Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Thüringen
Urteil verkündet am 06.04.2006
Aktenzeichen: III 1308/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 2
EStG § 11 Abs. 1 S. 1
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 32 Abs. 4 S. 6
EStG § 32 Abs. 4 S. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Thüringen

III 1308/04

Familienleistungsausgleich

In dem Rechtsstreit ...

hat der III. Senat des Thüringer Finanzgerichts

mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung

in der Sitzung vom 6. April 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Aufhebungsbescheid vom 11.10.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2004 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kindergeld für ihren Sohn A für die Zeit von Januar bis Juni 2002 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der von der Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Juni 2002, insbesondere ob der anteilige Grenzbetrag überschritten ist und über welche Einkünfte und Bezüge das Kind verfügte.

Die Klägerin ist die Mutter des am 27.04.1983 geborenen Kindes A. Dieser befand sich unstreitig von Januar bis 28. Juni 2002 in Berufsausbildung. Er erzielte in diesem Zeitraum Einkünfte in Höhe von 2.295,80 EUR. Der Sohn erhielt ferner im April 2002 eine Nachzahlung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 1.09.2000 bis 31.08.2001 in Höhe von 2.335,62 EUR. Sozialversicherungsbeiträge wurden für die Zeit von Januar bis Juni 2002 in Höhe von 574,95 Euro gezahlt.

Die Beklagte berücksichtigte die Berufsausbildungsbeihilfe in voller Höhe und ermittelte somit nach Abzug der Kostenpauschale von 180 EUR Bezüge des Kindes in Höhe von 2.155,62 EUR. Da nach Auffassung der Beklagten die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes mit 4.451,42 EUR den anteiligen Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 7 EStG von 3.594 EUR überschritten, hob die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2004 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis Juni 2002 auf.

Nach erfolglosem Einspruch verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Klage weiter. Sie vertritt die Auffassung, die Nachzahlung habe nur soweit sie wirtschaftlich auf den Anspruchszeitraum Januar bis Juni 2002 entfällt, d.h. in Höhe von 6/12 bei den Bezügen angerechnet werden dürfen. Bei nur zeitanteiliger Berücksichtigung wäre der maßgebliche Grenzbetrag nicht überschritten und Kindergeld stünde der Klägerin zu. Nach den BFH-Urteilen vom 16.04.2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525 (vgl. hierzu Anm. Greite, FR 2002, 835) und vom 11.12.2001 VI R 5/00, BFHE 197, 408, BStBl II 2002, 205 sei zwar in einem ersten Schritt das Zuflussprinzip anzuwenden, wonach der Zufluss der Berufsausbildungsbeihilfe im April 2002 erfolgt sei. In einem zweiten Schritt sei im Wege der Entfallensprüfung festzustellen, welchen Zeiträumen innerhalb des Jahres (Grenzbetragszeitraum) der zugeflossene Betrag wirtschaftlich zuzuordnen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungsbescheid vom 11.10.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2004 aufzuheben und der Klägerin Kindergeld für ihren Sohn A für die Zeit von Januar bis Juni 2002 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten ist die im April 2002 erfolgte Nachzahlung der Berufsausbildungsbeihilfe nach § 11 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechend dem Zuflussprinzip dem Kalenderjahr 2002 zuzuordnen und als Bezug im April in voller Höhe zu berücksichtigen, weshalb der anteilige Grenzbetrag überschritten sei. Aufgrund des Jahresprinzips (Jahresgrenzbetrag) werde eine Nachzahlung oder Rückzahlung über die Jahresgrenze hinweg nur im Jahr des Zu-oder Abflusses erfasst. Eine Bezügenachzahlung für ein abgelaufenes Jahr sei im Monat des Zuflusses zu erfassen. Eine Aufteilung von Bezügen oder Einkünften komme nur in Betracht, wenn die Zahlung im Laufe eines Jahres geleistet werde (vgl. DA-FamEStG 63.4.1.1. Abs. 5). Auch unter Berücksichtigung der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 574,95 Euro überschritten die Einkünfte und Bezüge des Kindes mit 3.876,47 Euro somit den maßgeblichen Grenzbetrag von 3.594 Euro.

Hinsichtlich des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet, weil der Aufhebungsbescheid der Beklagten rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Der Klägerin steht für den streitigen Zeitraum Kindergeld für ihren Sohn A zu, da die eigenen Einkünfte und Bezüge des Sohnes - unter nur hälftiger Anrechnung der Nachzahlung von Berufsausbildungsbeihilfe -den maßgeblichen anteiligen Grenzbetrag nicht übersteigen.

Unstreitig erfüllte der Sohn der Klägerin im fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG, da er sich in Berufsausbildung befand.

Nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 7 EStG wird nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG ein Kind aber nur berücksichtigt, wenn die Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den -hier anteiligen - Grenzbetrag nicht übersteigen.

Bei der Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte und Bezüge ist die im April 2002 zugeflossene Nachzahlung von Berufsausbildungsbeihilfe, die auf die Zeit vom 1.09.2000 bis 31.08.2001 entfällt, nur anteilig mit 6/12 = 1.167,81 Euro zu berücksichtigen. Damit betragen die eigenen Einkünfte und Bezüge des Sohnes im Zeitraum Januar bis Juni 2002 3.283,61 Euro und überschreiten nicht den anteiligen Grenzbetrag von 3.594 Euro.

1. Die Nachzahlung der Berufsausbildungsbeihilfe ist dem Sohn der Klägerin im Kalenderjahr 2002 im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zuzurechnen.

Der Begriff der Einkünfte i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht nach gefestigter Rechtsprechung der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH--vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II.1. der Gründe; vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 1999, 116, BStBl II 2002, 525, unter II.2.b bb der Gründe, und VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027, unter II.2.b der Gründe; vom 23. Juli 2002 VIII R 63/00, BFH/NV 2003, 24, unter II.1.a der Gründe; vom 4. November 2003 VIII R 59/03, BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584, unter II.2.a der Gründe; vom 16. März 2004 VIII R 27/02, juris, unter II.2.a der Gründe). Dementsprechend ist bei der Bestimmung des Umfangs der den Einkünften eines Kalenderjahres zu Grunde zu legenden Einnahmen § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu beachten, wonach Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen sind, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Entsprechend ist der Begriff der "Bezüge" in dem Sinne zu verstehen, in dem er auch sonst im Einkommensteuerrecht verwendet wird (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2000 VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684; zum Begriff der Bezüge vgl. ergänzend § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002), und ist das Zuflussprinzip auch bei der Ermittlung der Bezüge zu berücksichtigen, die das kindergeldlich zu berücksichtigende Kind in einem Kalenderjahr im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gehabt hat (vgl. u.a. BFH-Urteil vom16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525; FG Brandenburg, Urteil vom 31. Mai 2000 6 K 322/99 Kg, EFG 2000, 876; FG Rheinland- Pfalz, Urteil vom 12. Februar 2001 5 K 1476/99, Deutsches Steuerrecht- Entscheidungsdienst - DStRE --2001, 642; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. März 2001 4 K 20242/99, EFG 2001, 1305; Jachmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 32 Rdnrn. C 42, 51, 60, m.w.N.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 32 Rz. 28). Das bedeutet unter Berücksichtigung des für das Einkommensteuerrecht geltenden Jahresprinzips (§ 2 Abs. 7 EStG), dass bei der Feststellung, ob der Jahresgrenzbetrag überschritten ist, alle Einkünfte und Bezüge des Kindes anzusetzen sind, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet und bestimmt sind und die diesem im Laufe eines Jahres zufließen. Zuflüsse und Abflüsse in anderen Jahren bleiben außer Betracht (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Dezember 2001 VI R 5/00, BStBl II 2002, 205).

2. Es hat auch keine "Entfallensprüfung" entsprechend § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG bezüglich der kalendermäßigen Zurechnung zu erfolgen. Der Begriff des "Entfallens", den der Gesetzgeber zur Bestimmung der Einkünfte und Bezüge eines Kürzungsmonats in § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG verwendet, besagt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, daß der Monat des Entfallens nicht nach dem Zuflusszeitpunkt, sondern nach der wirtschaftlichen Zurechnung zu bestimmen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 1. März 2000 VI R 162/98, BFHE 191, 55, BStBl II 2000, 460; FG des Landes Sachsen- Anhalt, Urteil vom 27. März 2001 4 K 20242/99, EFG 2001, 1305). Eine solche Entfallensprüfung ist aber nur dann vorzunehmen, wenn sich die Verhältnisse für die Kindergeldberücksichtigung innerhalb eines Jahres ändern und in einem Monat Einkünfte bzw. Bezüge für mehrere Monate desselben Kalenderjahres bezogen werden (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525). Im vorliegenden Streitfall erfolgte die Nachzahlung aber für ein anderes Kalenderjahr.

3. Die Nachzahlung der Berufsausbildungsbeihilfe für den Zeitraum 1.09.2000 bis 31.08.2001 ist als Bezug des gesamten Kalenderjahres 2002 anzusehen und bei Ermittlung der schädlichen Einkünfte und Bezüge aber nur anteilig mit 6/12 (für die Zeit von Januar bis Juni 2002) zu berücksichtigen. So hat der BFH zwar ausdrücklich offen gelassen (vgl. BFH-Urteile vom 16.04.2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525 und vom 11.12.2001 VI R 5/00, BFHE 197, 408, BStBl II 2002, 205), ob der nach Kürzung um die anteilige Unkostenpauschale verbleibende Nachzahlungsbetrag aufzuteilen und nur zeitanteilig anzurechnen ist, soweit er auf die Monate entfällt, in denen ein Kindergeldanspruch besteht oder ob er wegen seines Zuflusses im Ausbildungszeitraum in voller Höhe anzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 76/01 unter Punkt 2 b) cc) der Urteilsgründe). Entsprechend dem Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2001 (4 K 20242/99, EFG 2001, 1305) hat jedoch eine Entfallensprüfung entsprechend § 32 Abs. 4 Satz und 7 EStG bezüglich der Aufteilung des Bezuges innerhalb des Kalenderjahres des Zuflusses zu erfolgen. Bei innerhalb eines Kalenderjahres zugeflossenen Einkünften bzw. Bezügen ist somit auf ein Entfallen nach § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG abzustellen. Denn hinsichtlich der Nachzahlung der Berufsausbildungsbeihilfe für den Zeitraum 1.09.2000 bis zum 31.08.2001 kann -anders als z.B. bei Arbeitslohn oder monatlich laufenden Renten -keine direkte Zuordnung zu bestimmten Monaten im Jahr 2002 erfolgen. Der Bezug wurde lediglich aus zufälligen Gründen noch während der Ausbildungszeit des Sohnes vereinnahmt. In diesem Fall ist der Teil des Nachzahlungsbetrages, der rechnerisch der Anzahl der Kürzungsmonate in 2002 entspricht (6/12), außer Ansatz zu lassen. Eine andere Auffassung würde zu abwegigen Ergebnissen führen. Wäre nämlich die Nachzahlung beispielsweise erst im August 2002 gezahlt worden, würde er ansonsten überhaupt nicht zu den Bezügen für die Berufsausbildung zählen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung. Für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) sieht der Senat keinen Anlass, da die Entscheidung insbesondere nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und auch sonst nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, sondern nur Einzelfälle betrifft.

Ende der Entscheidung

Zurück