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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 28.03.2008
Aktenzeichen: 4 K 11399/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 3
AO § 174 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

4 K 11399/06

Tatbestand:

Streitig ist, ob der angefochtene Feststellungsbescheid innerhalb der Feststellungsfrist ergangen ist.

Die Kläger waren im Streitjahr 1990 als Kommanditisten an der T-KG (KG) beteiligt. Einzige persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die D-GmbH (GmbH). Im Jahr 1983 erwarb die KG ein Erbbaurecht an einem Grundstück in B. Anschließend errichtete sie auf dem Grundstück eine Sportanlage, die sie jedoch nicht selbst betrieb, sondern seit 1984 an verschiedene fremde Betreiber verpachtete. Nach einem am 15. März 1991 gefassten Gesellschafterbeschluss sollte die GmbH mit Wirkung vom 31. Dezember 1990 aus der KG ausscheiden. Das von ihr betriebene Unternehmen sollte von den Kommanditisten ohne Liquidation in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) weitergeführt werden. Am 18. April 1991 wurde die Auflösung der KG im Handelsregister eingetragen.

Mit der am 18. März 1992 bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) eingereichten Feststellungserklärung für 1990 erklärte die KG einen laufenden Verpachtungsverlust in Höhe von xxxxx DM als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Einen Aufgabegewinn erklärte sie nicht. Durch Bescheid vom 28. September 1992 stellte das FA die von der KG erklärten Einkünfte erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

Nach einem Aktenvermerk vom 25. September 1992 ging das FA davon aus, dass der Gesellschafterbeschluss vom 15. März 1991 gesellschaftsrechtlich zur Liquidation der KG und zur Neugründung einer GbR unter Einbringung des von der KG betriebenen Unternehmens als Sacheinlage geführt habe. Steuerrechtlich sei der Vorgang als formwechselnde Umwandlung zu werten. Da die GbR eine rein vermögensverwaltende Tätigkeit entfalte und mit dem Ausscheiden der GmbH die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Umqualifizierung der von ihr erzielten Einkünfte in solche aus Gewerbebetrieb entfallen seien, liege an sich eine Betriebsaufgabe vor, die zur Aufdeckung der stillen Reserven führe. Gemäß Abschnitt 137 der Einkommensteuerrichtlinien habe die GbR jedoch die Möglichkeit, die gewerbliche Betriebsverpachtung im Ganzen fortzuführen. In diesem Fall seien die stillen Reserven nicht aufzudecken. Nach Auskunft des steuerlichen Beraters bestehe die Absicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und über das Jahr 1990 hinaus Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu erklären, die nach Abschnitt 15 Abs. 2 Satz 3 der Gewerbesteuerrichtlinien allerdings nicht mehr gewerbesteuerpflichtig seien. Für den Fall, dass ab 1991 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt werden sollten, sei dies als Betriebsaufgabeerklärung mit der Folge einer Aufdeckung der stillen Reserven anzusehen.

Für die Feststellungszeiträume bis 1994 erklärte die GbR aus der Vermietungstätigkeit weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit der am 16. Juni 1995 bei dem FA abgegebenen Feststellungserklärung 1994 gab sie zum 31. Dezember 1994 eine Betriebsaufgabeerklärung ab und erklärte einen Veräußerungsgewinn in Höhe von xxxxx DM. Durch Bescheid vom 4. September 1995 stellte das FA die Besteuerungsgrundlagen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß fest. Nach Durchführung einer Außenprüfung für die Jahre 1992 bis 1994 erteilte das FA am 23. Februar 1998 einen geänderten Feststellungsbescheid, durch den es den Veräußerungsgewinn des Jahres 1994 um xxxxxx DM auf xxxxxx DM erhöhte. Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage verminderte das Niedersächsische Finanzgericht durch Urteil vom 21. Juli 2005 die festgestellten Einkünfte um den darin enthaltenen Veräußerungsgewinn. Es vertrat die Ansicht, dass das von dem FA angenommene Verpächterwahlrecht nicht bestanden habe und der Aufgabegewinn daher bereits im Jahr 1990 zu erfassen gewesen sei. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Unter dem 2. Januar 2006 erteilte das FA einen nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) geänderten Feststellungsbescheid für 1990, durch den es neben laufenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. xxxxx DM einen Veräußerungsgewinn in Höhe von xxxxxx DM feststellte und den Klägern je zur Hälfte zurechnete. Der geänderte Feststellungsbescheid wurde ausschließlich den Klägern bekannt gegeben. Die von diesen am 9. Januar 2006 eingelegten Einsprüche wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 27. September 2006 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 8. Dezember 2006 erhobene Klage, mit der die Kläger geltend machen, dass der Bescheid vom 2. Januar 2006 erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen sei. Unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO habe der Lauf der vierjährigen Feststellungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1992 begonnen. Bei Erlass des später aufgehobenen Feststellungsbescheids 1994 am 23. Februar 1998 sei die Feststellungsfrist für 1990 daher bereits abgelaufen gewesen, so dass eine Änderung des für dieses Jahr ergangenen Feststellungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO nur unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO möglich gewesen sei (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO). Diese lägen im Streitfall jedoch nicht vor, weil bei Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheids für 1990 überhaupt nicht absehbar gewesen sei, ob und wann es zu einer Aufdeckung der stillen Reserven kommen werde. Zur Unterstützung ihrer Rechtsauffassung verweisen die Kläger auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. August 2005 IV B 167/04 (BStBl. II 2006, 158).

Die Kläger beantragen,

den Feststellungsbescheid 1990 vom 2. Januar 2006 und den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 27. September 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass der angefochtene Feststellungsbescheid innerhalb der Feststellungsfrist ergangen sei. Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO sei der Ablauf der Feststellungsfrist in den Fällen der Sätze 1 und 2 dieser Vorschrift unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids gezogen würden. Dies sei mit dem Änderungsbescheid vom 2. Januar 2006 geschehen. Ein Fall des § 174 Abs. 4 Satz 4 AO liege nicht vor, weil der ursprüngliche Feststellungsbescheid für 1994, in dem erstmals ein - wenn auch geringerer -Betriebsaufgabegewinn erfasst worden sei, am 4. September 1995 und damit vor Ablauf der Feststellungsfrist für 1990 erteilt worden sei. Der Aufgabegewinn sei auch zu Recht dem Jahr 1990 zugeordnet worden. Die mit dem Gesellschafterbeschluss vom 15. März 1991 erfolgte Rückbeziehung des Ausscheidens der GmbH sei steuerrechtlich anzuerkennen, weil sie nur eine kurze Zeitspanne - von weniger als drei Monaten - betreffe und sie nicht zur Erlangung steuerlicher Vorteile gedient habe.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig. Die Kläger sind nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) befugt, Klage gegen den sie betreffenden und ihnen bekannt gegebenen Änderungsbescheid zu erheben.

2. Die Klage ist auch begründet. Der Änderungsbescheid vom 2. Januar 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Das FA durfte den ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 28. September 1992 nicht mehr ändern, weil die Feststellungsfrist bei Erlass des Änderungsbescheids abgelaufen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO) und der Ablauf der Feststellungsfrist nicht nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich war.

a) Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde oder das Gericht zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Unter einem "bestimmten" Sachverhalt im Sinne des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO ist der einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Darunter fällt nicht nur die einzelne steuerrechtlich erhebliche Tatsache oder das einzelne Merkmal, sondern auch der einheitliche, für die Besteuerung maßgebliche Sachverhaltskomplex (BFH-Urteile vom 14. März 2006 I R 8/05, BStBl. II 2007, 602;vom 18. März 2004 V R 23/02, BStBl. II 2004, 763). Es muss sich um denselben Lebenssachverhalt handeln, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Dies ist der Fall, wenn aus demselben - unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten - Sachverhalt in einem anderen Steuerbescheid andere steuerliche Folgerungen gegenüber dem Steuerpflichtigen zu ziehen sind (BFH-Urteile vom 18. Februar 1997 VIIII R 54/95, BStBl. II 1997, 647;vom 8. März 2007 IV R 41/05, BFH/NV 2007, 1813). Hiernach sind die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO im Streitfall erfüllt. Denn der Erfassung des Betriebsaufgabegewinns im Jahr 1990 liegt derselbe Sachverhalt zugrunde, der zunächst zu seiner Erfassung im Jahr 1994 geführt hatte: das Ausscheiden der GmbH aus der KG zum 31. Dezember 1990 aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 15. März 1991, die Erklärung der Gesellschaft, ungeachtet des Wegfalls der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen zu wollen, und die von ihr zum 31. Dezember 1994 abgegebene Betriebsaufgabeerklärung.

b) Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies aber nur unter den Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO).

Im Streitfall ist der angefochtene Änderungsbescheid am 2. Januar 2006 und damit weniger als ein Jahr nach Änderung des Feststellungsbescheids 1994 durch das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. Juli 2005 ergangen. Dies reicht für die Durchbrechung der Feststellungsfrist aber nicht aus, weil bei Erlass des später geänderten Feststellungsbescheids 1994 am 23. Februar 1998 die Feststellungsfrist für den Feststellungsbescheid 1990 bereits abgelaufen war. Unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO begann diese mit Ablauf des Jahres 1992 und endete mit Ablauf des Jahres 1996 (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit § 108 Abs. 1 AO).

Die von dem FA vertretene Ansicht, die verschärften Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 4 gälten deshalb nicht, weil der erstmalige Feststellungsbescheid 1994 bereits am 4. September 1995 und damit vor Ablauf der Feststellungsfrist für 1990 erlassen worden sei, ist mit Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren. § 174 Abs. 4 Satz 4 AO ist im Zusammenhang mit den vorhergehenden Sätzen des § 174 Abs. 4 AO zu verstehen. Mit dem später aufgehobenen oder geänderten Steuerbescheid kann daher nur der in den Sätzen 1 und 2 angesprochene Steuerbescheid gemeint sein, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert wird und dessen Aufhebung oder Änderung den Festsetzungswiderstreit auslöst (vgl. BFH-Urteil in BStBl. II 2007, 602, das - unter II. 2 d - für die Anwendung des § 174 Abs. 4 Satz 4 AO ebenfalls auf den Erlass der auf Antrag des Steuerpflichtigen aufgehobenen geänderten Steuerbescheide abstellt). Der Umstand, dass bereits in dem erstmaligen Feststellungsbescheid für 1994 ein - wenn auch wesentlich geringerer - Aufgabegewinn angesetzt worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dieser Feststellungsbescheid ist nicht auf Antrag der Kläger, sondern aufgrund der von dem FA bei der Außenprüfung getroffenen Feststellungen geändert worden. Dass durch das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. Juli 2005 nicht nur die aufgrund der Außenprüfung vorgenommene Erhöhung des Aufgabegewinns, sondern dessen Erfassung insgesamt rückgängig gemacht worden ist, ist allein darauf zurückzuführen, dass die Anfechtbarkeit des Änderungsbescheids wegen des bis zu seinem Erlass bestehenden Nachprüfungsvorbehalts nicht gemäß § 351 Abs. 1 AO auf den Umfang der Änderung beschränkt war (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO).

c) Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO, von denen die Durchbrechung der Feststellungsfrist hiernach abhängig ist, liegen im Streitfall nicht vor. Ist ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, so kann nach dieser Vorschrift die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden. Der bei Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheids für 1990 nicht berücksichtigte Sachverhalt bestand darin, dass die GmbH aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 15. März 1991 zum 31. Dezember 1990 aus der KG ausgeschieden ist. Der damit verbundene Wegfall der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, von denen die Qualifizierung der von der KG ausgeübten Tätigkeit als Gewerbebetrieb abhing, konnten aber nur im Jahr des Ausscheidens der GmbH zu einer Betriebsaufgabe und damit zur Erfassung eines Aufgabegewinns führen. Die in dem Aktenvermerk des FA vom 25. September 1992 niedergelegte Erwartung, dass die Erfassung der stillen Reserven nach einer zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Betriebsaufgabeerklärung nachzuholen sei, bezog sich nicht auf den Sachverhalt, dessen Berücksichtigung im Jahr 1990 unterblieben ist, sondern auf einen - durch das Hinzutreten weiterer Tatumstände in der Zukunft erst noch zu verwirklichenden - anderen Sachverhalt.

3. Der angefochtene Feststellungsbescheid ist daher mitsamt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kosten des Verfahrens sind dem FA als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.



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