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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 15.09.2008
Aktenzeichen: 1 K 698/08
Rechtsgebiete: AO, AFG


Vorschriften:

AO § 34 Abs. 3
AO § 69
AO § 191 Abs. 1
AFG §§ 141a ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt

1 K 698/08

Haftung für Steuern

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 1. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. September 2008

durch

den Präsidenten des Finanzgerichts Karl als Vorsitzenden,

die Richterin am Finanzgericht Gehlhaar,

den Richter am Finanzgericht Keilig,

den ehrenamtlichen Richter Bauersfeld und

den ehrenamtlichen Richter Winkler

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 30. Juli 1999 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 16. Juli 2001 wird insoweit aufgehoben, als er Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer sowie Säumniszuschläge des Monats August 1996 betrifft.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 4/5, der Beklagte zu 1/5.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger - der Steuerberater ist - in seiner Funktion als Sequester für nicht abgeführte Lohnsteuern der Fa. ... haften muss.

Das Amtsgericht ..., Abteilung Gesamtvollstreckung, ordnete mit Beschluss vom ..., in dem Verfahren zur Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der ... die Sequestration an. Der Beschluss hat folgenden Wortlaut:

"Gegen die Schuldnerin wird ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen. Ihr wird insbesondere untersagt, Gegenstände ihres Vermögens zu veräußern, zu belasten und Forderungen einzuziehen. Die Schuldnerin bzw. ihre vertretungsberechtigten Organe können Willenserklärungen nur zusammen mit dem Sequester abgeben.

Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens stehen nur dem Sequester zu. Die Schuldnerin hat sich insoweit jeglicher Verfügungen zu enthalten.

Der Sequester soll das vollstreckungsbefangene Vermögen der Schuldnerin in Verwahrung und Verwaltung nehmen sowie Außenstände einziehen und auf ein von ihm einzurichtendes Anderkonto nehmen.

Der Sequester ist insbesondere befugt, ohne Mitwirkung der Schuldnerin von dessen Banken die Auskehrung/Überweisung von evtl. Konto-Guthaben auf das eingerichtete Anderkonto zu verlangen und diese Gelder dort zu sichern und zu verwahren.

Der Sequester wird ermächtigt, die eingezogenen Gelder für die Fortführung des Betriebes der Schuldnerin zu verwenden.

Der Sequester wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Gericht, Verhandlungen mit den in § 4 Abs. 1 GesO genannten Stellen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zu führen."

Gleichzeitig wurde der Sequester beauftragt, ein Sachverständigengutachten zu erstatten.

In der Folgezeit wurde der Betrieb bis zur Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 01. Dezember 1996, für das der Kläger zum Verwalter bestellt wurde, fortgeführt.

Mit Lohnsteueranmeldungen vom 09. Mai 1996, 11. Juni 1996, 10. Juli 1996, 09. August 1996 und 02. September 1996 wurden für den Zeitraum April bis August 1996 Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mit jeweils 0,00 DM mit dem Hinweis auf Konkursausfallgeld angemeldet. Die Anmeldungen trugen den Stempel der Gemeinschuldnerin sowie die Unterschrift "i.A. ...". Ein gesonderter Hinweis auf die Sequestration war nicht enthalten.

Mit Anmeldungen vom 21. Januar 1997 wurden die Lohnsteueranmeldungen der streitigen Monate berichtigt und nunmehr Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für 45 bzw. 46 beschäftigte Arbeitnehmer angemeldet. Die berichtigten Anmeldungen enthielten wieder den Stempel der Gemeinschuldnerin, die Unterschrift "i.A. ..." und - obwohl zwischenzeitlich das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden war - keinen gesonderten Hinweis auf die Verwaltung oder das Verfahren.

In den Lohnsteuerkarten 1996 der Arbeitnehmer wurden getrennt für den Zeitraum 01. Januar - 31. August gezahlte Bruttoarbeitslöhne und einbehaltene Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer bzw. Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag, für den Zeitraum 01. September - 30. November Konkursausfallgeld und für die Zeitraum 01. - 31. Dezember wieder Löhne, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bescheinigt. Die Karten tragen den Stempel der Gemeinschuldnerin und die Unterschrift "i.A. ...".

Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 06. November 1998 nahm der Beklagte mit Haftungsbescheid vom 30. Juli 1999 den Kläger für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Säumniszuschläge für den Zeitraum April bis August 1996 in Höhe von insgesamt ... DM persönlich nach § 191 Abs. 1 i.V.m. §§ 34, 69 Abgabenordnung (AO) in Haftung. Hierbei ging der Beklagte davon aus, dass der Kläger als Sequester der Gemeinschuldnerin Person im Sinne des § 34 Abs. 3 AO sei, die Pflichten des Arbeitgebers übernommen und durch die Nichtabführung der Lohnsteuer eine Pflichtverletzung begangen habe.

Mit Schreiben vom 05. August 1999 legte der Kläger Einspruch ein. Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 16. Juli 2001 als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die am 14. August 2001 erhobene Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, dass er kein Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO gewesen sei, da ihm nicht die umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unter vollständiger Verdrängung der Schuldnerin verliehen worden sei. Dies sei jedoch für eine Vermögensverwaltung unabdingbar. Durch den Sequestrationsbeschluss des Amtsgerichts ... sei ausdrücklich entschieden worden, dass die Schuldnerin bzw. ihre vertretungsberechtigten Organe Willenserklärungen nur gemeinsam mit dem Sequester abgeben könnten. Somit habe die Schuldnerin weiterhin Rechte besessen.

Darüber hinaus habe die Gemeinschuldnerin keine Löhne gezahlt, da die Arbeitnehmer ihre Nettolohnansprüche im streitbefangenen Zeitraum im Wege der Konkursausfallgeldvorfinanzierung monatsweise regressfrei an die ...Bank verkauft und Ansprüche gegen die Arbeitsverwaltung an die ...Bank abgetreten hätten. Da Konkursausfallgeld nur für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Verfahrens gezahlt werde, so dass gegebenenfalls ältere Monate aus dem Konkursausfallgeld herausfielen und eine entsprechende an die vorfinanzierende Bank abgetretene Sicherheit gegen die Arbeitsverwaltung wegfalle, gehöre es zur Praxis der Konkursausfallgeldvorfinanzierung, dass die Gemeinschuldnerin die von der Bank für die Nettolohnansprüche des betreffenden Monats gezahlten Entgelte an die Bank erstatte und die Bank die Nettolohnansprüche für den neuen Monat vorfinanziere. Erst mit der Zahlung der Gemeinschuldnerin an die vorfinanzierende Bank entstehe die Lohnsteuerpflicht. Dementsprechend habe die Gemeinschuldnerin für die später aus dem Konkursausfallgeld herausgefallenen Monate zunächst Lohnsteuer 0,00 DM angemeldet und später für die entsprechenden Monate Berichtigungsmeldungen abgegeben. Den Berichtigungsmeldungen entsprächen dann auch die von der Gemeinschuldnerin ausgestellten Lohnsteuerkarten, wobei der Kläger darauf hinweist, dass ggf. fehlerhaft erstellte Lohnsteuerkarten erst nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erstellt worden seien und hieraus keine Schlussfolgerungen für seine evtl. Haftung als Sequester gezogen werden dürften.

Eine Verpflichtung der Gemeinschuldnerin bzw. des Klägers, wenn er Vermögensverwalter gewesen wäre, zu einer Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer für die Monate April bis August 1996 könne daher nicht sogleich im jeweiligen Folgemonat, sondern erst drei Monate nach Ablauf des jeweiligen Monats entstanden sein. Dies sei entscheidend für die Frage der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit.

Letztlich scheitere es nach Ansicht des Klägers an der Pflichtwidrigkeit des Handelns als Sequester, da eine gegebenenfalls vorgenommene Abführung der Lohnsteuern nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens durch den Verwalter nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) hätte angefochten werden können, so dass dem Beklagten kein Schaden entstanden sei. Es fehle daher an einer Pflichtwidrigkeit und auch das Vorrecht des Fiskus nach § 17 GesO ändere nichts an der Möglichkeit der Anfechtung.

Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in der Vergangenheit entschieden habe, dass die Haftung bei möglicher Insolvenzanfechtung und bei Betrachtung eines hypothetischen Kausalverlaufes nicht entfalle, hätten sich diese Urteile ausschließlich auf die Haftung eines Geschäftsführers im Insolvenzfalle bezogen und könnten nicht auf den Kläger als Sequester in einem Gesamtvollstreckungsverfahren übertragen werden. Bei der Sequestration sei es praktisch sicher, dass das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet werde. Weiter erfolge die Nichtabführung der Lohnsteuern - anders als in den entschiedenen Fällen - nicht vor dem Insolvenzantrag, sondern immer nach Antragstellung und sei damit den Finanzämtern auch bekannt. Damit sei die Anfechtung nach den einschlägigen Anfechtungsvorschriften ein "Selbstgänger". Es sei sicher, dass der Verwalter nach Eröffnung seine Lohnsteuerzahlung anfechte, weil dies seiner Amtspflicht zur Massemehrung entspreche und er sich anderenfalls der Gläubigergesamtheit gegenüber haftbar machen würde. Daher sei im vorliegenden Fall weder die Eröffnung noch die erfolgreiche Anfechtung der Lohnsteuerzahlung unsicher und mit einem Prognoserisiko behaftet. Beides stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Eine entsprechende Prognoseentscheidung sei aber bei Erlass des Haftungsbescheides zu treffen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beklagte jedoch keine Prognoseentscheidung mehr vornehmen können, da das Gesamtvollstreckungsverfahren zwischenzeitlich eröffnet worden sei.

Es könne auch davon ausgegangen werden, dass der Beklagte vom Gesamtvollstreckungsantrag gewusst habe. Es sei sicher, dass der Beklagte das, was er vom Sequester verlange, alsbald wieder herausgeben müsse, so dass ein entsprechendes Verlangen rechtsmissbräuchlich wäre.

Der Beklagte hätte daher nach Ansicht des Klägers die Forderungen zur Tabelle anmelden müssen. Es könne nicht sein, dass der Beklagte über die Haftungsinanspruchnahme mehr erhalte als im Fall der Forderungsanmeldung innerhalb eines eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahrens. Dies widerspreche dem Zweck des Gesamtvollstreckungsverfahrens.

Weiter ist der Kläger der Ansicht, dass, selbst wenn man eine Haftung bejahen würde, sich der Beklagte nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Mitschuld entgegenhalten lassen müsse, da er in Kenntnis der Nichtabführung der Steuern den Kläger nicht aufgefordert habe, Lohnsteuern abzuführen, und diese Schuld im Verhältnis zu einer evtl. Pflichtverletzung des Klägers überwiege.

Der Kläger beantragt

den Haftungsbescheid vom 30. Juli 1999 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 16. Juli 2001 aufzuheben,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Nach Auffassung des Beklagten oblag allein dem Kläger nach Anordnung des allgemeinen Veräußerungs- und Verfügungsverbotes die Vermögensverwaltung für die Gemeinschuldnerin. Weiter sei mit der Auszahlung der Löhne an die Arbeitnehmer - unabhängig von der Finanzierungsform - Lohnsteuer entstanden und habe der Kläger durch die Nichtabführung der Lohnsteuer eine Pflichtverletzung begangen.

Soweit der Kläger die Anfechtungsmöglichkeit der Lohnsteuerzahlung nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens problematisiert, folgt ihm der Beklagte nicht. Der Schutzzweck des § 69 AO schließe hypothetische Kausalverläufe aus. Insoweit verweist der Beklagte auf die Urteile des BFH vom 05.06.07 - VII R 65/05, 04.12.07 - VII R 18/06, 19.09.07 - VII R 40/05 , 19.09.07 - VII R 39/05. Deshalb entfalle die Haftung des Klägers nicht durch die Annahme einer hypothetischen Anfechtung. Der Haftungsanspruch solle den Geschäftsführer bzw. Sequester zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten anhalten und das Steueraufkommen durch Rückgriffsmöglichkeiten sichern. Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt der Pflichtverletzung und nicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens. Zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung sei nicht sicher gewesen, ob das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet werden könne. Es habe weder ausgeschlossen werden können, dass nicht genügend Masse vorhanden sei noch dass eine solche erwirtschaftet oder wieder verloren gehe. Zudem sei die Anfechtungsprüfung nach der Gesamtvollstreckungsordnung eine Rückbetrachtung und keine Prognoseentscheidung. Darüber hinaus könnte durch die Anfechtung eine strafbewehrte Handlungspflicht - eine solche sei die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer - unterlaufen werden. Letztlich habe nach § 17 GesO wegen der Erfüllung der Forderungen ein Vorrecht des Fiskus bestanden.

Dem Senat haben die Haftungsakte und die Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum April bis August 1996 der ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur insoweit begründet, als der Beklagte den Kläger für nicht abgeführte Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Säumniszuschläge des Monats August 1996 in Haftung genommen hat. Im Übrigen ist der Haftungsbescheid zu Recht ergangen.

Der Kläger haftet als Vermögensverwalter nach §§ 191 Abs. 1, 34 Abs. 3, 69 AO für die nicht abgeführten Lohnsteuern, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuern und Säumniszuschläge der Monate April bis Juli 1996.

Der Kläger war Vermögensverwalter im Sinne von § 34 Abs. 3 AO.

Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen und die Steuern aus den verwalteten Mitteln zu entrichten, § 34 Abs. 3 AO. Der Beschluss des Amtsgerichts ... sah ein umfassendes Verwaltungs- und Verfügungsverbot der Gemeinschuldnerin mit korrespondierenden Rechten des Klägers als Sequester vor. Insbesondere wurde er ermächtigt, den Betrieb fortzuführen und eingezogene Gelder zu verwenden. Die Gemeinschuldnerin konnte Willenserklärungen nur zusammen mit dem Kläger abgeben, so dass er umfassende Verfügungsmöglichkeiten hatte, denen keine eigenständigen Rechte der Gemeinschuldnerin mehr gegenüber standen. Damit hatte der Kläger die Gemeinschuldnerin vollständig verdrängt, denn ohne den Sequester bzw. dessen Zustimmung war die Schuldnerin handlungsunfähig.

Zwar soll die Stellung des Sequesters nicht die einer Partei kraft Amtes sein und zum Verwalter ein "wesensgleiches Minus" darstellen, doch richten sich seine Aufgaben nach der Aufgabenübertragung durch das Gericht (Rattunde in Smid, Gesamtvollstreckungsordnung, § 8 Rz. 158 f.). Im Streitfall ist die Aufgabenübertragung sehr weitgehend und der heutigen Stellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.v. § 22 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) vergleichbar. Dieser ist Person i.S.v. § 34 Abs. 3 AO (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, 109. Ergänzungslieferung, Stand April 2006, § 34 Rz. 14, 25, vgl. auch BFH Beschluss vom 15.03.2007 - III B 178/05, BFH/NV 2007, 1178).

Eine Haftung des Klägers kommt nur insoweit in Betracht, wie innerhalb seines Verantwortungszeitraumes als Sequester Lohnsteuererklärungen abzugeben und Steuern abzuführen waren.

Hierbei geht der Senat - dem Kläger grundsätzlich folgend - davon aus, dass nur originäre Lohnzahlungen zu einer Erklärungs- und Abführungspflicht führen. Solange die Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin Konkursausfallgeld nach §§ 141a ff. Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erhalten haben, war dieses nach § 3 Nr. 2 EStG 1996 steuerfrei. Die Zahlungen des Konkursausfallgeldes begannen im April 1996. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Konkursausfallgeld nach § 141 b Abs. 1 AFG nur drei Monate vor Verfahrenseröffnung gezahlt wird, ist zunächst keine Lohnsteuererklärungs- und -abführungspflicht entstanden.

Soweit eine finanzierende Bank der Gemeinschuldnerin ein Darlehen zur Begleichung der Arbeitslöhne gewährt und zur Sicherheit die Ansprüche der Arbeitnehmer an das Arbeitsamt auf Zahlung eines Konkursausfallgeldes an die Bank abgetreten werden, entsteht bei Zahlung nach Ansicht des Senats noch kein Arbeitslohn. Eigentlicher Darlehensrückzahler des gewährten Darlehens ist in dieser Konstellation das Arbeitsamt. Die Zahlungen an die Arbeitnehmer stellen damit keinen Arbeitslohn, sondern gleichsam die Gewährung eines Darlehens der Bank an die Arbeitnehmer dar. Solange die Vorfinanzierung über zu erwartendes Konkursausfallgeld erfolgt, in der Regel maximal drei Monate, kann daher keine Lohnzahlung angenommen werden.

Nach Auffassung des Senats kommt es nicht darauf an, dass die Leistungsansprüche der Arbeitnehmer aufgrund der Weiterarbeit grundsätzlich Arbeitslohncharakter haben und die Vereinbarungen der Arbeitnehmer mit der finanzierenden Bank in Ziffer 1 ausführen: "Ich ... habe Ansprüche laut Lohnabrechnung gegen die Firma auf Auszahlung von Lohn für die Zeit vom ... bis ... in Höhe von ...". Im Zeitraum der Konkursausfallgeldvorfinanzierung über Darlehen ist der tatsächliche Rechtsgrund der Zahlung in der Darlehensgewährung zu sehen. Diese überlagert die zugrunde liegenden Ansprüche auf Lohnzahlungen aus dem Arbeitsvertrag.

Erst nach Ablauf von drei Monaten kommt es zu einer revolvierenden Finanzierung und zur Zahlung von Arbeitslohn. In der Regel verlangt nunmehr die Bank die Erstattung der gezahlten Löhne des ersten Monats durch die Gemeinschuldnerin. Dies erfolgt durch Zugriff auf die vorhandenen Vermögenswerte, die vom Sequester / Verwalter in der Zwischenzeit erwirtschaftet wurden. Erst zu diesem Zeitpunkt wird nach Ansicht des Senats Arbeitslohn (indirekt) vom Arbeitgeber (über die finanzierende Bank) an die Arbeitnehmer ausgezahlt.

Mit einer dreimonatigen Verzögerung entsteht sodann nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die Lohnsteuer und nach § 41a EStG die Pflicht zur Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer. Erst die Zahlung des Arbeitslohnes - insoweit erfolgt eine Umqualifizierung von steuerfreien Konkursausfallgeldzahlungen in Arbeitslohn - löst die Lohnsteuerpflicht aus. Dies betrifft im Streitfall den Zeitraum April bis August 1996. Von September bis November 1996 erfolgte ausschließlich die Konkursausfallgeldzahlung.

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger in seiner Funktion als Sequester die jeweils nach drei Monaten fällig werdenden Ausgleichszahlungen an die finanzierende Vereins- und Westbank gezahlt hat. So stellt es der Kläger auch in seinem Schriftsatz vom 16. Januar 2002 (Bl. 50 Finanzgerichtsakte) dar und erklärte es der Mitarbeiter des Klägers auf telefonische Nachfrage des Beklagten (Bl. 12 Lohnsteueranmeldungen). Der Senat lässt dahingestellt, welche Zahlungsflüsse im Einzelnen und zu welchen Zeitpunkten erfolgt sind. Zwar war der Kläger nach der ersten mündlichen Verhandlung am 18. August 2005 mit Auflagenbeschluss aufgefordert worden, die in den Lohnsteuerkarten vorgenommenen Berechnungen für 1996 im Einzelnen zu erläutern. Hierzu hat er jedoch nur allgemein Stellung genommen, ohne die zugrunde liegenden Daten und Zahlungen im Einzelnen darzustellen. Es erscheint allerdings unwahrscheinlich, dass die vorfinanzierende Bank auf die Zahlungen verzichtet haben könnte. Da somit Lohnzahlungen jeweils mit dreimonatiger Verzögerung erfolgt sind, ist nach § 38 Abs. 1 EStG auch Lohnsteuer entstanden.

Der Senat ist davon überzeugt, dass sowohl in den Lohnsteueranmeldungen als auch in den Lohnsteuerkarten die Gemeinschuldnerin (im Auftrage bzw. unter Überwachung des Klägers) die arbeitsvertraglich geschuldeten Löhne und Steuern angegeben hat. Abgetreten haben die Arbeitnehmer an die Bank dagegen nur Nettolohnansprüche. Da auch nur insoweit Darlehen gewährt wurden, ist des Weiteren davon auszugehen, dass die Gemeinschuldnerin / der Kläger als Sequester nach Ablauf des 3-Monats-Zeitraumes auch nur das Darlehen in Höhe der Nettolöhne ausgeglichen hat. Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer wurden jedoch zu keinem Zeitpunkt an den Beklagten abgeführt. Maßstab für die Berechnung der Steuern ist daher der arbeitsvertraglich geschuldete Bruttolohn. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass die Arbeitnehmer auf weitere Zahlungen verzichtet haben, so dass die angemeldeten Steuern abzuführen waren.

Nach § 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraumes die einzubehaltende und zu übernehmende Lohnsteuer dem Betriebsstättenfinanzamt anzumelden. Der Kläger war in seiner Funktion als Sequester mit umfassenden Verfügungs- und Verwaltungsrechten und als Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO verpflichtet, diese Anmeldungen abzugeben. Soweit die Gemeinschuldnerin im Auftrag des Klägers zunächst Lohnsteueranmeldungen mit 0 DM abgegeben hat, war dies richtig, da zunächst steuerfreies Konkursausfallgeld gezahlt worden war. Spätestens nach Ablauf des 3-Monats-Zeitraums und der eintretenden revolvierenden Konkursausfallgeldvorfinanzierung hätten jedoch innerhalb der gesetzlichen Frist Berichtigungen der abgegebenen Anmeldungen erfolgen müssen. Die Lohnsteueranmeldung April 1996 hätte demnach spätestens zum 10. August 1996 berichtigt werden müssen, da im Juli 1996 feststand, dass die revolvierende Vorfinanzierung zum Tragen kam und damit im Juli die Lohnzahlungen für April 1996 geleistet wurden. Dies gilt entsprechend für die nachfolgenden Monate. Eine Berichtigung der Anmeldungen erfolgte jedoch erst zum 22. Januar 1997 und damit wesentlich verspätet. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, dass zum 01. Dezember 1996 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden war.

Die Lohnsteueranmeldungen hätten bereits während des laufenden Sequestrationsverfahrens durch den Kläger berichtigt werden müssen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger in seiner Funktion als Sequester über mehrere Monate die Abgabe der Lohnsteueranmeldungen nicht kontrolliert hat. Ansonsten hätte ihm auffallen müssen, dass Berichtigungen vorzunehmen waren. Hierin liegt insgesamt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers.

Der Kläger verweist insoweit nur auf eine angeblich übliche Praxis, dass erst nach Eröffnung des Verfahrens die alten Lohnsteueranmeldungen berichtigt werden. Eine "allgemein übliche Praxis" schließt eine Pflichtverletzung jedoch nicht aus. Insoweit ist zu beachten, dass Sequestrationsverfahren oder vorläufige Insolvenzverfahren teilweise mehrere Monate andauern können, so dass ein Abwarten auf eine irgendwann erfolgende Eröffnung eines Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverfahrens nicht zulässig ist. Die gesetzlichen Fristen des § 41a EStG sind eindeutig und auch im Gesamtvollstreckungs-, Sequestrations- oder Insolvenzverfahren nicht abdingbar. Kommt es zu einer Änderung der tatsächlichen Sachverhalte, sind die bereits abgegebenen Lohnsteueranmeldungen zwingend fristgemäß zu berichtigen.

Nach § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraumes die im Anmeldungszeitraum einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen. Eine Abführung der angemeldeten Lohnsteuern erfolgte im Streitfall jedoch zu keinem Zeitpunkt. Damit hat der Kläger die Verpflichtung, für die rechtzeitige Entrichtung der angemeldeten Lohnsteuerbeträge aus den von ihm verwalteten Mitteln der Gemeinschuldnerin zu sorgen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verletzt die Nichtabführung der angemeldeten (oder korrekterweise anzumeldenden) Lohnsteuer im Allgemeinen ohne weiteres die Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Person, dafür zu sorgen, dass die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet wird. Die Verletzung dieser Pflicht ist regelmäßig schuldhaft (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 20. April 1982, VII R 96/79, BStBl II 1982, 521, 522). Die pflichtwidrige Nichtabgabe der zu berichtigenden Lohnsteueranmeldungen setzt sich nachfolgend in der pflichtwidrigen Nichtabführung der Lohnsteuer fort.

Gleichzeitig hat der Kläger jedoch auch keine Lohnsteuer bei den Lohnzahlungen einbehalten, da lediglich die Nettolöhne ausgezahlt worden sind. Dies entlastet den Kläger nicht. Der Kläger kann sich nicht damit entschuldigen, dass die der Gemeinschuldnerin zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der angemeldeten Steuern neben den übrigen Ausgaben nicht ausreichten. Der Gemeinschuldnerin standen zumindest die an die Arbeitnehmer ausgezahlten Löhne zur Verfügung. Wenn die vorhandenen Gelder der Gemeinschuldnerin für die Abführung der auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht reichten, durfte ein verantwortlicher gesetzlicher Vertreter die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen und musste die entsprechende Lohnsteuer dann aus den übrigbleibenden Mitteln an den Beklagten abführen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Juli 1983, VII B 19/83, BStBl II 1983, 655 m.w.N.). Eine Auszahlung der ungekürzten Nettolöhne unter Außerachtlassung der Lohnsteuerabführungspflicht führt zwingend zu einer Pflichtverletzung, für die der Arbeitgeber und für ihn verantwortlich handelnd der Kläger in Haftung genommen werden konnte, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Die Nichtabführung der Lohnsteuer erfolgte schuldhaft. Dem Kläger als Steuerberater sind die gesetzlichen Lohnsteuervorschriften bekannt. Anhaltspunkte für ein Entfallen der Pflichtwidrigkeit oder des Verschuldens sind nicht ersichtlich. Weder sind maßgebliche Änderungen der gesetzlichen Vorschriften eingetreten noch kam es zu einer Änderung der diesbezüglichen Rechtsprechung, so dass weder von Unwissenheit noch von der Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt ausgegangen werden kann.

Die in der Nichtentrichtung der anzumeldenden und abzuführenden Lohnsteuer liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den zu erhebenden Schuldvorwurf (vgl. BFH Beschluss vom 25.07.03, VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540, m.w.N.).

Der Zeitraum, für den der Kläger in Haftung genommen werden kann, ist jedoch einzuschränken. Die Berichtigung der Lohnsteuer August 1996 hätte bis zum 10. Dezember 1996 erfolgen müssen. Mit Beginn des Novembers 1996 war für den Kläger erkennbar, dass die revolvierende Finanzierung der Augustlohnzahlungen eintrat. Geht man davon aus, dass im Laufe des Monats November die Zahlung der Gemeinschuldnerin an die Bank für August geleistet wurde, hätte in der darauffolgenden Lohnsteueranmeldung die Berichtigung vorgenommen werden müssen. Mit Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 01. Dezember 1996 war der Kläger als Sequester jedoch von seinen Verpflichtungen befreit, so dass eine Haftung insoweit nicht mehr in Betracht kommt.

Soweit der Beklagte den Kläger somit für die Steuern auf die Lohnzahlungen des Monats August 1996 in Haftung genommen hat, ist die Klage begründet, im Übrigen jedoch nicht.

Soweit der Beklagte Säumniszuschläge nach § 240 AO festgesetzt hat, verbleibt es bei der Festsetzung für die Monate April bis Juli 1996. Der Beklagte hat die Säumniszuschläge ab Abgabe der berichtigten Lohnsteueranmeldungen im Januar 1997 festgesetzt. Die oben dargestellte Verschiebung des Zeitraumes der möglichen Haftungsinanspruchnahme hat damit auf die Höhe der festgesetzten Säumniszuschläge der verbleibenden Monate keine Auswirkungen. Da zudem die Steuer nicht entrichtet worden ist, war der Beklagte grundsätzlich berechtigt, Säumniszuschläge festzusetzen.

Auf die Frage, ob die Lohnsteuerzahlungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechtbar waren, mit der Folge eines Entfallens der Kausalität der Pflichtwidrigkeit, kommt es nicht an, da eine Anfechtung tatsächlich nicht erfolgt ist. Sie wäre zudem nicht möglich gewesen, da keine anfechtbaren Rechtshandlungen vorlagen. Weder hat die Gemeinschuldnerin bzw. für sie handelnd der Kläger als Sequester eine Lohnsteueranmeldung mit anzumeldenden Lohnsteuern abgegeben, noch sind zu irgendeinem Zeitpunkt überhaupt Lohnsteuern an den Beklagten abgeführt worden.

Der BFH hat in seinen Urteilen vom 05.06.07, VII R 65/05, BStBl. II 2008, 273; 04.12.07, VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521; 19.09.07, VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18, eindeutig entschieden, dass unter dem Schutzzweck des § 69 AO hypothetische Kausalverläufe unbeachtlich sind. Der BFH will an tatsächliche Sachverhalte für Besteuerungszwecke anknüpfen. Dem folgt der Senat.

Diese Urteile sind zwar alle zur Haftung von Geschäftsführern ergangen - und nicht zu der eines Sequesters -, doch ist nicht ersichtlich, dass im Fall eines Sequesters bei pflichtwidriger Nichtabführung anzumeldender Lohnsteuern von der Beurteilung des BFH abzuweichen wäre. Das Argument des Klägers hinsichtlich der fehlenden Vergleichbarkeit des hiesigen Streitfalles mit den vom BFH entschiedenen Fällen sieht der Senat nicht.

Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der geschuldeten Lohnsteuerbeträge entstandenen Vermögensschadens besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Gesamtvollstreckungsverwalter evtl. hätte anfechten können.

Der nach der BFH-Rechtsprechung erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ist nur dann nicht mehr gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind (vgl. BFH Urteil vom 6.03.01, VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100, m.w.N.). Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die Gemeinschuldnerin nicht mehr in der Lage gewesen sein könnte, die Steuern zu entrichten. Zumindest hat sie ungekürzte Nettolöhne ausgezahlt, was für eine grundsätzliche Zahlungsfähigkeit spricht.

Von den Fällen des tatsächlichen Unvermögens zur fristgerechten Entrichtung der geschuldeten Steuerbeträge zu unterscheiden sind die Fälle der sonstigen Reserveursachen. Bei der sog. hypothetischen Kausalität handelt es sich um die Frage, ob eine Ausgleichspflicht des Schädigers bzw. Haftenden allein deshalb entfällt, weil der verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten bzw. nicht zu vermeiden gewesen wäre.

Durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so dass die Kausalität dieser Ursache für den Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung nicht rückwirkend beseitigt werden kann. Es bleibt dabei, dass durch die Pflichtverletzung des Haftungsschuldners dem Fiskus ein diesem geschuldeter Abgabenbetrag vorenthalten worden ist.

Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und eine wertende Beurteilung lassen es nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besitzt § 69 AO Schadensersatzcharakter (vgl. BFH Urteil vom 01.08.00, VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271 ;vom 05.03.91, VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678; vom 26.07.88, VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859; vgl. auch Begründung des Entwurfs für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis § 86, in Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen verursacht worden sind. Die auf § 69 AO gestützte Haftung begründet eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung vergleichbar ist (vgl. BFH Beschluss vom 02.11.01, VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73).

Durch den in § 69 AO normierten Haftungsanspruch soll der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden.

Das Erreichen dieser Ziele würde durch die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe gefährdet. Denn ein gesetzlicher Vertreter könnte innerhalb des möglichen Anfechtungszeitraumes die Erfüllung der ihm als Vertreter obliegenden steuerlichen Pflichten mit dem Hinweis vernachlässigen, dass, wenn er Steuerzahlungen vornähme, diese ohnehin der Anfechtung ausgesetzt wären, und er infolgedessen auch nicht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der pflichtwidrigen Nichtzahlung des geschuldeten Abgabenbetrages keine zuverlässige Feststellung darüber getroffen werden kann, ob es tatsächlich zur Eröffnung des Verfahrens kommen wird und ob im Falle der Eröffnung eines solchen Verfahrens eine Anfechtung überhaupt erfolgen und auch erfolgreich sein würde. Denn zum einen ist es nicht auszuschließen, dass ein Verwalter auch nach Eröffnung des Verfahrens von bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht; zum anderen kann eine Anfechtung daran scheitern, dass das Finanzamt die Umstände nicht kannte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen.

Es kommt auch nicht auf die Argumentation des Klägers bezüglich einer Prognoseentscheidung an. Selbst wenn bei angeordneter Sequestration bzw. nach Zahlung von Konkursausfallgeld und einer entsprechenden Vorfinanzierung die Verfahrenseröffnung in der Regel erfolgt, muss dies nicht immer der Fall sein. Es kann z.B. auch während des laufenden Sequestrationsverfahrens festgestellt worden sein, dass keine Überschuldung der Gemeinschuldnerin vorlag oder im Rahmen der Sequestration Vergleichsverhandlungen erfolgreich waren. In diesen Fällen wäre es nicht zur Verfahrenseröffnung gekommen (und damit auch nicht zu einer möglichen Anfechtbarkeit vorheriger Handlungen).

Bei einer Berücksichtigung von möglichen Anfechtungstatbeständen wäre die Durchsetzung des Haftungsanspruchs mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Denn das Finanzamt müsste beim Erlass des Haftungsbescheides und der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens eine Prognoseentscheidung treffen und die Möglichkeit und die Erfolgsaussichten einer Ausübung von Anfechtungsrechten prüfen. Eine solche Überprüfung wäre nur dann entbehrlich, wenn es zur Eröffnung des Verfahrens überhaupt nicht kommt. Denn wie der BFH bereits entschieden hat (BFH Beschluss vom 23.04.07, VII B 92/06, BFH/NV 2007, 1736), kommt die Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen ohnehin nicht in Betracht, wenn das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens mangels Masse ablehnt. Zwischen Antragstellung und Bescheidung des Antrags kann jedoch ein längerer Zeitraum verstreichen. Die zur Durchsetzung des Haftungsanspruchs erforderliche Handlungsfähigkeit des Finanzamtes wäre in unzumutbarer Weise eingeschränkt, wenn es verpflichtet wäre, die Beendigung des Eröffnungsverfahrens abzuwarten, bevor gegen den Vertreter ein Haftungsbescheid erlassen werden könnte. Aber auch das Erfordernis einer Prognoseentscheidung über das evtl. Vorliegen der normierten Anfechtungsvoraussetzungen würde die Durchführung des Haftungsverfahrens erheblich erschweren und die Funktion der Haftungsvorschrift für diesen Zeitraum in Frage stellen. Neben dem Sicherungszweck sprechen somit auch Effektivitätsgesichtspunkte und Praktikabilitätserwägungen dafür, bei der Anwendung von § 69 AO hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der Schadenszurechnung unberücksichtigt zu lassen. (Vgl. BFH Urteil vom 19.09.07, VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18).

Eine Berücksichtigung evtl. fiktiver Lohnkürzungen im Rahmen der Bemessung der Haftungssumme kommt ebenfalls nicht in Betracht. Entscheidend ist, dass die Löhne im Streitfall ungekürzt ausbezahlt worden sind, und dass der Kläger die darauf entfallende Lohnsteuer nicht an den Beklagten abgeführt hat. Die Entstehung der Lohnsteuer im Zeitpunkt des Lohnzuflusses (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) und die in der unterlassenen Lohnkürzung liegende Pflichtwidrigkeit können durch die bloße Annahme einer an sich gebotenen Lohnkürzung nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Die Pflichtwidrigkeit des Klägers liegt hier in der Nichtanmeldung und Nichtabführung der Lohnsteuern nach Ablauf des 3-Monatszeitraumes. Dies muss sich der Kläger in seiner Funktion als Sequester zurechnen lassen.

Die Annahme eines - überwiegenden - Mitverschuldens des Finanzamtes dadurch, dass es nicht darauf hingewiesen hat, dass Lohnsteuern abgeführt werden müssen, und dass dieses Verschulden die Pflichtverletzung des Klägers überwiege, ist abwegig. Dem Kläger dürfte bekannt gewesen sein, dass man Steuern anmelden und abführen muss. Er ist von Beruf Steuerberater.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden. Revisionsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich. Der Senat folgt im Übrigen der aktuellen Rechtsprechung des BFH zu hypothetischen Kausalverläufen in Haftungsfällen. Die diesbezüglichen Grundsatzfragen sind durch den BFH bereits entschieden worden. Darüber hinaus handelt es sich bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit Sequestrationen um ausgelaufenes Recht.

Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Ende der Entscheidung

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