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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 30.07.2008
Aktenzeichen: 2 K 1957/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 62
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt

2 K 1957/03

Lohnsteuerhaftung

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 2. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. Juli 2008

durch

den Vizepräsidenten des Finanzgerichts Weber als Vorsitzender,

die Richterin am Finanzgericht Dr. Leingang-Ludolph,

den Richter am Finanzgericht Schulz,

den ehrenamtlichen Richter Herr ... und

den ehrenamtlichen Richter Herr ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 4. Juli 2001 und der Einspruchsbescheid vom 7. Oktober 2003 werden - soweit nicht in der heutigen mündlichen Verhandlung eine Rücknahme erfolgt ist - aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten nur noch über die Steuerfreiheit (§ 3 Nr. 62 Einkommensteuergesetz - EStG -) von Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers zur Kranken- und Pflegeversicherung des Gesellschafter-Geschäftsführers der Klägerin.

Der Gesellschafter-Geschäftsführer war in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Zeit (Mai 1997 bis März 2001) zu 24% am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Neben dem Gesellschafter-Geschäftsführer waren die in Z. wohnhafte Frau I. R. (mit 52%) sowie deren in W. wohnhafte Tochter Frau G. R. (mit 24%) am Stammkapital der Klägerin beteiligt. Der Geschäftsführertätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers lag der Geschäftsführervertrag vom 02. Mai 1991 zugrunde; wegen des Inhalts dieses Vertrages wird auf die in den Akten des Beklagten (FA) befindliche Fotokopie des Vertrages Bezug genommen.

Offenbar in Anwendung von § 6 Absatz 1 Buchstabe b des erwähnten Vertrages zahlte die Klägerin dem Gesellschafter-Geschäftsführer in der Zeit vom 01. Mai 1997 bis 31. März 2001 Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 16.179,75 DM; die Klägerin behandelte diese Zuschüsse gemäß § 3 Nr. 62 EStG als steuerfrei. Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung für den Zeitraum vom 01. Mai 1997 bis zum 31. März 2001 gelangte die Prüferin u.a. zu der Auffassung, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer beherrschenden Einfluss auf die Klägerin habe und deswegen sozialversicherungsrechtlich nicht als Arbeitsnehmer anzusehen sei; die Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung des Gesellschafter-Geschäftsführers seien deswegen zu Unrecht steuerfrei behandelt worden. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung wird auf den in den Akten des FA befindlichen Bericht vom 05. Juni 2001 Bezug genommen. Das FA folgte den Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung - in dem hier in Rede stehenden Punkt sowie auch in den übrigen Punkten - in vollem Umfang und erließ gegenüber der Klägerin am 04. Juli 2001 einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 21.473,08 DM.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens hat der Vertreter des FA in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2008 erklärt, er werde den angefochtenen Haftungsbescheid soweit zurücknehmen, als der Haftungsbetrag auf anderen Feststellungen - nämlich der Privatnutzung des der Klägerin gehörenden PKW Audi A 6 sowie auf der fehlenden Inanspruchnahme des Gesellschafter-Geschäftsführers für Lohnsteuern in Höhe von 16.789,- DM - beruhe. Insoweit haben die Prozessbeteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Im Übrigen hat die Klägerin zur Begründung der Klage im Wesentlichen vorgetragen, der Gesellschafter-Geschäftsführer sei während des hier in Rede stehenden Prüfungszeitraumes sozialversicherungsrechtlich als ihr Arbeitnehmer anzusehen. Zwar habe die Techniker Krankenkasse mit Schreiben vom 01. Juli 1994 sowie die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt mit Schreiben vom 24. Juli 1998 die Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers bei ihr, der Klägerin, als nicht sozialversicherungspflichtig eingestuft; diese Bescheide seien jedoch bisher nicht bestandskräftig geworden.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid über Lohnsteuer pp. vom 04. Juli 2001 und den Einspruchsbescheid vom 07. Oktober 2003 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA steht auf dem Standpunkt, dass die Techniker Krankenkasse und die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt festgestellt hätten, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. Die Entscheidungen der zuständigen Sozialversicherungsträger seien nicht offenkundig rechtswidrig; deswegen sei das FA daran gebunden. Im Übrigen habe die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt dem FA in zwei Telefonauskünften vom 11. Juli 2008 bzw. vom 14. Juli 2008 bestätigt, dass der Bescheid der Landesversicherungsanstalt vom 24. Juli 1998 bestandskräftig sei.

Im Übrigen sei die Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers für die Klägerin als selbständig einzustufen, obwohl der Kläger am Stammkapital nur mit 24% beteiligt gewesen sei. Denn der Gesellschafter-Geschäftsführer sei vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB befreit gewesen, er habe seine Arbeit uneingeschränkt gestalten und ausführen können und sei nur bei bestimmten Handlungen von einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung abhängig gewesen. Er habe einen Anspruch auf "angemessenen" Urlaub gehabt, ohne dass die Dauer des Urlaubs im Geschäftsführervertrag genau geregelt gewesen sei. Der Gesellschafter-Geschäftsführer habe ein Unternehmerrisiko getragen, da seine Beteiligung an eventuellen Gewinnausschüttungen auf jeweils 50% festgelegt gewesen sei; außerdem habe er durch seine Sachkunde und seine Nähe zum Betrieb erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen seiner beiden Mitgesellschafterinnen gehabt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Haftungsbescheid verletzt die Klägerin auch insoweit in ihren Rechten, als der Vertreter des FA in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2008 nicht seine Bereitschaft zur (teilweisen) Rücknahme des Haftungsbescheides erklärt hat. Im Einzelnen:

Die von der Klägerin getragenen Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung ihres Gesellschafter-Geschäftsführers sind vom FA zu unrecht als steuerpflichtiger Arbeitslohn angesehen worden. Richtigerweise handelt es sich bei diesen Zuschüssen vielmehr um gemäß § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Leistungen des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung ihres Arbeitnehmers. Zwar haben die Techniker Krankenkasse (mit Bescheid vom 01. Juli 1994) sowie die Landesversicherungsanstalt Sachen-Anhalt (mit Bescheid vom 24. Juli 1998) jeweils festgestellt, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand. Diese Entscheidungen sind jedoch nach Auffassung des Senats für die steuerrechtliche Beurteilung nicht bindend. Deswegen kann es auch dahingestellt bleiben, ob - was zwischen den Beteiligten streitig ist - der Bescheid der Landesversicherungsanstalt zwischenzeitlich bestandskräftig geworden ist. Denn Bescheide der Sozialversicherungsbehörden über die (sozialversicherungsrechtliche) Frage der Sozialversicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses haben keine unmittelbare Rechtswirkung für das Besteuerungsverfahren (BFH-Urteil vom 06. Juni 2002, VI R 178/97, BStBl II 2003, 34). Zwar hat der BFH in der zitierten Entscheidung ebenfalls ausgeführt, "Rechtsakte anderer Verwaltungen (müssten) von den Finanzbehörden grundsätzlich respektiert werden, sofern sie nicht offensichtlich rechtswidrig" seien. Der Senat steht jedoch auf dem Standpunkt, dass es für eine derartige grundsätzliche Beachtung von Entscheidungen der Sozialverwaltungsbehörden keine rechtliche Grundlage gibt. Deswegen obliegt den Finanzbehörden - und im Falle eines entsprechenden Klageverfahrens den Finanzgerichten - die eigenständige Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses.

Vor diesem Hintergrund gelangt der Senat zu der Auffassung, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer in dem vorliegend in Rede stehenden Zeitraum (01. Mai 1997 bis 31. März 2001) sich bei der Klägerin in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befand. Mit seiner Beteiligung von 24% am Stammkapital der Klägerin besaß der Gesellschafter-Geschäftsführer keinen beherrschenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft; der Gesellschafter-Geschäftsführer konnte damit insbesondere Beschlüsse der Gesellschafter zu ungunsten seines Geschäftsführer-Vertragsverhältnisses nicht verhindern. Auch ergibt sich die Berechtigung und Verpflichtung des Gesellschafter-Geschäftsführers zur Tätigkeit für die Gesellschaft nicht aus dem Gesellschaftsvertrag sondern vielmehr aus dem bereits erwähnten Geschäftsführervertrag. Weiterhin trägt der Gesellschafter-Geschäftsführer auch kein Unternehmerrisiko, weil die Vergütung für seine Geschäftsführertätigkeit nach dem Geschäftsführervertrag weder vom Gewinn und Verlust der Klägerin abhängig ist noch die Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit ausschließlich durch einen den Beteiligungsanteil des Gesellschafter-Geschäftsführers übersteigenden Gewinnanteil vergütet wird; vielmehr steht dem Gesellschafter-Geschäftsführer nach § 6 des Geschäftsführervertrages ein Festgehalt und darüber hinaus eine den Beteiligungsanteil übersteigende Gewinnbeteiligung von 50% zu. Da der Gesellschafter-Geschäftsführer vorliegend nicht unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Klägerin zu haften hat, kommt auch unter dem Aspekt der unbeschränkten Haftung für Verbindlichkeiten die Annahme des Vorliegens eines Unternehmerrisikos nicht in Betracht.

Die vom FA im Laufe des gerichtlichen Verfahrens angeführten Umstände führen demgegenüber zu keinem anderen Ergebnis. So ist es insbesondere für die Frage des maßgeblichen Einflusses des Gesellschafter-Geschäftsführers auf die Geschicke der Klägerin ohne Bedeutung, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer Einzelgeschäftsführungsbefugnis besaß und von dem Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB befreit war; denn diese Befugnisse konnten von den Mehrheitsgesellschafterinnen jederzeit frei geändert werden. Auch die übrigen vom FA herangezogenen Merkmale der Ausgestaltung der Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers (freie Gestaltung der Tätigkeit insbesondere hinsichtlich der Arbeitszeit, Zustimmungserfordernis der Gesellschafter nur bei grundlegenden Entscheidungen, Anspruch auf "angemessenen" Jahresurlaub) rechtfertigen nach Auffassung des Senats nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers; denn auch insoweit handelte es sich um Umstände, deren Fortdauer ebenfalls von dem Willen der Mehrheitsgesellschafter abhängig war. Schließlich lässt sich der maßgebliche Einfluss des Gesellschafter-Geschäftsführers auf die Geschicke der Klägerin auch nicht damit begründen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer eine erhebliche Nähe zum Betrieb der Klägerin besaß und erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der (Mehrheits-) Gesellschafterinnen nehmen konnte. Denn es stand den Mehrheitsgesellschafterinnen jederzeit frei, sich anderweitig entsprechende Sachkunde zu verschaffen und so ihre Interessen bei der Klägerin durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Absatz 1, 138 Absatz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO); die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Absatz 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision war gemäß § 115 Absatz 2 Nr. 2 (2. Alternative) FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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