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Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: VI 116/06
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 171 Abs. 5 S. 1
AO 1977 § 171 Abs. 5 S. 2
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

VI 116/06

Einkommensteuer 1998 bis 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Senat des Finanzgerichts Nürnberg durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.02.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine endgültige bestandskräftige Steuerfestsetzung, in der die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden, wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn sich aufgrund nachträglich bekannt gewordener Einnahmen unter Ansatz von geschätzten Betriebsausgaben höhere gewerbliche Einkünfte ergeben als bisher geschätzt.

Der Antragsteller erzielte in den Streitjahren als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Da er zuletzt für den Veranlagungszeitraum 1997 Steuererklärungen eingereicht hatte, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1998 bis 2001 und setzte mit Bescheid vom 05.05.2000 die Einkommensteuer 1998 auf 0 DM, mit Bescheid vom 28.05.2001 die Einkommensteuer 1999 auf 5.199 DM, mit Bescheid vom 22.08.2002 die Einkommensteuer 2000 auf 5.694,77 EUR (entspricht 11.138 DM) und mit Bescheid vom 28.01.2004 die Einkommensteuer 2001 auf 4.869,54 EUR (entspricht 9.524 DM) jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) fest. In den Bescheiderläuterungen wurde jeweils darauf hingewiesen, dass die Schätzung nicht von der Erklärungspflicht befreie und dass trotz Schätzung eine Steuerstraftat vorliegen könne.

Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden dabei in den Jahren 1998 und 1999 mit jeweils 40.000 DM und in den Jahren 2000 und 2001 mit jeweils 60.000 DM berücksichtigt.

Der Einkommensteuerbescheid 1999 wurde am 22.08.2002 nach § 164 Abs. 2 AO geändert, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 50.000 DM erhöht und die Einkommensteuer auf 4.227,36 EUR (entspricht 8.268 DM) festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.

Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Bescheiden vom 16.10.2003 für 1998 und 1999, vom 28.01.2004 für 2000 und vom 25.05.2005 für 2001 aufgehoben, § 164 Abs. 3 AO.

Mit Schreiben der Bußgeld- und Strafsachenstelle vom 19.07.2005 wurde der zuständigen Veranlagungsstelle beim beklagten Finanzamt bekannt, in welcher Höhe der Kläger in den Streitjahren tatsächlich Provisionseinnahmen erzielt hatte. Gegen den Kläger war am 12.10.2004 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden, da er nach einer am 07.07.2004 eingegangenen Kontrollmitteilung von der X- AG für seine Tätigkeit als selbständiger Versicherungsvertreter im Jahr 1999 Vergütungen i.H.v. 321.184,81 DM erhalten hatte. Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens ist dem Kläger mit Schreiben vom 18.10.2004 (zugestellt laut PZU am 26.10.2004) bekannt gegeben worden. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle ermittelte aufgrund der Auskünfte der Versicherung vom November 2004 für die Streitjahre Provisionen in Höhe von 206.037 DM (1998), 321.185 DM (1999), 128.964 DM (2000) und 159.435 DM (2001). Über die erhaltenen Provisionen hatte der Kläger jeweils von der Versicherung nach Abschluss eines Kalenderjahres im nachfolgenden Jahr eine Bescheinigung erhalten.

Weiterhin erhielt der Kläger nach den Ermittlungen der Bußgeld- und Strafsachenstelle im Jahr 1999 Sachzuwendungen im Wert von 16.589,22 DM und im Jahr 2001 Sachzuwendungen im Wert von 8.266,77 DM.

Mit Schreiben vom 17.10.2005 teilte das Finanzamt die Ermittlungsergebnisse dem Klägervertreter mit und forderte zur Abgabe von Steuererklärungen für die Jahre 1998 bis 2001 auf. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichtabgabe von Steuererklärungen in Änderungsbescheiden die gewerblichen Gewinne des Klägers in Höhe von 75% der ermittelten Provisionseinnahmen angesetzt werden würden.

In diesem Zusammenhang teilte der Klägervertreter mit (Schreiben vom 24.10.2005), dass die endgültigen Steuerfestsetzungen nicht aufgrund neuer Tatsachen geändert werden könnten, weil das Finanzamt den zuvor ergangenen Bescheiden Reingewinnschätzungen zugrunde gelegt habe. Neue Tatsachen, die den geschätzten Gewinn beträfen, lägen allein aufgrund der nunmehr festgestellten Provisionseinnahmen nicht vor. Der Kläger arbeite in einem Strukturgewerbe und habe entsprechende Unterprovisionen an "Zuträger" - Vermittler zu zahlen.

Eine Zerlegung der Tatsache (bisher angesetzter) Gewinn in Einnahmen und Ausgaben sei nicht statthaft. Das Finanzamt könne nicht ohne Weiteres eine Gewinnschätzung durch eine andere ersetzen.

Am 03.02.2006 erließ das Finanzamt entsprechend der Ankündigung im Schreiben vom 17.10.2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2001, in denen es die Einkommensteuer 1998 auf 22.076,56 EUR (entspricht 43.178 DM), die Einkommensteuer 1999 auf 49.012,44 EUR (entspricht 95.860 DM), die Einkommensteuer 2000 auf 12.873,31 EUR (entspricht 25.178 DM) und die Einkommensteuer 2001 auf 17.064,88 EUR (entspricht 33.376 DM) erhöhte. Dabei berücksichtigte es Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 154.000 DM (1998), 253.000 DM (1999), 96.000 DM (2000) und 125.000 DM (2001), die im Rahmen einer erneuten Schätzung aus den tatsächlich festgestellten Provisionseinnahmen und Sachzuwendungen unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben in Höhe von 25% der tatsächlichen Einnahmen ermittelt wurden, als nachträglich bekannt gewordene steuererhöhende Tatsache, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

Im Einspruchsverfahren vertrat der Kläger weiterhin die Auffassung, dass eine Änderung der bestandskräftigen endgültigen Steuerbescheide nach den Vorschriften der Abgabenordnung nicht zulässig sei.

Mit Änderungsbescheid vom 06.04.2006 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 1998 auf 21.194,07 EUR (entspricht 41.452 DM) herab. Der Ansatz der gewerblichen Einkünfte blieb dabei unverändert.

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Mit seiner Klage beantragt der Kläger,

die Einkommensteuerbescheide 1999, 2000 und 2001 jeweils vom 03.02.2006, sowie die Einspruchsentscheidung vom 06.04.2006, soweit sie die Jahre 1999 bis 2001 betrifft, aufzuheben.

Darüber hinaus beantragt er,

den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 06.04.2006 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 06.04.2006 insoweit dahin zu ändern, dass die gewerblichen Einkünfte mit 40.000 DM berücksichtigt werden.

Für den Fall des Unterliegens wird die

Zulassung der Revision

beantragt.

Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor:

Die Voraussetzungen einer Änderung wegen neuer Tatsachen hätten nicht vorgelegen.

In den vorangegangenen endgültigen Bescheiden sei nur der Gewinn geschätzt worden. Eine Aufteilung in steuererhöhende Einnahmen einerseits und steuermindernde Ausgaben andererseits sei dabei nicht erfolgt. Eine Änderung nach § 173 AO sei nur zulässig, wenn sich aus der Gesamtwürdigung sowohl der steuererhöhenden als auch der steuermindernden Tatsachen eine höhere Steuer ergebe, als bisher festgesetzt. Folglich könne eine die Änderung rechtfertigende neue Tatsache nur eine vollständig neue Gewinnermittlung sein, die einen von der Schätzung abweichenden Gewinn ausweise. Daran fehle es hier.

Im übrigen habe das Finanzamt bei Erlass der ursprünglichen Schätzungsbescheide seine Ermittlungspflicht verletzt. Ihm sei bekannt gewesen, dass der Kläger Versicherungsvertreter für die X-gesellschaft gewesen sei. Nachdem er für die Streitjahre keine Steuererklärung abgegeben habe, hätte das Finanzamt die Höhe der Provisionseinnahmen mit Hilfe eines Auskunftsersuchens bei der X--AG erfragen können.

Der Kläger habe die ursprünglichen Steuerfestsetzungen aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen in Kauf nehmen müssen, da ihm die finanziellen Mittel zur Erstellung von Bilanzen und Steuererklärungen gefehlt hätten.

Das Finanzamt betragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor:

Da der Kläger keine Steuerklärungen abgegeben habe, habe das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen schätzen müssen. Dabei habe die Schätzung den durch die Umstände gezogenen Rahmen nicht verlassen dürfen, da sie ansonsten rechtswidrig gewesen wäre. Dementsprechend habe sich das Finanzamt bei der Schätzung der gewerblichen Einkünfte an den erklärten Provisionseinnahmen für die Vorjahre orientiert. Nach Aktenlage habe kein Anlass bestanden, von einem sprunghaften Anstieg der Provisionseinnahmen in den Streitjahren auszugehen.

Ein Schätzungsbescheid wegen unterlassener Erklärungsabgabe erfordere grundsätzlich keine weitere Begründung über die Wertangaben hinaus. Eine Aufteilung in Einnahmen und Ausgaben sei nicht erforderlich.

Das Finanzamt sei zur Änderung der endgültigen bestandskräftigen Steuerfestsetzungen für die Streitjahre aufgrund neuer Tatsachen berechtigt gewesen.

Die wesentlich höheren Provisionseinnahmen des Klägers in den Streitjahren seien dem Finanzamt erst nachträglich durch die übersandte Kontrollmitteilung und die nachfolgenden Ermittlungen der Bußgeld- und Strafsachenstelle bekannt geworden und hätten die Grundlage für eine erneute Schätzung gebildet.

Auf eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt könne sich der Kläger nicht berufen, da er seinerseits seiner Mitwirkungspflicht durch Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Streitjahre nicht nachgekommen sei.

Aus den Steuerakten ergibt sich, dass der Kläger in den Vorjahren Erlöse (ohne Eigenverbrauch) wie folgt erklärt hat:

1990: 114.828 DM (davon Provisionen 84.206 DM),

1991: 112.652 DM (davon Provisionen 82.422 DM),

1992: 126.429 DM,

1993: 151.185 DM (davon Provisionen 119.680 DM),

1994: 38.680 DM,

1995: 100.320 DM (davon Provisionen 95.320 DM),

1996: 71.365 DM und

1997: 98.545 DM (davon Provisionen 68.545 DM).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt war berechtigt, unter Berücksichtigung der nachträglich bekannt gewordenen tatsächlichen Provisionseinnahmen des Klägers die gewerblichen Einkünfte erneut zu ermitteln. Die unter Ansatz von geschätzten Betriebsausgaben ermittelte tatsächliche Höhe der gewerblichen Einkünfte ist als nachträglich bekannt gewordene Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO anzusehen.

1. Bei Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 1998 vom 02.03.2006 war die reguläre Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen, da durch die Einleitung des Strafverfahrens gegen den Kläger am 12.10.2004 der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt war, § 171 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO.

Wegen Nichtabgabe der Steuererklärung begann die Festsetzungsfrist für 1998 mit Ablauf des 31.12.2001 (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) und endete mit Ablauf des 31.12.2005 (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Da das Steuerstrafverfahren gegen den Kläger vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist eingeleitet worden war, greift die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO.

2. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können (BFH-Urteil vom 14.05.2003 II R 25/01, BFH/NV 2003, 1395 m. w. N).

a) Ob eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache zu einer Veränderung der Steuerfestsetzung führt, hängt davon ab, von welchen Tatsachen bisher bei der Besteuerung ausgegangen worden ist. Dabei ergeben sich Besonderheiten, wenn die Steuerfestsetzung auf der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen beruht und wenn insbesondere ein Gewinn geschätzt wurde (BFH-Urteile vom 28.03.1985 IV R 159/82, BStBl II 1986, 120 und vom 30.10.1986 III R 163/82, BStBl II 1987, 161).

b) Sind Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart geschätzt worden, ist als nachträglich bekannt gewordene Tatsache die tatsächliche Höhe dieser Einkünfte anzusehen. Es ist nicht gerechtfertigt, diese Einkünfte in steuererhöhende Einnahmen oder Vermögensmehrungen auf der einen und steuermindernde Ausgaben oder Vermögensminderungen auf der anderen Seite aufzuspalten. Denn die Finanzbehörde ist in diesem Fall bei der Veranlagung nicht von bestimmten, die Einkünfte erhöhenden oder mindernden Sachverhalten ausgegangen; es lässt sich deshalb nicht sagen, dass ein nachträglich bekannt gewordener Vorgang zu den bisher berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen hinzugetreten sei und das Besteuerungsergebnis erhöht oder vermindert habe. Da für die Finanzbehörde das Schätzungsergebnis maßgeblich war, ist vielmehr entscheidend, wie sich dieses Ergebnis nunmehr ändert; dabei ist unerheblich, welche Vorstellungen die Behörde hinsichtlich einzelner Schätzungsgrundlagen gehabt hat (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.1991 XI R 28/89, BStBl II 1991, 606 m.w.N.).

c) Diese Besonderheit zeigt sich auch, wenn nach dem Bekanntwerden weiterer Schätzungsgrundlagen die bisherige durch eine neue Schätzung ersetzt werden soll, auch in diesem Fall bedarf es einer Gesamtwürdigung, um festzustellen, ob von der bisherigen Schätzung abgewichen werden soll (BFH-Urteil vom 28.03.1985 IV R 159/82, BStBl II 1986, 120 m.w.N.).

Folglich kann ein Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben oder geändert werden, wenn nachträglich neue Besteuerungsgrundlagen bekannt werden und nach Gesamtwürdigung der Umstände, das heißt aus dem gemeinsamen Ergebnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, festgestellt wird, dass höhere Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart, als bisher geschätzt, vorliegen.

d) Die Behauptung des Klägervertreters, das nachträgliche Bekanntwerden einzelner Besteuerungsgrundlagen - hier die Höhe der tatsächlich in den Streitjahren erzielten Provisionseinnahmen des Klägers - berechtige nach vorangegangener Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen nicht zur erneuten Ermittlung der gewerblichen Einkünfte, kann der erkennende Senat nicht teilen. Sie findet auch keine Grundlage in der ständigen Rechtsprechung des BFH. Die Auffassung des Klägervertreters würde den steuerunehrlichen Steuerpflichtigen, der seinen Mitwirkungspflichten bewusst in keinerlei Weise nachkommt, ungerechtfertigt privilegieren.

Es ist zwar zutreffend, dass bei vorangegangener Schätzung der Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart nicht die einzelne nachträglich bekannt gewordene Besteuerungsgrundlage (hier Provisionen) eine neue Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 AO darstellt, sondern nur das gemeinsame Ergebnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, das heißt die tatsächliche Höhe der Einkünfte dieser Einkunftsart. Allerdings ist das Finanzamt bei nachträglichem Bekanntwerden der tatsächlichen Höhe einzelner Besteuerungsgrundlagen gegebenenfalls berechtigt, zum Teil auch unter erneuter Schätzung weiterer Besteuerungsgrundlagen - auf Grundlage der nachträglich bekannt gewordenen Umstände - die Höhe der Einkünfte der bisher geschätzten Einkunftsart erneut zu ermitteln. Ist die tatsächliche Höhe der so ermittelten Einkünfte höher als bisher geschätzt, liegt eine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

3. Nach der Gesamtwürdigung der Umstände kommt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, dass im Streitfall das Finanzamt nach Kenntnis der tatsächlich erzielten Provisionseinnahmen aus der Tätigkeit des Klägers als Versicherungsvertreter zu einer erneuten Ermittlung der gewerblichen Einkünfte berechtigt war.

In den Jahren 1990 bis 1997 hatte der Kläger Provisionseinnahmen zwischen 38.680 DM (1994) bis 126.492 DM (1992) erklärt. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle ermittelte für die Streitjahre Provisionen zwischen 128.964 DM (2000) und 321.185 DM (1999). Die tatsächlichen Provisionseinnahmen lagen in den Streitjahren wesentlich höher als die in den vorangegangenen Jahren vom Kläger erklärten Provisionen, die neben den außerordentlichen Erträgen einen Anhaltspunkt für die bisherigen Gewinnschätzungen bildeten.

Die tatsächlich erzielten Provisionseinnahmen wurden dem Finanzamt erst nachträglich bekannt und boten Anlass, die Richtigkeit der bisherigen Schätzung zu überprüfen.

Die tatsächlichen Betriebsausgaben für die Streitjahre konnte das Finanzamt nicht ermitteln. Trotz Aufforderung machte der Kläger hierzu keinerlei konkrete Angaben. Auch das parallel laufende Steuerstrafverfahren entbindet den Kläger nicht von der Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren (ständige BFH-Rechtsprechung, zuletzt BFH-Beschluss vom 28.12.2006 VIII B 48/06, in juris unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung).

Damit verblieb dem Finanzamt nur die Möglichkeit, den Gewinn dadurch zu ermitteln, dass es den tatsächlich festgestellten Einnahmen im Verhältnis dazu geschätzte Ausgaben gegenüberstellte.

4. Die erneute Ermittlung der gewerblichen Einkünfte ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Das Finanzamt hat im Streitfall die Betriebsausgaben mit 25% der nachträglich festgestellten Einnahmen angesetzt.

Da viele Kosten auch bei steigenden Gewinnen gleichbleibend anfallen und der Kläger keinerlei Betriebsausgaben nachgewiesen hat, erachtet der erkennende Senat die Schätzung der Höhe der Betriebausgaben als zutreffend. Der Kläger hat weder im Einspruchs- noch im Klageverfahren die Höhe der Schätzung substantiiert angezweifelt. Die Behauptung, der Kläger arbeite in einem Strukturgewerbe und habe entsprechende Unterprovisionen an Zuträger-Vermittler zu zahlen, stellt in diesem Zusammenhang eine reine Schutzbehauptung dar, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt.

Ziel einer Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Die Schätzung muss in sich schlüssig und ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Allerdings liegt es im Wesen der Schätzung, dass die durch sie ermittelten Größen von den tatsächlichen Verhältnissen mehr oder minder abweichen, verbleibende Unsicherheiten gehen insoweit zu Lasten des Steuerpflichtigen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Dies gilt insbesondere, wenn dieser den Anlass für die Schätzung gegeben hat. Die Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten des Klägers durch Nichtabgabe von Steuererklärungen darf nicht zu einer Privilegierung führen. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung muss ein Steuerpflichtiger, der Veranlassung zur Schätzung gibt, es hinnehmen, dass die im Wesen der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen liegende Unsicherheit oder Fehlertoleranz gegen ihn ausschlägt und dass das Finanzamt im Rahmen seines Schätzungsspielraums je nach Einzelfall - insbesondere im Streitfall - bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen wie den Betriebsausgaben an der unteren Grenze bleibt (vgl. Seer, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 162 AO Tz 44 mit Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung).

Die Einlassung des Klägers, ihm sei es aus finanziellen Gründen nicht möglich, Steuererklärungen bzw. Bilanzen zu erstellen, befreit ihn nicht von seinen Mitwirkungspflichten und ist damit unbehelflich.

5. Der Kläger kann auch nicht geltend machen, das Finanzamt sei nach Treu und Glauben wegen Verletzung der Ermittlungspflichten an der Änderung der Bescheide gehindert. Da er keine Steuererklärungen abgegeben hat und damit seinen Mitwirkungspflichten überhaupt nicht nachgekommen ist, war das Finanzamt bei Erlass der Erstbescheide ohne weitere Ermittlungen zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt gewesen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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