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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2003
Aktenzeichen: 1 Bs 461/03
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, Richtlinie 2001/40/EG


Vorschriften:

AuslG § 69 Abs. 2
AuslG § 8 Abs. 2 Satz 1
AuslG § 8 Abs. 2 Satz 2
AufenthG/EWG § 2
AufenthG/EWG § 12 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Art. 10
Richtlinie 2001/40/EG vom 28.5.2001
Die Sperrwirkung der Abschiebung (§ 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AuslG) eines Drittstaatsangehörigen, der mit einer Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats verheiratet ist, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch macht, steht der Duldungsfiktion eines ersten Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 69 Abs. 2 AuslG nicht entgegen.
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

1 Bs 461/03

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 1. Senat, .durch die Richter Dr. Gestefeld, Richter Dr. Meffert sowie die Richterin Huusmann am 29.9.2003 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18.9.2003 abgeändert:

1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Antragsteller vor einer Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG abzuschieben.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass sein Aufenthalt bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG als erlaubt gilt.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat aus den dargelegten Gründen Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Bestand. Der Aufenthalt des Antragstellers gilt gemäß § 69 Abs. 2 AuslG als geduldet, bis die Antragsgegnerin über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG entschieden hat. Dieses vorläufige Aufenthaltsrecht ist gemäß § 123 VwGO im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern. Der erforderliche Anordnungsgrund besteht, da die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Vorbereitung der von ihr beabsichtigten Abschiebung in Haft hat nehmen lassen. Die Voraussetzungen für die Duldungsfiktion hat der Antragsteller glaubhaft gemacht (dazu unter 1). Im übrigen steht auch unabhängig von der Duldungsfiktion des § 69 Abs.2 AuslG der Schutz von Ehe und Familie der Abschiebung des Antragstellers entgegen (dazu unter 2).

Der Antragsteller, ein togoischer Staatsangehöriger, hat durch Vorlage von Urkundenkopien und eidesstattlicher Versicherung der spanischen Staatsangehörigen glaubhaft gemacht, dass er sie am 5.8.2000 in Lome / Togo geheiratet hat und mit ihr und dem gemeinsamen Sohn , geb. 19.6.1999 in einer gemeinsamen Wohnung in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nicht davon ausgegangen werden, dass die von dem Antragsteller vorgelegten Dokumente, insbesondere der spanische "EU-Residenzausweis" des Antragstellers gefälscht seien, da diese Art der Ausweise seit 1997 nicht mehr ausgegeben werde. Das spanische Generalkonsulat in Hamburg hat der Antragsgegnerin am 16.9.2003 fernmündlich mitgeteilt, von dort könne nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob die dem Antragsteller erteilte spanische Aufenthaltserlaubnis echt sei und ob diese Dokumente in der vorliegenden Art noch ausgegeben würden. Die Ehefrau des Antragstellers hat in der von ihr abgegebenen eidesstattlichen Erklärung glaubwürdig, stimmig und unter Angabe zahlreicher Einzelheiten angegeben, wie sie den Antragsteller 1997 kennengelernt hat und es nach der am 7.6.2000 erfolgten Abschiebung des Antragstellers am 5.8.2000 zu der Heirat in Lome gekommen ist, wohin sie dem Antragsteller zusammen mit ihrem gemeinsamen Kind nachgereist war. Gleiches gilt für die Einreise des Antragstellers nach Spanien zu seiner Schwiegermutter, wo er zeitweise im Betrieb seiner Schwägerin gearbeitet hatte, bevor er seiner Ehefrau wohl zuletzt im Juni 2003 nach Deutschland folgte. Ihr Vorbringen steht mit dem Vortrag des Antragstellers und mit dem Inhalt ihrer Ausländerakte sowie der Ausländerakte des Antragstellers im Einklang. Insoweit stehen die Bedenken an der Glaubwürdigkeit des Antragstellers zurück, der in seinem - erfolglos betriebenen - ersten Asylverfahren einen Alias-Namen verwendet hatte.

Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG gilt ein Ausländer u.a. als geduldet bis die Ausländerbehörde über seinen nach der Einreise gestellten Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung entschieden hat. Der Antrag des allem Anschein nach zuletzt Anfang Juni aus Spanien eingereisten Antragstellers vom 8.9.2003, ihm eine Aufenthaltserlaubnis-EG zu erteilen, hat die Antragsgegnerin noch nicht beschieden. Das Beschwerdegericht folgt dem Verwaltungsgericht nicht in der Annahme, dass die Fiktionswirkung der Duldung nach § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG ausgeschlossen sei, weil der Antragsteller unerlaubt eingereist sei.

Allerdings schließt die Sperrwirkung einer Abschiebung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG grundsätzlich eine erlaubte Einreise aus. Auch ist der Antragsteller nach erfolglosen Asyl- und Asylfolgeverfahren am 7.6.2000 nach Togo abgeschoben worden und hat die Antragsgegnerin die Wirkungen der Abschiebung bislang nicht befristet. Jedoch verbietet es der Vorrang des EU-Rechtes von einer unerlaubten Einreise des Antragstellers auszugehen:

a. Gemäß § 7 Abs. 1 AufenthG/EWG ist Familienangehörigen einer freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates eine Aufenthaltserlaubnis-EG zu erteilen, wenn diese eine Aufenthaltserlaubnis-EG besitzt und ihr für sich und ihre Familienangehörigen eine angemessene Wohnung zur Verfügung steht. Diese Anforderungen erfüllt der Antragsteller. Der Ehefrau des Antragstellers, die hier als Arbeitnehmerin tätig ist, hat die Antragsgegnerin am 14.1.2000 eine bis 13.1.2005 gültige Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt. Auch dürfte die 4-Zimmerwohnung der Ehefrau ausreichend Platz für sie, den Antragsteller, den gemeinsamen Sohn und zwei weitere Kinder der Antragstellerin aus ihrer ersten Ehe bieten. Gemäß § 1 Abs. 2 AufenthG/EWG und § 1 Abs. 2 Freizügigkeitsverordnung/EG vom 17. Juli 1997 (BGBl. I S.1810) genießt auch der Ehemann einer Angehörigen eines Mitgliedstaates Freizügigkeit, die als Arbeitnehmerin in einem anderen EU-Mitgliedstaat als ihrem Herkunftstaat tätig ist. Nach § 2 AufenthG/EWG ist dem Ehemann die Einreise gestattet, wenn - wie hier - seiner Ehefrau Einreise oder der Aufenthalt gestattet ist, wobei der Ehemann nach § 2 Abs. 3 AufenthG/EWG für die Einreise kein Visum benötigt (vgl. dazu EuGH, Vorabentscheidung vom 25.7.2002 -Rs.C - 459/99 - InfAuslR 2002, 417 ff). Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Ehegatten wirkt insoweit nur deklaratorisch und begründet nicht erst konstitutiv das Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Vorabentscheidung vom 25.7.2002 aaO; Urt. v. 8.4.1976, NJW 1976, 2065, 2066; OVG Hamburg, Beschl. v. 5.8.1999, InfAuslR 1999, 286). Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Art. 1 der Richtlinie Nr. 64/221/EWG vom 25.2.1964 gilt der Aufenthalt eines mit einer Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates verheirateten Drittstaatsangehörigen, die von ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch macht, bis zur Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag als vorläufig erlaubt. Dieses vorläufige Aufenthaltsrecht könnte zwar nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie u.U. nur für die Entscheidung über den ersten Aufenthaltserlaubnisantrag gelten und nicht für einen nach einer Ablehnung gestellten zweiten Antrag (vgl. dazu VGH Kassel, Beschl v. 16.11.1995, InfAuslR 1996, 340). Diese Frage kann indessen dahinstehen. Denn die Antragsgegnerin hat auch über den - vor der im Juni 2000 erfolgten Abschiebung des Antragstellers - von ihm unter dem 16.2.2000 gestellten ersten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis-EG nicht entschieden.

b. Mit dem auch durch Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 vom 15.10.1968 (ABl.EG Nr.L 257 S.2) geschützten Aufenthaltsrecht des Ehegatten eines die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch nehmenden Angehörigen eines Mitgliedstaates verträgt sich schwerlich, die Duldungsfiktion des § 69 Abs. 2 AuslG gegenüber einem Ehegatten (Drittstaatsangehöriger) eines freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers eines anderen Mitgliedstaates allein an dem Einreiseverbot für abgeschobene Asylbewerber aus § 8 Abs. 2 AuslG scheitern zu lassen (vgl. VGH Kassel a.a.O.). Dem entspricht auch, dass Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen Familienangehörige von Unionsbürgern, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, privilegiert und sie von dem Geltungsbereich dieser Anerkennungsrichtlinie ausnimmt.

c. § 12 Abs. 1 AufenthG/EWG und § 4 Freizügigkeitsverordnung/EG erlauben die Versagung der Einreise und die Abschiebung dieser freizügigkeitsberechtigten Drittstaataangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Sicherheit. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Begriff der öffentlichen Ordnung eng auszulegen und rechtfertigt nur eine tatsächliche und hinreichend schwer wiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die Freizügigkeit zu beschränken. Hierbei muss es sich um eine Gefährdung eines "Grundinteresses der Gesellschaft" handeln (EuGH, Urt. v. 27.10.1977, NJW 1978, 479). Insoweit hat der EuGH mit Urteil vom 19.11.2002 - juris - entschieden, dass der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen abgeschobenen türkischer Staatsangehörigen, der die Voraussetzungen einer Bestimmung des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei erfüllt und dem daraus Rechte erwachsen, auf Grund Gemeinschaftsrechts keine nationale (deutsche) Regelung entgegengehalten werden kann, nach der die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung bis zur Befristung der Wirkungen der Abschiebung versagt werden muß. Entsprechendes hat für den Ehegatten eines freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers eines anderen Mitgliedstaates zu gelten, der obwohl Drittstaatsangehöriger EU-Freizügigkeitsrechte genießt.

Dass der Antragsteller wegen illegalen Aufenthaltes vor seiner im Juni 2000 erfolgten Abschiebung mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg - Gs 184 - 29/00 - vom 19.4.2000 zu 3 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden ist, begründet schwerlich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 12 Abs. 1 AufenthG/EWG. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass sich der Antragsteller nach letztmaliger Verlängerung seiner Duldung bis zum 5.5.1999 bis zu seiner Festnahme anlässlich seiner Vorsprache auf der Ausländerbehörde am 10.4.2000 illegal in Hamburg aufgehalten habe, aber seine Motive angesichts der damaligen Schwangerschaft seiner jetzigen Ehefrau und dem Zusammenleben mit ihrem gemeinsamen Kind verständlich waren; lediglich aus generalpräventiven Erwägungen sei eine kurze Freiheitsstrafe zu verhängen gewesen. Derartige generalpräventive Gründe begründen regelmäßig keine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung.

d. Dem gegenüber überzeugt der Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu der Sperrwirkung einer Ausweisung nicht. Das Bundesverwaltungsgericht ((BVerwG, Urt. v. 7.12.1999, BVerwGE 110, 140 ff) hat entschieden, dass die Aufenthaltserlaubnis-EG der Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG unterliegt und sie einem nach Gemeinschaftsrecht freizügigkeitsberechtigten Angehörigen eines EG-Mitgliedstaates nicht erteilt werden dürfe, solange die Wirkungen der Ausweisung andauern. Das Bundesverwaltungsgericht hat in jenem Falle angenommen, angesichts des Gewichtes des Ausweisungsanlasses und der Schwere der von dem Kläger jenes Verfahrens ausgehenden Gefährdung dürfe auch ein freizügigkeitsberechtigter Angehöriger eines EG-Mitgliedstaates nach § 12 AufenthG/EWG ausgewiesen werden. Mit dieser Konstellation ist der Fall des Antragstellers nicht vergleichbar. Er wurde nicht ausgewiesen sondern "lediglich" abgeschoben.

Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass - sofern Gründe nicht mehr vorliegen, die eine Einschränkung der Freizügigkeit nach § 12 Abs.1 AufenthG/EWG und dem zugrundeliegenden Gemeinschaftsrecht rechtfertigen, die Befristung so zu erfolgen habe, dass sich das Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten könne. Deshalb dürfe die Befristung nicht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG davon abhängig gemacht werden, dass der ausgewiesene EU-Bürger zunächst ausreise. Auch danach kann dem Antragsteller schwerlich entgegengehalten werden, dass die Antragsgegnerin über seinen Antrag auf Befristung der Wirkungen seiner Abschiebung noch nicht entschieden hat und er deshalb zunächst ausreisen müsse.

2. Im übrigen hat der Antragsteller auch glaubhaft gemacht, dass er nicht nur mit einer freizügigkeitsberechtigten spanischen Staatsangehörigen verheiratet ist, sondern er sich auch um das gemeinsame Kind intensiv kümmert und die Familie wegen der Teilzeitbeschäftigung seiner Ehefrau auch auf seine Betreuung angewiesen ist. Dies verstärkt sowohl den europarechtlichen Schutz der Familie wie auch das Gewicht des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. Auch dieser Schutz steht einer Abschiebung des Antragstellers entgegen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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