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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Saarland
Urteil verkündet am 12.02.2009
Aktenzeichen: 2 K 2058/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 227
AO § 233a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat der 2. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes in Saarbrücken

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Prof. Dr. Peter Bilsdorfer als Vorsitzender,

die Richterin am Finanzgericht Hörndler,

den Richter am Finanzgericht Andre Hardenbicker sowie

die ehrenamtlichen Richterinnen Claudia Bremerstein (Fachassistentin) und Beate Stahl (Unternehmerin)

aufgrund

mündlicher Verhandlung vom 12. Februar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2004 wird der Beklagte verpflichtet, die festgesetzten Zinsen in Höhe von 183.753 EUR wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Die Entscheidung ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Erlass von Nachforderungszinsen, die gemäß § 233a AO auf Körperschaftsteuer angefallen sind.

Die Klägerin ist eine GmbH, die am 11. November 1999 ihr Stammkapital von 2.493.050 DM um 1.500 EUR erhöht hat. Die neue Einlage wurde von der Gesellschaft für Rücklagenmanagement X GmbH (G) für 24.802.000 DM übernommen.

Am 6. Dezember 2000 fassten die Gesellschafter der Klägerin einen Gewinnausschüttungsbeschluss für 1999. Danach erhielt die G am 15. Dezember desselben Jahres eine Ausschüttung i. H. v. 23.148.000 DM brutto (Bl. 22). Am 10. Januar 2001 wurden 5.787.000 DM einbehaltene Kapitalertragsteuer beim Beklagten angemeldet und bezahlt (Bl. 9/23).

Im Körperschaftsteuerbescheid 1999 vom 9. März 2001 wurde die auf Grund der Ausschüttung ermittelte Körperschaftsteuerminderung i. H. v. 4.860.490 DM berücksichtigt und der Klägerin am selben Tag 3.402.512 DM an Körperschaftsteuer erstattet (Bl. 24/Bl. 1 Zins-A).

Am 25. Juli 2001 teilte das für die G zuständige Finanzamt dem Beklagten mit, dass es sich bei der Zahlung an die G nicht um eine Gewinnausschüttung i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG handele. Dementsprechend änderte der Beklagte am 25. Juli 2002 den Körperschaftsteuerbescheid und erhob zugleich Zinsen nach § 233a EStG für 15 Monate i. H. v. insgesamt 183.753 EUR = 359.389,63 DM (Bl. 4 Zins-A). Der Beklagte verrechnete die nachzuzahlende Körperschaftsteuer und die Zinsen am 11. September 2002 mit der gezahlten und zu erstattenden Kapitalertragsteuer (Bl. 9).

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 2. August 2002,

die Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen (Bl. 2). Diesen Antrag wies der Beklagte am 30. Januar 2003 (Bl. 30 f.) ebenso zurück, wie den dagegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2004 (Bl. 37 ff.).

Mit der Klage vom 5. März 2004 beantragt die Klägerin (Bl. 12),

den Bescheid vom 30. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die festgesetzten Zinsen in Höhe von 183.752 EUR wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

Der Sachverhalt sei nicht nur als einheitlicher Lebensvorgang zu werten, es bestehe zudem auch ein steuerrechtlicher Zusammenhang zwischen der Körperschaftsteuer und der Kapitalertragsteuer (Bl. 15). Dem Staat sei durch die gezahlte Kapitalertragsteuer sogar ein Liquiditätsvorteil entstanden. Zum einen seien rund 500.000 EUR mehr an Kapitalertragsteuer abgeführt worden als die Körperschaftsteuerdifferenz betrage (Bl. 18), zum anderen sei diese Zahlung auch noch zwei Monate früher erfolgt als die Körperschaftsteuererstattung auf Grund der Herstellung der Ausschüttungsbelastung. Daher habe eine Verrechnungsstundungssituation bestanden, so dass die Ermessensentscheidung des Beklagten rechtswidrig und der Ermessensspielraum auf Null reduziert sei. Zweck des § 233a AO sei es, Liquiditätsvorteile abzuschöpfen, die vorliegend aber gerade nicht gegeben gewesen seien. Zudem habe der Beklagte die für die Zinsentstehung relevanten Umstände selbst mitveranlasst, da er erst nach Mitteilung des für die G zuständigen Finanzamtes die Umqualifizierung vorgenommen habe, obwohl ihm alle Umstände bereits zuvor bekannt gewesen seien. Die Klägerin habe - mangels Gewinnausschüttung - mit der "Kapitalertragsteuer" gerade keine fremden Gelder abgeführt und sei damit von Anfang an Gläubigerin des Erstattungsanspruchs gewesen (Bl. 48 ff.)

Der Beklagte beantragt (Bl. 46),

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Ermessensentscheidung sei rechtmäßig. Eine Aufrechnung sei zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen, da eine Aufrechnung nach § 387 BGB erst zulässig sei, sobald der Aufrechnende die ihm gebührende Leistung habe fordern können. Dies sei der Zeitpunkt gewesen, in dem die Körperschaftsteuernachforderung fällig geworden sei (Bl. 40). Der Wegfall des Rechtsgrundes ändere nicht die Art der zu Unrecht entrichteten Steuer. Es handele sich bei dem Kapitalertragsteuererstattungsanspruch nicht um einen Erstattungsanspruch aus dem Steuerschuldverhältnis der Klägerin, da Gläubiger dieses Anspruchs die Gläubiger der Kapitalerträge seien (Bl. 42 ff.). Da nach § 233a AO eine Verzinsung der Kapitalertragsteuer nicht vorgesehen sei, würde der begehrte Erlass gegen den klaren Willen des Gesetzgebers verstoßen. Zudem habe die Klägerin dadurch, dass sie sich der Rechtsansicht angeschlossen habe, bei der Zahlung an die G handele es sich nicht um eine Gewinnausschüttung, deutlich gemacht, dass sie bereits zuvor gewillt gewesen sei, das Risiko der steuerlichen Nichtanerkennung der von ihr gewählten Konstruktion einzugehen.

Dem Senat hat 1 Band Rechtsbehelfsakte vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte hat rechtsfehlerhaft den Erlass der Zinsen abgelehnt, obwohl bei der vorliegenden Konstellation der Erlass geboten ist und kein Ermessensspielraum für eine andere Entscheidung verbleibt.

1. Die Entscheidung über ein Erlassbegehren aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 i.V.m. § 121 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297, vom 31. März 2004 X R 25/03, BFH/NV 2004, 1212).

Eine fehlerfreie Ermessensausübung erfordert, dass der Beklagte seiner Entscheidung den richtigen und vollständigen Sachverhalt zugrunde legt und alle Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art einbezieht, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind. Eine hier allein geltend gemachte und in Betracht kommende sachliche Unbilligkeit setzt voraus, dass die Einziehung der in Frage stehenden Beträge mit Rücksicht auf die den einschlägigen abgabenrechtlichen Vorschriften zugrunde liegenden Zwecke nicht mehr zu rechtfertigen ist (BFH vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BStBl II 1977, 125) oder dass sie den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BStBl II 1985, 489). Bei der Billigkeitsprüfung müssen grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der Besteuerungstatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BStBl II 1985, 489, vom 9. Mai 2007 XI R 2/06, BFH/NV 2007, 1622; Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 227 AO Tz. 20, m.w.N.).

Hinsichtlich der Nachzahlungszinsen nach § 233a EStG ist geklärt, dass sie lediglich eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung darstellen und dafür die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall unbeachtlich sind die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrages ausreicht die Rechtfertigung nicht nur im abstrakten Zinsvorteil des Steuerschuldners, sondern auch in einem ebensolchen Nachteil des Steuergläubigers zu sehen ein Verschulden auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses prinzipiell irrelevant ist (BFH vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505 m.w.N.) und ebenso, dass für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung kein Raum ist, wenn zweifelsfrei feststeht, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hatte und festgesetzte Nachzahlungszinsen dann wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind (BFH vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, a.a.O., m.w.N.).

2. Die streitigen Nachzahlungszinsen sind zu erlassen, da der Klägerin durch die verspätete Festsetzung der Körperschaftsteuer tatsächlich kein Zinsvorteil entstanden ist.

Der Beklagte hat zwar einerseits am 11. September 2002 (Bl. 9) die Körperschaftsteuerschuld mit dem Kapitalerstragsteuer-Erstattungs-anspruch der Klägerin verrechnet (§ 226 AO). Andererseits hat er einen für die Prüfung der Frage des Zinsvor- und -nachteils relevanten Gegenanspruch der Klägerin verneint, da es sich nicht um einen eigenen Anspruch der Klägerin gehandelt habe.

Wenn aber eine Aufrechnung zulässig und möglich war, muss auch eine Aufrechnungslage bestanden haben. Denn eine Aufrechnung setzt das Bestehen einer Aufrechnungslage voraus, d.h. das Bestehen gegenseitiger gleichartiger Ansprüche. Der Anspruch, gegen den aufgerechnet wird, muss rechtswirksam bestehen. Auf die Fälligkeit oder die deklaratorische Festsetzung durch einen Steuerbescheid kommt es nicht an (Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO § 226 AO Rdnr. 32).

Anders als der Beklagte hat der BFH im Urteil vom 14. Juli 2004 I R 100/03 (BStBl II 2005, 31) auch zur Kapitalertragsteuer festgestellt, dass nach § 37 Abs. 2 Abs. 2 AO grundsätzlich derjenige erstattungsberechtigt ist, auf dessen Rechnung ohne rechtlichen Grund die Zahlung der Steuer bewirkt worden ist. Die Bestimmung in § 44b Abs. 5 Satz 2 EStG führt über § 44b Abs. 4 Satz 1 und § 44 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG zum Vergütungsschuldner, der Klägerin.

Der Umstand, dass der Erstattungsanspruch geltend gemacht werden muss, ändert nichts an dieser Beurteilung. Denn wegen des fehlenden Rechtsgrundes bestand der Erstattungsanspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach von Anfang an. Nachdem das für die G zuständige Finanzamt auf das Nichtvorliegen von Kapitalerträgen hingewiesen hatte, bestand sogar nicht einmal die Gefahr, dass aus formalen Gründen ein anderer von der Kapitalertragsteuererstattung Gebrauch machen könnte.

Das Bestehen der Aufrechnungslage und die Aufrechnung sind auch nicht anders zu beurteilen, weil der BFH inzwischen mit Urteil vom 28. Juni 2006 I R 97/05 (BFH/NV 2006, 2207) die damals von der Klägerin und der G gewählte Konstruktion in einem anderen Fall für rechtmäßig erachtet hat. Denn die Beteiligten sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass keine Gewinne ausgeschüttet worden sind. Aus welchen Motiven die Klägerin die anderslautende, vom Beklagten übernommene Rechtsauffassung des für die G zuständigen Finanzamts akzeptiert hat, ist dafür ohne Belang.

Einem Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber eine Verzinsung der Kapitalertragsteuer nach § 233a AO nicht vorgesehen hat. Denn vorliegend wird nicht die Verzinsung der Kapitalertragsteuer geltend gemacht, sondern (nur) der Erlass der Zinsen, die der Klägerin für einen Betrag berechnet worden sind, der dem Fiskus in - mehr als - gleicher Höhe im selben Zeitraum zur Verfügung stand. Der Gesetzgeber hat unbillige Ausnahmefälle bei seinen grundsätzlichen Wertungen gerade nicht bedacht.

Die gesamte Situation führt dazu, dass allein ein Erlass der Nachzahlungszinsen die zutreffende Entscheidung darstellt (Ermessensreduzierung auf Null). Dementsprechend war nicht lediglich die Entscheidung des Beklagten aufzuheben. Vielmehr war dieser zu verpflichten, den Erlass der Zinsen auszusprechen.

3. Da die Klage Erfolg hat, ergeht die Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 1 FGO zu Lasten des Beklagten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Für die Zulassung der Revision sah der Senat keine Veranlassung, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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