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Gericht: Finanzgericht Thüringen
Urteil verkündet am 05.09.2007
Aktenzeichen: III 610/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Thüringen

III 610/06

Familienleistungsausgleich Januar 2005 bis Juli 2005

In dem Rechtsstreit

...

hat der III. Senat des Thüringer Finanzgerichts

aufgrund mündlicher Verhandlung

am 5. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Zeit von Januar bis Juli 2005, insbesondere ob die Frage, das Einkommen des Kindes im Kalenderjahr 2005 den maßgeblichen Grenzbetrag überschreitet bzw. ob sich das Kind ab Juli 2005 in einem Arbeitsverhältnis befand (Ansicht der Klägerin) oder in einem weiteren Ausbildungsverhältnis (Auffassung der Beklagten).

Die Klägerin ist die Mutter ihrer am 11.07.1980 geborenen Tochter S. Diese absolvierte seit dem 01.08.2003 bei der "RDW mbH" eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel. Die Tochter beendete diese Ausbildung am 05.07.2005 "mit erfolgreicher Prüfung". Seit 06.07.2005 absolvierte sie dort auf der Grundlage eines gesonderten Vertrages eine "Fortbildungsmaßnahme zur Handelsfachwirtin" Im Anschluss an die streitige Maßnahme war die Tochter weiterhin auf der Grundlage eines neuen Vertrages bei der GmbH tätig.

Nach § 1 Punkt 1 des Vertrages über eine Fortbildung zur Handelsfachwirtin "tritt die Mitarbeiterin ab dem folgenden Tag der bestandenen Abschlussprüfung zur Kauffrau im Einzelhandel vor der Industrie- und Handelskammer bei der Firma in die Fortbildung zur Handelsfachwirtin. Der Fortbildungsvertrag endet - ohne, dass es einer Kündigung bedarf - mit Ablauf des 30.06.1997". Besteht die Mitarbeiterin vor Ablauf der unter Punkt 1 vereinbarten Fortbildungszeit die Prüfung zur Handelsfachwirtin, so endet das Fortbildungsverhältnis mit dem Tag dieser Prüfung. Nach § 1 Punkt 3 des Vertrages kann auf entsprechenden, vor Ablauf der vereinbarten Fortbildungszeit zu stellenden, schriftlichen Antrag der Mitarbeiterin die Dauer des Vertragsverhältnisses durch Einigung der Vertragspartner bei Nichtbestehen oder Nichtteilnahme - ohne eigenes Verschulden - an der Prüfung zur Handelsfachwirtin verlängert werden, jedoch nur bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung.

Nach § 4 des Vertrages erhält die Mitarbeiterin im ersten Jahr eine "Fortbildungsvergütung" in Höhe von 1.100,00 EUR und im zweiten Jahr in Höhe von 1.425,00 EUR brutto pro Monat.

Bedingt durch die Übernahme der Kosten bzw. Gebühren für den Handelfachwirt-Kompaktlehrgang sowie die Handelsfachwirt-Prüfung durch die Firma wurde in § 19 des Vertrages eine Bindungsklausel vereinbart, die wie folgt gestaffelt ist:

Bei Kündigung während des Fortbildungs- oder Arbeitsverhältnisses bzw. bei Beendigung des anschließenden Arbeitsverhältnisses vor Ablauf eines Jahres durch die Mitarbeiterin oder durch die Firma aufgrund eines durch die Mitarbeiterin verschuldeten Anlasses - erstattet die Mitarbeiterin die der Firma bis zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens entstandenen Kosten in voller Höhe zurück. Gleiches gilt, wenn der Fall der automatischen Beendigung des Fortbildungsverhältnisses gemäß § 1 Punkt 3 des Vertrages nicht Nichtteilnahme an der Prüfung aufgrund eigenen Verschuldens oder nicht rechtzeitiger Beantragung der Verlängerung des Fortbildungsverhältnisses bei Nichtbestehen der Prüfung eintritt.

Kündigt die Mitarbeiterin oder die Firma aufgrund eines durch die Mitarbeiterin verschuldeten Anlasses - vor Ablauf von zwei Jahren nach Beendigung des Fortbildungsverhältnisses das bestehende Arbeitsverhältnis, so hat die Mitarbeiterin 2/3 der der Firma entstandenen Kosten zu erstatten.

Bei Beendigung bzw. Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Mitarbeiterin oder durch die Firma aufgrund eines durch die Mitarbeiterin verschuldeten Anlasses nach Ablauf von 2 Jahren nach Beendigung des Fortbildungsverhältnisses muss die Mitarbeiterin 1/3 der der Firma entstandenen Kosten zurückerstattet werden.

Auf den weiteren Inhalt des Vertrages wird verwiesen.

Zum Nachweis des Inhaltes der Tätigkeit der Tochter der Klägerin wird ferner auf eine Bestätigung der "R. mbH" vom 22.01.2007 und eine Weiterbildungsbroschüre für 2007 des von der Industrie- und Handelskammer K. sowie der Handwerkskammer K. als Gesellschafter getragenen Bildungszentrums K. verwiesen.

Nach der Bestätigung der "R. mbH" vom 22.01.2007 handelt es sich bei der berufsbegleitenden Fortbildung zum/zur Handelsfachwirt/in um eine länderübergreifende, staatlich anerkannte Maßnahme, die mit einer entsprechenden Prüfung endet. Die Prüfung ist vor der jeweils zuständigen Industrie- und Handelskammer abzulegen. Voraussetzung sind ein abgeschlossenes Abitur oder Fachhochschulreife sowie eine abgeschlossene zweijährige Ausbildung zur/zum Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel. Anschließend beginnt die Fortbildung zum/zur Handelsfachwirt/in. Etwa alle sechs Wochen veranstaltet die Industrie- und Handelskammer jeweils ein einwöchiges Seminar. Dies findet während der Arbeitszeit statt. Hierfür werden die Handelsfachwirte bezahlt freigestellt. Nach zwei Jahren findet dann vor der Industrie- und Handelskammer die schriftliche und mündliche Prüfung statt. Die Fortbildungsmaßnahme beinhaltet eine 40-Stunden-Woche und die Bereitschaft, Mehrarbeit zu leisten. Teilweise übernehmen Handelsfachwirte bereits während der Fortbildungsmaßnahme Führungsaufgaben, wie z.B. Abteilungsleiter, stellvertretende Marktleiter usw. Diese Zusatzbelastung wird dann entsprechend durch eine freiwillige Zulage honoriert.

In der Zeit vom 01.01. bis zum 05.07.2005 erzielte die Tochter der Klägerin anzurechnende Netto-Einnahmen in Höhe von 3.302,06 Euro. In der Zeit vom 06.07. bis zum 31.12.2005 erzielte sie Netto-Einnahmen in Höhe von 4.867,70 Euro. Ferner erhielt sie Urlaubsgeld in Höhe von netto 301,81 Euro und Weihnachtsgeld in Höhe von netto 405,14 Euro. Ferner erhielt die Tochter der Klägerin im Juni und im Dezember 2005 Warengutscheine jeweils in Höhe von 137,50 Euro.

Mit Bescheid vom 09.06.2006 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für Sabrina ab Januar 2005 auf und forderte überzahltes Kindergeld für die Zeit von Januar bis Juli 2005 in Höhe von 1.078 Euro zurück. Da sie die Tätigkeit der Tochter der Klägerin über den 06.07.2005 hinaus als Berufsausbildung ansah, berechnete sie die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes unter Einbeziehung der ab dem 06.07.2005 gezahlten Beträge und kam zur Auffassung, dass - unter Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten, Sozialversicherungsbeiträge und Unkostenpauschale für Bezüge - die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes im Jahr 2005 8.051,71 Euro betrügen und damit den maßgeblichen Grenzbetrag in Höhe von 7.680 Euro überschritten. Die Ausbildung des Kindes sei im gesamten Kalenderjahr 2005 erfolgt und das in diesem Zeitraum zu verzeichnende Einkommen des Kindes übersteige den maßgeblichen Grenzbetrag.

Im Rahmen ihres hiergegen gerichteten Einspruchs machte die Klägerin geltend, dass unter Zugrundelegung des Einkommens ihrer Tochter im Zeitraum Januar 2005 bis Juli 2005 dieses entgegen der Auffassung der Beklagten infolge erhöhter Werbungskosten (Fahrtkosten zum verlegten Ausbildungsort) nicht den maßgeblichen Grenzbetrag überschreite. Nur auf diesen Zeitraum sei aber abzustellen, da es sich bei der Fortbildung zur Handelsfachwirtin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um ein Ausbildungs-, sondern um ein Arbeitsverhältnis handele.

Nach erfolglosem Einspruch verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Klage weiter. Sie macht geltend; ihre Tochter S. habe sich von Januar bis Juli 2005 in einem Ausbildungsverhältnis zur Einzelhandelskauffrau befunden. Ab 6. Juli 2005 sei sie in ein reguläres Arbeitsverhältnis bei der "E.-Gruppe übernommen" worden. Im Rahmen ihrer Tätigkeit führe ihre Tochter nun seit dem 6. Juli 2005 eine Fortbildung zur Handelsfachwirtin durch. Dabei handele es sich um eine Fortbildung im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses und nicht - wie die Beklagte meine - um eine Berufsausbildung. Nur weil die Familienkasse das Arbeitsverhältnis unzutreffend als Berufsausbildung werte, komme sie zum Ergebnis, dass die Einkommensgrenzen für die Gewährung von Kindergeld überschritten würden. In dieser Zeit habe ihre Tochter nur jeweils eine Woche lang ein Seminar bei der IHK E. in der Zeit von September bis November 2005 besucht. Gegen die Wertung als Ausbildungsverhältnis spreche auch, dass ihre Tochter im Juni 2006 ihren sog. "Ausbildungsschein" gemacht habe. Nach der Bescheinigung der "R. mbh" habe es sich nur bei der am 05.07.2005 abgeschlossenen Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel um ein Ausbildungsverhältnis gehandelt, nicht dagegen bei der ab 06.07.2005 begonnen Fortbildungsmaßnahme. So spreche auch der Vertrag über eine Fortbildung zur Handelsfachwirtin in § 1 Absatz 2 - mit der Formulierung "Fortbildungsverhältnis (im Folgenden auch Arbeitsverhältnis genannt)" - auch von einem "Arbeitsverhältnis". Die in der Kindergeldakte der Beklagten eingeheftete Ausbildungsbescheinigung sei sachlich falsch und sei durch die korrigierte Bescheinigung vom 19.04.07 zu ersetzen. Dort sei klar erkenntlich, dass, wie wiederholt vorgetragen, die Ausbildung der Tochter am 05.07.05 geendet habe.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom 09.06.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.07.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend: Ausgehend davon, dass sich die Tochter der Klägerin im gesamten Kalenderjahr 2005 in einer Ausbildung befunden habe, überschritten die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2005 den maßgeblichen Grenzbetrag.

Vorliegend habe die Tochter zwar ihre erste Berufsausbildung ("Kauffrau im Einzelhandel") am 05.06.2005 beendet. Entgegen der Annahme der Klägerin sei aber die Übernahme des Kindes durch die Edeka-Gruppe ab 06.07.2005 nicht primär als Eintritt in ein reguläres Arbeitsverhältnis anzusehen, in dessen Rahmen das Kind eine "Fortbildung zur Handelsfachwirtin" durchführe. Dieses "Arbeitsverhältnis" diene offensichtlich vielmehr vorrangig der Weiterbildung im erlernten Beruf und dazu, eine höhere berufliche Qualifikation zu erlangen. Damit stelle sich aber dieses "Arbeitsverhältnis" seinem Inhalt nach nicht als ein solches dar, sondern vielmehr als eine Zweitausbildung.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen A. Hinsichtlich des Inhaltes der Zeugenaussage wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 05.09.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Aufhebungsbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn ihr steht für den streitigen Zeitraum kein Kindergeld für ihre Tochter zu. Die Tochter der Klägerin befand sich auch ab dem 06.07.2005 in einer Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Da die Tätigkeit der Tochter der Klägerin über den 6.07.2005 hinaus als Berufsausbildung anzusehen ist, sind ihre eigenen Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Sätze 7 und 8 EStG unter Einbeziehung der ab dem 06.07.2005 gezahlten Beträge zu berechnen. Unter Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten, Sozialversicherungsbeiträge und Unkostenpauschale für Bezüge betragen die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes im Jahr 2005 8.051,71 Euro und überschreiten damit den maßgeblichen Grenzbetrag in Höhe von 7.680 Euro.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der von der Tochter absolvierten Fortbildungsmaßnahme zur Handelsfachwirtin um eine Berufsausbildung.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Anschluss an die Übernahme des Kindergeldrechts in das EStG den Begriff der Berufsausbildung in mehreren Grundsatzurteilen bestimmt und erweiternd ausgelegt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 09.06.1999 VI R 50/98, BStBl. II 1999, 706). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH umfasst eine Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, d.h. die Ausbildung zu einem künftigen Beruf, alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BFHE 191, 50, BStBI II 2000, 199; vom 24.06.2004 III R 3/03, BFH/NV 2004, 1581 m.w.N.). Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung selbst dann auszugehen, wenn die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht in überwiegendem Umfang in Anspruch nimmt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBI II 1999, 701), weil es beispielsweise neben einem Studium erwerbstätig ist (vgl. BFH-Urteile vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBI II 2000, 473; vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655). Demgemäß erfüllt auch ein berufsbegleitendes, d.h. neben einer Erwerbstätigkeit oder neben dem Zivildienst unternommenes Studium grundsätzlich den Tatbestand der Berufsausbildung, wenn der Studierende diese Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibt, d.h. dem Studium tatsächlich nachgeht (vgl. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1999 VI R 53/99, BFH/NV 2000, 431; vom 9. Juni 1999 VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBI II 1999, 708, jeweils betr. Promotionsvorbereitung; in BFH/NV 1997, 655: Studium neben Berufstätigkeit; vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 1, 89, 107, BStBI II 1999, 710: Fremdsprachenunterricht im Rahmen eines Au-pair-Aufenthalts i.V.m. erfolgreichem Prüfungsabschluss; vom 9. Juni 1999 VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBI II 1999, 705: College-Besuch; in BFHE 191, 50, BStBI II 2000, 199: Fremdsprachenassistent). So ist im Fall des Zusammentreffens von Berufsausbildung und zusätzlicher Erwerbstätigkeit die Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes und damit die wirtschaftliche Belastung der Eltern nicht durch eine einschränkende Auslegung des Tatbestands der Berufsausbildung, sondern - entsprechend der Regelungskonzeption der Jahresgrenzwertermittlung (§ 32 Abs. 4 Satz 2 - ggf. i.V.m. Sätze 5 und 6 - EStG) - durch die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes typisierend zu bestimmen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 189, 107 , BStBI II 1999, 710 betr. Sprachaufenthalt; in BFH/NV 1997, 655, betr. Halbtags-Erwerbstätigkeit; vom 16. April 2002 VIII R 58/01, betr. Offizieranwärter).

Zur Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG gehört danach auch die Weiterbildung im erlernten und ausgeübten Beruf, wenn diese dazu dient, zu einer höheren beruflichen Qualifikation zu gelangen. Das Berufsziel wird nach ständiger Rechtsprechung weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt (vgl. BFH-Urteile vom 2. Juli 1993 III R 81/91, BStBl II 1993, 870 und vom 8. November 1972 VI R 54/70, BStBl II 1973, 138). Denn Kindern und Eltern kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassung wegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfG-Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/98, 2 BvR 1226/96, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182, 187). Das Berufsziel ist nicht ohne weiteres dann als erreicht anzusehen, wenn das Kind die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des von ihm gewählten Berufs erfüllt (BFH-Urteil in BStBl II 1973, 138). Die technische und wirtschaftliche Entwicklung in praktisch allen Berufszweigen lässt es vielmehr als notwendig erscheinen, Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die über das vorgeschriebene Maß hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1972 VI R 309/70, BStBl II 1973, 139). Kindern muss daher zugebilligt werden, zur Vervollkommnung und Abrundung von Wissen und Fähigkeiten auch Maßnahmen außerhalb eines fest umschriebenen Bildungsgangs zu ergreifen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BStBl II 1985, 91). Die betreffende Maßnahme muss der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dienen (vgl. FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, Urteil vom 19. März 1998 8 K 299/96 --rkr.--, EFG 1998, 1337) und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen (vgl. Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 63 Rdnr. D 57). Es darf sich daher nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handeln.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall handelt es sich bei der "Fortbildung zur Handelsfachwirtin" bei Würdigung der Gesamtumstände um eine "Berufsausbildung" im oben genannten Sinne und nicht um ein Arbeitsverhältnis. Denn die betreffende Maßnahme diente der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation, wobei der Ausbildungscharakter im Vordergrund stand.

Hierfür sprechen folgende Gesichtspunkte: Ziel dieser Fortbildung ist es laut Weiterbildungsbroschüre für 2007 des von der Industrie- und Handelskammer K sowie der Handwerkskammer K. als Gesellschafter getragenen Bildungszentrums K den Teilnehmer für die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben zu qualifizieren. Die berufsbegleitende Fortbildung zur Handelsfachwirtin, mithin der weitere Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen, erfolgt in einem geregelten Fortbildungsgang mit anschließender Prüfung. Der Umstand der Höherqualifizierung ergibt sich auch aus dem Umstand, dass - entsprechend der Aussage des Zeugen A. - nach erfolgreicher Fortbildung zum Handelsfachwirt auf der Grundlage eines anschließenden Beschäftigungsvertrages eine Vergütung von monatlich mindestens 2.000 Euro bis hin zu 2.500 Euro bezahlt wird, während die Tochter der Klägerin ohne diese Zusatzqualifikation als ausgelernte Einzelhandelkauffrau nur etwa monatlich 1.500 Euro bezahlt bekäme.

Die Tochter der Klägerin hat betreffend der Maßnahme einen vom früheren Ausbildungsvertrag zur Einzelhandelskauffrau und zum späteren Anstellungsvertrag gesonderten Vertrag abgeschlossen. Dieser gesonderte Vertrag war auf zwei Jahre befristet, nach § 1 Abs. 2 des Vertrages zumindest bis zum Bestehen der Prüfung zur Handelsfachwirtin und enthielt in § 1 Abs. 3 des Vertrages eine Option zur Verlängerung bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung im Falle des Nichtbestehens der Erstprüfung. Zudem regelt der Vertrag in § 19 eine sog. "Bindungsklausel", d.h. eine Rückzahlungsverpflichtung für die Tochter der Klägerin für den Fall ihres vorzeitigen Ausscheidens aus dem Betrieb. Gerade diese Rückzahlungsklausel spricht für die Wertung der Maßnahme als Berufsausbildung und ist für Arbeitsverhältnisse mehr als untypisch. § 2 des Vertrages regelt zudem die Pflicht der Firma, die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten sicherzustellen, die zum Erreichen des Fortbildungszieles erforderlich sind und die Organisation des betrieblichen Einsatzes so vorzunehmen, dass die für die Fortbildungsprüfung erforderlichen notwendigen praktischen Erfahrungen gesammelt werden könnten, ferner die Tochter der Klägerin für die notwendige Zeit zur Teilnahme am Handelsfachwirt-Lehrgang und zur Ablegung der entsprechenden Prüfung freizustellen und die Lehrgangskosten bzw. die Prüfungsgebühr zu übernehmen. Alle 6 Wochen fand jeweils ein einwöchiges Seminar bei der IHK während der Arbeitszeit statt, wofür die Handelsfachwirte bezahlt freigestellt wurden.

Soweit die Klägerseite darauf hinweist, dass im Fortbildungsvertrag zuweilen von "Mitarbeiter" und von "Arbeitsverhältnis" gesprochen wird und dass es sich nach Wertung der R. mbH bei der Fortbildungsmaßnahme nicht um ein Ausbildungsverhältnis handele, ergibt sich hieraus für den Senat keine andere Beurteilung. Zum einen obliegt es dem Senat zu bewerten, ob eine Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG gegeben ist. Zum anderen sind auch die im Vertrag gewählten Formulierungen zwar Indizien, die nach Aktenlage für ein Arbeitsverhältnis und gegen ein Ausbildungsverhältnis sprechen können. Der Senat wertet jedoch diese gegen die Annahme einer Berufsausbildung sprechenden Umstände im Rahmen der Gesamtbetrachtung angesichts der Vielzahl der für eine Berufsausbildung sprechenden Umstände als nachrangig. Maßgeblich sind im Übrigen die tatsächlichen Verhältnisse und nicht die von den Vertragsbeteiligten gewählten Bezeichnungen oder Formulierungen. Nach Aussage des Zeugen A sind die angehenden Fachwirte zwar weisungsbefugt, haben einen eigenen Verantwortungsbereich und führen organisatorische Aufgaben wie Personaleinteilung aus. Ausweislich der Bescheinigung der RDW mbH üben ferner die angehenden Handelsfachwirte häufiger bereits während der Fortbildungsmaßnahme Führungsaufgaben, wie z.B. Abteilungsleiter, stellvertretende Marktleiter usw. aus, wobei diese Zusatzbelastung dann entsprechend durch eine freiwillige Zulage honoriert wird, und werden als vollwertige Arbeitskräfte eingeteilt und eingesetzt. Zwar nähern diese für sich genommen für eine Bewertung der Maßnahme als Arbeitsverhältnis sprechenden Umstände die Fortbildungsmaßnahme insoweit an ein "Trainee-Programm" an, welches regelmäßig als Arbeitsverhältnis zu würdigen ist. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung sprechen diese Umstände aber nicht zwingend gegen die Wertung der Maßnahme als Berufsausbildung, weil aufgrund der bereits zuvor geschilderten Punkte - insbesondere der Bindungsklausel, der Verlängerungsoption bis zur Wiederholungsprüfung und der Befristung des Vertragsverhältnisses zumindest bis zur bestandenen Abschlussprüfung - der Ausbildungscharakter der Maßnahme - anders als bei typischen "Trainee-Programmen" - im Vordergrund steht. Auch der Umstand, dass die Tochter der Klägerin im Juni ihre sog. Ausbildereignungsprüfung absolviert hat, steht im Streitfall der durch den Senat getroffenen Beurteilung nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass die Fortbildungsmaßnahme "Handelsfachwirt" nicht in die Liste für Ausbildungsberufe aufgenommen ist und jeder Bildungsträger die erforderliche Prüfung abnehmen kann, ist im Hinblick auf die bereits zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung für die Wertung der Maßnahme als Berufsausbildung unbeachtlich. Die Höhe der Entlohnung, die die übliche Vergütung für einen Auszubildenden übersteigen mag, und deren Bezeichnung sind ebenfalls lediglich Indizien, die - wie im Streitfall - durch andere, gewichtigere Indizien und Feststellungen widerlegt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), da die Frage der Wertung der bundesweit ausgeübten Fortbildung zum "Handelsfachwirt" als Berufsausbildung bzw. als Arbeitsverhältnis über den Streitfall hinaus für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist.



Ende der Entscheidung

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