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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Saarland
Urteil verkündet am 20.10.2009
Aktenzeichen: 2 K 1128/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 2. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Prof. Dr. Peter Bilsdorfer als Vorsitzender,

die Richterinnen am Finanzgericht Hörndler und Dr. Anke Morsch sowie

die ehrenamtlichen Richter Gerhard Güth (geschäftsführender Gesellschafter) und Margit Schäfer (Leiterin Finanzbuchhaltung)

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Einkommensteuerbescheide 2002 vom 22. August 2003 und 2003 vom 3. August 2004, beide in Form der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2007, werden dahingehend geändert, dass weitere Aufwendungen i.H. von 8.286 Euro (2002) und 6.896 Euro (2003) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Berücksichtigung finden. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Einkommensteuer 2002 und 2003 neu zu berechnen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird gestattet, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine Ärztin, ist allein stehend. Sie streitet mit dem Beklagten um die steuerliche Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung.

Bis Herbst 2001 arbeitete die Klägerin im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsvertrages als Ärztin im Fachbereich Psychiatrie und Psychotherapie an der Bezirksklinik R in O. Im Dezember 2001 wechselte sie in das Knappschaftskrankenhaus in S. Der letzterwähnten Tätigkeit lag ein Ausbildungsvertrag mit Befristung bis längstens 31. Dezember 2005 zugrunde (Rbh, Bl. 26 f.). Mit Bestehen der Facharztprüfung für das Fachgebiet Neurologie sollte das Dienstverhältnis (früher) enden.

Während ihrer beruflichen Tätigkeit in S, die zwischenzeitlich beendet worden ist, bewohnte die Klägerin in einem Hotel ein möbiliertes Appartement mit einem Wohn-/Schlafzimmer (ca. 20 qm), einem Bad mit Toilette (ca. 8 qm) sowie einer Küche (ca. 10 qm). Hierfür zahlte sie einschließlich aller Nebenkosten einen monatlichen Betrag von 460 Euro (Rbh, Bl. 64). An ihrem Heimatort in K, der ca. 510 Kilometer von ihrer Arbeitsstelle in S entfernt liegt, steht der Klägerin ein Wohnrecht an einem 12 qm-großen Raum im Haus der Eltern zu (Rbh, Bl. 14, 64). Im Streitjahr 2002 suchte die Klägerin ihren Heimatort sechs Mal für insgesamt 46 Tage und im Streitjahr 2003 zwölf Mal für insgesamt 86 Tage auf (Rbh; Bl. 65 ff.).

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2002 und 2003 machte die Klägerin Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung i.H. von 5.520 Euro (ESt, Bl. 21) bzw. 5.060 Euro (ESt, Bl. 44) als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. In den Einkommensteuerbescheiden vom 22. August 2003 (ESt, Bl. 33) bzw. 3. August 2004 (ESt, Bl. 52) fanden diese Aufwendungen keine Berücksichtigung.

Die hiergegen am 1. September 2003 (Rbh, Bl. 6) und 10. August 2004 (Rbh, Bl. 61) eingelegten Einsprüche wies der zwischenzeitlich zuständig gewordene Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2007 (Rbh, Bl. 123 ff.) als unbegründet zurück. Dabei wurde die Einkommensteuer nach einem entsprechenden Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung auf 17.025 Euro bzw. 18.980 Euro erhöht.

Am 12. März 2007 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1).

Sie beantragt,

die Einkommensteuerbescheide 2002 vom 22. August 2003 und 2003 vom 3. August 2004, beide in Form der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2007, dahingehend zu ändern, dass weitere Aufwendungen i.H. von 8.286 Euro (2002) bzw. 6.896 Euro (2003) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Berücksichtigung finden.

Die Klägerin macht geltend, der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen habe sich in den Streitjahren in K befunden. Dementsprechend müsse die von ihr praktizierte doppelte Haushaltsführung steuerlich berücksichtigt werden (Bl. 35).

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte sieht die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht als gegeben an.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die streitigen Bescheide sind nicht rechtmäßig. Es liegt eine steuerlich relevante doppelte Haushaltsführung vor.

1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

Hausstand im Sinne der Vorschrift ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Unter dem Begriff des Haushalts ist die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen Person zu verstehen. Dabei ist die Wohnung der räumliche Bereich, in dem sich der Haushalt entfaltet.

Ein "eigener" Hausstand erfordert, dass er vom Arbeitnehmer aus eigenem oder abgeleitetem Recht genutzt wird. Der eigene Hausstand muss vom Arbeitnehmer "unterhalten" oder mitunterhalten werden. Unterhalten bedeutet die Führung eines Haushalts. Dazu gehört auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt.

Nach der früheren Rechtsprechung des BFH setzte das Unterhalten des eigenen Hausstands voraus, dass der Arbeitnehmer eine Wohnung besaß, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entsprach und in der auch in seiner beruflich bedingten Abwesenheit hauswirtschaftliches Leben herrschte, das er durch finanzielle und persönliche Mitwirkung maßgeblich mitbestimmte. Der BFH hat diese Rechtsprechung, die grundsätzlich einen Familienhaushalt voraussetzte, mit dem Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BStBl II 1995, 180, aufgegeben. Er vertritt seither die Auffassung, dass der Haupthaushalt auch von einem Alleinstehenden unterhalten, d.h. geführt werden kann. Statt der Forderung nach ununterbrochenem hauswirtschaftlichen Leben kommt es darauf an, dass der nichtverheiratete Arbeitnehmer sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeitsbedingte Abwesenheit und ggf. Urlaubsfahrten, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern in einen fremden Haushalt (z.B. in den der Eltern oder als Gast) eingegliedert ist, so dass von einer eigenen Haushaltsführung nicht gesprochen werden kann (BFH vom 14. Juni 2007 VI R 60/05, BStBl II 2007, 890; vom 25. Februar 2002 VI B 102/08, [...] m.w.N.).

Ein unverheirateter Arbeitnehmer unterhält einen eigenen Hausstand im Sinne der Vorschrift allerdings nur dann, wenn er am Ort seines Lebensmittelpunkts eine eigenständige, seinen Lebensbedürfnissen entsprechende Wohnung aus eigenem oder abgeleitetem Recht nutzen kann. Ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH vom 22. Februar 2001 VI R 192/97, BFH/NV 2001,1111; vom 14. Oktober 2004 VI R 82/02, BStBl II 2005, 98). Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern spricht, je länger die Auswärtstätigkeit dauert, immer mehr dafür, dass die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt wurden und die Heimatwohnung nur noch für Besuchszwecke vorgehalten wird (vgl. BFH vom 9. August 2007 - VI R 10/06, BFH/NV 2007, 1996, vom 10. Februar 2000 - VI R 60/98, BFH/NV 2000, 949). Eine besondere Prüfung, ob der Lebensmittelpunkt gewechselt hat, ist daher angezeigt. Indizien können sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (BFH vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFH/NV 2007, 1996).

2. Anwendung im Streitfall

Im Streitfall ist der Senat der Auffassung, dass die Klägerin in den Streitjahren ihren Lebensmittelpunkt an ihrem Heimatort in K hatte.

Dabei geht der Senat davon aus, dass die Klägerin in K einen eigenen Hausstand unterhalten hat. Sie hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie in dem von ihrer Familie Ende der Neunziger Jahre neu errichteten Einfamilienhaus ausreichend Wohnraum zur Verfügung hatte. Dass sie diesbezüglich nicht dinglich abgesichert war, spielt nach der neueren Rechtsprechung keine Rolle mehr. Dass die Klägerin die Haushaltsführung zumindest mitbestimmt hat, steht zur Überzeugung des Senats fest, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung den Nachweis der Mitfananzierung des Hauses geführt hat.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus ihre Lebens-, Wohn- und Arbeitsweise beschrieben, die nach Auffassung den Schluss erlaubt, dass sich ihr Lebensmittelpunkt in den streitigen Jahren in K befunden hat. So hat die Klägerin geschildert, dass sie außerhalb ihrer Familie nur sehr wenige weitere soziale Kontakte hatte. Diese beschränkten sich über die Familie hinaus auf Freunde und Bekannte in K. Die Klägerin hat glaubhaft dargetan, dass sie insbesondere auch keine privaten Beziehungen zu Arbeitskollegen gepflegt hat. Ihre Aufenthalte am Arbeitsort haben konzentriert ihrer Arbeit gegolten. Soweit neben der beruflichen Tätigkeit freie Zeit zur Verfügung gestanden hat, hat sie diese zum Ausschlafen genutzt. "Freizeit" im Sinne der üblicher "Freizeitgestaltung" (für Sport, Kultur, usw.) hat sie nach ihrer glaubhaften Darstellung nicht gehabt. Wenn es infolge von Sonderdiensten freie Tage ergeben hatten, hat sie diese dazu genutzt, ihre Familie in K aufzusuchen. Auf diese Weise hat sie in den Jahren 2002 bis 2004 46, 86 und 71 Tage in K verbracht. Auch nach der Beschäftigung im Saarland hat sich die Situation grundsätzlich nicht verändert. Sie nutzt jede Möglichkeit, sich in K aufzuhalten. Eine Arbeitsaufnahme im örtlichen Umfeld scheiterte alleine an den nicht vorhandenen Arbeitsstellen für sie als Fachärztin.

Aus diesen Lebensumständen leitet der Senat ab, dass sich der Lebensmittelpunkt der Klägerin in den Jahren ihrer beruflichen Tätigkeit nach wie vor in K befunden hat. Der Senat ist sich dabei bewusst, dass diese Schlussfolgerung alleine auf die besondere Lebenssituation der Klägerin zurück zu führen ist, die offensichtlich durch die Konzentration auf die Bereiche Arbeit und Familie gekennzeichnet ist.

Infolge dessen sind die streitigen Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten bei den von der Klägerin erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen. Dem Beklagten wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgegeben, den sich insoweit ergebenden Steuerbetrag zu errechnen.

3. Die Kosten des Verfahrens waren nach § 135 Abs. 1 FGO dem Beklagten aufzuerlegen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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