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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 13.07.2007
Aktenzeichen: 5 V 118/07
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 V 118/07

Gründe:

I. Streitig ist die Umsatzsteuerfreiheit der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten.

Die Antragstellerin erzielt Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten. Mit ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung vom 01.02.2007 für das IV. Quartal 2006 unterwarf sie die Umsätze aus Geldspielgeräten der Steuerpflicht (Zahllast: 2.128,17 EUR).

Gleichzeitig erhob sie gegen diese Voranmeldung Einspruch und beantragte die Umsätze aus Geldspielgeräten in Höhe von netto 39.847,-- EUR ohne Vorsteuerabzug (erklärte Vorsteuern: 4.247,40 EUR) steuerfrei zu stellen. In Höhe der Zahllast begehrte sie Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung führte sie an, dass die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG (Inkrafttreten der Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG am 06.05.2006) keine rechtmäßige Umsetzung der 6. EG-Richtlinie in nationales Recht darstelle.

Den Aussetzungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 07.02.2007 ab. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass der Gesetzgeber durch die Änderung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG die umsatzsteuerliche Neutralität hergestellt habe, indem die bislang umsatzsteuerfreien Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, in die Umsatzsteuerpflicht einbezogen würden.

Dagegen hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht gestellt, mit dem sie folgendes vorträgt:

Der Gesetzgeber habe durch die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG nunmehr die Steuerbefreiung für Umsätze aus öffentlichen Spielbanken aufgehoben, um hiermit dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Linneweber/Akritidis (Urteil vom 17.02.2005, Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02, UR 2005, 194) gerecht zu werden. Eine derartige Erweiterung des Glücksspiels verstoße gegen höherrangiges Recht.

Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL (Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie) befreie Wetten, Lotterien und sonstiges Glücksspiel mit Geldeinsatz grundsätzlich von der Umsatzsteuer, den einzelnen Mitgliedstaaten werden lediglich ein gewisses Ermessen eingeräumt, die Bedingungen und Beschränkungen festzulegen. Fraglich sei, wie weit die Bedingungen und Grenzen der Befreiung gehen dürften, d.h. in welchem Umfang ein Mitgliedstaat Glücksspiele der Umsatzsteuer unterwerfen dürfe. Im vorliegenden Fall würden durch die Änderung der nationalen Bestimmung weit mehr als 50 v.H. des gesamten Glücksspielmarktes der Umsatzsteuer unterworfen. Es erscheine zweifelhaft, ob hier noch von Bedingungen und Grenzen gesprochen werden könne. Im Ergebnis dürfte es den Rahmen des Ermessens wohl überschreiten, wenn der deutsche Gesetzgeber das - von den Wetten und Lotterien zu unterscheidende - sonstige Glücksspiel mit Geldeinsatz ausnahmslos der Umsatzsteuer unterwerfe.

Die Stellung einer Sicherheit sei vorliegend nicht angebracht. Zwar habe sich die Gesellschaft in Liquidation befunden. Diese sei jedoch im Jahre 2006 aufgehoben worden. Das Stammkapital von 25.000,-- EUR sei neu eingezahlt worden, so dass die Gesellschaft aktuell über liquide Mittel in Höhe von 23.000,-- EUR verfüge. Aus den BWA bzw. Summen- und Saldenlisten für den Zeitraum Januar bis Mai 2007 sei ersichtlich, dass die Gesellschaft mit Gewinn arbeite. Es bestünden lediglich langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von 7.000,-- EUR aus einem Firmenkauf.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das IV. Quartal 2006 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hält daran fest, dass der Gesetzgeber mit der durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. erlaubten (generellen) Besteuerung von sonstigen Glücksspielumsätzen (einschließlich solcher aus dem Betrieb von Geldspielgeräten) den ihm durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der MwStSystRL (Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie) eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht überschritten habe.

Er bezieht sich dabei auf die Gesetzesbegründung der Bundesregierung (BT-Drucks. 326/05) und führt aus, dass die Mitgliedstaaten nach der Richtlinienvorschrift nicht verpflichtet seien, sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz steuerfrei zu stellen, sondern im Gegenteil, Einschränkungen ("Bedingungen und Beschränkungen") vornehmen dürften. Bei der Ausgestaltung dieser Einschränkungen habe sich der Gesetzgeber am umsatzsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz derart auszurichten, dass gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Glücksspielumsätze umsatzsteuerlich gleich behandelt würden. Dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe genüge die Neuregelung, da Glücksspiele und Glücksspielgeräte aller Art sowohl innerhalb als auch außerhalb zugelassener öffentlicher Spielbanken nunmehr gleich behandelt und der Besteuerung unterworfen würden. Die fortbestehende Befreiung der Wetten und Lotterien, die dem Rennwett- und Lotteriegesetz unterlägen, verletze den Neutralitätsgrundsatz nicht, da diese Umsätze mit den übrigen Glücksspielumsätzen nicht vergleichbar seien.

Der EuGH habe in der Rechtssache Wollny (Urteil vom 14.09.2006, Rs. C-72/05, UR 2006, 638) den Mitgliedstaaten bei der Regelung bestimmter Tatbestände einen gewissen Ermessensspielraum zuerkannt, wenn sie die Systematik der 6. EG-Richtlinie und die Zielsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beachten. In die gleiche Richtung ziele die EuGH-Entscheidung zu den nationalen Bedingungen für die Steuerbefreiung medizinischer Analysen (EuGH-Urteil vom 08.06.2006, Rs. C-106/05 - L. u. P. GmbH -, UR 2006, 464 ).

Eine Steuerbefreiung bilde eine Ausnahmeregelung vom Grundsatz der Besteuerung aller Umsätze und bedürfe daher einer - im Streitfall nicht vorliegenden - Rechtfertigung. Die Entlastung der Glücksspieler von der Umsatzsteuer sei jedenfalls kein hinreichender Rechtfertigungsgrund. Eine Steuerbefreiung nach Gemeinschaftsrecht wäre nur gerechtfertigt, wenn wettbewerbsverzerrende Wirkungen eintreten könnten, eine besondere Spielsteuer (besondere Verkehrssteuer) erhoben werde oder die Umsätze zu den dem Gemeinwohl dienenden Umsätzen i.S. des Art. 134 der MwStSystRL (Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie) zählen würden. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Außerdem habe der 16. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts mit Beschluss vom 22.05.2007 (16 V 137/07 n.v.) bereits entschieden, dass keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neuregelung des § 4 Nr. Buchst. b UStG bestünden.

Unabhängig davon komme eine Aussetzung nur gegen Sicherheit in Betracht. Durch die Gesellschafterversammlung vom XXXX sei die Fortsetzung der - bis dahin sich in Liquidation befundenen - Gesellschaft beschlossen worden. Der Name der Firma sei geändert und Herr R.P. nicht mehr als Liquidator, sondern als Geschäftsführer bestellt worden. Unter dem XXXX sei dann ein Geschäftsführerwechsel von Herrn R.P. auf Frau A. P. im Handelsregister eingetragen.

Ertragssteuerlich habe die Gesellschaft keine Steuerrückstände, da sie einen Verlustvortrag von 41.748 EUR ausweise. Umsatzsteuerlich habe die Antragstellerin im 1 und 2 Quartal 2007 Steuererstattungen erhalten. Neben dem ungewöhnlich schnellen Geschäftsführerwechsel spreche der vorhandene Verlustvortrag für eine Gefährdung des Steueranspruch, da jederzeit mit der erneuten Liquidation oder gar Insolvenz der Gesellschaft gerechnet werden müsse.

II. Der Antrag ist begründet. Die Vollziehung der streitbefangenen Umsatzsteuer-Voranmeldung ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 undvom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1736).

Deshalb sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides auch dann gegeben, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von einer in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Beurteilung abhängt (vgl. BFH Beschlüsse vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147 undvom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87). Dies ist der Fall, wenn der BFH die streitige Rechtsfrage noch nicht entscheiden hat und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte insoweit unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. Gräber/Koch, FGO-Kommentar, § 69 Rz. 87 m.w.N.; FG München, Beschluss vom 13.07.2006 14 V 1069/06 - juris).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Während der 16. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts im AdV-Verfahren keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neuregelung geäußert hat (Beschluss vom 22.05.2007 16 V 137/07 n.v.), hat es das Finanzgericht Düsseldorf als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob § 4 Nr. 9 Buchst. 9 UStG n.F. europarechtskonform ist (Beschluss vom 27.03.2007 5 V 4521/06 A (U), UR 2007, 455 m. Anm. Jahndorf/Oellerich).

Die Beschwerde ist vom FG Düsseldorf zugelassen worden und inzwischen erhoben. Der BFH hat die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden. Mit der Entscheidung Linneweber/Akritidis wurde die frühere Unterscheidung nach nationalem Recht zwischen dem Glücksspiel innerhalb und außerhalb der öffentlichen Spielbanken für gemeinschaftswidrig erachtet (EuGH-Urteil vom 17.02.2005, a.a.O.; nachf. BFH-Urteil vom 12.05.2005 V R 7/02, BStBl II 2005, 617). Ein sicheres Präjudiz für die Gemeinschaftsrechtskonformität der Neuregelung lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen. Gleiches gilt für die vom Antragsgegner genannten EuGH-Urteile in den Rechtssachen "Wollny" und "L. u. P. GmbH".

Ähnlich kontrovers verläuft die Diskussion im Schrifttum. Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität werden von einem Teil der Lehre geäußert (Thill/Puls, UStB, 2006, 166; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 211; Nieskens, UR 07, 125), während ein anderer Teil keine diesbezüglichen Bedenken hat (Klenk in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 133.2; Hünnekens in Peter/Burhoff/Stöcker, UStG, § 4 Nr. 9 Rz. 64 ff; Dziadkowski, UStB 2007, 16; Jahndorf/Oellrich, a.a.O.).

Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage in Judikatur und Schrifttum ist die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

2. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung bestand kein Anlass, weil der Antragsgegner keine Gründe vorgetragen hat, die für eine Gefährdung des Steueraufkommens sprechen könnten (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 14.10.2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87).

Die Liquidation der Gesellschaft ist seit Ende 2005 beendet. Für eine erneute Liquidation oder gar Insolvenz der Antragstellerin liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Gesellschaft hat das Stammkapital in 2006 neu eingezahlt und durch Kontenbeleg Bankguthaben von ca. 20.000 EUR nachgewiesen. Die Antragstellerin erzielte im Zeitraum Januar bis Mai 2007 ausweislich der BWA einen Gewinn von 3.607,50 EUR. Die langfristigen Verbindlichkeiten von rd. 7.000,-- EUR beruhen aus dem Firmenkauf (Kauf von Automatenaufstellplätzen) und werden in Abhängigkeit von der Ertragslage der Automatenaufstellplätze bedient. Das Bestehen eines Verlustvortrag ist nicht ungewöhnlich und begründet für sich noch keine Gefährdung des Steueraufkommens. Gleiches gilt für den erfolgten Geschäftsführerwechsel von Herrn R.P. auf Frau A.P.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

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