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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Saarland
Urteil verkündet am 03.12.2008
Aktenzeichen: 1 K 2374/04
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 88
AO § 90
AO § 173 Abs. 1
EStG § 4 Abs. 4a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts Dr. Schmidt-Liebig als Vorsitzender,

den Richter am Finanzgericht Hardenbicker,

die Richterin am Finanzgericht Hörndler sowie

die ehrenamtlichen Richter Referatsleiter Dipl.-Volkswirt Offermanns und Gärtnermeister Werding

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 3. Dezember 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Der Kläger wohnt in S und betreibt in ... eine Apotheke. Der Beklagte ist für die gesonderte Feststellung des Gewinns zuständig. Der Kläger reichte für die Jahre 1999 bis 2001 jeweils Erklärungen über die gesonderte Gewinnfeststellung ein und fügte Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) bei. Die Bilanzen wiesen in den Streitjahren ein negatives Kapitalkonto aus. Aus Kapitalkontenentwicklungen, die in den Jahresabschlüssen enthalten waren, ist erkennbar, dass das negative Kapital aus Überentnahmen resultierte. Diese betrugen 1999: 102.058,90 DM und 2000: 23.351,12 DM. Die Zinsaufwendungen für kurzfristige Verbindlichkeiten betrugen ausweislich der GuV in 1999 542,86 DM, 2000 203,14 DM, für langfristige Verbindlichkeiten 1999 45.023,79 DM, für 2000 40.363,41 DM. Eine Kürzung der Zinsaufwendungen nach § 4 Abs. 4 a EStG wurde nicht erklärt. Aus den Jahresabschlüssen und den Steuererklärungen war nicht erkennbar, zu welchem Zweck Darlehen aufgenommen worden waren.

Der Beklagte erließ erklärungsgemäße endgültige Gewinnfeststellungsbescheide (für 1999: im August 2000, für 2000 im Juni 2001) ohne Hinzurechnungen nach § 4 Abs. 4a EStG. Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahr 2002 wurde festgestellt, dass die Schuldzinsen für langfristige Verbindlichkeiten unter anderem ein Darlehen über 160.000 DM betrafen, das zur Finanzierung von Lieferantenverbindlichkeiten verwendet wurde. Der Prüfer ermittelte daraufhin auf Grundlage dieser Zinsen sowie von Kontokorrentzinsen Hinzurechnungsbeträge nach § 4 Abs. 4a EStG und zwar für 1999: ... DM und für 2000: ... DM.

Der Beklagte folgte dem und erließ am 22. Mai 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Gewinnfeststellungsbescheide. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, den der Beklagte mit Entscheidung vom 30. September 2004 als unbegründet zurückwies. Am 27. Oktober 2004 erhob der Kläger Klage.

Er beantragt,

unter Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide vom 22. Mai 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 2004 den Gewinn 1999 sowie 2000 jeweils ohne Hinzurechnungen nach § 4 Abs. 4a EStG festzustellen.

Zwar seien in den Feststellungserklärungen keine Hinzurechnungen nach § 4 Abs. 4a EStG erklärt worden, sie seien somit falsch gewesen. Die Änderungsbescheide hätten dennoch nicht ergehen dürfen. § 173 Abs.1 Nr. 1 AO sei nicht anwendbar. Vielmehr handele es sich um einen Subsumtionsfehler des Beklagten.

In den Bilanzen seien allgemeine Schuldzinsen, die nicht auf Anlagevermögen entfielen, mit 10.000 DM für 1999 beziehungsweise 9.000 DM für 2000 ausgewiesen, so dass mit einem flüchtigen Blick ersichtlich gewesen sei, dass aufgrund der hohen Überentnahmen der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4a EStG eröffnet gewesen sei. Der Beklagte habe vermutlich die Konsequenzen nicht richtig gezogen, weil er durch die neue Vorschrift verunsichert oder unerfahren gewesen sei. Wenn der Gesetzgeber derart komplizierte Vorschriften einführe, habe er auch seine ausführenden Beamten entsprechend zu schulen, damit diese die Umsetzung der Steuererklärungen anhand der kalenderjährlich sich ändernden Vorgaben überprüfen. Werde dies auf Seiten des Finanzamts übersehen, könne der Fall im Nachhinein nicht aufgerollt werden. Der dem Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 22. März 2007 (14 K 4079/04, [...]) zugrundeliegende Fall sei nicht vergleichbar, da dort eine (fehlerhafte) Hinzurechnung vorgenommen worden sei.

Es handele sich bei der Frage, wofür die Darlehen verwendet wurden, auch nicht um ein Tatbestandsmerkmal im Sinne des § 4 Abs. 4 a EStG. Daher sei auch die spätere Erkenntnis der Verwendung des Darlehens i.H.v. 160.000 DM für Lieferantenverbindlichkeiten keine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO, sondern völlig unerheblich. § 4 Abs. 4 a S. 5 EStG als den Kläger begünstigender Ausnahmetatbestand stelle kein Merkmal dar, das zur unmittelbaren Berechnung einer etwaigen Überentnahme erforderlich sei.

Sofern der Beklagte darauf hinweise, dass auch die Steuererklärungen unter Verletzung der Mitwirkungspflichten fehlerhaft erstellt worden seien und der Kläger sich daher nicht auf Treu und Glauben berufen könne, sei festzustellen, dass mit dieser Überlegung alle Steuerbescheide geändert werden könnten und die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nur noch Makulatur seien. Der Kläger habe nichts versäumt. Alle Angaben seien vorhanden gewesen. Vielmehr sei der Beklagte seiner Sachverhalts-Aufklärungspflicht nach § 88 AO nicht nachgekommen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Verwendung von Darlehen gehöre zu den tatsächlichen Umständen, die insgesamt zur Ermittlung des Gewinns führten, und sei damit eine Tatsache im Sinne des § 173 AO. Diese sei auch erst nachträglich, nämlich im Rahmen der Betriebsprüfung, bekannt geworden. Sie sei weder aus den Jahresabschlüssen, noch aus den Steuererklärungen ersichtlich gewesen. Das Finanzamt dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in den Steuererklärungen und dem diesen beigefügten Unterlagen in tatsächlicher Hinsicht richtig und vollständig seien. Das gelte zumindest dann, wenn die Erklärungen der Steuerpflichtigen eindeutig und in sich nicht widersprüchlich seien und zudem, wenn bei der Erstellung der Steuererklärung ein Steuerberater mitgewirkt habe. So sei es im Streitfall gewesen. Selbst wenn auch auf Seiten des Finanzamts versäumt worden sei, den Sachverhalt aufzuklären, treffe in diesen Fällen in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen. Die Anwendung von § 173 AO sei dann nicht ausgeschlossen.

Der Kläger hatte ursprünglich auch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2001 Klage erhoben. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 21. Dezember 2004 abgetrennt und unter dem Geschäftszeichen 2 K 240/04 weitergeführt und, nachdem es zunächst geruht hatte, nach Klagerücknahme durch Beschluss vom 7. März 2006 eingestellt worden.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (vgl. Bl. 46) sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet. Der Beklagte durfte die Änderungsbescheide erlassen.

I. Allgemeine Rechtgrundlagen

1. Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 AO

a. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art handeln. Gegenbegriff zur Tatsache ist die Schlussfolgerung (Subsumtion). Eine irrtümlich falsche rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts ist keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BStBl II 2004, 911 m.w.N.).

Nachträglich bekannt werden Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden. Hierbei kommt es nicht auf die Kenntnis des Steuerpflichtigen, sondern allein auf die der Finanzbehörde an. Jeder Stelle innerhalb der Finanzverwaltung ist grundsätzlich das bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Sachbearbeiters ankommt (BFH-Beschluss vom 28. April 2006 VI B 131/05, BFH/NV 2006, 1445 m.w.N.).

b. Eine verbösernde Änderung der Steuerfestsetzung bzw. gesonderten Feststellung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheidet jedoch aus, wenn sie auf Tatsachen gründet, die der Finanzbehörde infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 88 AO) trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerpflichtigen zunächst unbekannt geblieben sind. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht nur, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen, Unklarheiten oder Zweifeln, die sich nach der Sachlage ohne weiteres aufdrängen, nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 12. Juli 2001 VII R 68/00, BStBl II 2002, 44). Ob derartige Zweifel anzunehmen sind, muss das Gericht unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls entscheiden (BFH-Beschluss vom 28. April 2006 VI B 131/05, BFH/NV 2006, 1445).

Ist eine Steuererklärung abgegeben worden, kann die Finanzbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass der steuerlich relevante Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich angegeben ist. Die Finanzbehörde braucht den Angaben des Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen zu begegnen. Die Erklärung muss vielmehr konkrete Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen geben, etwa weil sie erkennbar unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder sich der Finanzbehörde aus anderweitig bekannten Umständen Zweifel an ihrer Richtigkeit hätten aufdrängen müssen.

c. Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift aber andererseits nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegende Mitwirkungspflicht (§ 90 AO) in zumutbarer Weise erfüllt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss vom 28. April 2006 VI B 131/05, BFH/NV 2006, 1445 m.w.N.). Liegen hingegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel die Verantwortung den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteile vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502 m.w.N. und vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BStBl II 2004, 911 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamtes gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH-Urteile vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502; vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585, unter II. 6., m.w.N.).

2. Nichtabziehbare Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG

Gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG (i.d.F. ab 2000, der gemäß § 52 Abs. 11 EStG auch für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden ist) sind bei der Gewinnermittlung Schuldzinsen im Betriebsvermögen nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 des § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit sechs vom Hundert der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (= Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000,- DM / 2050,- Euro verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen. Gemäß § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG bleibt der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens allerdings unberührt. Hier geht die betriebliche Veranlassung vor.

II. Anwendung auf den Streitfall

1. Neue Tatsachen i.S.d. § 173 Abs.1 Nr. 1 AO

Bei der Höhe der Zinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (Investitionszinsen) handelt es sich um eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, die zu einer höheren Steuer führt (vgl. auch FG Düsseldorf vom 22. März 2007, [...]). Denn sie wirkt sich unmittelbar auf die Höhe der nach § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht abziehbaren Zinsen aus und ist damit ein Umstand, der bei der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands des § 4 Abs. 4a EStG zu berücksichtigen ist.

Der Beklagte erlangte erst im Rahmen der Betriebsprüfung im Jahr 2002 und damit nach Bestandskraft der Bescheide Kenntnis darüber, dass nicht alle Zinsaufwendungen auf die Finanzierung von Anlagegütern entfielen. Zu Recht weist der Kläger zwar darauf hin, dass aus den Bilanzen und den Kapitalkontenentwicklungen, die in dem Jahresabschluss dargestellt waren, die Überentnahmen, ebenso wie die gesamten Zinsaufwendungen hervorgingen. In welcher Höhe jedoch in den Zinsaufwendungen Investitionszinsen enthalten waren, ergab sich weder aus dem Jahresabschluss, noch aus den Feststellungserklärungen. Den Einwand des Klägers, in den Bilanzen seien allgemeine Schuldzinsen ausgewiesen, die nicht auf Anlagevermögen entfielen, so dass leicht erkennbar gewesen sei, dass es sich um nicht abziehbare Zinsen i.S.d. § 4 Abs. 4a EStG handelte, kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Schuldzinsen sind im Jahresabschluss nicht - wie der Kläger meint - erläutert. Zwar waren in der Gewinn- und Verlustrechnung auch Zinsen für kurzfristige Verbindlichkeiten ausgewiesen. Aber auch diese könnten der Finanzierung von Anlagegütern gedient haben. Das Anlagevermögen belief sich zum 31. Dezember 1999 auf 405.776 DM. Es war durchaus möglich, dass der gesamte Zinsaufwand seiner Finanzierung diente.

2. Abwägung der Verletzung der Ermittlungspflicht des Beklagten zur Mitwirkungspflicht des Klägers

Der Kläger hat im Rahmen der Feststellungserklärungen keine Kürzung nach § 4 Abs. 4a EStG vorgenommen. Er hat damit bei der Erstellung der Feststellungserklärungen sowohl im Jahr 2000, als auch im Jahr 2001 gegen die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften verstoßen.

Allerdings hat auch der Beklagte seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Denn auch für ihn war auf Grund der im Rahmen der Feststellungserklärung eingereichten Jahresabschlüsse die Höhe der Zinsaufwendungen erkennbar. Er konnte insbesondere anhand der Kapitalkontenentwicklung auch erkennen, dass das negative Kapitalkonto auf Überentnahmen zurückzuführen war. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass er den Angaben des Steuerpflichtigen in den Steuererklärungen zunächst ohne Misstrauen begegnen und hierauf zunächst vertrauen darf, es sei denn, Zweifel drängen sich geradezu auf.

Dennoch Bestand durchaus Anlass, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG war im Jahr 2000, in dem die Klägerin die Feststellungserklärung für 1999 eingereicht hatte, gerade erst (rückwirkend) für das erste Streitjahr, das Veranlagungsjahr 1999, in der geänderten Fassung eingeführt worden. Die neuen Begriffsbestimmungen des § 4 Abs. 4a EStG sowie eine Vielzahl von Einzelfragen, die grundlegend für die Berechnung des Schuldzinsenabzuges sind, waren weitgehend ungeklärt. Das Bundesministerium der Finanzen hatte erstmals mit einem mehrseitigen Erlass vom 22. Mai 2000 (IV C 2-S 2144-60/00) zu der Neuregelung Stellung genommen, erst zu Beginn des Jahres 2003 wurden in der Finanzverwaltung Berechnungsbögen zur Erfassung der für § 4 Abs. 4a EStG relevanten Zahlen erstellt. Es war also keineswegs ausgeschlossen, dass der Kläger die Hinzurechnung allein aus mangelnder Kenntnis unterließ und weniger, weil eine Hinzurechnung tatbestandlich ausschied. Der Beklagte hätte daher die Zinsaufwendungen näher hinterfragen müssen.

Der Beklagte war dennoch nicht gehindert, die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Denn der Verstoß des Finanzamts gegen die Amtsermittlungspflicht überwiegt vorliegend nicht den Verstoß des Klägers gegen die Mitwirkungspflicht.

Der Kläger hatte eine insoweit fehlerhafte Feststellungserklärung eingereicht. Bei der Erstellung der Steuererklärungen bzw. Feststellungserklärungen und auch des Jahresabschlusses hat der Prozessbevollmächtigte als Steuerberater mitgewirkt, wie sich aus dem Stempel bzw. Namensaufdruck ergibt. Umso mehr durfte der Beklagte auf den steuerlichen Sachverstand vertrauen und davon ausgehen, dass der Gewinn entsprechend den geltenden Gewinnermittlungsvorschriften zutreffend ermittelt wurde.

Das FG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 22. März 2007 (14 K 4079/04 F, [...]) in einem ähnlichen Fall die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs.1 Nr. 1 AO bejaht, indem es feststellte, dass die Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Finanzamts die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers im dortigen Verfahren nicht deutlich überwog. Dieses Urteil wurde vom BFH bestätigt (BFH-Beschluss vom 28. Februar 2008 IV B 53/07 und 54/07, BFH/NV 2008, 924). Zu Recht weist der Kläger vorliegend darauf hin, dass im Streitfall - anders als in dem Fall, der der Entscheidung des FG Düsseldorf zugrunde lag - keinerlei und nicht etwa eine fehlerhaft berechnete Hinzurechnung vorgenommen wurde. Selbst wenn man aber hierin einen Umstand sähe, der den Beklagten noch eher zu einer weiteren Überprüfung hätte veranlassen müssen, so ist nicht davon auszugehen, dass die Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Beklagten die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers deutlich überwiegen würde. Auch in dem dortigen Fall hat das Finanzamt einen Fehler in der Steuererklärung übernommen, ohne den Sachverhalt weiter aufzuklären. Auch dort vertraute es den Angaben des Steuerpflichtigen.

Der Senat folgt auch nicht der von dem Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegten Ansicht, der Beklagte habe den Verwendungszweck der Darlehen aus Veranlagungen der Vorjahre gekannt. Es ist bereits unklar, ob der Veranlagungsbearbeiter in den Vorjahren Kenntnis von dem Verwendungszweck der Darlehen erlangt hat; denn diese Kenntnis war vor Einführung des § 4 Abs. 4a EStG für die Steuerfestsetzung/ Gewinnfeststellung nicht erforderlich. Im Übrigen wird man von einem Veranlagungssachbearbeiter bei der Vielzahl der von ihm zu bearbeitenden Fälle nicht erwarten können, dass er sich den Verwendungszweck verschiedener Darlehen merkt. Für den Kläger wäre es hingegen relativ einfach gewesen, den Verwendungszweck der Darlehen in einer Anlage zum Jahresabschluss bzw. zur Steuererklärung anzugeben.

Wenn eine Vorschrift zur Gewinnermittlung neu eingeführt wird, so haben sich sowohl die Beraterschaft als auch die Finanzverwaltung mit ihr vertraut zu machen. Selbst wenn die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG von dem Kläger aus Unkenntnis falsch oder gar nicht angewendet wurde, so war der Fehler aus den eingereichten Unterlagen nicht auf Anhieb zu erkennen. Dem Beklagten fällt damit kein - deutlich - größerer Pflichtverstoß zur Last als dem Kläger. Einer Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stand daher nichts entgegen.

III. Da die Klage unbegründet ist, waren die Kosten des Verfahrens nach § 135 FGO dem Kläger aufzuerlegen. Anhaltspunkte, die Revision nach § 115 FGO zuzulassen, bestanden nicht.

Ende der Entscheidung

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