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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 7 K 102/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

7 K 102/05

Einkommensteuer 2001

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Kläger zur Einkommensteuer 2001 zu veranlagen sind.

Der Kläger ist Arbeitnehmer. Die Klägerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die mit ./. 10.594 DM beziffert werden.

Die Einkommensteuererklärung 2001 ging am 3. Juni 2004 beim Beklagten ein. Da die Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bereits verstrichen war, stellte der Prozeßbevollmächtigte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er trug vor, die Einkommensteuererklärung bereits im September 2003 eingereicht zu haben. Ein Eingang dieser Erklärung ist beim Beklagten nicht feststellbar. Als Ersatz für die dem Original beigefügte Lohnsteuerkarte fügten die Kläger ihrer Einkommensteuererklärung eine besondere Lohnsteuerbescheinigung für 2001 bei, die am 16. Februar 2004 vom Arbeitgeber ausgestellt ist. Der Beklagte lehnte durch den angefochtenen Bescheid die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung ab, da die Frist versäumt sei und auch die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits abgelaufen sei, denn spätestens mit dem Zeitpunkt der Ausstellung der besonderen Lohnsteuerbescheinigung für 2001 hätten die Kläger bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter gewußt, dass die Zweijahresfrist abgelaufen sei. Die Wiedereinsetzungsfrist sei damit spätestens im März 2004 abgelaufen.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie eine Veranlagung zur Einkommensteuer 2001 anstreben.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, die Kläger unter Berücksichtigung der eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner im Einspruchsbescheid vertretenen Auffassung fest. Soweit der BFH im Urteil vom 21. September 2006 (VI R 52/04, BStBl II 2007, 45) entschieden habe, dass auch negative Einkünfte von mehr als 800 DM zu einer Amts- statt einer Antragsveranlagung führten, habe der Gesetzgeber dieser Ansicht jedenfalls durch rückwirkende Gesetzesänderung im Jahressteuergesetz 2007 die Grundlage entzogen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg.

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 800 DM beträgt.

Der BFH hat durchUrteil vom 21. September 2006 (VI R 52/04, BStBl II 2007, 45) entschieden, dass sich die Vorschrift nicht nur auf positive Einkünfte bezieht, sondern auch auf negative.

Nach § 52 Abs. 55j EStG, der durch das Jahressteuergesetz 2007 eingefügt worden ist, ist zwar § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 "auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden". Diese Regelung erstreckt sich bei verfassungskonformer Auslegung aber nicht auf das Streitjahr 2001. Erfasst werden nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Anwendungsvorschrift nur Veranlagungsjahre, bei denen durch die Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht nachträglich die Möglichkeit zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung entfällt. Der Gesetzgeber hat nur eine "Klarstellung" der Vorschrift in den Mittelpunkt seiner Gesetzgebungsinitiative gerückt. Eine Absicht, darüber hinaus den Steuerpflichtigen auch bereits bestehende Ansprüche auf Veranlagung entziehen zu wollen, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesetzgebungsverfahren ableiten. Im Streitfall besteht daher weiterhin die Verpflichtung des Finanzamts, die Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Die Rechtslage ist (jedenfalls) für das Streitjahr 2001 nicht durch das Jahressteuergesetz 2007 wirksam geändert worden. Zwar hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG inzwischen dahingehend geändert, dass nur weitere positive Einkünfte von mehr als 410 EUR zu einer Amtsveranlagung führen, diese Änderung des Einkommensteuergesetzes wirkt jedoch nicht auf das Streitjahr 2001 zurück.

Vor allem die verfassungsrechtlichen Bedenken der steuerlichen Rechtsprechung gegenüber der Zwei-Jahres-Frist, wie sie in den Vorlagenbeschlüssen des BFH (Beschlüsse vom 22. Mai 2006, VI R 49/04 und 46/05) ihren Ausdruck gefunden haben, erfordern insoweit eine restriktive Auslegung der die Antragsveranlagung betreffenden Vorschriften.

Schließlich käme eine weite Auslegung des Wortlauts des § 52 Abs. 55j EStG aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. In allen Fällen mit negativen Einkünften des Steuerpflichtigen von mehr als 800 DM (410 EUR) neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit handelte es sich nach der Gesetzesfassung bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz 2007 um Fälle der so genannten Amtsveranlagung. Abweichend von § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG mussten diese Steuerpflichtigen nach der zitierten Rechtsprechung des BFH nicht bereits bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres einen Antrag auf Veranlagung stellen. Es galten vielmehr auch bei dem Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die allgemeinen Fristen über die Festsetzungsverjährung nach der AO. Wollte man den Wortlaut dahingehend weit auslegen, dass die Anwendungsvorschrift auch diese Fälle erfassen sollte, wäre durch das Jahressteuergesetz 2007 rückwirkend die zuvor bestehende Möglichkeit zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für Veranlagungsjahre, die die Zwei-Jahres-Frist überschritten, entfallen. Es läge ein Fall der echten Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor. Bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten ist der mit dem Rückwirkungsverbot vereinbaren Auslegung der Vorzug zu geben.

Ziel der nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführenden Veranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70). Mit der Veranlagung sollen im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftretende Steuerübererhebungen und Steueruntererhebungen ausgeglichen werden. Diesem Gesetzeszweck entspricht es, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dahin auszulegen, dass eine Veranlagung von Amts wegen nicht nur dann durchzuführen ist, wenn die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren (Nebeneinkünfte), den Betrag von 800 DM (410 EUR) übersteigt, sondern auch, wenn die negative Summe der betreffenden Nebeneinkünfte diesen Betrag übersteigt. Denn die Abweichung des Lohnsteuerabzugs von der materiell richtigen Einkommensteuer gewinnt nicht nur mit zunehmend höheren positiven, sondern auch mit zunehmend höheren negativen Nebeneinkünften wachsende Bedeutung. Je höher die Summe der positiven oder negativen Nebeneinkünfte ist, umso mehr weicht die in Form des Lohnsteuerabzugs tatsächlich erhobene Einkommensteuer von der materiell richtigen Einkommensteuer ab. Die verfassungsrechtlich gebotene gleichheitsgerechte Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit würde damit im Hinblick auf die "horizontale" und "vertikale" Steuergerechtigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268) sowohl bei einer höheren positiven als auch bei einer höheren negativen Summe der Nebeneinkünfte zunehmend verfehlt.

Dieses der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechende Ergebnis wird durch die vom BFH (a.a.O.) für zutreffend erachtete Auslegung von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vermieden. Denn sie führt dazu, dass nur in einem Bereich, in dem die negativen oder positiven Nebeneinkünfte den Betrag von 800 DM nicht übersteigen, keine Amtsveranlagung durchzuführen ist. Damit wird einerseits der Vereinfachung Rechnung getragen, indem Pflichtveranlagungen ohne oder mit nur geringen Steuernachforderungen oder Steuererstattungen unterbleiben. Andererseits wird eine gleichmäßige Festsetzung der Einkommensteuer erreicht, die den im Lohnsteuerverfahren auftretenden Steuerübererhebungen und Steueruntererhebungen gleichermaßen Rechnung trägt.

Die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 55 j EStG zur Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, nach der die Neuregelung auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden ist, ist danach verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Neuregelung nur für diejenigen Anträge maßgeblich ist, die nach Veröffentlichung dieses Gesetzes gestellt werden. Unabhängig davon bestehen verfassungsrechtliche Zweifel an dieser Regelung als auch insgesamt an der 2-Jahresfrist (Hinweis auf den Vorlagebeschluss des BFH).

Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Veranlagung auch dann beantragt werden muss, wenn, wie im Streitfall, nur einer der zusammen zu veranlagenden Ehegatten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, die Verluste jedoch (zumindest auch) von dem anderen Ehegatten erzielt worden sind. Diese Frage kann der Senat jedoch offen lassen, da die Klage bereits aus anderem Grund zum Erfolg führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob die rückwirkende Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auch auf Fälle vor 2006 anzuwenden ist, wie dies in § 52 Abs. 55j EStG vorgesehen ist, grundsätzliche Bedeutung hat.



Ende der Entscheidung

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