

b) Soweit der Haftungsbescheid vom 17. April 2009 nach § 68 FGO Gegenstand des Haftungsbescheids geworden ist, ist der Bescheid aufzuheben. Denn er ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte sieht zu Unrecht eine Pflichtverletzung der Klägerin darin, dass sie die Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre 2005 und 2006 nicht zum 31. Dezember 2006 bzw. 2007 abgegeben habe, sondern jeweils erst um einige Monate verspätet. Denn die Klägerin war nach der Löschung der Ltd am 3. Oktober 2006 nicht mehr Geschäftsführerin der Ltd. Insoweit hatte sie ab diesem Zeitpunkt keine Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen für die Ltd. Da Steuern zu keiner Zeit gegen die Ltd festgesetzt wurden, ist der Klägerin zudem keine Verletzung der Zahlungspflicht sowie des Grundsatzes der anteiligen Tilgung vorzuwerfen.

4. Ob sich der Beklagte mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheids aufgrund des Richterbriefs des Berichterstatters vom 16. März 2009 unter gleichzeitigem Neuerlass eines Haftungsbescheids mit demselben Haftungstatbestand treuwidrig (venire contra factum proprium) verhalten hat, kann dahin stehen. Denn der Haftungsbescheid war insoweit in jedem Fall aufzuheben.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Zwar ist die Klägerin mit ihrem Hauptantrag nicht durchgedrungen, sondern nur mit dem Hilfsantrag. Dies war jedoch nicht kostenerheblich.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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