Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Gerichtsbescheid verkündet am 20.05.2009
Aktenzeichen: 4 K 1352/08
Rechtsgebiete: FGO, AO


Vorschriften:

FGO § 100 Abs. 1
FGO § 102
AO § 5
AO § 109 Abs. 1
AO § 149 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Finanzrechtsstreit

...

hat der 4. Senat

durch

den Berichterstatter

gemäß § 79a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Finanzgerichtsordnung

am 20.5.2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2007 vom 5.2.2008, geändert durch Bescheid vom 20.5.2008 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 rechtswidrig war.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Anforderung der Einkommensteuererklärung.

Der Kläger wendete sich ursprünglich gegen den Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2007 vom 5.2.2008, geändert durch Bescheid vom 20.5.2008 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008. Nunmehr verlangt er im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides.

Der Kläger ist an einer gewerblichen Gesellschaft bürgerlichen Rechts beteiligt und wird beim Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Bescheid vom 5.2.2008 (Bl. 1 der Rechtsbehelfsakte) forderte der Beklagte den Kläger ohne Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung auf, "die Einkommensteuererklärung 2007 bis spätestens 30.05.2008 abzugeben". Auf den Einspruch des Klägers vom 16.5.2008 hin änderte der Beklagte den Abgabetermin mit Schreiben vom 20.5.2008 (Bl. 4 der Rechtsbehelfsakte) auf den 10.6.2008 und wies den Einspruch im übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 (Bl. 26 der Rechtsbehelfsakte) zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheide und die Einspruchsentscheidung verwiesen. Am 25.7.2008 erließ der Beklagte unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen den Einkommensteuerbescheid 2007 und setzte gleichzeitig einen Verspätungszuschlag fest. Die Einspruchsverfahren ruhen im Hinblick auf dieses Klageverfahren.

Der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 18.2.2008 (Bl. 8 der Rechtsbehelfsakte) hatte zu einer Nachzahlung von 3.077,-EUR geführt. Mit Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer 2007 vom 21.5.2008 (Bl. 12 der Rechtsbehelfsakte) hat der Beklagte eine Einkommensteuervorauszahlung von insgesamt 17.450,- EUR festgesetzt.

Der Kläger hat mit seiner am 25.7.2008 erhobenen Klage ursprünglich sinngemäß beantragt, den Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2007 vom 5.2.2008, geändert durch Bescheid vom 20.5.2008 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 aufzuheben.

Mit Bescheid vom 9.12.2008 hat der Beklagte "die Einspruchsentscheidung vom 10.07.2008 über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung für 2007 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a Abgabenordnung aufgehoben". Der Kläger hat ebenfalls am 9.12.2008 beim Beklagten die Einkommensteuererklärung 2008 abgegeben, auf die ein Änderungsbescheid des Beklagten zur Einkommensteuer 2007 vom 7.5.2009 folgte. Der Änderungsbescheid führte zu einem Guthaben des Klägers i.H.v. 8.176,45 EUR (bezüglich Einkommensteuer).

Der Kläger hat seinen Klageantrag auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt, da "akute Wiederholungsgefahr" bestehe. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlages sei davon abhängig, ob die hier angefochtene Vorabanforderung rechtmäßig gewesen sei.

Der Kläger trägt vor, die vom Beklagten vorgegebene Frist sei, auch im Hinblick auf die unterlassene Rechtsbehelfsbelehrung, weder angemessen noch ermessensfehlerfrei gewählt worden. Der ursprüngliche Verwaltungsakt sei schon deshalb wenigstens rechtswidrig, weil dadurch die gesetzliche Frist zur Abgabe der Erklärung unterschritten worden sei. Sie müsse als nichtig betrachtet werden, weil sie an einem evidenten und schwerwiegenden Mangel leide. Die Vorabanforderung vom 20.5.2008 sei ermessensfehlerhaft, weil die gesetzte Frist übermäßig kurz sei. Das Entschließungsermessen sei nicht sachgerecht ausgeübt worden und es fehle eine ausreichende Begründung.

Die Festsetzung einer nachträglichen Vorauszahlung schränke den Umfang des möglichen Ermessens bei der Vorabanforderung der betroffenen Steuererklärung ein. Habe der Beklagte einen rechtmäßigen Vorauszahlungsbescheid erlassen, der seinem Willen nach zeitnaher Festsetzung einer Steuerzahlung entspreche, sei keine hohe Abschlusszahlung mehr zu erwarten. Bei angemessener nachträglicher Vorauszahlung liege kein Grund mehr für die Vorabanforderung vor. Verwaltungsökonomisch zielgerichtet, die Grundsätze des Feststellungsverfahrens berücksichtigend und damit auch einzig ermessensgerecht hätte der Beklagte allein eine Vorabanforderung für die Feststellungserklärung verlangen können.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 25.7.2009, 9.9.2008 , 18.12.2008 und vom 8.5.2009 verwiesen.

Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß

festzustellen, dass der Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2007 vom 5.2.2008, geändert durch Bescheid vom 20.5.2008 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 rechtswidrig war;

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, da insbesondere im Jahr 2006 eine Nachzahlung der Einkommensteuer entstanden sei, handele es sich im vorliegenden Sachverhalt um eine Einzelfallentscheidung, womit die Vorabanforderung der Steuererklärung für das Jahr 2007 unmissverständlich begründet worden sei. Diese Begründung sei in Anwendung der Gleichlautenden Ländererlasse ausreichend.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 27.8.2008 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtskate und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2007 vom 5.2.2008, geändert durch Bescheid vom 20.5.2008 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 war rechtswidrig, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO. Der Bescheid hat sich durch die Aufhebung der Einspruchsentscheidung am 9.12.2008, die nach Sinn und Zweck der Erklärung des Beklagten wohl auch die Aufhebung des Ausgangsbescheides umfassen sollte, und nach Abgabe der Einkommensteuererklärung am 9.12.2008 erledigt. Da der Kläger wegen der bestehenden Wiederholungsgefahr und im Hinblick auf die Festsetzung des Verspätungszuschlages ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat (dazu von Groll in Gräber, FGO, § 100, Rn. 60 m.w.N.; BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 X R 24/95 BStBl II 2000, 514), war dies auf seinen Antrag hin im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage auszusprechen.

Der Verwaltungsakt war rechtswidrig, denn der Beklagte hat sein Ermessen bei# Erlass des angefochtenen Bescheides fehlerhaft ausgeübt. Die Entscheidung über die vorzeitige Anforderung einer Steuererklärung ist ebenso wie die Entscheidung über einen Fristverlängerungsantrag eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur daraufhin überprüft werden darf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 Satz 1 FGO i.V.m. § 5 AO).

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte - wie der Kläger meint - eher eine Vorabanforderung der Feststellungserklärung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an der der Kläger beteiligt ist, hätte verfügen sollen als eine Vorabanforderung der Einkommensteuererklärung des Klägers. Denn die Vorabanforderung der Einkommensteuererklärung 2007 erfolgte bereits aus anderen Gründen ermessensfehlerhaft.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 AO kann die in § 149 Abs. 2 Satz 1 AO festgelegte Frist, wonach Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen, spätestens fünf Monate danach abzugeben sind, verlängert werden. Hierzu haben die obersten Finanzbehörden der Länder in gleichlautenden Erlassen vom 2.1.2008 (BStBl I 2008, 266) für den Veranlagungszeitraum 2007 u.a. hinsichtlich der Einkommensteuer für steuerberatende Berufe die Frist allgemein bis zum 31.12.2008 verlängert. Nach II. Abs. 2 des Erlasses blieb es den Finanzämtern vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Von dieser Möglichkeit solle besonders Gebrauch gemacht werden, wenn für Beteiligte an Gesellschaften und Gemeinschaften Verluste festzustellen seien, wenn hohe Abschlusszahlungen erwartet würden oder wenn die Arbeitslage der Finanzämter es erfordere.

Der Beklagte hat diese als Ermessensrichtlinien zu qualifizierenden gemeinsamen Erlasse (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 X R 24/95 BStBl II 2000, 514) unzutreffend angewandt. Jedenfalls fehlt der Ermessensentscheidung eine ausreichende Begründung:

Der Beklagte hat die gesetzeswidrige vorzeitige Anforderung zum 30.5.2008 - d.h. auf einen Termin, der vor der gesetzlich festgelegten Frist liegt - mit Verwaltungsakt vom 5.2.2008 damit begründet, "dass in der Vergangenheit große Abschlusszahlungen angefallen sind und sich erneut eine Steuernachzahlung ergeben kann". Diese floskelhafte Begründung lässt nicht erkennen, dass tatsächlich eine auf Sachverhaltsermittlung beruhende Einzelfallentscheidung getroffen wurde. Die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2006 ergebende "Abschlusszahlung" betrug gerade einmal 3.077,- EUR; in den Vorjahren 2005, 2004, 2002 und 2001 hat die Einkommensteuerveranlagung nach dem Vorbringen des Klägers zu Guthaben geführt. Die weitere Begründung, dass sich erneut eine Steuernachzahlung ergeben könne, erscheint als ins Blaue hinein abgegeben, denn Ermittlungshandlungen, aus denen auf diese Vermutung geschlossen könnte, hat der Beklagte ausweislich der Rechtsbehelfsakte nicht durchgeführt.

In dem wohl als Änderungsbescheid zum Bescheid vom 5.2.2008 auszulegenden Schreiben vom 10.6.2008 hat der Beklagte die fehlenden Erfolgsaussichten des Einspruchs mit einem Schreiben vom 18.3.2008 an eine GbR, an der der Kläger beteiligt ist, begründet. Da der Beklagte dieses Schreiben dem Gericht nicht vorgelegt hat, kann dieses die rechtmäßige Ausübung seines Ermessens nicht begründen.

Aber auch in der Einspruchsentscheidung vom 10.7.2008 hat der Beklagte seine Ermessensausübung nicht hinreichend begründet. Er hat fehlerhaft eine Ermessenreduktion auf Null im Sinne einer Mussvorschrift angenommen, denn er hat den ermessensleitenden Erlass fehlerhaft wiedergegeben. Der Beklagte hat ausgeführt, in "Erwartung einer Nachzahlung soll die Finanzbehörde die Steuererklärung vorzeitig anfordern. Soll-Vorschriften sind für die Verwaltung in diesem Sinne ebenso verbindlich wie Muss-Vorschriften (BVerwG vom 02.12.1959, DVBl. 1960, Seite 252)". Dabei hat der Beklagte verkannt, dass nach dem Gleichlautenden Erlass vom 2.1.2008 nicht jede zu erwartende Nachzahlung zu einer vorzeitigen Anforderung führen soll, sondern nur zu erwartende "hohe Abschlusszahlungen". In dem vom Beklagten herangezogenen Dokument der bayerischen Finanzverwaltung (LfSt Bayern vom 19.9.2006, S 0320 - 3 St 41 M) wird eine hohe Abschlusszahlung bei Beträgen ab 15.000,- EUR angenommen. Feststellungen zur erwarteten Höhe der Nachzahlung hat der Beklagte indes nicht getroffen; angesichts der Höhe der zwischenzeitlich festgesetzten Vorauszahlungen und der Mitteilung der Veranlagungsstelle der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie nach den Erkenntnissen der Vorjahre sind derartig hohe Abschlusszahlungen nahezu ausgeschlossen.

Nicht hinreichend berücksichtigt hat der Beklagte in diesem Zusammenhang den Umstand, dass er die nach seiner Ansicht drohenden hohen Abschlusszahlungen durch die Festsetzung von Vorauszahlungen vermeiden kann. Zwar schließt die Festsetzung von Vorauszahlungen die vorzeitige Anforderung nicht aus. Beide Maßnahmen können grundsätzlich nebeneinander erfolgen. Gleichwohl muss die Finanzbehörde im Rahmen der Ermessensausübung alle die Ermessensausübung beeinflussenden Umstände ermitteln, gewichten und in die Ermessensentscheidung einfließen lassen. Es ist erforderlich, dem Steuerpflichtigen mitzuteilen, warum neben der belastenden Maßnahme der Festsetzung einer erhöhten Vorauszahlung eine vorzeitige Anforderung gleichwohl vom Finanzamt für erforderlich gehalten wird.

Auf die grundsätzlich zulässige Erwägung, die vorzeitige Anforderung sei erforderlich, um den reibungslosen Fortgang der Veranlagungsarbeiten zu gewährleisten, hat der Beklagte nicht abgestellt. Er hat diese Erwägung zwar in der Einspruchsentscheidung aufgeworfen, indem er ausgeführt hat: "Ungeachtet dessen hätte das FA gemäß den gleichlautenden Ländererlassen vom 02.01.2008 (a.a.O.) die Steuererklärung ebenfalls auf Grund der Arbeitslage vorzeitig anfordern können um den reibungslosen Fortgang der Veranlagungsarbeiten zu gewährleisten." Allerdings hat er durch die Verwendung des verneinenden Konjunktivs II ausgedrückt, dass er tatsächlich die vorzeitige Anforderung lediglich auf die vermeintlich erwartete hohe Abschlusszahlung gestützt hat. Zudem hat er keine Tatsachen im Bescheid dargestellt, aus denen sich ergibt, dass diese vorzeitige Anforderung in irgendeinem Zusammenhang mit anstehenden Veranlagungsarbeiten steht. Angesichts des Umstands, dass die Bearbeitung der Steuererklärung vom 9.12.2008 bis zum 7.5.2009 dauerte, hat der Beklagte dieses denkbare Argument selbst widerlegt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 FGO.

Ende der Entscheidung

Zurück