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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.09.2004
Aktenzeichen: 1 Bf 25/04
Rechtsgebiete: HmbSchulG


Vorschriften:

HmbSchulG § 6
HmbSchulG § 38 Abs. 6
Der Wunsch von Eltern, ihre Kinder entsprechend ihrem christlichen Glaubensverständnis selbst nach der Unterrichtskonzeption der "Philadelphia-Schule", einer freien christlichen Schule, zu unterrichten, ist kein wichtiger Grund, der gemäß § 38 Abs. 6 HmbSchulG die Befreiung von der Schulpflicht rechtfertigen kann.
1 Bf 25/04

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, durch die Richter Dr. Gestefeld, Dr. Raecke und E.-O. Schulz am 27. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 12.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die 1991, 1993 und 1995 geborenen Klägerinnen haben von der Beklagten begehrt, sie vom Besuch der öffentlichen Schule freizustellen und ihnen zu gestatten, sich zu Hause durch ihre Eltern nach dem Unterrichtsmaterial der "Philadelphia-Schule" einer freien christlichen Fernschule unterrichten zu lassen. Die Beklagte hat den Antrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die daraufhin erhobene Klage mit Urteil vom 18. Dezember 2003 abgewiesen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist rechtzeitig gestellt und formgerecht und fristgemäß begründet worden. Er hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Aus den von den Klägerinnen dargelegten Gründen ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

a) Die Klägerinnen machen geltend, sie sähen ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden durch die Teilnahme am Schulunterricht verletzt durch die physische und psychische Gewalt der Schüler untereinander. Dies stelle einen wichtigen Grund im Sinne von § 38 Abs. 6 HmbSchulG für die Befreiung von der Schulpflicht dar. Auch wenn es allgemeinkundig ist, dass an öffentlichen Schulen unter Schülern physische und psychische Gewalt verübt wird, haben die Klägerinnen nicht hinreichend dargetan, dass solches Verhalten in solcher Häufung auftritt, dass es das gemäß § 28 Abs. 1 HmbSchulG begründete öffentlich rechtliche Schulverhältnis maßgeblich prägt. Denn nach § 31 Abs. 1 HmbSchulG ist die Schule verpflichtet, die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen während des Aufenthalts auf dem Schulgelände in der Unterrichtszeit und bei sonstigen Schulveranstaltungen sowie während der Schulausflüge durch Lehrerinnen und Lehrer zu beaufsichtigen. Durch die Beaufsichtigung sollen die Schüler vor Gefahren geschützt werden, die sie auf Grund ihrer altersgemäßen Erfahrung selbst nicht übersehen oder abwenden können und vor Handlungen bewahrt werden, mit denen sie sich oder anderen Schaden zufügen können. Zur Durchsetzung dieser Beaufsichtigung können Schülerinnen und Schülern Weisungen erteilt werden. Die Klägerinnen haben nicht vorgetragen, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung aus § 31 Abs. 1 HmbSchulG generell oder auch nur in deutlichem Umfang nicht nachkommt. Ein solches ist auch nicht erkennbar. Darüber hinaus bliebe es den Klägerinnen auch unbenommen, gegenüber der Beklagten auf Einhaltung dieser Verpflichtung zu drängen. Erst wenn die Klägerinnen Opfer der im Zulassungsantrag beschriebenen Gewalt werden sollten, ohne dass die Beklagte Abhilfe zu verschaffen bereit oder im Stande ist, kommt in Betracht, die Klägerinnen von der Schulpflicht zumindest zeitweilig zu befreien.

b) Auch die Rüge der Klägerinnen, staatliche Schulen erfüllten ihren Auftrag nach § 2 Abs. 2 und 3 HmbSchulG nicht, die Klägerinnen würden nicht so gefordert und gefördert wie das Schulgesetz es vorsehe, was einen wichtigen Grund für eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht darstelle, kann ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung und damit die Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen.

Aus dem Recht auf schulische Bildung ergeben sich gemäß § 1 Satz 2 HmbSchulG nur individuelle Ansprüche, wenn sie nach Voraussetzungen und Inhalt in dem Schulgesetz oder auf Grund dieses Gesetzes bestimmt sind. Das Hamburgische Schulgesetz gibt keine individuellen Ansprüche auf ein bestimmtes Lern- und Leistungsniveau in der schulischen Bildung; der Bildungsanspruch ist auf die Teilnahme an dem vorhandenen Schulwesen beschränkt, das nach Maßgabe des Schulgesetzes einzurichten und zu unterhalten ist. Ebenso wenig besteht nach dem Hamburgischen Schulgesetz ein individueller Anspruch auf optimale Förderung der individuellen Begabung oder ungestörtes Lernen. Bei den in §§ 2 und 3 HmbSchulG aufgestellten Grundsätzen zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule und den Grundsätzen zu ihrer Verwirklichung handelt es sich um von der Schule anzustrebende und zu beachtende z.T. mit einander in Konflikt stehende gesetzliche Zielsetzungen, aus deren Programmsatzcharakter individuelle Rechte der Schüler nicht hergeleitet und durchgesetzt werden können (OVG Hamburg, Beschl. v. 27.7.2004 - 1 Bs 306/04 -). Die aus der Sicht der Klägerinnen suboptimale Förderung ihrer schulischen Leistungen trifft - wenn überhaupt - alle Schüler der hamburgischen Schulen gleichermaßen und kann infolgedessen auch nicht als wichtiger Grund für eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht angesehen werden.

c) Keine Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben sich aus den Darlegungen der Klägerinnen zur Sexualerziehung an staatlichen Schulen. Die Ansicht der Klägerinnen, die staatliche - fächerübergreifende - Sexualerziehung sei mit den von dem Bundesverfassungsgericht entwickelten Anforderungen nicht vereinbar, sie sei ideologisch geprägt, beruhe auf der Ideologie der Emanzipation, und sei indoktrinär, vermag der Senat nicht zu teilen. Soweit die Klägerinnen zur Begründung ihrer Ansicht auf die Richtlinien für die Sexualerziehung des Amtes für Schule der Freien und Hansestadt Hamburg aus dem Jahr 1996 verweisen, übersehen sie, dass die von ihnen zitierten Textpassagen die allgemeinen Aufgaben und Ziele der Sexualerziehung an hamburgischen Schulen betreffen und damit nur die in § 6 des HmbSchulG vom Gesetzgeber aufgestellten Grundsätze zur Sexualerziehung umsetzen. Denn in § 6 Abs. 1 HmbSchG heißt es: "Aufgabe der Sexualerziehung ist es, eine positive Einstellung der Schülerinnen und Schüler zur Sexualität zu fördern. Die Sexualerziehung soll das Bewusstsein für eine persönliche Intimsphäre und für Gleichberechtigung, Partnerschaftlichkeit und Gewaltfreiheit in persönlichen Beziehungen entwickeln und fördern. Zu diesem Zweck sollen Schülerinnen und Schüler ein fundiertes Sachwissen über die biologischen, ethischen, kulturellen und sozialen Bezüge der menschlichen Sexualität erwerben. Die Sexualerziehung ist für die vielfältigen unterschiedlichen Wertvorstellung hinsichtlich der menschlichen Sexualität im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes offen zu gestalten; jede einseitige Beeinflussung ist zu vermeiden."

Die Klägerinnen übersehen des weiteren, dass die Richtlinien für Sexualerziehung an Hamburger Schulen ein sogenanntes "Spiralkurrikulum" vorsehen, d.h. dass die vom Gesetzgeber als Lernziel vorgegebenen Themen in altersangemessener Aufbereitung in der Grundschule erstmalig, sodann in der Sekundarstufe 1 und 2 in Ergänzung und Vertiefung fächerübergreifend erneut unterrichtet werden. Dementsprechend enthalten die Richtlinien für die Sexualerziehung nicht nur Ausführungen "zur Konzeption schulischer Sexualerziehung", aus denen die Klägerinnen in ihrem Zulassungsantrag zitieren, sondern es finden sich in den Richtlinien auch Vorgaben zur Durchführung schulischer Sexualerziehung unterschieden nach Sexualerziehung in der Grundschule, Sexualerziehung auf der Sekundarstufe 1 und Sexualerziehung auf der Sekundarstufe 2. Schließlich enthalten die Richtlinien auch Hilfestellungen bei der Auswahl von Medien und Hinweise zu Interventionen bei sexuellem Missbrauch und HIV-Infektionen/AIDS-Erkrankungen. Dass diese Richtlinien für die Sexualerziehung des Amtes für Schule der Beklagten mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 1977 (NJW 1978 S. 807 ff.) nicht im Einklang stehen, haben die Klägerinnen zwar behauptet, ihre Behauptungen aber nicht im Einzelnen belegt. Die Klägerinnen verkennen bei den von ihnen für eine indoktrinäre und die Grenzen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts überschreitende Sexualerziehung angeführten Belegen aus der Handreichung "Sexualpädagogik in der Schule gestalten", dass es sich bei der Handreichung um eine solche zur Qualifizierung von Lehrkräften der Sekundarstufen handelt. Wie sich aus dem Vorwort der Handreichung ergibt, ist die Handreichung das Ergebnis eines Bund-Länder-Modellprojektes zum Themenbereich "Sexualpädagogik", das in den Jahren 1994 bis 1999 konzipiert und durchgeführt worden ist. Ziel des Modellprojektes war danach die Erstellung einer Handreichung für die Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die sexualpädagogische Arbeit und die Förderung der Vernetzung zwischen den in unterschiedlichen Bereichen sexualpädagogisch Tätigen. Mit anderen Worten dient die Handreichung der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, die entweder selbst Sexualpädagogik unterrichten oder ihrerseits Lehrkräfte in diesem Fach fortbilden sollen. Eine direkte Anwendung der Handreichung für unterrichtliche Zwecke ist weder vorgesehen noch in der Handreichung vorgeschlagen. Soweit die Klägerinnen aus der Handreichung auf eine Anleitung zu indoktrinärer und auf der Ideologie der Emanzipation beruhenden Sexualerziehung schließen, übersehen sie, dass diese Indoktrination allenfalls gegenüber erwachsenen, ausgebildeten Lehrkräften erfolgt die ihrerseits gehalten sind, ihren Unterricht, soweit er Sexualerziehung betrifft, an den Richtlinien für Sexualerziehung sowie an § 6 HmbSchulG auszurichten. Dieser stellt ausdrücklich in Satz 4 die Verpflichtung der Lehrkräfte fest, dass die Sexualerziehung für die vielfältigen und unterschiedlichen Wertvorstellungen hinsichtlich der menschlichen Sexualität im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes offen zu gestalten und jede einseitige Beeinflussung zu vermeiden ist. Die Klägerinnen haben nichts dafür dargetan, dass in der Praxis des Sexualkundeunterrichts an den hamburgischen Schulen davon abgewichen wird und die Sexualerziehung dort indoktrinär und einseitig auf der Ideologie der Emanzipation beruhend tatsächlich durchgeführt wird. Für ein derartiges Abweichen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich auch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Klägerinnen haben insbesondere nicht dargetan, dass die gemäß § 6 Abs. 2 HmbSchulG über die Ziele, Inhalte und Formen der Sexualerziehung rechtzeitig zu informierenden Erziehungsberechtigten sich in signifikanter Zahl beschwert haben, der Sexualkundeunterricht ihrer Kinder weiche von den Vorgaben des § 6 Abs. 1 HmbSchulG oder den Richtlinien für die Sexualerziehung ab.

c) Die Darlegungen der Klägerinnen, sie würden durch die esoterische Ausrichtung der Schulen in ihrer Glaubensfreiheit verletzt, die Schule sei dadurch nicht neutral überzeugen nicht. Die Klägerinnen stellen dar, dass es eine Vielzahl unterschiedlichster Praktiken und "Unterrichtsmethoden" gibt, mit denen sie nicht einverstanden sind. Sie führen dabei das Mandala-Malen, Kreis- und Kerzenrituale, Entspannungs- und Atemübungen, Stille, Konzentrations- und Wahrnehmungsübungen, Visualisierungsübungen und Phantasiereisen, Meditation und Yoga, Tai Chi und Qi Gong, neurolinguistisches Programmieren, themenzentrierte Interaktion, Kinesiologie und Brain Gym, kreatives Schreiben und sogenannten Schreibtanz an, wenden sich gegen magische Pflichtlektüren im Schulunterricht wie Krabat, Harry Potter, Kleine Hexe, und meinen, dass die genannten Praktiken letztlich aus der Magie, dem Hexen- und Schamanentum sowie den fernöstlichen Religionen, Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus, Taoismus, Zen kämen und es sich dabei um eine antichristlicher Zwangsmissionierung und Zwangsbekehrung handele. Die Vielzahl der aufgeführten unterschiedlichen Methoden zeigt aber deutlich, dass eine einseitige Ausrichtung der Schule auch nach Ansicht der Klägerinnen gerade nicht stattfindet. Eine Pluralität von Unterrichtsmethoden steht mit der Neutralitätspflicht der Schule auf religiösem Gebiet durchaus im Einklang. Die Klägerinnen können eben deshalb nicht verlangen, dass der Unterricht an staatlichen Schulen ausschließlich eine christliche Ausrichtung in dem von ihnen gewünschten Sinne erfährt.

2. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Sachverhalt ist in tatsächlicher Hinsicht überschaubar und geklärt. In rechtlicher Hinsicht ist der Streitstoff im Wesentlichen durch die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 18. Juni 2002 (NVwZ-RR 2003, S. 561 ff.) und die Nichtannahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 29. April 2002 (1 BvR 436/03) geklärt. Besondere rechtliche Schwierigkeiten bestehen daher nicht (mehr).

3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann entgegen der Ansicht der Klägerinnen nicht erfolgen.

a) Für grundsätzlich bedeutsam halten sie die Frage, ob die von ihnen behauptete Gefährdung und Verletzung durch die Gewalt in der Schule zwischen den Schülern sowie die esoterische Ausrichtung des Unterrichts einen wichtigen Grund im Sinne von § 38 Abs. 6 HmbSchulG darstellt, der zu einer Befreiung von der Schulpflicht führen kann. In einem Berufungsverfahren würde sich die Frage nicht stellen. Es ist von den Klägerinnen weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass sie bei einem Besuch staatlicher Schulen gewalttätigen Aktionen von Mitschülerinnen und Mitschülern schutzlos ausgesetzt wären. Ebenso wenig ist ihren Darlegungen zu entnehmen, dass der Unterricht an staatlichen Schulen einseitig, insbesondere esoterisch ausgerichtet ist. Entsprechende Feststellungen lassen sich dem erstinstanzlichen Urteil ebenfalls nicht entnehmen. Es kann demzufolge für das Zulassungsverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerinnen an staatlichen Schulen schutzlos der Gewalt von Mitschülern und Mitschülerinnen oder esoterischem Unterricht ausgesetzt sind. Daher stellt sich die aufgeworfene Frage in einem Berufungsverfahren voraussichtlich nicht.

b) Ebenso wenig stellt sich in einem Berufungsverfahren voraussichtlich die Frage, ob die von den Klägerinnen behauptete indoktrinäre Sexualerziehung einen wichtigen Grund für eine Befreiung von der Schulpflicht gemäß § 38 Abs. 6 HmbSchulG darstellt. Denn wie oben dargestellt, kann weder den Darlegungen der Klägerinnen im Zulassungsverfahren noch sonstigen Umständen entnommen werden, dass ihre Behauptung einer indoktrinären Sexualerziehung an staatlichen Schulen zutrifft und sich der Sexualkundeunterricht nicht im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grenzen hält.

c) Soweit die Klägerinnen als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage bezeichnen, ob die Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit der Klägerinnen und ihrer Eltern einen wichtigen Grund im Sinne von § 38 Abs. 6 HmbSchulG für ihre Befreiung von der Schulpflicht darstellen, kann deshalb eine Zulassung der Berufung nicht erfolgen. Denn diese Frage ist durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2003 (1 BvR 436/03) geklärt. Nach dieser Rechtsprechung ist der Konflikt zwischen dem Recht der Eltern, ihren Kindern ihre Glaubensüberzeugung zu vermitteln und sie von für falsch oder schädlich gehaltenen Glaubensüberzeugungen fernzuhalten und dem korrespondierenden Recht der Kinder entsprechend erzogen zu werden einerseits, sowie dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordneten staatlichen Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG andererseits nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zu lösen. Dabei stehen die mit der Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule verbundenen Eingriffe in die genannten Grundrechte der Klägerinnen in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder wertanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegen zu wirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt, sie verlangt vielmehr auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit anders Denkenden und Gläubigen nicht verschließen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren ist wichtige Aufgabe der Schule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Wesensbildungsprozesse nachhaltig fördern. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Durchführung des Berufungsverfahrens zur Klärung dieser Rechtsfrage.

4. Die Darlegungen der Klägerinnen, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, weil ihnen in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichende Gelegenheit zur Verdeutlichung ihrer Standpunkte gegeben worden sei, sie insbesondere noch zu ihrer religiösen Diskriminierung weiter vorgetragen hätten, konkrete Beispiele dazu angeführt hätten, dass die in der Schule gelehrte Evolutionslehre glaubenszerstörende Macht habe und schließlich ergänzende Beispiele zur Gewalt an Schulen vorgetragen hätten, führt nicht zu einer Zulassung der Berufung. Denn es ist nicht erkennbar, dass die Klägerinnen im erstinstanzlichen Verfahren gehindert waren, dieses im Berufungszulassungsverfahren Vorgetragene dem Verwaltungsgericht zu unterbreiten. Die Eltern der Klägerinnen hatten schon in einem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, mit dem sie sich gegen die Auflage wandten, die Klägerinnen an einer zugelassenen Schule anzumelden und für ihre regelmäßige Teilnahme am Unterricht zu sorgen (2 VG 4333/02), im Zuge einer mündlichen Erörterung der Sach- und Rechtslage am 16. Januar 2003 etwa zwei Stunden lang Gelegenheit, dem Verwaltungsgericht ihren Standpunkt darzustellen. Im vorliegenden Verfahren hat dieselbe Kammer des Verwaltungsgerichts zunächst durch Gerichtsbescheid vom 4. September 2003 ihren Rechtsstandpunkt dargelegt. Mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung hatten die Klägerinnen hinreichende Gelegenheit ihre Standpunkte schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2003 ihre sie gesetzlich vertretenden Eltern auch hinreichend mündlich Gelegenheit, das im Zulassungsverfahren Vorgetragene ergänzend darzulegen. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass die Verhandlung mehr als zwei Stunden gedauert hat. Ebenso ergibt sich daraus, dass dem Vater der Klägerinnen Gelegenheit gegeben worden ist, nach umfänglichem Vortrag und einer Erwiderung auf das Vorbringen der Beklagten auch seine weiteren Argumente stichwortartig zu Protokoll zu geben, woraufhin er dann angab: "Ich habe noch so viel vorzutragen, dass wir hier noch mehrere Stunden gemeinsam verbringen könnten, und zwar bis man zu einem scheinbaren Ende kommen würde". Nach alledem ist nicht erkennbar, dass die Klägerinnen keine hinreichende Gelegenheit hatten, ihre im Berufungszulassungsverfahren ergänzend angebrachten tatsächlichen und rechtlichen Vortrag im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anzubringen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs und damit einen Verfahrensmangel, auf dem die erstinstanzliche Entscheidung beruhen kann, vermag der Senat daher nicht zu erkennen.

b) Der geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung der Aufklärungspflicht durch das Verwaltungsgericht liegt nicht vor. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, das dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 18. Juni 2002 (NVwZ-RR 2003, S. 561 ff.) und dem folgenden Nichtannahmebeschluss des Verfassungsgerichts vom 29. April 2003 (1 BvR 436/03) gefolgt ist, bedurfte es keiner weiteren Sachaufklärung. Nach diesem Rechtstandpunkt drängte sich eine weitere Aufklärung auch nicht auf, so dass eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO nicht vorliegt.

5. Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Klägerinnen gemäß § 154 Abs. 2 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes wird in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, S. 563) gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. für jedes der drei schulpflichtigen Kinder auf 4.000,-- EUR, insgesamt auf 12.000,-- EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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