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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 16 K 84/05
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

16 K 84/05

Umsatzsteuer 2002

Tatbestand:

Streitig ist die Frage, ob ein Entgelt, das im Zusammenhang mit einer Betriebsverlagerung gezahlt wurde, steuerbar ist.

Die Klägerin, eine OHG, unterhält einen Bäckereibetrieb mit mehreren Filialen im Raum B. Produktionsstätte, Büro und Lager befanden sich auf den benachbarten Grundstücken B H Straße 12 und 16. Das Grundstück H Straße 12 stand im Eigentum der Klägerin, das Grundstück H Straße 16 hat sie gepachtet.

Die H Straße wurde im Jahre 2001 in ein städtebauliches Sanierungsgebiet einbezogen. In diesem Zusammenhang strebte die Stadt B die Verlegung der Produktionsstätte der Klägerin aus dem Stadtgebiet in ein Gewerbegebiet an den Stadtrand an.

Zur Ermittlung der mit der Betriebsverlagerung einher gehenden Kosten beauftragten die für die Stadt B als Treuhänderin auftretende Ba AG und die Klägerin den Sachverständigen L mit der Erstellung eines Gutachtens. In diesem Gutachten errechnete der Sachverständige einen Entschädigungsbetrag von 1.200.000 DM. Dieser setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:

Aufwendungen und Kosten bei der Suche eines neuen Standorts 10.000,- DM

Verluste in der technischen und kaufmännischen Betriebseinrichtung infolge Nichtverwendbarkeit am neuen Standort: 1.049.280,- DM

Demontage- Transport- und Remontagekosten 26.000,- DM

Durch Verlagerung bedingte Warenverluste 1.000,- DM

Betriebsunterbrechungsschaden - entgehender Gewinn und ungedeckte Bereitschaftskosten - infolge Betriebsstillstands während der Verlagerung 22.802,- DM

Auswirkungen der Verlagerung auf den Firmenwert 89.784,- DM

Zusätzliche Werbekosten 5.000,- DM

Entschädigungsbetrag rund 1.200.000,- DM

Mit notariellen Vertrag vom 21. Februar 2002 veräußerte die Klägerin das Grundstück H Straße 12 an die für die Stadt B auftretende Ba AG zum Preis von 56.671,59 EUR. Außerdem einigte man sich auf eine Betriebsverlagerungsentschädigung von 409.033,50 EUR. Im Vertragstext heißt es: "Hinsichtlich der Aufteilung der Betriebsverlagerungsentschädigung nehmen die Vertragsparteien Bezug auf das Gutachten zum Umfang und zur Höhe der Betriebsverlagerungs-/Folgekosten des Sachverständigenbüros L". Weiterhin verpflichtet sich der Verkäufer, die Verlagerung des Produktionsbetriebes der Bäckerei zügig einzuleiten. Der Produktionsbetrieb solle an einen Standort im Gewerbegebiet B-E verlagert und zügig wieder errichtet werden. Sollte die Verlagerung bis zum 31. Dezember 2003 nicht erfolgt sein, sei die Entschädigung zurück zu erstatten.

Die Klägerin hat in der Folge ihren Betrieb verlagert, die Entschädigung wurde vertragsgemäß gezahlt.

Die Klägerin ging davon aus, dass die von der Stadt B geleistete Zahlung nicht steuerbar sei und erfasste sie dementsprechend nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung für 2002. Der Beklagte stimmte der Erklärung zunächst zu.

In der Zeit vom 13. Mai bis 5. Oktober 2004 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte sich auf den Standpunkt, dass die im Zusammenhang mit der Verlagerung des Betriebes von der Stadt B gezahlte Entschädigung steuerbar sei.

Im gem. § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 21. Oktober 2004 erfasste der Beklagte - neben anderen, unstreitigen Änderungen aufgrund der Außenprüfung - die von der Stadt B gezahlte Entschädigung mit dem Nettobetrag von 352.615,09 EUR. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass es im Falle der Zahlung an einem Leistungsaustausch fehle. Die Zahlung erfolge nicht um einer Lieferung oder Leistung willen, sondern aufgrund der Verpflichtung, für einen Schaden aufzukommen. Wie sich aus der Vertragsurkunde ergebe, sei die Zahlung nicht für eine Leistung der Klägerin erbracht worden, sondern als Ausgleich für ihr entstandene Aufwendungen. Die Klägerin verweist auf Rechtsprechung des BFH, wonach eine Gebäuderestwertentschädigung im Rahmen einer Stadtsanierung kein Entgelt für eine Leistung des Grundstückseigentümers darstelle.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer für das Jahr 2002 auf ./. 20.726,17 EUR herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die geleistete Entschädigung für steuerbar. Voraussetzung für die Annahme eines umsatzsteuerbaren Vorgangs sei das Vorliegen eines Leistungsaustauschs. Ein Leistungsaustausch sei gegeben, wenn der Leistende seine Leistung erkennbar um der Gegenleistung willen erbringe. Im Streitfall sei die von der Klägerin erbrachte Leistung darin zu sehen, dass sie im Interesse ihres Vertragspartners die Betriebsverlagerung vorgenommen habe; sie habe eine an sich der Stadt B gem. § 147 Nr. 2 BauGB obliegende Verpflichtung übernommen. Der Beklagte hält die Fälle der Gebäuderestwertentschädigung und der Betriebsverlagerungsentschädigung nicht für vergleichbar. Im Falle der Betriebsverlagerung sei nicht nur die Substanz ausgeglichen worden, sondern möglicherweise auch ein Mehr gegenüber einer eventuellen Entschädigung im Enteignungsfall.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die im Zusammenhang mit der Betriebsverlagerung gezahlte Entschädigung ist nicht steuerbar.

Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt einen Leistungsaustausch voraus. Der Leistende muss seine Leistung erkennbar um der Gegenleistung willen erbringen; die Leistung muss auf die Erlangung der Gegenleistung gerichtet sein (Urteile des BFH vom 13. November 1997 V R 11/97, BStBl. II 1998, 169;vom 22. Juli 1999 V R 74/98, BFH/NV 2000, 240). Übernimmt ein Privatmann um der vereinbarten Zahlung willen eine Aufgabe aus dem Kompetenzbereich der öffentlichen Hand gegen Entgelt, liegt ein steuerbarer Leistungsaustausch vor (BFH Urteil vom 13. November V R 11/97, BStBl. II 1998, 169). Kein Leistungsaustausch liegt hingegen vor, wenn die öffentliche Hand im Rahmen einer städtebaulichen Sanierungsmaßnahme lediglich den Gebäuderestwert entschädigt; insoweit wird lediglich ein Vermögensnachteil des Steuerpflichtigen ausgeglichen (BFH Urteil vom 26. Oktober 2000 V R 10/00, BFH/NV 2001; 400;Beschluss vom 22. Februar 2006 V B 3/05, BFH/NV 2006, 1363). In derartigen Fällen kann die Leistung nicht in einem Verzicht auf die bisherige Rechtsposition des Steuerpflichtigen gesehen werden. Die Finanzverwaltung hat ihre gegenteilige Auffassung in Abschnitt 1 Abs. 13 UStR inzwischen aufgegeben (Schreiben der Oberfinanzdirektion Hannover S 7100-508-StO 172 vom 01.11.2006).

Im Streitfall liegt nach den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen kein Leistungsaustausch vor. Denn die Entschädigung wird nicht dafür gewährt, dass sich die Klägerin bereit erklärt, ihren Betrieb aus dem Stadtzentrum von B an den Ortsrand zu verlagern. Aus der Bezugnahme des Vertrags auf das Gutachten L ergibt sich vielmehr, dass allein die mit diesem Umzug verbundenen Vermögensnachteile der Kläger - insbesondere die nach dem Umzug wirtschaftlich nicht mehr nutzbare Betriebseinrichtung - ausgeglichen werden sollten. Die Nichtverwendbarkeit der Wirtschaftsgüter am neuen Standort ist aber faktische Folge der Betriebsverlegung, nicht aber eine gegenüber der Stadt erbrachte Leistung der Klägerin. Das Gericht sieht im Gegensatz zum Beklagten auch keinen qualitativen Unterschied zwischen den Fällen einer Gebäuderestwertentschädigung und einer Betriebsverlagerungsentschädigung. Soweit der Beklagte annimmt, die Klägerin wäre im Enteignungsfall mit einem niedrigeren Betrag abgefunden worden, ist dies eine rein spekulative Annahme, für die der Beklagte keine tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen hat; zudem könnte dies auch nicht die Versteuerung des gesamten Entschädigungsbetrages begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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