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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 31.05.2007
Aktenzeichen: 11 K 719/05
Rechtsgebiete: EStG, BGB


Vorschriften:

EStG § 12
BGB § 181
BGB § 184 Abs. 1
BGB § 1629 Abs. 1 S. 1
BGB § 1795 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

11 K 719/05

Tatbestand:

Streitig ist die steuerrechtliche Anerkennung von Darlehensverträgen, die der Kläger zu 2) mit seinen minderjährigen Kindern ohne Einschaltung eines Ergänzungspflegers abgeschlossen hat.

Der Kläger zu 2) (GS) beteiligte sich zum 1. Januar 1996 als stiller Gesellschafter an dem Tischlereibetrieb des Klägers zu 1) (MS) mit einer Einlage von 150.000 DM. GS ist am Ergebnis, Vermögen und den stillen Reserven des Unternehmens beteiligt. Neben den gesetzlichen Informations- und Kontrollrechten des stillen Gesellschafters "gem. § 344 HGB" (§ 233 Handelsgesetzbuch - HGB) stehen GS nach dem Gesellschaftsvertrag auch die Rechte der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bzw. einer offenen Handelsgesellschaft zu (§§ 716 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB, 118 HGB. Ferner bedarf MS zu bestimmten Geschäften der Zustimmung des GS.

MS und GS beschafften sich durch zahlreiche Darlehensverträge mit mehreren, auch volljährigen Angehörigen Mittel, die sie für betriebliche Zwecke einsetzten, darunter GS auch durch Verträge mit seinen in den Streitjahren minderjährigen Söhnen ... (M), geboren ..., und ... (D), geboren .... Die privatschriftlichen Verträge mit M und D sind auf unbestimmte Zeit geschlossen und können mit dreimonatiger Frist zum Jahresende gekündigt werden. Die Zinsen in Höhe von 7 bzw. 8 v. H. sind zum 31. Dezember jeden Jahres zu entrichten. Die Verträge sind von GS und M bzw. D unterschrieben. GS und seine Ehefrau haben den Verträgen als gesetzliche Vertreter von M und D zugestimmt. Das Vermögen von M und D stammt aus einer Erbschaft vom Großvater.

Im Einzelnen geht es um folgende Darlehensverträge:

1. Verträge mit M

8. Januar 1999 40.000 DM

1. November 2000 10.000 DM

12. März 2001 10.000 DM

22. Januar 2002 2.800 EUR

31. Dezember 2002 3.000 EUR

Darlehenssumme zum 31. Dezember 2003: 36.477,52 EUR

2. Verträge mit D

8. Januar 1999 40.000 DM

1.November 2000 10.000 DM

12. März 2001 10.000 DM

22. Januar 2002 2.400 EUR

31. Dezember 2002 2.400 EUR

21. Juli 2003 2.000 EUR

Darlehenssumme zum 31. Dezember 2003: 37.477,52 EUR

Im Anschluss an eine in der Zeit vom 1. Dezember 2003 bis 1. Februar 2004 durchgeführten Außenprüfung versagte der Beklagte (das Finanzamt) dem Prüfer folgend den Abzug der von GS an M und D gezahlten Darlehenszinsen als Sonderbetriebsausgaben, weil die Verträge zwar nach Inhalt und Durchführung dem unter Fremden Üblichen entsprächen, aber entgegen § 1629 Abs. 2 i.V.m. § 1795 Abs. 1, § 181 BGB ohne Mitwirkung eines Ergänzungspflegers abgeschlossen und damit zivilrechtlich unwirksam seien.

Während des Einspruchsverfahrens gegen die geänderten Feststellungsbescheide 1999 - 2002 und den erstmaligen Feststellungsbescheid 2003 genehmigten im November 2004 der inzwischen volljährige M die mit ihm und ein Ergänzungspfleger mit vormundschaftsgerichtlicher Billigung die mit D geschlossenen Verträge. Die von D gewährten Darlehen waren zuvor dinglich abgesichert worden.

Das Finanzamt entschied über die "im Auftrag der... Firma..." eingelegten Einsprüche und wies sie zurück. Hiergegen richtet sich die Klage "der Fa. MS atypisch stille Gesellschaft".

Die Kläger meinen, die Zinsen seien als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Es seien schriftliche Verträge geschlossen worden, die auch nach Ansicht des Prüfers nach Inhalt und Durchführung dem unter Fremden Üblichen entsprächen. Die vereinbarten Zinsen seien unbar entrichtet worden. Die Darlehensmittel stammten aus dem Vermögen der Kinder und nicht aus Schenkungen der Eltern. Nachdem der Prüfer darauf hingewiesen habe, dass für die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der Verträge die Genehmigung durch einen Ergänzungspfleger erforderlich sei, sei der Mangel umgehend behoben worden.

Die Klägerin beantragt,

die Feststellungsbescheide 1999 - 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu ändern und weitere Sonderbetriebsausgaben in Höhe von ... DM für 1999, ... DM für 2000, ... DM für 2001, ... EUR für 2002 und ... EUR für 2003 anzuerkennen und den Gewinn entsprechend niedriger festzustellen und nach dem Gesellschaftsvertrag zu verteilen.

Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Feststellungsbescheide und der Einspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.

1. Die Klageschrift wird dahin ausgelegt, dass die Klage im Namen der beiden Gesellschafter erhoben worden ist. Eine atypisch stille Gesellschaft kann nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein. Ein Rechtsbehelf, der der äußeren Form nach von einer atypisch stillen Gesellschaft stammt, ist als von den Gesellschaftern eingelegt auszulegen (BFH-Beschluss vom 20. Dezember 2006 I B 47/05, BFH/NV 2007, 831; BFH-Urteil vom 27. März 1996 I R 100/94, BFH/NV 1996, 798).

2. Die - der Höhe nach unstreitigen - Zinszahlungen an M und D sind als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 Einkommensteuergesetz - EStG).

Bei Aufwendungen aufgrund eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen - wie im Streitfall bei den Zinszahlungen aufgrund der von GS mit seinen Söhnen M und D geschlossenen Darlehensverträgen - geht der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung von einer betrieblichen Veranlassung grundsätzlich nur dann aus, wenn die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BStBl II 2000, 386, m.w.N.). Diese Anforderungen gründen auf der Überlegung, dass es innerhalb eines Familienverbundes typischerweise an einem Interessensgegensatz fehlt und zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten steuerrechtlich missbraucht werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Beschluss vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34). Im Interesse einer effektiven Missbrauchsbekämpfung ist es daher geboten und zulässig, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahen Angehörigen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Juli 1991 2 BvR 769/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1992, 23; vom 20. November 1984 1 BvR 1406/84, HFR 1985, 283; vom 22. Juli 1970 1 BvR 285/66, 445/67 und 192/69, BVerfGE 29, 104 ff., 118).

Die besonderen Anforderungen der Rechtsprechung bilden Beweisanzeichen (Indizien) bei der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu treffenden Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Erzielen von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 EStG) zugehörig sind (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 2004 X R 14/01, BStBl II 2004, 826). Lassen die Vertragsbeteiligten zivilrechtliche Formerfordernisse unbeachtet, so führt dieses Beweisanzeichen gegen die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarung - anders als z.B. das Nichterfüllen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals - nicht allein und ausnahmslos dazu, das Vertragsverhältnis steuerrechtlich nicht anzuerkennen (BFH-Urteil vom 7. Juni 2006 IX R 4/04, BFH/NV 2006, 2162, m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss in BStBl II 1996, 34). Die Indizwirkung gegen den vertraglichen Bindungswillen wird aber verstärkt, wenn den Vertragspartnern die Nichtbeachtung der Formvorschriften insbesondere bei klarer Zivilrechtslage angelastet werden kann (vgl. dazu im Einzelnen BFH-Urteil in BStBl II 2000, 386; zum Ganzen BFH-Urteil vom 22. Februar 2007 IX R 45/06, noch nicht veröffentlicht; www.bundesfinanzhof.de > Entscheidungen). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Nach der danach gebotenen Gesamtbildbetrachtung sind die Zinszahlungen betrieblich veranlasst. Die Darlehensmittel sind für betriebliche Zwecke verwendet worden. Inhalt und Durchführung der Verträge entsprechen auch nach Ansicht des Finanzamts dem, was unter Fremden Üblich ist. Dem steht die fehlende Besicherung der Rückzahlungsansprüche nicht entgegen. Die Besicherung ist auch unter Fremden grundsätzlich erst bei langfristigen Kapitalhingaben üblich. Ein langfristiges Darlehen liegt bei einer Laufzeit von jedenfalls vier Jahren vor (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. November 1990 X R 126/87, BStBl II 1991, 291). Im Streitfall waren die Darlehen hingegen jederzeit in voller Höhe mit einer dreimonatigen Frist zum Jahresende kündbar. Anhaltspunkte für verschleierte Unterhaltszahlungen des GS an seine Söhne fehlen. Insbesondere stammen die Darlehensmittel nicht aus Schenkungen des GS oder seiner Ehefrau.

Allerdings waren die Darlehensverträge des GS mit M und D zunächst schwebend unwirksam. Bei Verträgen mit sich selbst konnte GS seine Söhne nicht wirksam vertreten (§ 181 BGB). Auch seine Ehefrau war nicht zur Vertretung befugt (§ 1629 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1795 Abs. 1 Nr. 1). Die Genehmigungen des Jahres 2004 wirken zwar zivilrechtlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück (§ 184 Abs. 1 BGB). Steuerlich entfalten die Genehmigungen jedoch keine Rückwirkung (BFH-Urteil vom 23. April 1992 IV R 46/91, BStBl II 1991, 1024). Die Nichtbeachtung der zivilrechtlichen Formerfordernisse ist ein Indiz gegen die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarungen.

Dem ist hier jedoch keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Die Gesamtumstände sprechen für einen ernsthaften Bindungswillen der Vertragspartner. Sie haben Verträge geschlossen, die - wie auch die Verträge der Kläger mit den volljährigen Angehörigen - inhaltlich dem unter Fremden Üblichen entsprechen und trotz der Vielzahl der Verträge über Jahre dem Vereinbarten entsprechend durchgeführt. Der Formfehler wurde zeitnah nach seiner Aufdeckung behoben.

GS und - erst recht - seinen minderjährigen Söhnen ist die Nichtbeachtung der Formvorschriften nicht anzulasten. Nach den Bekundungen des GS in der mündlichen Verhandlung waren die Vorschriften den Vertragspartnern nicht bekannt. Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft.

Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu der zitierten BFH-Rechtsprechung. In dem Urteil in BStBl II 2000, 388, führt der BFH lediglich aus, die Nichtbeachtung der Formvorschriften könne den Vertragspartnern "jedenfalls" dann nicht angelastet werden, wenn sich die Anwendung der Formvorschriften nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Zu der Frage, ob die Nichtbeachtung den Vertragspartnern anzulasten ist, wenn sich das Formerfordernis unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, äußert sich das Urteil nicht. Es lässt lediglich den Schluss zu, dass, wenn die Nichtbeachtung den Vertragspartnern anzulasten ist, sich das Formerfordernis unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss, aber nicht, dass immer dann, wenn sich das Formerfordernis unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, die Nichtbeachtung der vorgeschriebenen Form den Vertragspartnern anzulasten ist.

Das BFH-Urteil vom 22. Februar 2007 betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort hatten die Kläger offenbar Zweifel, ob ein Formerfordernis besteht, und haben sich trotz des eindeutigen Wortlauts der einschlägigen Vorschriften des BGB auf eine (behauptete) bloß fernmündliche Auskunft von Seiten eines Notariats verlassen. Im Streitfall ist der Senat hingegen überzeugt, dass die Vertragspartner die einschlägigen Formvorschriften nicht kannten und ihre Existenz auch nicht für möglich hielten. In einem solchen Fall den Verträgen die steuerliche Anerkennung zu versagen, liefe darauf hinaus, die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der Verträge unzulässigerweise wie ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal zu behandeln.

3. Die Ausrechnung der festzusetzenden Einkünfte wird dem Finanzamt übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

Die Kläger sind nur zu einem geringen Teil unterlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).



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