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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 5 K 180/01
Rechtsgebiete: UStG 1993


Vorschriften:

UStG 1993 § 1 Abs. 1
UStG 1993 § 3 Abs. 1
UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2
UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 K 180/01

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerliche Behandlung der Abgabe von Mahlzeiten an Arbeitnehmer.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der Herstellung und des Vertriebs von Pralinen -, Marzipan- und Schokoladenspezialitäten. In den Streitjahren wurde das Unternehmen von Herrn X in der Rechtsform eines Einzelunternehmens betrieben. Zwischenzeitlich wird es als offene Handelsgesellschaft - OHG - geführt. Produktion und Verwaltung befinden sich in zwei getrennten Werken in A, im Z-Weg und in der Y-Straße. Das Unternehmen beschäftigte in den Streitjahren rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hauptsächlich im Produktionsprozess eingesetzt waren. Es wurde in zwei Schichten produziert (6.30 Uhr bis 23.00 Uhr mit Schichtwechsel um 16.00 Uhr). In beiden Betriebsteilen befanden sich Aufenthaltsräume, die mit einfachen Tischen und Holz- bzw. Plastikstühlen ausgestattet waren. Außerdem befanden sich in diesen Räumen ein Geschirrspüler, eine Spüle, ein Kühlschrank und mehrere Kaffeemaschinen. Neben Bestecken und Trinkgefäßen wurde keine weitere Küchenausstattung bereit gestellt. Die Räume standen den Beschäftigten vor und nach Schichtbeginn sowie in den Pausen zur Verfügung. Ein Menü-Bringdienst - die Firma G - lieferte in den Streitjahren täglich sog. Folienmenüs für ca. 25 bis 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Lieferung erfolgte in Warmhalteboxen, die von der Firma G in den Aufenthaltsräumen in der Bunsenstraße und im Bültenweg aufgestellt werden. Die Belegschaftsmitglieder holen sich ihre Menüs aus der Warmhaltebox. Nach dem Verzehr entsorgen sie die Menüschale selbst in einen Abfalldeponiebehälter, der im Pausenraum steht. Die Fa. G rechnete mit der Klägerin wöchentlich die Essenlieferungen ab.

Daneben erfolgen Getränkeverkäufe durch den Arbeitgeber. Die umsatzsteuerliche Behandlung der Getränke ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Im Anschluss an eine Außenprüfung in der Zeit vom 22.05.2000 bis zum 02.08.2000 (mit Unterbrechungen) sah der Beklagte (das Finanzamt - FA -) in der Essenlieferung an die Arbeitnehmer umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Lieferungen der Klägerin an die Arbeitnehmer (sog. Reihengeschäft). Diese Lieferung wurde dem Regelsteuersatz unterworfen. Einen ermäßigten Steuersatz gewährte das FA nicht. Es behandelte die Essenausgabe als "Verzehr an Ort und Stelle". Der Sachbezugswert der Folienmenüs von 5,40 DM wurde nach Kürzung um einen Arbeitgeber-Zuschuss von 1,50 DM pro Mahlzeit mit 3,90 DM vom Bruttoarbeitslohn des jeweiligen Arbeitnehmers einbehalten. Das FA unterwarf danach die Lieferungen an die Arbeitnehmer mit 15% bzw. 16% (ab 01.04.1998) der Umsatzsteuer. Der Vorsteuerabzug aus dem Wareneinkauf erfolgte mit 7%. Daraus ergab sich für die Streitjahre folgende Zahllast:

1995 2.997,00 DM

1996 2.747,00 DM

1997 2.248,00 DM

1998 3.243,00 DM.

Auf die konkrete Berechnung im Bericht über die Außenprüfung - Seite 33 - wird Bezug genommen.

Das FA erließ im Anschluss an die Außenprüfung entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.

Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage. Der Einkauf der Fertigmenüs sei zwar im Namen der Klägerin, aber für Rechnung der Belegschaftsmitglieder erfolgt. Es handele sich um eine unmittelbare Lieferung des Menüherstellers an die Arbeitnehmer der Klägerin. Die Klägerin selbst habe kein unternehmerisches Interesse an der Essenversorgung der Belegschaft. Es sei ihr nicht darauf angekommen, Fertigmenüs einzukaufen und diese als Eigengeschäft an die Mitarbeiter weiter zu verkaufen. Es bestünden auch nach den Arbeitsverträgen keine entsprechenden Verpflichtungen. Sowohl Auswahl als auch Organisation der Essenverteilung liege primär im Verantwortungsbereich der Belegschaft. Es handele sich also nicht um Leistungen der Klägerin an die Belegschaft.

Hilfsweise, für den Fall, dass dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt werden könne, müsse die Essenlieferung allerdings dem ermäßigten Steuersatz von 7% (§ 12 Abs. und Abs. 2 UStG 1993) unterworfen werden. Es handele sich nicht um einen "Verzehr an Ort und Stelle". Vielmehr würden von der Belegschaft zur Esseneinahme Räumlichkeiten genutzt, die ihr auch sonst als sog. "Sozialräume" zur Verfügung stünden. Die von der Belegschaft genutzten Räumlichkeiten, Tische und Stühle seien keine "besonderen Vorrichtungen" im Sinne des UStG, die zur Annahme des Regelsteuersatzes führen könnten. Die Klägerin stelle auch kein Geschirr zur Verfügung. Keinesfalls handele es sich um Gegenstände, die "ihrer Art und Beschaffenheit nach ausschließlich dem Verzehr zu dienen bestimmt" seien. Nach der EuGH-Rechtsprechung sei es für die Annahme eines (nichtbegünstigten) Restaurationsumsatzes im Übrigen erforderlich, dass die Dienstleistungselemente die Lieferungselemente bei Weitem überwiegen (EuGH-Urt. v. 2.5.1996 - C-231/94, BStBl II 1998, 282). Im Streitfall kämen als "Dienstleistungselemente" in diesem Sinne lediglich die seitens des Essenlieferanten Fa. G bereit gestellten Warmhaltekisten und die seitens des Klägers zur Verfügung gestellten Abfallbehälter in Betracht. Insofern könne jedoch nicht von einem weiten Überwiegen der Dienstleistungselemente ausgegangen werden.

Die umsatzsteuerliche Behandlung der Essenversorgung sei bereits früher Gegenstand von Außenprüfungen gewesen: Im Rahmen der Prüfung für die Jahre 1977 bis 1985 sei dem Kläger der Vorsteuerabzug aus dem Zuschuss von 1,50 DM mit der Begründung versagt worden, die Belegschaft sei Bezieher der Essenslieferungen. Dieser Beurteilung sei der Kläger in den Folgejahren gefolgt. In Anschlussprüfungen für die Jahre 1986 bis 1994 sei dies auch nicht beanstandet worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 8.3.2001 und Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1998, die Umsatzsteuer 1995 um 2.997,00 DM, 1996 um 2.747,00 DM, 1997 um 2.248,00 DM und 1998 um 3.243,00 DM herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Streitfall handele es sich um ein umsatzsteuerliches Reihengeschäft. Die Arbeitnehmer der Klägerin seien nicht in unmittelbare Rechtsbeziehungen zum Menülieferanten - der Fa. G - getreten. Auf die Lieferung sei der Regelsteuersatz anzuwenden, denn die Belegschaft der Klägerin beziehe die Menüs nicht "zum Mitnehmen". Zur Einnahme der Mahlzeiten stelle die Klägerin eine organisatorische Gesamtheit - bestehend aus Speisesaal, Mobiliar und Geschirr - zur Verfügung. Hinzu komme noch die von der Fa. G aufgestellte Warmhaltebox und die Bereitstellung von Abfalldeponiebehältern für die Entsorgung der Aluminiummenüschalen. Nebensächlich sei, dass die Belegschaft Besteck/Geschirr selbst abwasche bzw. entsorge.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zutreffend ist das beklagte FA im Streitfall von Leistungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgegangen, die dem allgemeinen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG 1993 unterliegt.

1. Keine Lieferung der Klägerin an die Belegschaft

Nach § 1 Abs. 1 UStG 1993 unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

Im Streitfall hat die Klägerin Leistungen an die Belegschaft ausgeführt. Die Klägerin hat ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den beiden Sozialräumen im Bültenweg und in der Bunsenstraße gegen Entgelt verköstigt. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der Darreichung des Essens nicht um eine Lieferung der Fa. G an die Belegschaft der Klägerin.

Hierfür spricht zum einen, dass der Essenslieferant - die Fa. G - nicht in unmittelbare Rechtsbeziehungen zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Klägerin getreten ist; vertragliche Beziehungen bestanden vielmehr ausschließlich zwischen der Klägerin und der Fa. G. Zu Recht verweist das beklagte FA im Übrigen auch auf den Abrechnungsmodus. Die Klägerin hat die Essenslieferung mit der Fa. G wöchentlich und mit der Belegschaft monatlich abgerechnet. Unerheblich ist demgegenüber das Vorbringen der Klägerin, sie habe kein eigenes "unternehmerisches" - gemeint ist wohl auf Gewinnmaximierung gerichtetes - Interesse an der Lieferung des Essens gehabt. Darauf kommt es ebensowenig an, wie auf den Umstand, dass nach den Arbeitsverträgen mit der Belegschaft keine Verpflichtung der Klägerin zur Vorhaltung eines arbeitstäglichen Essens besteht. Entscheidend ist allein, dass es sich um ein entgeltliches Rechtsgeschäft zwischen der Klägerin und der Fa. G handelt.

2. Kein ermäßigter Steuersatz

Die Darreichung des Essens seitens der Klägerin an ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für den Ansatz des ermäßigten Steuersatzes von 7%.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 ermäßigt sich die Steuer auf 7% für die Lieferung der in der Anlage 2 zum UStG (zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG 1993) bezeichneten Gegenstände (hier: Lebensmittel). Dies gilt gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG 1993 aber nicht für die Lieferung von Speisen und Getränken "Verzehr an Ort und Stelle". Speisen werden zum Verzehr an Ort und Stelle geliefert, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereit gehalten werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 UStG 1993).

Nach § 3 Abs. 1 UStG 1993 sind Lieferungen eines Unternehmers u.a. Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind ( § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG 1993). Dementsprechend gilt nach Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie -MwStSyStRL- (bis zum 31.12.2006: 5 Abs. 1 der6. EG-RL) die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, als Lieferung eines Gegenstandes; als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes ist (Art. 24 Abs. 1 MwStSyStRL, ehemals Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL).

Zur Abgrenzung von Lieferungen und Leistungen kommt es nach Auffassung des EuGH auf eine Gesamtbetrachtung an (EuGH-Urt. v. 2.5.1996 - C-231/94, BB 1996, 1541). Wörtlich heißt es in der Entscheidung des EuGH (Tz. 13, 14):

(...) Die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen. Dabei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u. a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfaßt. Gegebenenfalls werden Kellner das Gedeck auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen oder Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich nach dem Verzehr die Tische abräumen.

Somit ist der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen (...)

Im Streitfall war zwar kein Personal in den Sozialräumen der Klägerin vorhanden, welches das Essen für die Belegschaft zubereitet und aufgelegt hat; gleichwohl ist der Senat der Meinung, dass auch vorliegend die Elemente einer Dienstleistung diejenigen einer Lieferung "bei Weitem" im Sinne der EuGH-Rechtsprechung überwiegen.

Die Klägerin hat im vorliegenden Fall nämlich nicht nur die Räumlichkeiten mit Tischen und Stühlen, sondern darüber hinaus auch einen Geschirrspüler, eine Spüle und einen Abfalldeponiebehälter zur Verfügung gestellt. Dass ein anderer Unternehmer - hier die Fa. G - die Zubereitung des Essens übernommen hat, ist unerheblich, denn diese Dienstleistung könnte in gleicher Weise auch von der Klägerin selbst erbracht werden. Sie hat sich für die Zubereitung und das Zurverfügungstellen der Speisen der Fa. G lediglich als Erfüllungsgehilfin bedient. Diese Dienstleistung der Erfüllungsgehilfin ist der Klägerin zuzurechnen (so auch Martin, in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rz. 546).

Als einziges Lieferelement verbleibt im Streitfall letztlich nur noch die tägliche Anlieferung des Essens vom Zubereitungsort der Fa. G an den Ort der Essenseinnahme in den Sozialräumen der Klägerin. Dies allein reicht für die Annahme einer Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinne jedoch nicht aus.

Die tägliche Darreichung des Essens an die Belegschaft war deshalb dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG 1993 zu unterwerfen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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