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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 4 KO 1333/06
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 52 Abs. 4
GKG § 53 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Sachsen-Anhalt

4 KO 1333/06

Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt - 4. Senat -

am 23. November 2006

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Görlitz, die Richterin am Finanzgericht Gradl und den Richter am Finanzgericht Simböck

beschlossen:

Tenor:

Abweichend von dem Beschluss vom 10. August 2006 werden die von der Erinnerungsführerin und Kostenschuldnerin dem Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten auf 69,60 EUR (in Worten: neunundsechzig und 60/100 EUR) festgesetzt.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

Die Erinnerungsführerin und Kostenschuldnerin hat der Klage im Verfahren der Hauptsache (4 K 218/05) abgeholfen. Daraufhin haben die Beteiligten das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides (4 V 1036/05) übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Gericht hat die Kosten des zuletzt genannten Verfahrens der Erinnerungsführerin auferlegt. Mit Beschluss vom 10. August 2006 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die dem Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten auf 180,96 EUR festgesetzt.

Dagegen richtet sich die Erinnerung, mit der sich die Erinnerungsführerin gegen die Anwendung des Mindeststreitwerts von 1.000 EUR gemäß § 52 Abs. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) wendet.

Die Erinnerung ist begründet.

Gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 3 GKG bestimmt sich der Wert in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3, 5 Finanzgerichtsordnung -FGO-) nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Danach ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen.

§ 52 Abs. 3 GKG ergänzt diese Regelungen dahingehend, dass bei einem Antrag auf eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt deren Höhe maßgebend ist.

Gemäß § 52 Abs. 4 GKG darf schließlich in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Streitwert nicht unter 1.000 EUR, in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2.500.000 EUR sowie in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500.000 EUR angenommen werden.

Nach diesen Regelungen ist der Kostenberechnung im Verfahren 4 V 1036/05 ein Gegenstandswert von 190 EUR zugrunde zu legen.

Der Erinnerungsgegner hat beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides i.H.v. 1.518,54 EUR zuzüglich der Stundungs- und Aussetzungszinsen und der Säumniszuschläge, mithin einer Gesamtsumme von 1.901,04 EUR, auszusetzen. Gemäß § 53 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG stellt dieser Betrag grundsätzlich zugleich den Wert des Verfahrensgegenstands dar. Allerdings ist in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3, 5 FGO nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Gegenstandswert auf 10% des streitigen Betrages festzusetzen (vgl. Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, Rdnr. 35 vor § 135 FGO "Aussetzung der Vollziehung" m.w.N.), im Streitfall also auf 190 EUR.

Dieser Wert ist nicht für Zwecke der Kostenberechnung gemäß § 52 Abs. 4 GKG auf den dort genannten Mindestbetrag von 1.000 EUR zu erhöhen.

§ 53 Abs. 3 Nr. 3 GKG verweist ausdrücklich nur auf die Absätze 1 und 2 des § 52 GKG, nicht aber auf dessen Absatz 4. Dies schließt dessen Anwendung in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung aus (Thüringer FG, Beschluss vom 03.08.2005 - IV 207/05 V, EFG 2005, 1563; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.01.2006 - 13 KO 5/05, EFG 2006, 767; FG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2006 - 1 KO 541/06, Haufe-Index 1559806). Dabei handelt es sich in Anbetracht der allgemein bekannten ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung regelmäßig nur 10% des Streitwertes der Hauptsache anzusetzen, auch nicht etwa um ein Redaktionsversehen, sondern um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Mindeststreitwertregelung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht anzuwenden (MR im BMJ xxx auf der Arbeitstagung der Präsidenten der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs am 15./16.05.2006 in Hamburg, zitiert nach BDFR Forum, September 2006, 9).

Der vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (ohne ausdrückliche Begründung im Beschluss vom 16.08.2005 - 2 V 17/5, EFG 2005, 1672) und vom Sächsischen Finanzgericht (im Beschluss vom 27.03.2006 - 3 KO 243/06, EFG 2006, 1103) vertretenen gegenteiligen Meinung ist nicht zu folgen. Das Sächsische Finanzgericht vertritt in diesem Beschluss die zutreffende Ansicht, eine wörtliche und eine historische Auslegung des § 52 Abs. 3 GKG seien für die hier zu entscheidende Streitfrage unergiebig. Eine systematische Auslegung spreche zwar gegen eine Anwendung des § 52 Abs. 4 GKG in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Ausschlaggebend sei jedoch eine teleologische Auslegung des § 52 Abs. 3 GKG:

Zweck der Einführung eines Mindeststreitwerts für Verfahren der Finanzgerichtsbarkeit sei die geringe Kostendeckung in diesen Verfahren und die Bedeutung der Verfahren für Folgejahre bei der Findung des Streitwerts mit zu berücksichtigen. Diese Zwecke träfen in unterschiedlicher Gewichtung sowohl für Hauptsacheverfahren als auch für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu.

Zwar ergehe eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz nur nach summarischer Prüfung und binde die Entscheidung in der Hauptsache nicht. Andererseits sei nicht zu übersehen, dass vielfach Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von den Beteiligten als "Pilotverfahren" durchgeführt würden, aufgrund derer andere Verfahren ruhend gestellt würden. Eine trotzdem bestehende geringere Bedeutung der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für Folgejahre werde jedoch insoweit ausgeglichen, als das Problem des Missverhältnisses zwischen Aufwand und erzielten Gebühren bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes meist noch deutlicher zum Tragen komme als im Rahmen der Hauptsacheverfahren. So würden etwa Verfahren der Aussetzung der Vollziehung regelmäßig nur mit 10% des Streitwertes des Hauptsacheverfahrens angesetzt, der Verfahrensaufwand für das Gericht sei jedoch - von Tatsachenermittlungen abgesehen - regelmäßig nicht viel geringer als im sich gegebenenfalls (aber nicht notwendigerweise) anschließenden Hauptsacheverfahren. So seien etwa die zu berücksichtigenden vorgelegten Steuerakten der Finanzbehörde in beiden Verfahren gleich, auch der Vortrag des Steuerpflichtigen in rechtlicher Hinsicht sei meist in beiden Verfahrensarten identisch. Der von dem Gesetzgeber mit der Einführung eines Mindeststreitwerts angestrebte Zweck sei demnach auch bei Anwendung auf Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfüllt.

Für eine nicht abschließende Verweisung des § 53 Abs. 3 GKG auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG spreche auch, dass die Regelung des § 52 Abs. 4 GKG nicht nur eine Untergrenze für den Wert der finanzgerichtlichen Verfahren schaffe, sondern auch für Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Vermögensstreitigkeiten sowie Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit und nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz gelte und dort verschiedene Obergrenzen für den Streitwert festlege. Diese Obergrenzen seien zum Schutz der öffentlichen Haushalte bei Unterliegen in Streitigkeiten nach dem Vermögensrecht bzw. der Sozialversicherungsträger eingeführt worden. Es sei sinnlos, die Wertbeschränkung bei Klageverfahren zu beachten, im Rahmen von Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine solche Begrenzung des Streitwertes aber nicht vorzunehmen. § 52 Abs. 4 GKG sei demnach so auszulegen, dass er eine Streitwertbegrenzung auch für die in § 53 Abs. 3 GKG bezeichneten verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren enthalte. Es sei danach festzuhalten, dass Sinn und Zweck der Regelung in § 52 Abs. 4 GKG eine Anwendung auch auf verwaltungs- und sozialgerichtliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 53 Abs. 3 GKG gebiete; eine Anwendung für die finanzgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes liege ebenfalls nahe, da § 53 Abs. 3 Nr. 2 und 4 GKG für die verwaltungs- und sozialgerichtlichen Eilverfahren ebenso wie § 53 Abs. 3 Nr. 1 und 3 GKG für die Finanzgerichtsbarkeit nur auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG verweise und die Vorschrift aus Gründen der Rechtsklarheit möglichst einheitlich ausgelegt werden sollte.

Dem kann nicht gefolgt werden.

So ist es ausgeschlossen, das Ziel, die mögliche Bedeutung von Verfahren für die Folgejahre bei der Findung des Streitwerts zu berücksichtigen, durch die Einführung eines Mindeststreitwerts in verfassungskonformer Weise zu verwirklichen. Denn es sind keine Gründe erkennbar, warum diese Folgewirkung ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nur in Verfahren mit (unter dem Mindestreitwert liegenden) geringem Streitwert berücksichtigt werden sollte, bei Verfahren mit höherem Streitwert jedoch nicht. Eine Auslegung, die auf einer nicht verfassungskonformen Zielsetzung einer Vorschrift basiert, verbietet sich von selbst.

Ebenso wenig vermögen die Überlegungen des Sächsischen Finanzgerichts zum häufig nicht - oder nur unwesentlich geringeren - Aufwand der Gerichte in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Vergleich zum jeweiligen Hauptsacheverfahren zu überzeugen. Denn dieses Argument trifft auf Verfahren mit (unter dem Mindestreitwert liegenden) geringem Streitwert ebenso zu wie auf Verfahren mit höherem Streitwert. Auch diesem Gesichtspunkt könnte deshalb in verfassungskonformer Weise nur durch höhere Gebühren bei allen Verfahren unabhängig von ihrem Streitwert Rechnung getragen werden.

In verfassungsrechtlich zulässiger Weise kann deshalb bei der Auslegung der Vorschriften des Gerichtskostengesetzes zum Mindeststreitwert nur der Zweck berücksichtigt werden, die geringe Kostendeckung in den betroffenen Verfahren zu verbessern. Denn die Kostendeckung ist bei Verfahren mit geringen Streitwerten gegenüber Verfahren mit höheren Streitwerten naturgemäß geringer, weil der Aufwand des Gerichtes in keinem Verhältnis zum Streitwert steht. Diese Zweckrichtung rechtfertigt aber nicht eine überproportionale Erhöhung der Gerichtsgebühren bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie sie mit einem Ansatz eines Mindeststreitwerts von 1.000 EUR in diesen Verfahren gegenüber der bisherigen langjährigen Praxis verbunden wäre. Denn dies würde dazu führen, dass wegen der Reduzierung der Streitwerte auf 10% des streitigen Betrages Verfahren mit auszusetzenden Beträgen von 1 EUR bis zu 12.000 EUR gleichbehandelt werden würden.

Schließlich erfordert auch die vom Sächsischen Finanzgericht angestrebte einheitliche Auslegung der §§ 52, 53 GKG in den Verfahren der Finanz-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Anwendung der Mindeststreitwert-Regelung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht. Denn die (sinnvolle) Anwendung der Streitwert-Obergrenzen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor den Sozialgerichten, nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz bzw. vor den Verwaltungsgerichten über Vermögensstreitigkeiten bedingt nicht gleichzeitig die Anwendung der Streitwert-Untergrenze in Verfahren vor den Finanzgerichten. Entsprechend den vom Sächsischen Finanzgericht zutreffend dargelegten verschiedenen Zielsetzungen der in den hier zu betrachtenden Vorschriften genannten Ober- und Untergrenzen ist eine unterschiedliche Auslegung dieser Vorschriften in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten auch mit Rücksicht auf eine aus Gründen der Rechtsklarheit wünschenswerte Einheitlichkeit nicht geboten.

Ob die Anwendung des § 52 Abs. 4 GKG in Verfahren der Aussetzung der Vollziehung zum Ansatz eines Mindeststreitwerts von 100 EUR führen könnte, lässt der Senat offen. Denn dieser Betrag wird im Streitfall deutlich überschritten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 5 Abs. 6 GKG.



Ende der Entscheidung

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