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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 24.10.2007
Aktenzeichen: 12 K 611/04
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

12 K 611/04

Tatbestand:

Streitig ist die steuerliche Beurteilung von Fahrten zur Tätigkeitsstätte eines Arbeitnehmers als Dienstreisen oder als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Die Kläger sind Ehegatten und werden im Streitjahr 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger war im Streitjahr als Gesellschafter-Geschäftsführer der X-Unternehmens-beratungs GmbH tätig. Seine GmbH-Beteiligung betrug 60 v.H. Die GmbH war unter der privaten Adresse der Kläger in G. gemeldet. Die GmbH hatte einen Raum (14 qm) im Erdgeschoss des im Eigentum der Kläger stehenden Zweifamilienhauses für 2.040 DM jährlich (einschließlich Umlagen) angemietet. Hier befand sich der Sitz der GmbH. Weitere Räumlichkeiten, die der GmbH zuzurechnen waren, waren nicht vorhanden. Im Rahmen seiner Arbeitnehmertätigkeit für diese GmbH war der Kläger ausschließlich für einen Kunden tätig, der Y-AG in W.. Das Mandat zur Unternehmensberatung erhielt die X-Unternehmensberatungs-GmbH von der Z-Unternehmensberatungs-GmbH. Die Vertragsbeziehungen bestanden dabei allein zwischen der Z-Unternehmensberatungs-GmbH und der Y-AG. Im Rahmen dieser Unterbeauftragung war der Kläger ständig über Jahre in den Räumlichkeiten der Y-AG im Bereich EDV-Beratung tätig. Die von der Y-AG zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten wurden auch von weiteren Mitarbeitern der X- Unternehmensberatungs-GmbH und Z-Unternehmensberatungs-GmbH genutzt. In den angemieteten Räumlichkeiten in G. nahm der Kläger in erster Linie Aufgaben der Geschäftsführung war. Der gesamte Schriftverkehr und die Fachliteratur wurde hier aufbewahrt. Das Büro diente zudem der Vor- und Nachbereitung der Beratungstätigkeit für die Y-AG. In diesem Büroraum war auch die Klägerin, ebenfalls Angestellte der X- Unternehmensberatungs-GmbH, tätig.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 1998 machte der Kläger Reisekosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend. Hierzu reichte er eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vom 1. April 1999 ein, in der bestätigt wurde, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1998 im Rahmen seiner Beratertätigkeit Dienstreisen durchgeführt habe und diese mit insgesamt 50.640 km x 0,42 DM = 21.268 DM erstattet worden seien. Des Weiteren wurde in einer beigefügten "Aufstellung der Reisekosten" erläutert, dass für den Kläger im Rahmen seiner Tätigkeiten als Unternehmensberater umfangreiche Reisetätigkeiten anfallen würden. Die abzugsfähigen Reisekosten betrugen nach der Berechnung des Klägers 5.065 DM (50.640 km x 0,52 DM = 26.332,80 DM, abzüglich steuerfreier Erstattungen i.H.v. 21.268 DM). Die Steuererklärung wurde unter Berücksichtigung der geltend gemachten Reisekosten mit dem Einkommensteuerbescheid vom 20. März 2000 bestandskräftig veranlagt.

Am 17. Juni 2003 ging beim Beklagten eine Kontrollmitteilung des Finanzamts Hannover-Land II aufgrund einer bei der X-Unternehmensberatungs-GmbH durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung ein. Die Lohnsteuer-Außenprüfung hatte festgestellt, dass der Kläger von seinem Arbeitgeber dauerhaft an derselben Arbeitsstätte eingesetzt und arbeitstäglich im Streitjahr vom Wohnort in G. nach W. zum Y-Werk gefahren war. Weiterhin wurde festgestellt, dass der Kläger im Streitjahr 1998 als Gesellschafter an der X- Unternehmensberatungs GmbH beteiligt und für die GmbH als Geschäftsführer tätig war. Die GmbH war nach den Feststellungen im Streitjahr unter der privaten Wohnanschrift der Kläger gemeldet und nutzte dort einen Raum im Erdgeschoss des Zweifamilienhauses des Klägers. Die Außenprüfung vertrat auf Grundlage dieser Feststellungen die Auffassung, dass die Tätigkeitsstätte in W. die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers darstellt. Die Aufwendungen des Arbeitnehmers könnten nur nach den für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltenden Grundsätzen - und nicht nach Dienstreisegrundsätzen - streuerfrei erstattet werden. Die festgestellten Differenzbeträge stellten steuerpflichtigen Arbeitslohn dar. Danach ergab sich folgende Berechnung des Bruttoarbeitslohnes und der Werbungskosten:

 Bruttoarbeitslohn (bisher): 110.445 DM
Zzgl. Spesen:4.860 DM
Zzgl. Fahrtkostenersatz:21.267 DM
Bruttoarbeitslohn (neu):138.570 DM
Werbungskosten (Fahrtkosten neu):17.722 DM (50.637 km x 0,35 DM)

Die Auswertung der Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung erfolgte im nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 8. September 2003. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung tragen die Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:

Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hätten nicht vorgelegen.

Inhaltlich seien die streitbefangenen Fahrten zutreffend als Dienstreisen behandelt worden. Der angemietete Büroraum im Zweifamilienhaus der Kläger in G. sei als Betriebsstätte der X-Unternehmensberatungs- GmbH zu qualifizieren. Diese Betriebsstätte sei Ausgangspunkt für die Fahrten nach W. gewesen und nicht die Wohnung des Klägers. Der Kläger verlasse mit dem Betreten der Betriebsstätte seine Wohnung und somit auch seinen häuslichen Bereich. Die Betriebsstätte stelle auch die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers dar. Der Kläger sei durchschnittlich 23 Stunden in der Woche in der Betriebsstätte der GmbH tätig. In der Zeit von Montag bis Freitag sei er durchschnittlich zwei Stunden täglich dort tätig. Die übrige Zeit entfalle auf den Samstag und Sonntag. Während dieser Zeit erledige er die umfangreichen Vor- und Nacharbeiten, die für die Tätigkeit in W. notwendig seien. Die reine Arbeitszeit in W. belaufe sich auf durchschnittlich 45 Stunden. Die Betriebsstätte in G. sei als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu werten. Auch seien die in G. ausgeführten Tätigkeiten qualitativ genauso hoch zu bewerten wie die Tätigkeit in W. Ohne die bereits beschriebenen umfangreichen Vor- bzw. Nacharbeiten könne der Kläger seiner Tätigkeit in W. nicht nachgehen. Ferner sei der Arbeitsaufwand, der bedingt durch die Geschäftsführertätigkeit anfalle, nicht außer acht zu lassen. Im Ergebnis seien die Fahrten zwischen den Arbeitsstätten W. und G. als innerbetriebliche Wege zu qualifizieren. Bei den von der Y-AG zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten handele es sich um einen einzelnen Arbeitsplatz mit Einrichtungsgegenständen und technischer Ausstattung. Dies sei nicht als ortsfeste Einrichtung zu qualifizieren und stelle damit keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Fahrten als Dienstreisen seien somit gegeben. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 26. November 2004 und 29. Januar 2008 Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

den geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 8. September 2003 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. Oktober 2004 ersatzlos aufzuheben und damit die Einkommensteuer von 15.760 DM um 4.671 DM auf 11.089 DM zu mindern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig war. Zudem sei die Qualifizierung der Fahrten zwischen G. und W. zu Recht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erfolgt. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung als Dienstreisen seien nicht vorliegend. Die Tätigkeitsstätte in W. werde durch den Kläger täglich aufgesucht und bilde den örtlichen Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit. Dort werde der überwiegende Teil der von ihm insgesamt übertragenen Arbeiten erledigt. Die täglichen Fahrten zwischen G. und W. seien somit grundsätzlich als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu werten. Eine Anerkennung der Fahrten als Dienstreisen scheitere zunächst daran, dass der Kläger in dem Büroraum in G. keiner Auswärtstätigkeit nachgehe. Durch die unmittelbare räumliche Nähe des Büroraums zu der privaten Wohnung innerhalb eines Hauses verbleibe der Kläger stets in seinem häuslichen Bereich, es handele sich somit bei dem Büroraum nicht um einen auswärtigen Beschäftigungsort. Die Fahrten zwischen G. und W. seien daher nicht als innerbetriebliche Wege anzusehen. Ein Ansatz der Fahrten als Dienstreisen zwischen zwei regelmäßigen Arbeitsstätten könne nicht erfolgen, da es sich bei dem Büroraum um keine weitere regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers handele. Dies resultiere aus der Tatsache, dass sich eine regelmäßige Arbeitsstätte in W. befinde und diese täglich für einen längeren Zeitraum aufgesucht werde. Die Tätigkeit in dem Büroraum in G. könne aufgrund der langen Abwesenheit des Klägers (Arbeits- und Fahrtzeit W.) im Vergleich zur Gesamttätigkeit nur als eher unwesentlich bezeichnet werden. Der angegebene zeitliche Umfang der Tätigkeiten in W. (ca. 45 Stunden) und G. (ca. 23 Stunden) wirke in diesem Zusammenhang auch etwas unverhältnismäßig, ein solches Arbeitsaufkommen in G. erscheine neben der sehr intensiven Tätigkeit in W. überhöht. Die in dem Büroraum in G. ausgeführten Arbeiten hätten außerdem lediglich vor- und nachbereitenden Charakter, wonach auch qualitativ nicht von einem beruflichen Mittelpunkt ausgegangen werden könne. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 14. Dezember 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat der Beklagte die Fahrten zwischen dem Wohnort des Klägers bzw. dem Büro des Arbeitgebers in G. und der Tätigkeitsstätte in W. als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beurteilt und die zutreffenden steuerlichen Konsequenzen für die Höhe des Bruttoarbeitslohnes und den Werbungskostenabzug aus dem nachträglich bekannt gewordenen Sachverhalt gezogen.

a. Der Beklagte konnte die steuerlichen Konsequenzen aus dem nachträglich im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung bekannt geworden Sachverhalt im Änderungsbescheid vom 8. September 2003 ziehen, denn die Voraussetzungen für die Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung sind gegeben.

Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Das Gericht folgt der ständigen Rechtsprechung des BFH (vergleiche z.B. BFH Urteile vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BStBl II 2006, 835;vom 7. Juli 2004 XI R 10/03 BStBl II 2004, 911). Danach ist Tatsache alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art handeln. Eine irrtümlich falsche rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts ist keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache. Die Änderung eines Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. Das Finanzamt braucht dabei eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen. Es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen in Bezug auf den verwirklichten Sachverhalt aufdrängen, ist das Finanzamt zu Ermittlungen verpflichtet. Der Umfang der beiderseitigen Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Selbst wenn die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung schwierig sein kann, verstärkt sich die Ermittlungspflicht des Finanzamtes im Allgemeinen nur bei Unklarheiten und Zweifeln, die sich aus der Erklärung ergeben.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO im Streitfall vor. Erst durch die Feststellungen des Lohnsteueraußenprüfers ist dem Beklagten nachträglich bekannt geworden, dass der Kläger seit Jahren arbeitstäglich zu seiner Tätigkeitsstätte in W. gefahren ist. Diese Tatsache konnte der Beklagte aus den mit der Einkommensteuererklärung 1998 eingereichten Unterlagen nicht erkennen. Die vorgelegten Unterlagen erwecken vielmehr den Eindruck, dass der Kläger einer umfangreichen Reisetätigkeit zu verschiedenen, ständig wechselnden Tätigkeitsstätten nachgegangen ist. Dass es sich bei den angegebenen "Reisen" immer um die gleiche Fahrtstrecke zwischen G. und W. zu ein und demselben Tätigkeitsort bei der Y- AG handelte, war den Unterlagen nicht entnehmen. Es bestand für den Beklagten auch kein Anlass zu weiteren Ermittlungen, da der dargestellte Sachverhalt weder ungewöhnlich noch unklar war und zudem vom Arbeitgeber bescheinigt wurde. Einen Grund, diesen Angaben keinen Glauben zu schenken, gab es nicht. Ein Ermittlungsfehler des Beklagte ist damit nicht festzustellen.

b. Entgegen der Auffassung der Kläger handelt es sich bei den Fahrten zwischen G. und W. nicht um innerbetriebliche Fahrten im Sinne einer Dienstreise zwischen einer Betriebsstätte des Arbeitgeber und einer auswärtigen Tätigkeitsstätte, sondern um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung.

aa. Ausgangspunkt der täglichen Fahrten ist die Wohnung des Klägers.

(1) Unterhält ein Steuerpflichtiger eigene betrieblich genutzte Räumlichkeiten oder eine Betriebsstätte in unmittelbarer räumlicher Nähe zu seiner Wohnung, sind die Fahrten von dort zu einer anderen Betriebsstätte zum Zwecke der Gleichbehandlung der Fahrtkosten von selbstständig und nichtselbstständig Tätigen von den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr. 6 EStG abzugrenzen. Erforderlich ist dabei eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten Bereich des Wohnens und der betrieblichen Betätigung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Mai 1978 I R 69/76, BStBl II 1978, 564;vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BStBl II 1986, 744). Im Grundsatz ist die Rechtsprechung des BFH in den Fällen, in denen die betrieblichen Räumlichkeiten oder die Betriebsstätte nur einen Teil einer Wohnung bilden, immer von einer Eingebundenheit in die Privatsphäre ausgegangen und hat die Fahrten zu einer anderen Betriebsstätte als solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz Nr. 6 EStG beurteilt. Das Eingebundensein in die Privatsphäre wird danach durch die betriebliche Nutzung eines Raumes, einen separaten Eingang und die Lage in einem anderen Stockwerk in aller Regel nicht gelöst (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 47/04, BFH/NV 2006, 43 m.w.N. auf die BFH-Rechtsprechung). Vielmehr erscheint die Wohnung als Ausgangs- und Endpunkt der täglichen Fahrten unabhängig davon, welchen Raum der Steuerpflichtige jeweils unmittelbar vor oder nach der Fahrt aufsucht. Die Fahrten sind in diesen Fällen daher nicht als "innerbetrieblich" anzusehen (BFH-Urteile vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BStBl II 1989, 421;vom 19. September 1990 X R 110/88, BStBl II 1991, 208;vom 26. Mai 1992 IV B 96/91, BFH/NV 1992, 661). Im Ergebnis können daher derartige betriebliche Räume nicht als Betriebsstätte und auch nicht als Ausgangs- oder Endpunkt einer Fahrt zu einer anderen Betriebsstätte anerkannt werden (so zur Betriebsstätte eines Bezirksschornsteinfegers: BFH-Beschluss vom 1. März 2004 X B 151/02, BFHN/NV 2004, 951; BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 59/97, BFH/NV 1998, 1216; zu einem Detekteiunternehmen mit einer Zweigstelle im o.g. des Wohnhauses neben auswärtigem Hauptbüro: BFH - Urteil vom 16. Februar 1994 XI R 52/91, BStBl. II 1994, 468). Die Rechtslage kann in diesem Bereich als geklärt angesehen werden (BFH-Beschluss vom 28. Juni 2006 IV B 75/05, BFH/NV 2006, 2243; siehe hierzu auch Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 8. Oktober 2003 11 K 665/01, EFG 2004, 968).

Etwas anderes kann nach der vorstehenden BFH-Rechtsprechung nur dann gelten, wenn durch nach außen erkennbare Umstände die häusliche Privatsphäre zugunsten eines eindeutig betrieblichen Bereichs zurücktritt (BFH-Urteil vom 16. Februar 1994 XI R 52/91, BStBl. II 1994, 468). Solche Umstände sind aber nicht schon dann gegeben, wenn die betrieblich genutzten Räume auf zwei Seiten an das vom Kläger bewohnte Haus angebaut sind (BFH-Urteil vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41).

In gleicher Weise hat der Bundesfinanzhof auch die Fahrten eines Arbeitnehmers vom häuslichen Büro zur regelmäßigen Arbeitsstätte beurteilt (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Januar 2006 VI B 61/05, BFH/NV 2006, 739).

(2) Auf den Streitfall können die vorstehenden Rechtsgrundsätze zwar nicht unmittelbar angewendet werden, denn vorliegend sind die im Rahmen der Berufsausübung genutzten Räumlichkeiten im Wohnhaus des Klägers nicht ihm, sondern seinem Arbeitgeber zuzurechnen. Der Arbeitgeber, die X-Unternehmensberatungs-GmbH, nutzt diese Räumlichkeiten im Rahmen eines steuerlich nicht zu beanstandenden Mietverhältnisses mit dem Kläger. Sie bilden insoweit die (einzige) Betriebsstätte des Arbeitgebers.

Solche Mietverhältnisse mit dem Arbeitgeber schließen zwar die Anwendung der Abzugsbeschränkung für Arbeitszimmerkosten gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung aus, weil solche Räume bereits vom Typusbegriff des häuslichen Arbeitszimmers nicht erfasst werden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 16. September 2004 VI R 25/02, BStBl II 2006, 10; zur im Sinne eines Abzugsverbots unschädlichen Nutzung durch die Ehefrau: BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 IV B 36/01, BFH/NV 2002, 1570; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 7. April 2006 5 K 2287/02, n.v.). Gleichwohl führt dies nach Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass diese Betriebsstätte als Ausgangspunkt der täglichen Fahrten des Klägers angesehen werden kann.

Es bleibt dabei, dass die Räumlichkeiten des Arbeitgebers derart in den Privatsphäre des Klägers eingebunden sind, dass die Wohnung des Klägers als Ausgangs- und Endpunkt der täglichen Fahrten erscheint. Hierfür spricht insbesondere die enge räumliche Nähe zum privaten Wohnbereich im Obergeschoss des Zweifamilienhauses. Allein die Lage in einem anderen Stockwerk führt keine ausreichende Trennung herbei. Zudem ist für das Gericht kein substantiiell wichtiger Grund erkennbar, den vorliegenden Sachverhalt allein wegen der Zurechnung des beruflich genutzten Raumes beim Arbeitgeber anders zu beurteilen als die Fälle der eigenen betrieblichen Räumlichkeiten des Steuerpflichtigen in räumlichen Nähe zur Privatsphäre. Es kann aus Sicht des Senats in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob nach der Rechtsprechung des BFH die Zurechnung der betrieblichen Räume Einfluss haben auf die rechtliche Qualifikation als häusliches Arbeitszimmer. Hiervon zu trennen ist jedenfalls die Frage, ob die Wohnung oder die Betriebsstätte des Arbeitgebers Ausgangs- und Endpunkt der täglichen Fahrten zur Tätigkeitsstätte ist. Wegen der räumlichen Eingebundenheit in die Privatsphäre steht für den Senat insoweit fest, dass - unabhängig davon, welcher Raum tatsächlich vorher aufgesucht wird - die Wohnung den Ausgangs- und Endpunkt der täglichen Fahrten bildet.

bb. Die Tätigkeitsstätte des Klägers in den zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten bei der Y-AG in W. ist als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu qualifizieren.

(1) Der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte ist von der BFH-Rechtsprechung im Rahmen einer Überprüfung des Reisekostenrechts neu definiert worden. Danach gilt Folgendes: Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist jede dauerhafte betriebliche Einrichtung oder Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Ob ein Arbeitnehmer eine regelmäßige Arbeitsstätte innehat, richtet sich nicht danach, welche Tätigkeit er an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat bzw. welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt. Wo der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit liegt, bestimmt sich nicht nach zeitlichen oder qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung. Entscheidend ist, ob ein Arbeitnehmer den Betriebssitz des Arbeitgebers oder sonstige ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtungen, denen er zugeordnet ist, nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 - VI R 25/04, BStBl II 2005, 791; BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53; vgl. auch Bergkemper in Herrmann/Heuer Raupach, EStG/KStG, § 9 Rz. 287 Stichwort: "regelmäßige Arbeitsstätte" mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach dem BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 - VI R 16/04 (BStBl II 2005, 789) entspricht der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Allein durch Zeitablauf wird die auswärtige Tätigkeitsstätte aber nicht zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur regelmäßigen Arbeitsstätte (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2005 VI R 30/05, BStBl II 2006, 378). Ein Arbeitnehmer kann innerhalb eines Arbeitsverhältnisses mehrere regelmäßige Arbeitsstätten haben (BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl. II 2005, 788: mehrere Busdepots; BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53: mehrere Rettungswachen).

Dieser Rechtsprechung hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen (vgl BMF-Schreiben vom 26. Oktober 2005 IV C 5 - 2353-211/05, BStBl I 2005, 960; siehe auch R 9.4 Abs. 3 LStR 2008) und dabei auch die Auffassung aufgegeben, dass das zeitliche Moment, also die Überschreitung einer Drei-Monatsfrist entscheidend für die Beurteilung einer Tätigkeitsstätte als regelmäßige Arbeitsstätte sein kann. Die Drei-Monatsfrist hat nunmehr allein Bedeutung für die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen (vgl. R 9.6 Abs. 4 LStR 2008). Ob eine Tätigkeitsstätte dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, soll für die Beurteilung als regelmäßige Arbeitsstätte unerheblich sein. Eine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit liegt danach nur noch vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und an keiner der regelmäßigen Arbeitsstätten beruflich tätig wird (vgl. R 9.4. Abs. 2 Satz 1 LStR 2008).

(2) Noch nicht geklärt ist - soweit ersichtlich - die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine auswärtige Tätigkeitsstätte, die nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, zur regelmäßigen Arbeitsstätte werden kann, wenn allein der Zeitablauf, also das Überschreiten z.B. der alten Drei-Monatsfrist, nicht entscheidend ist .

In der steuerrechtlichen Literatur wird die neue BFH-Rechtsprechung teilweise so gedeutet, dass eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht angenommen werden kann, wenn der Arbeitnehmer langfristig bei einem Großkunden des Arbeitgebers tätig wird (Schmidt/Drenseck, EStG-Kommentar, 26. Aufl. 2007, § 9 Rz. 116; zweifelnd: Fissenewert, DB 2006, Beilage Nr. 6 zu Heft 39 S. 32, 37). Kontrollüberlegung sei stets, ob bei typisierender Betrachtung dem Arbeitnehmer ein Familienumzug an den Tätigkeitsort zuzumuten sei oder nicht. Auf die Dauer und Intensität der täglich an der Arbeitsstätte erbrachten Arbeitsleistung komme es dagegen nicht an.

Ähnlich argumentiert Bergkemper (in Herrmann/Herrman/Heuer/Raupach, a.a.O., Stichwort: "out-gesourcete Arbeitnehmer"). Danach ist der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers in der Regel der Betrieb oder eine ortsfeste Einrichtung des Arbeitgebers, d.h. sie muss in dessen rechtlichem oder wirtschaftlichen Eigentum stehen oder dem Arbeitgeber wenigstens wirtschaftlich zuzurechnen sein (unter Hinweis auf Fissenewert, DB 2006, Beil. 6, 32, 37). Auswärtstätigkeiten seien grundsätzlich auch anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers in einem fremden Betrieb tätig werde, auch wenn sich dieser Aufenthalt über einen längeren Zeitraum erstrecke, wie etwa bei einem ständig beim Kunden eingesetzten Servicetechniker oder auch Betriebsprüfer der Finanzverwaltung.

Das FG Köln ist im Urteil vom 21. Juni 2006 (7 K 5826/03, EFG 2007, 1070; Revision beim BFH unter Az. VI R 71/06) zum Ergebnis gelangt, dass eine weitere Tätigkeitsstätte neben der hauptberuflichen Angestelltentätigkeit nur dann als regelmäßige Arbeitsstätte beurteilt werden kann, wenn die weitere Tätigkeit im Vergleich zur Haupttätigkeit zumindest als gleichgeordnet angesehen werden kann.

(3) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätze des BFH (siehe unter 1), denen der Senat folgt, ist die Tätigkeitsstätte bei der Y-AG in W. als regelmäßige Arbeitsstätte bzw. Tätigkeitsmittelpunkt anzusehen.

Zunächst ist festzuhalten, dass der BFH nur für den Regelfall fordert, dass es sich um eine ortsfeste Einrichtung handelt, die dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Dies lässt auf jeden Fall die Auslegung zu, dass auch eine andere ortsfeste Einrichtung, die nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, regelmäßige Arbeitsstätte oder Tätigkeitsmittelpunkt sein kann (so auch FG Köln im Urteil vom 21. Juni 2006, a.a.O., wo grundsätzlich geprüft wurde, ob die Fachhochschule einen Tätigkeitsmittelpunkt bilden kann). Der Senat brauchte sich ferner bei der Beurteilung im Streitfall nicht mit der Frage auseinandersetzen, welche Intensität die bei der Y-AG erbrachte Arbeitsleistung im Verhältnis zur sonstigen Arbeitnehmertätigkeit (z.B. im Büro im eigenen ZFH) hat und ob diese Tätigkeit als zumindest gleichgeordnet erscheint. Im Streitfall steht außer Frage, dass die Tätigkeit bei der Y-AG in W., die seit vielen Jahren und jeden Arbeitstag des Klägers dort ausgeübt wurde, seinen eindeutigen Tätigkeitsmittelpunkt darstellt. Diese ortsfeste Einrichtung wird vom Kläger im Sinne der BFH-Rechtsprechung fortdauernd und immer wieder aufsucht. Die von der Y-AG zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, denen der Kläger von seinem Arbeitgeber zugeordnet war, stellten im Streitjahr den Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit dar.

Zum gleichen Ergebnis gelangt man im Übrigen auch, wenn man der Rechtsauffassung von Drenseck (in Schmidt, EStG-Kommentar, 26. Aufl. 2007, § 9 Rz. 116) folgt. Unter Berücksichtigung der dort angeführten Kontrollüberlegung ist für den Streitfall jedenfalls davon auszugehen, dass ein Familienumzug bei typisierender Betrachtung bei einer ausschließlichen, über mehrere Jahre täglich aufzusuchenden Tätigkeitsstätte, zumutbar gewesen ist. Die Tätigkeitsstätte des Klägers hat in jeder Beziehung den Charakter einer regelmäßigen Arbeitsstätte anderer Arbeitnehmer, mit Ausnahme des Umstandes, dass diese nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Diesen Umstand sieht der Senat jedoch - wie zuvor erläutert - nicht als entscheidend an.

Der Senat setzt sich auch nicht in Widerspruch zu der Rechtsauffassung von Bergkemper (in Herrmann/Herrman/Heuer/Raupach, a.a.O., Stichwort: "out-gesourcete Arbeitnehmer". a.a.O.). Die Ausführungen von Bergkemper lassen erkennen, dass zumindest als Ausnahmefall, der wegen des Vereinfachungszwecks des neuen Reisekostenrechts nur restriktiv anzunehmen ist, auch eine regelmäßige Arbeitsstätte oder ein Tätigkeitsmittelpunkt angenommen werden, wenn die ortsfeste Einrichtung - wie im Streitfall - unter keinem Gesichtspunkt dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Eine solcher Ausnahmefall muss nach Überzeugung des Senats zumindest immer dann vorliegen, wenn - wie im Streitfall - der Steuerpflichtige die auswärtige Tätigkeitsstätte über Jahre jeden Arbeitstag anfährt und dort wie ein Arbeitnehmer des Betriebs tätig wird.

Würde man einen solchen Ausnahmefall nicht zulassen, müsste auch die Tätigkeit von Leiharbeitnehmern in einem fremden Betrieb als Auswärtstätigkeit angesehen werden, nur weil die ortsfeste Einrichtung, an der sie tätig sind, nicht ihrem Arbeitgeber, der Leiharbeitsfirma, zuzurechnen ist.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO).

3. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der Bundesfinanzhof erhält zur Fortbildung des Rechts zudem Gelegenheit, klarzustellen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen und ab welchen Zeitpunkt eine über einen langen Zeitraum aufgesuchte Tätigkeitsstätte, die nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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