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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: 1 Bf 189/04
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 19 Abs. 1 Nr. 1

Entscheidung wurde am 22.02.2005 korrigiert: die Entscheidung wurde wegen nicht vollständiger Anonymisierung komplett ersetzt
Für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe des verstorbenen Beamten sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Kenntnis der Eheleute von dem lebensbedrohlichem Charakter der Erkrankung des Beamten im Zeitpunkt der Eheschließung schließt die Widerlegung nicht aus (Abgrenzung zu VGH München, Beschl. v. 1.12.1998 - 3 B 95.3050 -).
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT 1. Senat Beschluss

1 Bf 189/04

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Dr. Raecke und E.- O. Schulz am 28. Oktober 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe:

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten dargelegten Gründe (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit des Urteiles des Verwaltungsgerichts Hamburg (§ 124 Abs. 2 Nr.1 VwGO), grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ( § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und eines Verfahrensmangels, der der Beurteilung des Berufungsgericht unterliegt (§ 124 Abs. 1 Nr. 5 VwGO), können nicht zur Zulassung der Berufung führen.

1 a) Als grundsätzlich bedeutsam bezeichnet die Beklagte die Frage, ob die Kenntnis des grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakters der Erkrankung des Beamten im Zeitpunkt der Eheschließung die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG regelmäßig ausschließt, es sei denn, die Eheschließung stellt sich als konsequente Verwirklichung eines bereits vor der Erlangung dieser Kenntnis bestehenden Heiratsentschlusses dar. Zur Begründung führt sie an, der Bayrische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Beschluss vom 1. Dezember 1998 (-3 B 95.3050-, Schütz/Maiwald Beamtenrecht Entscheidungen, ES/C II 2.3.1) einen solchen Rechtssatz aufgestellt, von dem das angefochtene Urteil abweiche.

Die Zulassung der Berufung aus diesem Grunde kann nicht erfolgen. Zum einen hat der BayVGH in den Gründen der zitierten Entscheidung den im Leitsatz dargestellten Grundsatz, auf den sich die Beklagte beruft, nicht aufgestellt, so dass von einer Abweichung des Verwaltungsgerichts von der Entscheidung keine Rede sein kann. Der BayVGH hat vielmehr bei der gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG gebotenen Prüfung, ob nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, in einem von ihm entschiedenen Fall entscheidend darauf abgestellt, ob sich die Eheleute im Zeitpunkt der Heirat bzw. des Heiratsentschlusses über den grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der Erkrankung des einen Partners im klaren gewesen sind. Dass ein solcher Umstand dann allerdings, wie die Beklagte meint und der Leitsatz der Entscheidung nahe legt, regelmäßig die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung ausschließt, ist in den Gründen nicht ausgeführt. Ein solcher Grundsatz ist auch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG nicht anzunehmen. Die Vorschrift lässt ausdrücklich eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung alleiniger oder überwiegender Versorgungsabsicht zu, wenn dies aus den besondern Umständen des Falls gerechtfertigt ist. Hierzu zählen alle Umstände, die im Einzelfall nach außen erkennbar Besonderheiten aufweisen und hinreichend verlässliche Schlüsse darauf zulassen, dass zumindest einer der Eheleute mit der Heirat überwiegend andere als Versorgungszwecke verband. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist daher unzweifelhaft, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf, auf alle Umstände des Einzelfalls abzustellen (vergl. Mannheim, Beschl. v. 10.2.2003, VBlBW 2003, S. 287). Für eine die Widerlegungsmöglichkeit einschränkende Regel, wie sie die Beklagte aufstellt, ist nach dem Gesetzeswortlaut kein Raum, auch wenn die Kenntnis beider Partner vor der Hochzeit von der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung grundsätzlich ein weiteres, objektives und starkes Indiz für eine Versorgungsabsicht bei der Heirat darstellt.

1 b) Hinsichtlich der weiter aufgeworfenen Frage, "ob es sich bei einer von Dritten wahrgenommenen religiösen Einstellung des Beamten bzw. bei der Erklärung von Dritten, der Beamte habe seine Ehefrau geliebt, um ausreichend objektive besondere Umstände im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BeamtVG handelt", hat die Beklagte mit Recht keine weiteren Darlegungen zur Grundsätzlichkeit folgen lassen. Es handelt sich um Fragen bei der Abwägung des konkreten Einzelfalles, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind.

2) Die differenzierten Darlegungen der Beklagten, weshalb gegen die Entscheidung des Verwaltungsgericht ernstliche Zweifel bestünden, überzeugen im Ergebnis nicht.

a) Der Senat hat im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel, dass vorliegend nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Die besonderen Umstände bestehen hier darin, dass die Ehepartner 30 Jahre miteinander verheiratet waren und zwei Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind. Die Scheidung im Jahre 1995 erfolgte nicht wegen der Zuwendung zu einem neuen Partner. Ebenso objektiv nachvollziehen lässt sich die Religiosität des Ehemannes, der nach dem Abschluss des Studiums der (Schul-)Musik an der staatlichen Hochschule für Musik Kirchenmusik studierte und von Dezember 1967 bis April 1970 als Kantor und Organist in Kirchengemeinden in Hamburg tätig war. Wenn vor diesem Hintergrund nicht verfahrensbeteiligte Zeugen bekunden, dass der Ehemann schon vor seiner Erkrankung darunter gelitten habe, das vor Gott mit der Heirat gegebene Versprechen durch die Scheidung gebrochen zu haben und den Wunsch geäußert habe, die nie beendete emotionale Beziehung zu seiner Frau wieder zu vertiefen, so lassen sich daraus - objektivierbare - Indizien gewinnen, die gegen die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sprechen. Auch aus der Freude des Ehemannes über die Eheschließung, über die die Standesbeamtin berichtet, die die Haustrauung vorgenommen hat, seiner Hoffnung auf Genesung nach der vorgesehenen Chemotherapie, die er der Standesbeamtin gegenüber geäußert hat und an der er nach der Erklärung seiner Hausärztin bis Februar 1999 festgehalten hat, sowie aus der für März 1999 gebuchten gemeinsamen Reise mit seiner Frau lassen sich gewichtige Indizien dafür ableiten, dass alleiniger oder überwiegender Heiratszweck nicht die Versorgung der Ehefrau war.

b) Damit bestand gemäß § 19 Abs. 1 BeamtVG ein Anspruch der Ehefrau auf Witwengeld bis zu ihrem Tode am 12. Februar 2002. Dieser Anspruch ist in die Erbschaft gefallen, so dass nach ihrem Tode die durch das notarielle Testament der Ehefrau vom 10. September 2001 als Erben eingesetzten Söhne S. und T. in Erbengemeinschaft als Rechtsnachfolger materiell Berechtigte sind. Da zur Feststellung des Nachlasses und der Auskehrung gemäß der Anordnung der Verstorbenen ein Testamentsvollstrecker bestellt ist, steht die gerichtliche Geltendmachung ihm gemäß § 2212 BGB zu. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend dadurch berücksichtigt, dass sie die Beklagte zur Auszahlung des zu gewährenden Witwengeldes an den Testamentsvollstrecker verurteilt hat.

3) Die Rüge der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe ein aufgrund des Todes der ursprünglichen Klägerin ruhendes Verfahren zu Unrecht fortgesetzt, weshalb das Verfahren fehlerhaft sei, trifft nicht zu. Angesichts des Umstandes, dass die im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens verstorbene Klägerin durch eine Rechtsanwältin vertreten war, deren Vollmacht gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 86 ZPO über ihren Tod hinaus fortbestand, trat gemäß § 246 Abs. 1 ZPO eine Unterbrechung des Verfahrens durch den Tod der Klägerin nicht ein. Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ist nicht gestellt worden. Die von der Beklagten für eine Unterbrechung des Verfahrens angeführte Vorschrift des § 243 ZPO betrifft die Aufnahme des bereits unterbrochenen Verfahrens durch den Testamentsvollstrecker und ist daher nicht einschlägig. Das unvollständige Aktivrubrum, das nur einen Erben, nicht aber die Erbengemeinschaft als Kläger aufführt und die gerichtliche Vertretungsbefugnis des Testamentsvollstreckers nicht erwähnt, kann von Amts wegen im Zulassungsverfahren richtiggestellt und ergänzt werden.

4) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO

Ende der Entscheidung

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