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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 12 K 219/07
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 41
FGO § 100 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit eines Steuerbescheids.

Da der Kläger zunächst eine Umsatzsteuererklärung nicht abgab, schätzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Er orientierte sich an den Daten der abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen (Umsatz 4.556,23 EUR, Vorsteuer 3.012,66 EUR) und setzte den Umsatz unter Berücksichtigung eines Unsicherheitszuschlags mit 6.250 EUR und die Vorsteuer mit 1.000 EUR an. Ein Vorsteuerübergang ergab sich nicht; die festgesetzte Steuer betrug 0 EUR. Der Bescheid datierte vom 5. März 2007.

Mit seinem Einspruch bat der Kläger um die Angabe der Schätzungsgrundlagen und um Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Einspruchsbescheid vom 16. Mai 2007 wies das FA den Einspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe den Einspruch nicht begründet und auch keine Steuererklärung abgegeben.

Der Kläger hat Klage erhoben. Er hat ursprünglich beantragt, den Einspruchsbescheid, hilfsweise die Umsatzsteuerfestsetzung aufzuheben, damit das FA eine neue Entscheidung treffen könne (Schriftsatz vom 3. September 2007). Das FA habe die "Unterlagen der Besteuerung" nicht mitgeteilt. Eine Entscheidung über die Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung sei nicht ergangen; insofern habe das FA die gebotene Ermessensentscheidung nicht getroffen. Die Schätzung sei in Anbetracht der Angaben in den Voranmeldungen überzogen und wegen objektiver Willkür nichtig. Abgesehen davon habe das FA nicht die Besteuerungsgrundlagen, sondern zur Vermeidung des Vorsteuerüberhangs die Steuer geschätzt.

Innerhalb der ihm gem. § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist hat der Kläger auf den schriftlich gestellten Klageantrag und die Begründung verwiesen.

Aufgrund der am 20. März 2008 bei dem FA eingegangenen Steuererklärung hat das FA unter dem 2. Juni 2008 einen Änderungsbescheid erlassen, wobei es die vom Kläger angegebenen Besteuerungsgrundlagen übernommen hat. Es ergibt sich ein Vorsteuerüberhang von 2.927,10 EUR. Das FA hat das Klageverfahren für in der Hauptschache erledigt erklärt.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt, die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage fortzuführen (Schriftsatz vom 15. September 2008). In der mündlichen Verhandlung trägt er vor, er beabsichtigte die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen das FA und diesbezüglich die Beauftragung eines Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt habe erklärt, ohne eine finanzgerichtliche Entscheidung biete der Schadensersatzanspruch keine Aussicht auf Erfolg. Es solle ein Zinsschaden in Höhe von ca. 100 EUR geltend gemacht werden, der aus der Überziehung des Geschäftskontos herrühre. Im Übrigen bestehe Wiederholungsgefahr, weil der erkrankte Kläger die Steuererklärung für 2006 noch nicht abgegeben habe.

Der Kläger beantragt,

die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einspruchsbescheids vom 5. April 2007,

hilfsweise

die Feststellung der Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids vom 5. März 2007.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA ist der Auffassung, die ursprüngliche Schätzung sei berechtigt gewesen. Weil der Kläger letztmalig für 2002 eine Steuererklärung abgegeben habe, sei eine Schätzung, die zur Vermeidung eines Vorsteuerüberhangs führe, rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung sei zwar zulässig, im Fall des Klägers aber nicht geboten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage kann mit ihren Hauptantrag aus prozessualen Gründen keinen Erfolg haben.

Die Angabe des Datums des Einspruchsbescheids im Klageantrag beruht auf einem Versehen des Gerichts; der Einspruchsbescheid datiert vom 16. Mai 2007.

Der Kläger will die Klage mit dem Hauptantrag als Fortsetzungsfeststellungsklage verstanden wissen. Der Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist gem. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zulässig, wenn sich der mit der Klage angegriffene Verwaltungsakt erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts hat. Gegenstand der Anfechtungsklage war der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Eine allein gegen den Einspruchsbescheid gerichtete Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn der Einspruchsbescheid eine selbstständige Beschwer enthält (isolierte Anfechtungsklage). Die Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit allein des Einspruchsbescheids kann also nur Erfolg haben, wenn vor der Erledigung die Anfechtungsklage gegen den Einspruchsbescheid zulässig war.

Durch den Erlass des Steuerbescheids vom 2. Juni 2008 ist das Klageverfahren erledigt worden, denn das FA hat dem Begehren des Klägers in vollem Umfang abgeholfen, indem es die in der nachgereichten Steuererklärung angegebenen Besteuerungsgrundlagen unverändert für die Steuerfestsetzung übernommen hat.

Die Zulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage mag angenommen werden, weil das FA im Einspruchsbescheid nicht über den Antrag auf Festsetzung der Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung entschieden hat; einer Entscheidung des Gerichts zu diesem Punkt bedarf es nicht.

Der Kläger hat indes kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einspruchsbescheids dargestellt. Grundsätzlich kann die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen das FA ein berechtigtes Interesse an der Feststellung begründen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, um einen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO stellen zu können. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen. Bei Geltendmachung einer Schadensersatzforderung muss die Schadensersatzklage anhängig sein oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein, dass die finanzgerichtliche Entscheidung für das zivilgerichtliche Urteil nicht unerheblich und die Rechtsverfolgung vor dem Zivilgericht nicht offensichtlich aussichtslos ist. Die Voraussetzungen für das besondere Feststellungsinteresse müssen bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht substantiiert dargelegt werden (BFH-Urteil vom 22. Juli 2008 VIII R 8/07, DB 2008, 2232 mit weiteren Nachweisen). Ein berechtigtes Interesse kann auch in der Wiederholungsgefahr liegen. Eine vorbehaltlose Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wäre nur zu besorgen, wenn der Kläger seinen Erklärungspflichten auch weiterhin nicht oder nicht fristgerecht nachkommen sollte. Sollte der Kläger geltend machen wollen, er werde auch in Zukunft pflichtwidrig seine Erklärungspflichten nicht nachkommen, ist hierin kein vernüftigerweise anzuerkennendes und damit berechtigtes Interesse an der Feststellung des Gerichts zu sehen, die ihm eine Hilfe bieten würde, sich auf eine weiterhin pflichtwidrige Vorgehensweise einzurichten (BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2007 VIII B 198/06, BFH/NV 2008, 238).

An einer substantiierten Darlegung des besonderen Feststellungsinteresses fehlt es. Der Kläger hat eine Schadensersatzklage noch nicht erhoben. Der vom Kläger diesbezüglich angesprochene Rechtanwalt ist noch nicht beauftragt worden. Abgesehen davon hat der Kläger einen geltend zu machenden Schadensersatz nicht nachvollziehbar dargelegt. Er hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, wegen der Überziehung des Geschäftskontos sei ein Zinsschaden entstanden. Ein solcher Schaden konnte durch den Erlass des Einspruchsbescheids nicht eingetreten sein. Die beanstandete Steuerfestsetzung erfolgte durch den ursprünglichen Steuerbescheid, der auch bei Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einspruchsbescheids bestehen bliebe und bis zu seiner Aufhebung oder Änderung Grundlage einer etwaigen Steuerzahlung ist. Als Grundlage entfällt er des weiteren nur bei Nichtigkeit, auf die der Kläger aber im Rahmen seines Hauptantrags nicht abhebt. Abgesehen davon ist der Zinsschaden durch unrechtmäßige Steuerfestsetzung nicht plausibel, weil die Umsatzsteuer auf 0 EUR festgestellt war und der Kläger nichts zu zahlen hatte. Insofern können auch keine Säumniszuschläge angefallen sein, die möglicherweise - vom Kläger aber nicht angesprochen - einen Schaden des Klägers darstellen könnten. Die Begründung des Klägers für die Rechtswidrigkeit des Einspruchsbescheides, nämlich die fehlenden Entscheidung über den Antrag auf Festsetzung der Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, führt ebenfalls nicht weiter, weil die begehrte Festsetzung eine etwaige Steuerschuld nicht hätte entfallen lassen. Auch die Wiederholungsgefahr bei der Steuerfestsetzung für 2006 aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen ist nicht substantiiert dargelegt. Es bestehen keine Anzeichen dafür, dass eine Schätzung bevorsteht. Der Kläger hat insofern nur eine Vermutung geäußert. Das Gericht sieht mit dem BFH kein berechtigtes Interesse an der Feststellung, das FA habe zu Unrecht die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende Steuerfestsetzung nicht unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt.

Nichts anderes gilt, wenn das Gericht den Hauptantrag des Klägers dahin gehend auslegt, er begehre die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Steuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Wie ausgeführt ist ein zu verfolgender Schadensersatzanspruch nicht substantiiert dargelegt; die Wiederholungsgefahr der Steuerfestsetzung aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen und ohne den Vorbehalt der Nachprüfung begründet kein berechtigtes Interesse.

Auch mit ihrem Hilfsantrag hat die Klage keinen Erfolg.

Die Nichtigkeit eines Steuerbescheids kann jederzeit geltend gemacht werden. Der Hilfsantrag ist indes kein Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, sondern ein Feststellungsantrag gem. § 41 FGO. Einen solchen Antrag hat der Kläger bereits sinngemäß bei Klageerhebung gestellt, denn er hat mit der Klagebegründung geltend gemacht, der Bescheid sei wegen überzogener Schätzung nichtig. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage erfordert ebenso wie die Fortsetzungsfeststellungsklage die Darlegung eines berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung.

Ein berechtigtes Interesse an der Nichtigkeitsfeststellung liegt nicht vor, weil von dem ursprünglichen Steuerbescheid vom 5. März 2007 keine Wirkungen mehr ausgehen. Das FA hat diesen Bescheid mit Bescheid vom 2. Juni 2006 geändert. Sollte der ursprüngliche Bescheid nichtig gewesen sein, stellt der Bescheid vom 2. Juni 2006 einen ersten wirksamen Umsatzsteuerbescheid für 2005 dar. Wie bereits ausgeführt, hat der ursprüngliche Steuerbescheid keine Zahlungspflicht ausgelöst, die zu einem Schaden beim Kläger geführt haben kann.

Der Bescheid war zudem nicht nichtig. Kann das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln, insbesondere weil der Steuerpflichtige keine Steuererklärung abgegeben hat, hat es die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Nicht schätzen darf das FA indes die Steuer. Eine Schätzung trifft ihrem Wesen gemäß nicht die korrekten Besteuerungsgrundlagen, ihr sind Unsicherheiten und Unschärfen immanent. Das FA darf sich bei der Schätzung - wie hier - an Umsatzsteuer-Voranmeldungen orientieren, muss die Beträge aber nicht übernehmen. Es ist anerkannt, dass bei den steuerbegründenden und -erhöhenden Besteuerungsgrundlagen (Unsicherheits-)Zuschläge vorgenommen und bei den steuerverneinenden oder -verringernden Besteuerungsgrundlagen (Unsicherheits-)Abschläge vorgenommen werden dürfen. Selbst grobe Schätzungsfehler führen nicht zur Nichtigkeit. Grenze ist die willkürliche Schätzung, die in Anbetracht aller bekannten Umstände des Steuerfalles auf keinen Fall zu einer annähernd zutreffenden Steuer zu führen vermag (ständige Rechtsprechung; vgl. Pahlke/Koenig § 162 Rz. 126 mit weiteren Nachweisen).

Eine willkürliche und damit zur Nichtigkeit des Bescheids führende Schätzung hat das FA nicht vorgenommen. Die Hinzuschätzung von Umsätzen von ca. 37% gegenüber der Voranmeldung überschreitet nicht die Willkürlichkeitsgrenze. Die Verringerung der Vorsteuer von vorangemeldeten 3.012,66 EUR auf 1.000 EUR ist ebenfalls hinnehmbar. Dabei ist zur berücksichtigen, dass der Kläger zuletzt für 2002 eine Steuererklärung abgegeben hat und deshalb das FA schon für die Vorjahre schätzen musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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