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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Sachsen
Urteil verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 8 K 1490/07
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Finanzrechtsstreit

...

hat der 8. Senat

unter Mitwirkung

von Vorsitzender Richter am Finanzgericht

Richter am Finanzgericht

Richter am Finanzgericht

ehrenamtliche Richterin

ehrenamtlicher Richter

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15.10.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 06.12.2006 wird aufgehoben.

2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine Untätigkeitsklage der Klägerin gegen einen vom Finanzamt L. erlassenen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2000 des Finanzamts L. zulässig und begründet ist.

Die Klägerin wurde am 26.8.1998 in notarieller Urkunde (UR-Nr. A) der Notarin H., L.) unter Beteiligung von He. als Übersetzerin durch Erklärung des R. errichtet. R. übernahm einen hälftigen Geschäftsanteil. Als Sitz der Gesellschaft wurde L. bestimmt. Gegenstand des Unternehmens sollte der An- und Verkauf von Immobilien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung mit Ausnahme aller genehmigungspflichtigen Geschäfte nach § 34 c der Gewerbeordnung sein.

Das Finanzamt L. erließ am 19.7.2002 auf Schätzungsgrundlage einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2000 über 66,47 Euro. Da von der Finanzkasse 6.164,59 Euro ausgezahlt worden waren, ergab sich für die Klägerin ein Zahlbetrag von 6.231,06 Euro. Als Bemessungsgrundlagen waren innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 22.089.674 DM, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 19.941.341 DM und steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 816 DM eingegangen. Die Klägerin legte am 15.8.2002 Einspruch ein und eine am 18.9.2002 unterschriebene Umsatzsteuerjahreserklärung vor. Diese Erklärung nahm die Bemessungsgrundlagen des Steuerbescheides auf, enthielt aber einen zusätzlichen Vorsteuerbetrag in Höhe von 12.056,78 DM. Ein dieser Erklärung entsprechender Bescheid wurde am 29.11.2002 erlassen.

Seit dem 17.12.2002 fand bei der Klägerin eine Steuerfahndungsprüfung statt. Hierzu erging ein Abschlussbericht v. 9.11.2006. Der Bericht stellt zum Sachverhalt fest: "Nach den bisherigen Feststellungen der Steuerfahndung ist davon auszugehen, dass die in den Rechnungen der Firma H. GmbH ausgewiesenen Waren existent sind. Bei den Lieferanten handelt es sich nach Auskunft der i.-ausländischen Finanzbehörden um wirtschaftlich aktive und ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommende Unternehmen. Bei den angeblichen Erwerberfirmen handelt es sich in allen Fällen um wirtschaftlich nicht aktive Unternehmen, die nur gegründet wurden, um den tatsächlichen Rechnungs- und Lieferweg der Waren zu verschleiern." (S.3). Die Steuerfahndung ordnete die Abnehmer der Klägerin als Scheinunternehmen oder sog. missing trader ein, nahm an, dass diesen Unternehmen der Erwerb der Waren nicht zuzurechnen ist und folgerte, dass die Klägerin die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer für die innergemeinschaftlichen Lieferung nicht buchmäßig nachweisen (§ 17c Abs.1 UStDV) könne. Dementsprechend wurden die innergemeinschaftlichen Lieferungen als steuerpflichtig behandelt. Ein entsprechender Umsatzsteuerbescheid erging am 6.12.2006. Es wurden Umsatzsteuern in Höhe von 1.398.044,82 Euro festgesetzt.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch hat der Beklagte bislang nicht entschieden.

Die Klägerin hat den Beklagten nach einigem Schriftverkehr mit Schriftsatz v. 3.7.2007 aufgefordert, bis spätestens 20.7.2007 über den Einspruch zu entscheiden , und am 12.7.2007 für den Fall fruchtlosen Fristablaufs Untätigkeitsklage angedroht.

Die Klägerin erhob am 30.7.2007 Untätigkeitsklage. Sie ist der Meinung, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 46 Abs.1 FGO erfüllt sind. Die Frist von sechs Monaten nach Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfes (§ 46 Abs.1 Satz 2 FGO) sei bei Klageerhebung abgelaufen gewesen. Der Beklagte habe ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist über den Einspruch entschieden. Er habe einen solchen Grund auch nicht mitgeteilt. Er habe in einem Schriftsatz v. 18.5.2007 an das Sächsische Finanzgericht eingeräumt, nicht nachweisen zu können, dass Ware, welche als innergemeinschaftlich ausgeliefert deklariert worden sei, tatsächlich vorher nach Deutschland gelangt sei. Der Beklagte habe danach den angefochtenen Bescheid aufheben können. Stattdessen habe der Beklagte die unzutreffende Auffassung vertreten, die Klägerin müsse darlegen, dass die Ware nicht nach Deutschland gelangt sei.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Erhebung der Untätigkeitsklage nicht rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin nehme ihr Grundrecht wahr, den Rechtsweg zu beschreiten. Der Sachverhalt sei geklärt. Sie habe keine Mitwirkungspflichten verletzt. Es gäbe keine vorgreiflichen Verfahren. Eine Berichtspflicht gegenüber der Oberfinanzdirektion rechtfertige die Überschreitung einer Bearbeitungszeit von sechs Monaten nicht. Der Beklagte habe ausreichend Zeit gehabt, sich mit der Oberfinanzdirektion abzustimmen.

Die Untätigkeitsklage sei auch begründet. Die Klägerin habe innergemeinschaftliche Lieferungen nicht vorgenommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über Umsatzsteuer 2000 v. 6.12.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte hält die Untätigkeitsklage für unzulässig.

Die Klage sei rechtsmissbräuchlich erhoben worden. Die Entscheidung über den Einspruch habe die Klägerin durch ein Zuwarten in überschaubarer Zeit erreichen können. Die Klägerin habe bei der Aufklärung entscheidungserheblicher Tatsachen nicht mitgewirkt. Sie habe in Steuererklärungen innergemeinschaftliche Lieferungen aus Deutschland behauptet und erst später einen ganz anderen Sachverhalt dargestellt, ohne Aufklärung zu geben, aus welchem Grunde Ausgangsrechnungen und Lieferpapiere einen in Deutschland steuerbaren Umsatz indizierten. Da die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe, liege ein zureichender Grund für eine längere Bearbeitung des Rechtsbehelfs vor. Es sei zudem das finanzgerichtliche Parallelverfahren 8 K 2097/06 vorgreiflich. Der Bundesfinanzhof habe das Abwarten einer Entscheidung in einem Musterverfahren als zureichenden Grund für die Nichtbescheidung eines Einspruchs angesehen. Der Beklagte habe das Kostenrisiko erwogen und keine voreiligen Entscheidungen treffen wollen.

Eine Mitteilung, aus welchem Grund sachlich nicht entschieden würde, sei entbehrlich gewesen, da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gewusst habe, dass einheitlich über das Verfahren 8 K 2097/06 des Sächsischen Finanzgerichts und dieses Verfahren entschieden werden sollte.

In der Sache nahm der Beklagte auf das Vorbringen im Verfahren 8 K 2097/06 Bezug.

Auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des Beklagten und den strafrechtlichen Ermittlungsbericht R. v. 9.11.2006 wird verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs.1 Satz 1 FGO liegen vor. Der Beklagte hat ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden. Die Klage wurde auch nach Ablauf von sechs Monaten nach Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs (§ 46 Abs.1 Satz 2 FGO) erhoben.

Die Untätigkeitsklage des § 46 FGO ist nur dann unzulässig, wenn nicht nur zureichende Gründe einer Verzögerung der Sachentscheidung vorliegen, sondern auch eine Mitteilung hierüber ergeht (Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 46 FGO Rnr. 170-172 (März 2005) m.w.N.). Der Beklagte hat der Klägerin über die Gründe, warum ihr Einspruch sachlich nicht entschieden wurde, keine Mitteilung gemacht. Die Mitteilung war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sich aufgrund von Mitteilungen an die E. GmbH, die er ebenfalls vertrat, denken konnte, dass der Beklagte die Beendigung anderer Verfahren abwarten wollte. Die Mitteilung eines zureichenden Grundes muss an die Person ergehen, die sie angeht, ansonsten ein Verfahrenshindernis für die Untätigkeitsklage dieser Person nicht entstehen kann.

Einen Fall eklatanten Missbrauchs, wie er der Entscheidung des Bundesfinanzhofes v. 8.5.1992, III B 138/92, BStBl II 1992, 673 zugrunde lag, erkennt der Senat im Vorgehen der Klägerin nicht.

II. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid v. 6.12.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass er aufzuheben ist (§ 100 Abs.1 Satz 1 FGO).

Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2000 unterscheidet sich von dem vorausgehenden Umsatzsteuerbescheid 2000 v. 29.11.2002 dadurch, dass innergemeinschaftliche Lieferungen von Mobilfunktelefonen der Besteuerung unterworfen wurden. Die Annahme des Beklagten, es lägen steuerpflichtige innergemeinschaftliche Lieferungen von Mobilfunktelefonen vor, ist unzutreffend. Es fehlt schon an der Voraussetzung von Umsätzen im Sinne des § 1 Abs.1 Nr.1 UStG.

1. Die Überzeugung, dass die Klägerin Mobilfunktelefone im Inland nicht umgesetzt hat, schöpft der Senat aus den Ermittlungen der Steuerfahndung, wie sie im Bericht über die Fahndungsprüfung bei der Klägerin v. 9.11.2006 und im strafrechtlichen Ermittlungsbericht R. v. 9.11.2006 zusammengefasst wurden. Danach ist nämlich folgendes festzuhalten:

a) Die Klägerin hat an ihre i.-ausländischen Abnehmer S. und T. Rechnungen über Mobilfunktelefone ohne Ausweis von Umsatzsteuer gestellt (siehe Anlage 1 des Berichtes v. 9.11.2006). Für keine Rechnung haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass eine Lieferung, die die Klägerin im Inland ausgeführt hat, zugrunde lag.

b) Zu den tatsächlichen Warenbewegungen teilt der steuerstrafrechtliche Ermittlungsbericht R. v. 9.11.2006 Erkenntnisse mit, die durch Zeugenvernehmungen von Fahrern der Klägerin, nämlich J., P. und M. gewonnen wurden. Danach wurden die Mobilfunktelefone in I.-Ausland abgeholt und entweder zur Spedition K. in I. gefahren und dort abgeladen oder an einen anderen Ort in I.-Ausland verbracht und dort in ein anderes Fahrzeug umgeladen. J. berichtet außerdem, dass er Mobilfunktelefone bei der Spedition K. in I. abgeholt und nach V.-Ausland oder P.-Ausland gefahren hat. Ebenso wird die tatsächliche Warenbewegung von He. beschrieben, die für die Klägerin in Deutschland tätig war und über deren Rechnungs- und Lieferpapiere verfügte. Sie erklärt am 10.3.2004 und am 26.10.2004 vor dem Staatsanwalt, dass die Mobilfunktelefone entweder aus I.-Ausland zur Spedition K. in I. gelangten oder in I.-Ausland von einem Ort an einen anderen verbracht und in diesem Fall Transportpapiere gefälscht wurden. Sie verneint die Frage nach Lieferungen von I.-Ausland nach Deutschland. Sie spricht davon, dass nur in einem Ausnahmefall von Deutschland nach I.-Ausland geliefert wurde. Diese Zeugenaussagen legt die allgemeine Darstellung der Transportabläufe im strafrechtlichen Ermittlungsbericht R. v. 9.11.2006 zugrunde (S. 66 ff.). Dort werden "Transporte der Waren von I.-Ausland nach Ö. und zurück nach I.-Ausland" (S. 66) sowie Transporte innerhalb I.-Auslands verbunden mit der Ausstellung unrichtiger Transportpapiere (S. 76) unterschieden. Lieferungen nach Deutschland und von Deutschland ins Ausland werden nicht angenommen. So werden also im Ermittlungsbericht die gewonnenen Erkenntnisse schlüssig zusammengefasst. Der Senat hält die Darstellungen der tatsächlichen Vorgänge im strafrechtlichen Ermittlungsbericht R. für zutreffend.

c) Der Senat ist der Meinung, dass die vom Beklagten in seinem Schriftsatz v. 15.10.2008 gegen die Tatsachengrundlage vorsorglich erhobene Verfahrensrüge mangelhafter Sachaufklärung wegen Nichtbeiziehung von Akten fehlgeht. Der Beklagte hielt während der mündlichen Verhandlung am 15.10.2008 mehrere Kartons beschlagnahmter Unterlagen zur Einsichtnahme bereit. Die Notwendigkeit, eine einzelne Unterlage anzusehen und zum Gegenstand der Erörterung zu machen, wurde von keinem Beteiligten gesehen. Das noch nicht abgeschlossene deutsche Strafverfahren gegen R., dessen Akten der Beklagte am 15.10.2008 beizuziehen beantragte, beruht auf dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht der Steuerfahndung v. 9.11.2006. Andere Erkenntnisse zu den tatsächlichen Vorgängen können durch die Beiziehung der Strafakten nicht gewonnen werden. Dies nimmt offenbar auch der Beklagte an, wenn er in seinem Schriftsatz v. 15.10.2008 auf den Inhalt der Straf- und Beweismittelakten 207 Js 65239/03 eingeht und zur Begründung einer Mitwirkungspflicht der Klägerin sinngemäß ausführt, dass sich aus diesen Akten andere als die im Ermittlungsbericht v. 9.11.2006 zusammengefassten Transportabläufe nicht ergeben.

2. Zu Unrecht meint der Beklagte, die angegriffenen Umsatzsteuerbescheide auf eine Schätzungsgrundlage stellen zu können (§ 162 Abs.1, Abs.2 AO). Die Befugnis zur Schätzung setzt nach § 162 Abs.1 Satz 1 AO voraus, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlage nicht ermitteln kann. Im vorliegenden Fall hat jedoch die Finanzbehörde unter Ausnutzung strafprozessualer Befugnisse ermittelt und umfangreich Beweise in Form von Rechnungs- und Transportbelegen der Klägerin und anderer Unternehmen sowie von Zeugenaussagen erhoben. Sie ist in ihren abschließenden Ermittlungsberichten v. 9.11.2006 für die streitgegenständlichen Fragen auch zu einem Ermittlungsergebnis gelangt. In solchem Falle besteht nach Auffassung des Senats keine Befugnis zur Schätzung.

Wollte man dies anders sehen und eine Schätzungsbefugnis bejahen, so wäre das Finanzgericht aufgerufen (BFH v. 11.2.1999, V R 40/98, BStBl II 1999, 382), anstelle des Finanzamts, das seine Bescheide nicht als Schätzungsbescheide erlassen, deshalb Erwägungen zur Schätzung und deren Höhe unterlassen und auch im Finanzgerichtsprozess nicht nachgeholt hat, eine eigene Schätzung vorzunehmen. Die eigene Schätzung müsste der auf die Ermittlungen der Steuerfahndung gestützten Überzeugung des erkennenden Gerichts Rechnung tragen, dass Umsätze der Klägerin mit Mobilfunktelefonen im Inland nicht stattgefunden haben. Über die dem Tenor dieser Entscheidung zugrunde liegenden Inlandsumsätze könnte auch im Schätzungsweg nicht hinausgegangen werden.

3. Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, er dürfe für Mobilfunktelefone Inlandsumsätze deshalb unterstellen, weil die Klägerin bei der Feststellung des Sachverhalts Mitwirkungspflichten verletzt habe und als Beweisverderber aufgetreten sei. Richtig ist, dass die Klägerin in Person ihres Geschäftsführers die Ausstellung unrichtiger Transportbelege veranlasst und diese Belege in ihrer Buchhaltung aufbewahrt hat. Die erhobenen Unterlagen und die Zeugin He. bestätigen (strafrechtlicher Ermittlungsbericht R. v. 9.11.2006, S. 69 ff.; Zeugenaussage He. v. 26.10.2004), dass in den vielen Fällen, in denen die Lieferungen innerhalb I.-Auslands vonstatten gingen, über unrichtige Transportbelege der Anschein einer Lieferung über die Spedition K. in Ö. erweckt wurde. Dieser Tatbestand hat jedoch nicht die vom Beklagten angenommenen Konsequenzen. Als das Finanzamt am 16.11.2006 die Einspruchsentscheidung zu den angegriffenen Umsatzsteuerbescheiden erließ, war der Sachverhalt durch die Ermittlungen der Steuerfahndung, die mit den Berichten v. 9.11.2006 endeten, aufgeklärt. Soweit die Klägerin also die Lieferwege für Mobilfunktelefone bewusst verschleiert und sie sich insofern auch als Beweisverderber betätigt hat, blieb dies schon für die Einspruchsentscheidung des Finanzamts ohne Folgen. Das Finanzamt hat dort die Erkenntnisse der Ermittlungsberichte v. 9.11.2006 zugrunde gelegt. Zudem hat sich die Klägerin im finanzgerichtlichen Prozess geäußert und Inlandsumsätze mit Mobilfunktelefonen verneint. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Finanzgerichts noch wirksame Pflichtverletzungen der Klägerin mit Bezug auf die hier interessierenden Feststellungen zum Sachverhalt liegen nicht vor.

4. Für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Umsatzsteuerbescheide kann sich der Beklagte nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben oder Vertrauensschutz berufen. Das Finanzamt hat zum Zeitpunkt seiner Einspruchsentscheidung v. 16.11.2006 auf die Richtigkeit der klägerischen Angaben in den Umsatzsteuererklärungen nicht vertraut. Es hat, wie die Ermittlungen der Steuerfahndung und die ihm zugänglichen Ermittlungsberichte v. 6.11.2006 zeigen, insbesondere nicht darauf vertraut, dass die Mobilfunkgeräte nach Deutschland gelangt und von Deutschland nach I.-Ausland geliefert worden sind. Für die Inanspruchnahme von das Vertrauen schützenden Normen fehlt es deshalb schon an einer tatsächlichen Grundlage.

5. Die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide können nicht ganz oder doch in wesentlichen Teilen mit der Begründung aufrecht erhalten bleiben, dass die Klägerin innergemeinschaftliche Erwerbe versteuern und der korrespondierende Vorsteuerabzug versagt werden müsse.

a) Richtig ist, dass bei der Klägerin der Tatbestand innergemeinschaftlicher Erwerbe im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs.1 Nr.5 UStG) insoweit begründet ist, als Mobilfunktelefone nicht nur in I.-Ausland an einen anderen Ort verbracht, sondern über die Grenze von I.-Ausland nach Ö. geliefert wurden. Insofern ist nach § 3d Satz 2 UStG ein Erwerbsort in Deutschland anzunehmen, weil die Klägerin gegenüber ihren i.-ausländischen Lieferanten ihre deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet hat. Dabei ergibt sich die Verwendung der deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer daraus, dass die Lieferanten wie von der Klägerin vorausgesehen in den zusammenfassenden Meldungen über innergemeinschaftliche Lieferungen die ihnen von der Klägerin mitgeteilte deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben haben. Für das Jahr 2000 sind demnach ungeachtet eventuell in Ö. vorliegender Steuererklärungen der Klägerin innergemeinschaftliche Erwerbe im Inland gegen Entgelt anzunehmen.

b) Der Klägerin steht allerdings ein Vorsteuerabzug in derselben Höhe zu (§ 15 Abs.1 Nr.3 UStG). Der Ausschlusstatbestand des § 15 Abs.2 Nr.1 UStG kann wegen § 15 Abs.3 Nr.1a) i.V.m. § 4 Satz 1 Nr. 1b) UStG nicht zur Anwendung kommen. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Vorsteuerabzug der Klägerin aber auch nicht wegen Missbrauch des Rechts auf Vorsteuerabzug versagt werden. Zwar ist der Senat von der Bösgläubigkeit des Geschäftsführers der Klägerin überzeugt. Der Geschäftsführer der Klägerin wusste, dass der Erwerb und die Lieferung von Mobilfunktelefonen durch die Klägerin in einen Plan zur Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen waren. Aus dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht v. 9.11.2006 ergibt sich, dass der Geschäftsführer der Klägerin maßgeblich an der Ausführung des Gesamtplans der Mehrwertsteuerhinterziehung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union beteiligt war. Es war der Geschäftsführer der Klägerin, der unrichtige Transportpapiere ausstellen ließ und so den tatsächlichen Lieferweg der Mobilfunktelefone zu verschleiern versuchte. Dennoch kommt die Versagung des Vorsteuerabzugs für den innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 15 Abs.1 Nr.3 UStG) nicht in Betracht. Zu Unrecht beruft sich der Beklagte hierfür auf eine Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Die Entscheidung v. 19.4.2007, V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035, die die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteile v. 12.1.2006 Rs. C-354/03, C-354/03, C-355/03 und C-484/03, BFH/NV Beilage 2006, 144 und v. 6.7.2006, C-439/04 und 440/04 , BFH/NV Beilage 2006, 454) übernimmt, betraf nicht den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 Nr.3 UStG, sondern den Anspruch auf Vorsteuerabzug, der scheinbar durch den Erwerb von inländischen Lieferanten nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG entstanden war. Diese Rechtsprechung ist nicht auf den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 Nr.3 UStG übertragbar. Denn anders als beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 Nr.3 UStG mit der Entstehung der Steuer nach § 1 Abs.1 Nr.5 UStG unmittelbar verknüpft. Abziehbar nach § 15 Abs.1 Nr.3 UStG ist die nach § 13 Abs.1 Nr.6 UStG i.V.m. § 1a, 1 Abs.1 Nr.5 UStG entstandene Steuer (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 Anm. 546 (August 2006); Forgach in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 Rnr. 360 (Oktober 2004); Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rnr. 427 (September 2005)). Für den erwerbenden Unternehmer stehen hier Besteuerung und Vorsteuerabzug in einem gesetzestechnischen Zusammenhang, der durch die Annahme eines Missbrauchs des Vorsteuerabzugs nicht getrennt werden kann.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs.1 FGO.

IV. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

V. Die Revision ist zugelassen (§ 115 Abs.2 Nr.1 FGO).

Ende der Entscheidung

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