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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 06.05.2008
Aktenzeichen: 4 K 397/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt

4 K 397/04

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 4. Senat -

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Mai 2008

durch

den Richter am Finanzgericht ... als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Kindergeld für das im September 1980 geborene, seit seiner Geburt gehörlose Kind M.

Das Kind M. besuchte zunächst eine Gehörlosenschule und erlernte im Anschluss hieran vom 01. September 1997 bis zum 31. August 2000 den Beruf der Beiköchin. Nach dieser Ausbildung war sie zunächst arbeitslos und dann vom 11. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2001 als Köchin tätig. Ab Januar 2002 bezog sie zwei Monate Insolvenzgeld und bis zum 04. August 2002 Arbeitslosengeld. Seit dem 05. August 2002 arbeitet sie als Küchenhilfe in einer Fleischerei.

Nach dem vorgelegten Schwerbehindertenausweis ist für das Kind mit Wirkung ab dem 20. Januar 1993 ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden. Außerdem ist in dem Schwerbehinderausweis ab dem 20. Januar 1993 das Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Zahlung von Rundfunk- und Fernsehgebühren) und - allerdings nur für den Zeitraum vom 20. Januar 1993 bis zum 31. Oktober 2000 - das Merkzeichen "H" (Hilflosigkeit im Sinne von § 33 b des Einkommensteuergesetzes) angebracht. Die Feststellung des Merkzeichens "H" ist nach dem Bescheid des Amtes für Versorgung und Soziales vom 18. Oktober 2000 aufgehoben worden, weil nach Abschluss der Gehörlosenschule und der Ausbildung die Voraussetzungen hierfür insoweit nicht mehr vorlägen. Seit dem 01. Juli 2001 ist das Merkzeichen "GL" (Gehörlosigkeit im Sinne des § 145 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) eingetragen.

Die Klägerin beantragte unter dem 21. April 2003 bei den Kreiskliniken A.-S. Kindergeld für ihre Tochter M. und gab hierzu an, dass ihre Tochter einen eigenen Haushalt in D. unterhalte, weil sie dort als Beiköchin tätig sei. Die Arbeitszeit betrage 25 Wochenstunden. Nach der von den Kreiskliniken A.-S. eingeholten Stellungnahme der Reha/SB-Stelle bei dem Arbeitsamt P. vom 06. Oktober 2003 ist die Tochter der Klägerin in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Die Kreiskliniken A.-S. lehnten daraufhin den Antrag der Klägerin auf Festsetzung des Kindergeldes mit Bescheid vom 21. Oktober 2003 für den Zeitraum vom 01. Februar 2001 bis zum 31. Dezember 2003 ab mit der Begründung, dass die Behinderung des Kindes nicht Ursache für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bzw. für Teilzeit-Arbeitsverträge sei.

Zur Begründung ihres dagegen gerichteten Einspruchs wies die Klägerin auf das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen: II 370/98) vom 14. Januar 1999 und den Beschluss des Bundesfinanzhofes (Aktenzeichen: XI B 143/00) vom 29. Juni 2001 hin. Die Klägerin führte aus, dass ihre Tochter aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht mit Menschen kommunizieren könne, die keine entsprechenden Kenntnisse (Gebärdensprache) hätten, so dass schon unter diesem Gesichtspunkt eine Erwerbstätigkeit unter üblichen Bedingungen ausgeschlossen sei. Dies sei auch daran ablesbar, dass die Gebärdensprache zum 01. Juli 2001 als Amtsprache eingeführt worden sei (§ 19 Abs. 1 SGB X). Die Kreiskliniken A.-S. wiesen den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2004 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 03. März 2004 Klage erhoben.

Sie macht geltend, schon die Ausbildung ihrer Tochter sei nicht unter den normalen Bedingungen des Arbeitsmarktes erfolgt, sondern in einem Bildungswerk für Hör- und Sprachgeschädigte. Sie sei von ihrem derzeitigen Arbeitgeber nur deshalb eingestellt worden, weil dieser aus Mitteln des ... Arbeitsmarktprogramms zum Abbau der Arbeitslosigkeit einen Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen erhalte.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Kreiskliniken A.-S. vom 21. Oktober 2003 und deren Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum ab Februar 2001 für ihre Tochter M. Kindergeld in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hierzu führt er aus, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes setzte voraus, dass das Kind nach den Gesamtumständen des Einzelfalls wegen seiner Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Es müsse mithin objektiv unmöglich sein, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Diese Voraussetzungen seien angesichts der erfolgten Ausbildung des Kindes und dessen hierauf aufbauenden beruflichen Werdeganges nicht erfüllt. Dass dem Arbeitgeber ein Eingliederungszuschuss gewährt worden sei, sei kein Kriterium dafür, dass das Kind infolge seiner Behinderung nicht in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten.

Dem erkennenden Gericht hat bei der Entscheidung ein Band Kindergeldakten einschließlich des Einspruchsvorganges der Kreiskliniken A.-S. vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Über die Klage entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, denn der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Januar 2006 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

I.

Infolge eines gesetzlichen Parteiwechsels richtet sich die Klage gegen die Familienkasse M., denn die Kreiskliniken A.-S. führen aufgrund eines Rechtsformwechsels zur GmbH seit dem 01. April 2005 keine (eigene) Familienkasse mehr. Deren Aufgaben werden seitdem von der Familienkasse M. wahrgenommen, die deshalb an die Stelle der Kreiskliniken A.-S. tritt.

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Kreiskliniken A.-S. vom 21. Oktober 2003 und deren Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 und 4 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung sind die §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Danach wird Kindergeld festgesetzt für Kinder, die - unter anderem - die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG erfüllen. Danach steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil deren Tochter nicht nach § 32 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden kann.

In diesem Zusammenhang ist die Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG über die Berücksichtigung von arbeitslosen Kindern von vornherein ausgeschlossen, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit nach Vollendung des 21. Lebensjahres - wie hier von Januar 2002 bis August 2002 - nach dieser Bestimmung nicht berücksichtigt werden können.

Denkbar erscheint allenfalls die Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.

Nach dieser Bestimmung wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, kindergeldrechtlich berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Anspruchsvoraussetzungen sind mithin zum einen, dass das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und zum anderen, dass die Behinderung hierfür ursächlich ist.

Ein Kind ist außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind nicht über andere Einkünfte und Bezüge verfügt [BFH, Urteil vom 26. November 2003 - VIII R 32/02 - BStBl. II 2004, S. 588 (589), Urteil vom 14. Juni 1996 - III R 13/94 - BStBl. II 1997, S. 173 (174 f.)]. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stellt nicht allein darauf ab, dass ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; vielmehr muss es wegen seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Ist das Kind trotz seiner Behinderung in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung folglich keine Bedeutung zu (BFH, Urteil vom 15. Oktober 1999 - VI R 183/97 - BStBl. II 2000, S. 72 f.).

1) Hiernach ist die Berücksichtigung bei der Festsetzung von Kindergeld schon deshalb ausgeschlossen, weil die Tochter der Klägerin einer Erwerbstätigkeit als Beiköchin nachgeht und deshalb in der Lage ist, selbst für ihren Lebensunterhalt Sorge zu tragen.

Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung angeführt hat, dass die Klägerin ihre Tochter unterstütze, mag diese Unterstützung auch in Form finanzieller Zuwendungen erfolgen. Kindergeldrechtlich ist dies jedoch unerheblich, da - wie bereits ausgeführt - § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG voraussetzt, dass die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und diese Voraussetzung im Streitfall nicht erfüllt ist.

Geht das behinderte Kind einer Erwerbstätigkeit nach, schließt dieser Umstand zwar nicht aus, dass die durch diese Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte nur eine bescheidene Lebensführung ermöglichen und sich die Eltern des Kindes deshalb veranlasst sehen, das Kind (ggf. auch finanziell) zu unterstützen. Eine derartige Situation dürfte auch im Streitfall gegeben sein, denn die Tochter der Klägerin hat - nach Aktenlage - bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 oder 30 Stunden Einkünfte erzielt in Höhe von brutto 16.122,60 DM im Jahre 2001 und brutto 7.800,00 Euro im Jahre 2003. Diese Beträge genügen allenfalls knapp, um den Lebensbedarf eines behinderten Kindes zu decken.

Orientiert man sich hinsichtlich des existenziellen Grundbedarfs an dem in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG festgelegten Grenzbetrag [14.040,00 DM für 2001 bzw. 7.188,00 Euro] (vgl. hierzu auch: Dürr, in: Frotscher, EStG, Stand: März 2008, § 32 RdNr. 80; Heuermann, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, Stand: Februar 2008, § 32 EStG RdNr. 106), ergibt sich unter Berücksichtigung des Pauschbetrages nach § 33 b Abs. 3 Satz 2 EStG [2.760,00 DM für 2001 bzw. 1.420,00 Euro] (vgl. hierzu: BFH, Urteil vom 15. Oktober 1999 - VI R 183/97 - BStBl. II 2000, 72, 73 f., Beschluss vom 15. Februar 2007 - III B 145/06 - BFH/NV 2007, S. 1112) ein Bedarf von etwa 16.800,00 DM für 2001 bzw. 8.608,00 Euro. Dieser Betrag übersteigt die von der Tochter der Klägerin erzielten Einkünfte von brutto 16.122,60 DM in 2001 bzw. brutto 7.800,00 Euro im Jahre 2003. Eine Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG kommt gleichwohl nicht in Betracht.

In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob bei der Gegenüberstellung des Bedarfs der Tochter der Klägerin und der von ihr erzielten Erwerbseinkünfte allein auf die tatsächlich erzielten Einkünfte abzustellen ist, oder ob auf den Betrag der Einkünfte abzustellen ist, der bei einer Vollzeitstelle erzielt würde.

Entscheidend ist vielmehr, dass die Behinderung der Tochter der Klägerin nicht die Ursache dafür ist, dass die Einkünfte des Kindes nicht die genannten Beträge erreichen bzw. überschreiten. Ursächlich ist mithin nicht die Behinderung der Tochter der Klägerin, sondern vielmehr das geringe Lohnniveau, das im Beruf des Beikochs bzw. der Beiköchin gezahlt wird. Diese Ursache führt jedoch nicht zur Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.

2) Die dargelegte Auslegung des Gesetzes steht nicht im Widerspruch zu der von der Klägerin angeführten Erwägung, dass ihre Tochter aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht mit Menschen kommunizieren könne, die keine entsprechenden Kenntnisse (Gebärdensprache) hätten, so dass eine Erwerbstätigkeit unter üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen sei.

Der genannte Einwand knüpft - soweit ersichtlich - an der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - (BStBl. I 2004, S. 743) und der Rechtsprechung hierzu an. Die DA-FamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 2 Satz 1 enthält die Aussage, dass die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich angenommen werden könne, wenn der Grad der Behinderung 50 oder mehr betrage und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" ausgeschlossen erscheint (z.B. Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen). Diese Verwaltungsanweisung zielt auf die Beurteilung der Frage ab, ob die Behinderung des Kindes ursächlich für die Unfähigkeit ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Verwaltungsanweisung ist hiernach im Streitfall unerheblich, denn die Tochter der Klägerin geht - seit Jahren - einer Erwerbstätigkeit nach. Die genannte Verwaltungsanweisung betrifft ausschließlich die Fallkonstellation, dass das Kind behindert ist und einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht. Geht das (behinderte) Kind hingegen - wie hier - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nach, ist damit der "Nachweis" geführt, dass die Behinderung nicht kausal ist.

Der Klägerin ist in diesem Zusammenhang zwar zuzustimmen, dass es am Arbeitsmarkt sicher nicht üblich ist, dass in dem jeweiligen Betrieb eine Verständigung in der Gebärdensprache möglich ist. Ihrer Tochter mag es insofern nur durch großes Engagement und/oder glückliche Umstände gelungen sein, einen dauerhaften Arbeitsplatz zu finden. Hierzu mag auch die von der Klägerin angeführte Förderung des Arbeitgebers mit Mitteln des ... Arbeitsmarktprogramms zum Abbau der Arbeitslosigkeit zählen. Dies ändert aber gleichwohl nichts daran, dass damit die Ursächlichkeit ihrer Behinderung für eine Erwerbslosigkeit nicht (mehr) besteht.

Soweit die Klägerin hingegen auf § 19 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) hinweist, ist diese Vorschrift kindergeldrechtlich unbeachtlich. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X haben hörbehinderte Menschen das Recht, zur Verständigung in der Amtsprache Gebärdensprache zu verwenden. Diese Bestimmung dient der Gleichstellung und Integration behinderter Menschen innerhalb der Gesellschaft. Dass der Gesetzgeber sich veranlasst sah, diese Regelung zu schaffen, mag ein weiterer Beleg dafür sein, dass die Tochter der Klägerin wegen ihrer Gehörlosigkeit nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch sonst mit erheblichen Beeinträchtigungen konfrontiert ist. Dies ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber diese Beeinträchtigungen im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht genügen lässt, sondern deren Ursächlichkeit voraussetzt.

3) Schließlich entspräche es auch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, für die Tochter der Klägerin Kindergeld festzusetzen.

Der gesetzliche Zweck des Kindergeldes als Familienleistungsausgleich liegt darin, die Belastung der Eltern durch Unterhaltsleistungen für ihre Kinder nur solange steuerlich auszugleichen, wie das jugendliche Alter und die Ausbildung andauert oder eine gravierende Behinderung den eigenen Unterhalt zwangsläufig und unmittelbar ausschließt. Nach der Konzeption des Gesetzes sollen dagegen Belastungen durch andere Lebensrisiken, z.B. durch Arbeitslosigkeit und daraus folgende Unterhaltsleistungen, nicht durch die steuerliche Leistung des Kindergeldes, sondern allenfalls durch steuerliche Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung (§ 33 a Abs. 1 EStG) ausgeglichen werden, soweit nicht unmittelbar Sozial-Leistungsansprüche bestehen (Arbeitsförderungs-Leistungen, Sozialhilfe) [FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Oktober 2004 - 3 K 87/00 - EFG 2005, S. 285 (286) ].

Hiernach würde die Festsetzung von Kindergeld dem Zweck des Gesetzes widersprechen. Die Tochter der Klägerin hat erfolgreich eine Berufsausbildung absolviert und ist seit Jahren in dem von ihr erlernten Beruf erwerbstätig. Dass die Tochter der Klägerin einen relativ geringen Lohn erhält, hat seinen Grund - wie bereits ausgeführt - nicht in der Behinderung des Kindes, sondern darin, dass auf dem Arbeitsmarkt in dem Beruf der Beiköchin höhere Löhne nicht gezahlt werden.

Diese Einschätzung, dass nicht die Behinderung, sondern andere Lebensrisiken dafür maßgebend sind, dass die Tochter der Klägerin über relativ geringe Einkünfte verfügt, wird auch durch den Vortrag der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestützt. Danach hatte die Tochter der Klägerin (aufgrund ihrer Behinderung) seinerzeit nur die Wahl, entweder die Ausbildung zur Beiköchin oder die Ausbildung zur Goldschmiedin zu absolvieren, da andere Ausbildungsgänge für gehörlose Kinder nicht verfügbar (oder nicht bekannt) waren. Dem Gericht liegen zwar konkrete Lohntabellen für Goldschmiede nicht vor. Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass ein gelernter Goldschmied tendenziell einen höheren Lohn erhält als ein Beikoch. Unter diesem Blickwinkel stellen sich die Einkommensverhältnisse der Tochter der Klägerin als Folge der getroffenen Berufswahl dar. Hieraus resultierende Nachteile können - wie bereits angeführt - nicht durch die (Weiter-) Zahlung von Kindergeld ausgeglichen werden.

4) Die dargelegte Beurteilung steht schließlich auch nicht im Widerspruch zu der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung.

Der von der Klägerin im Einspruchsverfahren angeführte Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 29. Juni 2001 (Aktenzeichen: XI B 143/00; abgedruckt: BFH/NV 2001, S. 1401) enthält lediglich die Aussage, dass eine Person schwerbehindert im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist, wenn der Grad der Behinderung wenigstens 50 v.H. beträgt. Weitergehende Aussagen, die für die Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG relevant sein könnten, enthält die Entscheidung nicht.

Demgegenüber betrifft die von der Klägerin angeführte Entscheidung des 2. Senates (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. Januar 1999 - II 370/98 - EFG 1999, S. 476) zwar die auch im Streitfall entscheidungserhebliche Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der 2. Senat war in seinem Urteil zu der Auffassung gelangt, dass für ein behindertes Kind mit einem Grad der Behinderung von 100 v.H. und dem Merkzeichen "B" im Schwerbehindertenausweis, das im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme mit internatsmäßiger Unterbringung zur Bürokraft ausgebildet worden ist, Anspruch auf Kindergeld bestehe, wenn das Kind im Anschluss an die Ausbildung keine Anstellung findet. Der dieser Entscheidung zugrunde liegend Sachverhalt unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Situation der Tochter der Klägerin. Dies betrifft zunächst schon den Umstand, dass das Kind - anders als die Tochter der Klägerin - eine Anstellung nicht gefunden hatte, so dass die Kausalität der Behinderung für Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht - wie hier - widerlegt wurde. Nur aufgrund des fehlenden Anstellungsverhältnisses war es dem 2. Senat - anders als hier - überhaupt erst möglich, die Kausalität der Behinderung festzustellen. Zum anderen ist das Kind nach der Entscheidung des 2. Senates - anders als die Tochter der Klägerin - infolge einer Teillähmung der rechten Körperseite, Herzleistungsminderung nach einer Operation vertauschter Lungenvenen und umformenden Veränderungen der Wirbelsäule in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit so stark eingeschränkt, dass ständige Begleitung erforderlich ist (deshalb das Merkzeichen "B"). Die Bevollmächtigte der Klägerin hat hierzu zwar in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Tochter der Klägerin aufgrund der Gehörlosigkeit und der damit verbundenen Störungen des Gleichgewichtssinnes ebenfalls körperlich beeinträchtigt sei. Dies mag zutreffen. Im Vergleich zu dem von dem 2. Senat beurteilten Sachverhalt handelt es sich aber allenfalls um geringfügige Belastungen, die zur Begründung einer Kausalität der Behinderung ungeeignet sind.

Soweit es schließlich die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Entscheidung des Finanzgerichtes Düsseldorf (Urteil vom 15. November 2007 - 14 K 1342/06 Kg - [...]) betrifft, weist auch der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einen grundlegenden Unterschied zum Streitfall auf. Dieser Unterschied liegt wiederum darin begründet, dass das Kind - anders als die Tochter der Klägerin - eine Anstellung nicht gefunden hatte, so dass die Kausalität der Behinderung für Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht - wie hier - widerlegt wurde. Nur deshalb war es dem Finanzgericht Düsseldorf - anders als hier - überhaupt erst möglich, die Kausalität der Behinderung in Betracht zu ziehen. Ist aber die Kausalität im Streitfall ausgeschlossen, kann es auf sich beruhen, ob den Erwägungen des Finanzgerichtes Düsseldorf zu folgen ist, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG keine alleinige oder überwiegende Ursächlichkeit der Behinderung voraussetzt, sondern lediglich eine Mitursächlichkeit.

III.

Da der Sachverhalt, der der Entscheidung des Finanzgerichtes Düsseldorf (Urteil vom 15. November 2007 - 14 K 1342/06 Kg - [...]) zugrunde lag, - wie dargelegt - nicht mit dem im Streitfall zur Entscheidung gestellten Sachverhalt vergleichbar ist, erscheint es schließlich auch nicht angezeigt, der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Anregung der Bevollmächtigten der Klägerin zu folgen und die Entscheidung des Bundesfinanzhofes über die Revision (Aktenzeichen: III R 105/07) gegen das genannte Urteil des Finanzgerichtes Düsseldorf abzuwarten.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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