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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 26.09.2007
Aktenzeichen: III 168/06
Rechtsgebiete: EStG, Beamtenstatus


Vorschriften:

EStG § 65 Abs. 1 Nr. 3
EStG § 72 Abs. 1 Nr. 3
Beamtenstatus des Europäischen Patentamts Art. 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

III 168/06

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat der 3. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 26.09.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der beklagten Familienkasse Kindergeld für ihr Kind 1, geb. 21.07.2004. Sie ist bei der Volkshochschule im Städtedreieck e.V., A (VHS) beschäftigt. Die VHS ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin richtet sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst und den Tarifverträgen im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände.

Der nichteheliche Vater des Kindes, 2, ist beim Europäischen Patentamt in München beschäftigt. Ausweislich einer Bestätigung des Europäischen Patentamts vom 20.11.2005 erhält er seit dem Monat der Geburt des Kindes eine Unterhaltsberechtigtenzulage. Die Unterhaltsberechtigtenzulage entspricht nach dieser Bestätigung "im Prinzip dem deutschen Kindergeld".

Mit Bescheid vom 26.01.2006 lehnte die beklagte Familienkasse den Kindergeldantrag der Klägerin unter Berufung auf § 65 Abs. 1 Nr. 3 EStG ab. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe nicht, da der Vater des Kindes die Unterhaltsberechtigtenzulage des Europäischen Patentamts erhalte und diese Leistung eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung darstelle. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 23.06.2006).

Mit ihrer Klage vom 25.07.2006 (eingegangen beim Gericht am 26.07.2006) verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Es bestehe keine gesetzliche Grundlage, nach der die Unterhaltsberechtigtenzulage eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung darstelle. Sie entspreche nur "im Prinzip" dem deutschen Kindergeld. Es handle sich aber nicht um Kindergeld, sondern sei Teil des väterlichen Gehalts. Sie sei nicht mit dem Vater ihres Sohnes verheiratet und lebe von ihm getrennt. Das Europäische Patentamt habe deshalb in der besagten Bescheinigung auch klargestellt, dass keine konkurrierende und damit keine vergleichbare Leistung i.S. des § 65 EStG zum deutschen Kindergeld vorliege.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 26.01.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 23.06.2006 aufzuheben und die beklagte Familienkasse zu verpflichten, ihr rückwirkend ab Juli 2004 Kindergeld für ihren Sohn 1 zu gewähren.

Die beklagte Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei der Unterhaltsberechtigtenzulage handle es sich um eine Leistung im Sinn des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, die grundsätzlich einen Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG ausschließe. Die Ausnahmevorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 3 EStG komme zugunsten der Klägerin nicht zur Anwendung, da die Klägerin und der Vater des Kindes nicht verheiratet seien.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

1. Die beklagte Familienkasse war für die Entscheidung über den Kindergeldantrag der Klägerin zuständig. Die Festsetzung des Kindergeldes richtet sich nicht nach § 72 EStG, da die Klägerin bei einer privatrechtlich organisierten Vereinigung beschäftigt ist. Unter § 72 Abs. 1 Nr. 3 EStG fallen nur Arbeitnehmer des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes oder einer sonstigen Körperschaft, einer Anstalt oder einer Stiftung des öffentlichen Rechts. Die Mitgliedschaft im kommunalen Arbeitgeberverband führt nicht zur Anwendung des § 72 EStG.

2. Die Klägerin erfüllt für ihr Kind 1 zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gem. §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG wird Kindergeld jedoch nicht für ein Kind gezahlt, wenn für dieses Kind von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung Leistungen gezahlt oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind.

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an, ob die kindergeldähnliche Leistung derjenigen Person, die auch kindergeldberechtigt ist, oder einem Dritten zusteht (BFH-Beschluss v. 27.11.1998 VI B 120/98, BFH/NV 1999, 614).

Die Europäische Patentorganisation ist eine zwischenstaatliche Organisation auf der Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art 5 Abs.1 EPÜ). Das Europäische Patentamt ist Organ der Europäischen Patentorganisation (Art 4 Abs. 2a EPÜ) und damit eine zwischenstaatliche Einrichtung i.S. des § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Verwaltungsrat erlässt das Statut der Beamten des Europäischen Patentamts (Art 33 Abs. 2b EPÜ).

Bei der Unterhaltsberechtigtenzulage - Kinder - nach Art 69 des Beamtenstatus des Europäischen Patentamts handelt es sich um eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Begriff "vergleichbare Leistung" bezeichnet einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nach dem Sinn und Zweck der Regelung, kindbezogene Doppelleistungen zu vermeiden, auszufüllen ist. Dem Kindergeld vergleichbar i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind solche Leistungen, die direkt davon abhängen, dass der Empfänger zumindest bei typisierender Betrachtung mit Unterhaltsleistung für Kinder belastet ist, und die folglich entfallen, wenn die Kinder nicht mehr wirtschaftlich abhängig sind (BFH-Urt. v. 22.5.2002 VIII R 91/01, BFH/NV 2002, 1431).

Nach Art 67 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art 69 des Beamtenstatuts des Europäischen Patentamts hat ein Beamter des Europäischen Patentamts Anspruch auf Familienzulage in Form der Unterhaltsberechtigtenzulage für jedes unterhaltsberechtigte Kind. Dies sind eheliche, uneheliche oder an Kindes statt angenommene Kinder des Beamten oder seines Ehegatten, wenn sie von dem Beamten oder seinen Ehegatten hauptsächlich und ständig unterhalten werden. Die Zulage wird für Kinder unter 18 Jahren ohne weitere Voraussetzungen gezahlt. Sie verlängert sich bei in Schul- oder Berufsausbildung befindlichen Kindern bis zum Alter von 26 Jahren und wird bei dauernder Gebrechlichkeit oder schwerer Krankheit ohne Altersbeschränkung weitergezahlt, wenn das Kind seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann (Art 67 Abs. 4 und 5 des Beamtenstatuts).

Die Unterhaltsberechtigtenzulage knüpft damit wie das Kindergeld lediglich an das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses an und hat den Zweck, wie das Kindergeld den Berechtigten von unterhaltsbezogenen Aufwendungen zu entlasten. Sie ist ähnlich dem Kindergeld ausgestaltet; die Zahlung für volljährige Kinder ist typisierend abhängig von deren eigener wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Bei der Vergleichbarkeit ist dabei abzustellen auf den materiellen Gehalt der Leistung, nicht auf die formelle Ausgestaltung, etwa die Auszahlung als Dienstbezüge oder zusammen mit dem Gehalt, wie dies auch bei inländischen Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Fall ist (vgl. z.B. Felix, Kindergeldrecht Kommentar, Auflage 2005 zu § 65 EStG Rdn. 34).

Auch die Bescheinigung des Europäischen Patentamts stellt ausdrücklich fest, dass die Unterhaltsberechtigtenzulage "im Prinzip dem deutschen Kindergeld entspricht", was nichts anderes aussagt, als dass es sich auch aus Sicht der zahlenden Organisation um eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung handelt. Die Aussage des Europäischen Patentamts in der Bestätigung vom 29.11.2005, die Zahlung der Unterhaltsberechtigtenzulage nicht einstellen zu wollen, weil die Klägerin nicht mit dem Vater des Kindes verheiratet sei und deshalb keine konkurrierende Leistung bestehe, steht dem nicht entgegen. Diese Aussage geht auf eine Anfrage der beklagten Familienkasse an das Europäische Patentamt zurück und stützt sich auf Art 67 Abs. 2 des Beamtenstatuts, wonach ein Beamter, der Familienzulagen erhält, Zulagen gleicher Art die ihm, seinem Ehegatten oder ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten gezahlt werden, anzugeben hat; diese werden von den nach Maßgabe des Statuts gezahlten Zulagen abgezogen. Da die Klägerin und der Kindsvater nicht verheiratet sind und Kindergeld auch nicht dem unterhaltsberechtigten Kind, sondern einem Elternteil für das Kind gezahlt wird, liegt i.S. der Regelungen des Europäischen Patentamts keine konkurrierende Leistung vor. Mit der Frage der Vergleichbarkeit von Kindergeld und Unterhaltsberechtigtenzulage hat diese Aussage nichts zu tun.

Dass es sich bei Kindergeld und Unterhaltsberechtigtenzulage des Europäischen Patentamts um eine vergleichbare Leistung handelt, wird auch in der Literatur vertreten (vgl. Schmidt, EStG Kommentar, Auflage 2007, § 65 EStG, Rdn. 7).

Ausweislich der Bescheinigung über die Unterhaltsberechtigtenzulage des Europäischen Patentamtes vom 29.11.2005 wird für das Kind 1 an den Kindsvater seit dem Monat der Geburt des Kindes eine Unterhaltsberechtigtenzulage auch tatsächlich gezahlt.

Der Ausnahmetatbestand des § 65 Abs.1 Satz 3 EStG greift nicht zugunsten der Klägerin. Danach wird u.a. der Anspruch eines im Inland versicherungspflichtigen Arbeitnehmers auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nr. 3 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter der Europäischen Gemeinschaften für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Die Vorschrift betrifft nur den Fall, dass der Ehegatte eines versicherungspflichtigen Arbeitnehmers Bediensteter der Europäischen Gemeinschaften ist. Die Klägerin ist mit dem Kindsvater weder verheiratet, noch ist dieser Beamter der Europäischen Gemeinschaften. Es handelt sich bei der Vorschrift um eine Sonderregelung ausschließlich für Ehegatten von Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Helmke-Bauer, Familienleistungsausgleich, § 65, unter III.). Sie geht auf die Entscheidung des EuGH v. 7.5.1987, Rs. 189,85, SozR 5870, § 8 Nr. 13, zurück, wonach das Kindergeld bei Ehegatten nicht wegen der Familienzulagen der Europäischen Gemeinschaften ausgeschlossen ist (vgl. Dürr in Praxiskommentar EStG, 85. Lfg. § 65 Rdn. 12; Lademann EStG, Nachtrag 129, § 65 Rdn. 7, wonach die Vorschrift nicht anwendbar ist, wenn der Ehegatte Angehöriger einer anderen zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung ist). Die Ausnahmevorschrift trägt der spezifischen Prioritätsregelung der Europäischen Gemeinschaften und damit der Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten und den Europäischen Gemeinschaften Rechnung. Eine Anwendung der Vorschrift über diesen eng begrenzten Ausnahmebereich hinaus, kommt damit nicht in Betracht. Wegen dieser Sondersituation ist auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG gegeben, da anders gelagerte Sachverhalte auch unterschiedlich geregelt werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

Ende der Entscheidung

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