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Gericht: Finanzgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 4 K 244/05
Rechtsgebiete: UStG, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 2
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 3
UStG § 4 Nr. 14 S. 1
UStG § 4 Nr. 15 Buchst. a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Schleswig-Holstein

4 K 244/05

Umsatzsteuer 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts

am 1. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin mit ihrer Gutachtertätigkeit zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit anderer Personen steuerfreie oder steuerpflichtige Umsätze erzielt. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin ist ausgebildete Krankenschwester mit einer Zusatzausbildung für medizinische Gutachtertätigkeit. Im Streitjahr erstellte die Klägerin im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) für Zwecke der Pflegeversicherung Gutachten zur Feststellung von Art und Umfang der Pflegebedürftigkeit von Versicherten. Bezüglich des Inhalts und des Umfangs der Gutachten wird zum einen auf das von der Klägerin eingereichte Inhaltsverzeichnis des von dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen herausgegebenen umfassenden Handbuches "Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches" verwiesen. Des weiteren wird auf die von dem Berichterstatter beim MDK eingeholten fünf exemplarischen Gutachten der Klägerin verwiesen.

Die Klägerin behandelte die Umsätze aus dieser Tätigkeit als steuerfrei nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG). Dem folgte das Finanzamt für das Streitjahr nicht, sondern behandelte diese Umsätze als steuerpflichtige Umsätze. Die Vorsteuer schätzte das Finanzamt auf Grundlage der Einnahme-Überschuss-Rechnung auf 110,90 Euro. Der Bescheid für das Streitjahr datiert vom 27. April 2005.

Den Einspruch der Klägerin wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 mit folgender Begründung zurück:

Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG seien die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei. Die Anwendung der Vorschrift auf die Umsätze von Unternehmen, die Heil- oder Heilhilfsberufe ausüben würden, hänge zwar nicht von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Die Vorschrift bezwecke die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer. Maßgebend sei, dass die Leistung des Unternehmens durch die heilberufliche Tätigkeit in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werde. Voraussetzung für die Steuerbefreiung sei jedoch stets eine heilberufliche Tätigkeit. Andere Umsätze umfasse die Steuerbefreiung auch dann nicht, wenn diese durch die Sozialversicherungsträger finanziert werde.

Die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 und § 4 Nr. 16 UStG, die auf der Grundlage von Art. 13 Teil A Abs. 1 b und c der 6. EG-Richtlinie ärztliche Heilbehandlungen und Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Umsatzsteuer befreien würden, seien im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. September 2000 eng auszulegen. Dies gelte unabhängig davon, um welche konkrete ärztliche Leistung es sich handele, für wen sie erbracht werde und wer sie erbringe. Art. 13 Teil A Abs. 1 c der 6. EG-Richtlinie befreie nur Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Steuer. Dabei handele es sich um einen autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der solche Maßnahmen umfasse, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und soweit möglich der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen einschließlich vorbeugender Untersuchungen vorgenommen würden. Andere ärztliche Leistungen kämen für eine Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 c der 6. EG-Richtlinie nicht in Betracht. Heilberufliche Leistungen seien daher nur steuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe.

Leistungen durch Behandlungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durch Krankenschwestern und Krankenpfleger seien ähnliche heilberufliche Tätigkeiten im Sinne von § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG. Für Leistungen durch Grundpflege (Körperpflege, Zubereitung und Aufnahme der Nahrung sowie An- und Auskleiden) und hauswirtschaftliche Versorgung (Einkaufen, Kochen und Wohnungsreinigung) gelte die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG hingegen nicht.

Ob eine Gutachtertätigkeit, deren Kosten von einem Träger der Sozialversicherung erstattet würden, als heilberufliche Tätigkeit qualifiziert werden könne, richte sich nach dem Gegenstand des Gutachtens. Es komme darauf an, ob es im unmittelbaren Zusammenhang mit einer heilberuflichen Behandlung stehe. Deshalb seien auch ärztliche Gutachten nicht schlechthin von der Umsatzsteuer befreit.

Bei Anwendung dieser Grundsätze handele es sich bei den Leistungen der Klägerin nicht um Umsätze aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG. Denn die im Rahmen der Pflegeversicherung zu erstellenden Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit könnten nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei sein, wenn die medizinische Betreuung im Vordergrund stehe und Anlass des ärztlichen Tätigwerdens sei. Bei gutachterlichen Tätigkeiten zur Feststellung der Voraussetzung von Pflegebedürftigkeit oder zur Feststellung, welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliege, stünden Fragen nach Art und Umfang der erforderlichen Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung im Vordergrund. Die nach § 18 Abs. 1 Satz 2 SGB XI im Rahmen dieser Prüfung gegebenenfalls auch zu treffenden Feststellungen zur Frage der Behandlungspflege würden dahinter zurücktreten. Pflegegutachten der hier fraglichen Art seien daher nach § 4 Nr. 14 UStG nicht umsatzsteuerfrei.

Für die Leistungen der Klägerin komme eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 d oder e UStG nicht in Betracht. Danach seien unter anderem die mit dem Betrieb der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtungen zur ambulanten Pflege Kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerbefreit, wenn weitere in Buchstaben d und e bezeichnete Voraussetzungen vorliegen würden. Die Tätigkeit der Klägerin hänge zwar mit der Übernahme der Kosten für die Aufnahme in diese Einrichtungen bzw. für die Kosten der ambulanten Pflege zusammen, die Befreiung erfasse jedoch nur die Leistungen der in der jeweiligen Bestimmung bezeichneten Einrichtungen selbst. Die Klägerin unterhalte keine dieser Einrichtungen.

Die Leistungen der Klägerin seien auch nicht nach § 4 Nr. 15a UStG steuerbefreit. Befreit seien nach dieser Vorschrift nur die auf Gesetz beruhenden Leistungen der medizinischen Dienste selbst. Zwar dürfe der medizinische Dienst die gesetzlich vorgesehene Begutachtung auch Personen überlassen, die nicht selbst dem medizinischen Dienst angehören würden, dies allein rechtfertige jedoch nicht, die Befreiung auch auf deren Leistungen auszudehnen.

Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg vor dem Hintergrund der steuerlichen Neutralität auf Art. 13 Teil A Abs. 1 g der 6. EG-Richtlinie berufen. Die Mitgliedstaaten könnten die Gewährung dieser Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts seien, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer Bedingungen abhängig machen. Art. 13 Teil A Abs. 1 g der 6. EG-Richtlinie räume den Mitgliedstaaten demnach ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen würden. Der Einzelne könne die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht schon dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung berufe. Vielmehr sei es Sache der nationalen Behörden, nach dem Gemeinschaftsrecht unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, insbesondere unter Berücksichtigung der Praxis, in der zuständigen Verwaltung zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 g der 6. EG-Richtlinie anzuerkennen seien.

Der nationale Gesetzgeber habe mit den Befreiungsvorschriften des § 4 Nr. 16 d und e UStG sowie des § 4 Nr. 15 a UStG Art. 13 Teil A Abs. 1 g der 6. EG-Richtlinie richtlinienkonform umgesetzt. Dabei habe der Gesetzgeber zulässigerweise die Steuerbefreiung nur den dort näher bezeichneten Einrichtungen zuerkannt. Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 d und e UStG und des § 4 Nr. 15 a UStG seien demnach nicht allein tätigkeitsbezogen ausgestaltet. Sie würden vielmehr auch im Rahmen des durch die 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessens die Wirtschaftsteilnehmer, die mit den beschriebenen Tätigkeiten die Steuerbefreiung beanspruchen können, beschreiben. Die Klägerin gehöre nicht zu diesen Wirtschaftsteilnehmern. Sie unterhalte keine der in § 4 Nr. 16 d und e UStG und § 4 Nr. 15a UStG näher bezeichneten Einrichtungen. Ein Unternehmer könne eine der in Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie bezeichnete Befreiung jedoch nur beanspruchen, wenn die weiteren Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift, deren Konkretisierung teilweise den Mitgliedstaaten überlassen seien, erfüllt seien. Aufgrund der vorstehenden Grundsätze ergebe sich ohne weiteres, dass die in § 4 Nr. 16 d und e UStG oder in § 4 Nr. 15 a UStG bezeichneten Leistungen nur dann steuerfrei seien, wenn sie von den im Gesetz bezeichneten Unternehmern unter den dort genannten Voraussetzungen durchgeführt werden würden und deshalb Leistungen natürlicher Personen an diese Unternehmer nicht steuerbefreit seien.

Mit der hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen Folgendes geltend:

Bezüglich des § 4 Nr. 14 UStG sei eine nähere Betrachtung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juni 2000 erforderlich. Auf den ersten Blick scheine dieses Urteil mit dem hier vorliegenden Fall identisch zu sein. Dies treffe tatsächlich aber nicht zu. Anders als im vorstehenden Fall vor dem BFH umfasse die Gutachtertätigkeit der Klägerin zu einem hohen Anteil die Behandlungspflege. Das sei laut BFH eine Pflegemaßnahme, die durch Erkrankung veranlasst sei und eine heilberufliche Tätigkeit beinhalte. Das mindestens 9 bis 10 Seiten umfassende Formular-Gutachten unterteile sich auf 9 Punkte. Grob aufgegliedert würden die Punkte 1 bis 4 eine umfangreiche Erhebung zur Versorgungs- und Befundsituation umfassen, die Punkte 5 und 6 die Bewertung der Befunde und die Punkte 7 bis 9 abschließende Empfehlungen. Die Feststellungen zu den Punkten 1 bis 4 würden nicht nur wertneutral erfolgen sondern würden auch verlangen, wiederholt zur Frage der Therapie und Rehabilitation Aussagen zu machen. Die Punkte 5 und 6 würden sich im Wesentlichen mit der Grundlage und der hauswirtschaftlichen Versorgung befassen. Dabei sei jedoch der Punkt 5.2 - Ernährung - anzusprechen, der für sich betrachtet eine nach § 4 Nr. 14 UStG begünstigte Leistung sei, wenn Ernährungsberatung aufgrund ärztlicher Anordnung im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme erfolge. Dies könne in der Praxis durchaus der Fall sein. Die übrigen Punkte 7 bis 9 würden ausschließlich die Maßnahmen der Behandlungspflege ansprechen.

Herauszustellen sei, dass die Tätigkeitsausübung der Klägerin deutlich von dem Sachverhalt des BFH-Urteils vom 20. Juni 2000 abweiche. Bei den von der Klägerin zu bearbeitenden Anträgen auf Leistung aus der Pflegeversicherung würden sich nur selten ärztliche Unterlagen befinden. Meist sei eine Auflistung von der Krankenkasse über Krankheitszeiten vorhanden, z.B. zum Teil auch mit Diagnosen, die häufig nicht stimmen würden. Sei eine Diagnose falsch oder fehle sie gänzlich, werde diese von der Klägerin korrigiert bzw. erstmals erstellt. In der Gesamtbetrachtung sei hiernach die Behandlungspflege im Rahmen der Pflegegutachten keineswegs von untergeordnetem Umfang oder untergeordneter Bedeutung. Die Umsätze aus der Gutachtertätigkeit seien damit umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 14 UStG.

Hinzu käme, dass es in der Praxis nicht nur Handlungen mit Ausschließlichkeitscharakter sondern auch solche mit größerer Bandbreite gäbe. So erfülle die Ernährungsberatung die Voraussetzungen einer Heilbehandlung und diene nicht nur der Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse, soweit der Bereich der Krankenbehandlung betroffen sei. Die Steuerbefreiung komme deshalb nur für die Ernährungsberatung in Betracht, welche aufgrund ärztlicher Anordnung und im Rahmen einer Vorsorge oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden sei. Hieraus werde deutlich, dass der Anteil, der nicht der eigentlichen Heilbehandlung diene, durchaus einen größeren Umfang haben könne, ohne dabei den Anspruch auf Steuerfreiheit in Frage zu stellen. Dies treffe bei näherer Betrachtung auch bei vielen anderen Fällen aus dem Anwendungsbereich des § 4 Nr. 14 UStG zu. Der bedeutende Anteil der Klägerin an der Behandlungspflege reiche somit zur uneingeschränkten Inanspruchnahme der Steuerbefreiung. Dabei dürfe nicht unbeachtet bleiben, dass Heilbehandlung auch vorliege, soweit unheilbar Erkrankte ärztlich behandelt würden. Das müsse auch für die Behandlungspflege durch andere heilberuflich Tätige bei Pflegebedürftigen in entsprechenden Fällen gelten. Denn die Behandlung zwecks Heilung oder die medizinische Rehabilitation werde in einschlägigen Regelungen zum Umsatzsteuerrecht regelmäßig mit der Einschränkung "soweit möglich" verwendet. Die medizinische wie auch heilpflegerische Behandlung von Menschen mit fehlender Aussicht auf Heilung oder Rehabilitation sei danach in vollem Umfang als Heilbehandlung im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG zu qualifizieren.

Die Auffassung der Klägerin, dass ihre Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei seien, ergebe sich auch aus der Anwendung des Urteils des BFH vom 13. Juli 2006.

Außerdem sei die 6. EG-Richtlinie nicht hinreichend konsequent in nationales Recht umgesetzt worden. Dies zeige sich besonders im Fall des § 4 Nr. 15a UStG. Hier werde nicht dem medizinischen Dienst der Krankenkasse als Rechtspflegekörperschaft an sich sondern ihrem umsatzsteuerrechtlich selbstständigen Betrieb gewerblicher Art und somit einem selbstständigen Unternehmen die Steuerbefreiung zuerkannt. Die Klägerin als freiberufliche Unternehmerin verrichte original die gleiche Tätigkeit vor demselben Hintergrund, solle aber dafür die Steuerbefreiung nicht beanspruchen können. Der nationale Gesetzgeber habe sein Ermessen so nicht ausüben dürfen. Das sei nicht richtlinienkonform. Die Klägerin habe hiernach einen Anspruch auf Gleichbehandlung.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr 2003 vom 27. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zur Einspruchsbegründung trägt es Folgendes vor:

Entgegen der Ansicht der Klägerin seien im Vergleich mit dem vom BFH am 28. Juni 2000 entschiedenen Fall bezüglich der Art der Gutachtertätigkeit des dortigen Klägers und bezüglich der Klägerin keine Unterschiede zu erkennen. Beide würden nach Maßgabe des § 18 SGB XI durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit Erstellung von Pflegegutachten beauftragt werden. Beide dürften daher auch auf der Grundlage derselben Durchführungsbestimmung und Richtlinien tätig geworden sein. Hinreichende Gründe, die eine abweichende Sachverhaltsbeurteilung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Die umfangreiche Rechtsprechung zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG fordere unter richtlinienkonformer Auslegung der Vorschrift strikt die konkrete und individuelle Heilbehandlung durch Diagnose, Behandlung und Vorbeugung. So führe der BFH in seinem Urteil vom 10. März 2005 aus, dass Heilbehandlungen im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 c der 6. EG-Richtlinie nur Tätigkeiten seien, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und - soweit möglich - der Heilung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen würden. Medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen würden, würden danach nicht in den Anwendungsbereich fallen. Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, der Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzepts seien, seien daher nicht steuerbefreit. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei eine Gutachtertätigkeit nur von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 14 UStG befreit, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit einer heilberuflichen Behandlung stehe. Dies sei bei der hier von der Klägerin für den medizinischen Dienst der Krankenversicherung auf der Grundlage des § 18 SGB XI ausgeführten Gutachtertätigkeit nicht der Fall.

In der mündlichen Verhandlung bestätigte der Klägervertreter, dass die vom MDK angeforderten Gutachten der Klägerin exemplarischen Charakter hätten.

Die Beteiligten waren sich außerdem einig, dass die vom Finanzamt geschätzte Vorsteuer der Höhe nach richtig ist.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Umsatzsteuer- und Bilanzakte ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Der Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr 2003 vom 27. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 der Finanzgerichtsordnung (FGO)).

Die Leistungen, die die Klägerin durch das Erstellen von Gutachten gegenüber dem MDK erbracht hat, sind nicht steuerfrei.

Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker steuerfrei. Dieser Regelung liegt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer 77/388/EWG ( Richtlinie 77/388/EWG ) zugrunde, wonach die Mitgliedstaaten die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden, von der Steuer befreien. Der durch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG gezogene gemeinschaftsrechtliche Rahmen und die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der bezeichneten Vorschrift durch den EuGH sind deshalb bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG zu beachten ( BFH-Urteil vom 12. August 2004 V R 18/02, BFH/NV 2005, 313 ).

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG werden nicht sämtliche Leistungen von der Steuer befreit, die im Rahmen der Ausübung ärztlicher Berufe erbracht werden können, sondern nur die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin (s. EuGH vom 20. November 2003 Rs. C-212/01, Unterpertinger, Umsatzsteuerrundschau -UR- 2004, 70, Rz. 35). Heilbehandlungen im Sinne der Richtlinie 77/388/EWG sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden (BFH in BFH/NV 2005, 313 m.w.N.).

Gemäß des Grundsatzes, dass sämtliche Begriffe, mit denen Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG umschrieben sind, eng auszulegen sind, müssen deshalb Leistungen, die keinem therapeutischen Ziel dienen, vom Anwendungsbereich des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen werden und unterliegen somit der Umsatzsteuer (vgl. EuGH vom 14. September 2000 Rs. C-384/98, UR 2000, 432 , Rz. 19). Somit ist das Ziel einer ärztlichen Leistung dafür ausschlaggebend, ob diese von der Mehrwertsteuer zu befreien ist. Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erbringung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer Entscheidung ist, die Rechtswirkungen erzeugt, so findet die Steuerbefreiungsregelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG auf diese Leistung keine Anwendung. Besteht nämlich die Leistung in der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens, ist das Hauptziel, auch wenn die Erbringung der Leistung Anforderungen an die medizinische Kompetenz des Erbringers stellt und für den Arztberuf typische Tätigkeiten wie die körperliche Untersuchung des Patienten oder die Prüfung seiner Krankheitsgeschichte umfassen kann, nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Person, über die das Gutachten erstellt wird. Eine solche Leistung, die die im Gutachtenauftrag gestellten Fragen beantworten soll, soll vielmehr einem Dritten den Erlass einer Entscheidung ermöglichen, die gegenüber den Betroffenen oder anderen Personen Rechtswirkungen erzeugt. Zwar kann ein Gutachten mittelbar zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen beitragen, indem ein neues gesundheitliches Problem entdeckt oder eine frühere Diagnose berichtigt wird. Gleichwohl bleibt es der Hauptzweck einer jeden derartigen Leistung, eine gesetzlich oder vertraglich vorgesehene Bedingung für die Entscheidungsfindung eines anderen zu erfüllen. Für eine solche Leistung kann die Steuerbefreiungsregelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG daher nicht gelten ( EuGH in UR 2004, 70 Rz. 42, 43).

Davon ausgehend kann die Klägerin für die Erbringung der Gutachten gegenüber dem MDK keine Steuerbefreiung beanspruchen. Es kann dabei dahinstehen, ob die Gutachtentätigkeit der Klägerin auch einen Bezug zur Behandlungspflege hatte, entscheidend ist vielmehr, dass Hauptzweck der Gutachtentätigkeit der Klägerin nicht in erster Linie dem Schutz der Gesundheit des Betroffenen dienen sollte. Hauptzweck des Gutachtens war es, dem MDK eine Entscheidung darüber zu ermöglichen, in welche Pflegestufe die begutachtete Person einzustufen ist. Dem Leistungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem MDK liegt auch keine Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung zu Grunde. Vielmehr werden die hier streitigen Gutachten unabhängig davon erbracht, ob die zu begutachtende Person sich bereits in ärztlicher Behandlung befindet. Soweit die Gutachten einem behandelnden Arzt vorgelegt werden, so können die in dem Gutachten der Klägerin enthaltenen Feststellungen zwar mittelbar einer konkreten Heilbehandlung zu Grunde gelegt werden. Gleichwohl bleibt es Hauptzweck eines solchen Gutachtens, eine gesetzliche oder vertraglich vorgesehene Bedingung für die Entscheidungsfindung eines anderen zu erfüllen. Für eine solche Leistung kann die Steuerbefreiungsregelung des Art. 13 A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie nicht gelten (vgl. Urteil des EuGH vom 20.11.2003 Rs. C-212/01, UR 2004, 70 (73)).

Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht dem von der Klägerin zitierten Urteil des Bundesfinanzhofes vom 13. Juli 2006 (BFH/NV 2006, 2387). Auch in diesem Urteil ist der Bundesfinanzhof der Auffassung, dass ärztliche Untersuchungen, die in erster Linie zu dem Zweck durchgeführt werden, eine Entscheidungsfindung zu ermöglichen, nicht steuerfrei sind.

Die Leistungen der Klägerin sind auch nicht nach § 4 Nr. 15 Buchst. a UStG steuerbefreit. Hiernach sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die auf Gesetz beruhenden Leistungen der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (§ 278 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch --SGB V--) und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (§ 282 SGB V) untereinander und für die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung und deren Verbände. "Medizinischer Dienst" sind die nach § 278 SGB V in jedem Land von den Landesverbänden der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Verbände der Ersatzkassen errichteten und gemeinsam getragenen Arbeitsgemeinschaften "Medizinischer Dienst der Krankenversicherung" bzw. der gemäß § 282 SGB V auf Bundesebene zur Koordinierung gebildete "Medizinische Dienst Spitzenverbände der Krankenkassen".

Die Voraussetzungen dieser Befreiung liegen nach deren Wortlaut nicht vor. Denn befreit sind nur die auf Gesetz beruhenden Leistungen der Medizinischen Dienste selbst. Zwar darf der Medizinische Dienst --wie beispielsweise in § 18 Abs. 6 SGB XI vorgesehen-- die gesetzlich vorgesehene Begutachtung auch Personen überlassen, die nicht selbst dem Medizinischen Dienst angehören. Dies allein rechtfertigt jedoch nicht, die Befreiung auch auf deren Leistungen auszudehnen (vgl. Urteil des BFH vom 28. Juni 2000 V R 72/99, BStBl II 2000, 564).

Die Klägerin kann sich auch nicht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie berufen. Der EuGH (Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, UR 2002, 513) hat dazu ausgeführt:

"Was den Begriff 'von einem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannten Einrichtungen' angeht, räumt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6 EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen. Solange die Mitgliedstaaten die Grenzen des Ihnen in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-Richtlinie eingeräumten Ermessen beachten, kann der einzelne mit Wirkung gegenüber dem Mitgliedstaat die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht dadurch erlangen, dass er sich auf diese Bestimmung beruft."

Da der deutsche Gesetzgeber mit § 4 Nr. 15a UStG den Medizinischen Dienst als Einrichtung mit sozialem Charakter bestimmt hat und damit die Richtlinie in nationales Gesetz umgesetzt hat, kann die Klägerin sich nicht auf diese Vorschrift der 6. EG-Richtlinie berufen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Auswahl der in § 4 Nr. 15a UStG aufgeführten Einrichtungen deswegen sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er einzelnen Personen nicht den Status einer Einrichtung zugestanden hat, sind nicht ersichtlich (vgl. Urteil des BFH vom 28. Juni 2000 V R 72/99, BStBl II 2000, 564).

Schließlich kann sich die Klägerin nicht auf den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer berufen. Zwar hat der EuGH in mehreren Urteilen - zuletzt in seinem Urteil vom 7. Dezember 2006 C-240/05 (UR 2007, 98 Rz. 46 f) - ausgeführt, dass es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbiete, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

Dieser Grundsatz der steuerlichen Neutralität kann aber dann keine Anwendung finden, wenn auf Grund der 6. EG-Richtlinie eine unterschiedliche Behandlung möglich ist. Nach Art. 13 A Abs. 1 Nr. g der 6. EG-Richtlinie sind eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen nur dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn diese Dienstleistungen von bestimmten Einrichtungen erbracht werden. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass für entsprechende Leistungen, die nicht von diesen Einrichtungen erbracht werden, nicht die Steuerbefeiung in Anspruch genommen werden kann. Insofern ergibt sich bereits aus Art. 13 A Abs. 1 Nr. g der 6. EG-Richtlinie, dass für derartige Dienstleistungen eine Ungleichbehandlung nicht ausgeschlossen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Der Senat hat die Revision zugelassen, da in der Literatur (vgl. Tehler in Rau/Dürrwächter /Flick/Geist, Anm. 118 zu § 4 Nr. 15a) auch die Meinung vertreten wird, dass es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbiete, die Erstellung von Gutachten durch nicht angestellte Fachkräfte und durch angestellte Fachkräfte bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich zu behandeln.

Ende der Entscheidung

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