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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.06.2005
Aktenzeichen: 2 Bs 144/05
Rechtsgebiete: HBauO


Vorschriften:

HBauO § 76 Abs. 1 S. 2
Die Bauaufsichtsbehörde darf eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung wegen der planungsrechtlichen Unzulässigkeit einer bordellartigen Nutzung von Räumlichkeiten ermessensfehlerfrei an den Grundstückseigentümer richten und muss diese nicht vorrangig gegenüber dem Mieter erlassen.
2 Bs 144/05

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 2. Senat, durch den Richter Dr. Ungerbieler und die Richterinnen Haase und Sternal am 10. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. April 2005 geändert und der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. März 2005 insgesamt abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500.- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses im Geltungsbereich eines Baustufenplans nach der BPVO, der für das Grundstück die Ausweisung "W4g" enthält. Die Antragsgegnerin stellte nach Berichten in der Tagespresse und aufgrund einschlägiger Anzeigen fest, dass zwei in diesem Haus vorhandene ehemalige Läden mit Nebenräumen in gleicher Weise wie ähnliche Räumlichkeiten in anderen Häusern in der näheren Umgebung zum Zwecke der Prostitutionsausübung genutzt werden.

Mit einer an den Antragssteller gerichteten Verfügung vom 9. März 2005 untersagte die Antragsgegnerin diesem unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Festsetzung von Zwangsmitteln mit sofortiger Wirkung auf Dauer, die beiden ehemaligen Läden für bordellartige Zwecke zu nutzen oder nutzen zu lassen, und forderte den Antragsteller auf, bestehende Miet- oder Nutzungsverhältnisse mit Personen, die die Räume zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung stellen oder nutzen mit sofortiger Wirkung zu beenden. Im Rahmen eines Einschreitens vor Ort durch Bauaufsichtsbehörde und Polizei wurde den zu diesem Zeitpunkt in den Räumlichkeiten anwesenden vier Frauen jeweils eine Duldungsverfügung übergeben. Ferner wurden die Räume anschließend versiegelt und eine nach außen sichtbare Mitteilung über die Nutzungsuntersagung angebracht.

Der Antragsteller erhob gegen die Verfügung Widerspruch und begehrte mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sowie die Entfernung der Siegel und der Mitteilung über die Nutzungsuntersagung.

Mit Beschluss vom 20. April 2005 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, mit Blick auf eine rasche Beendigung der bordellartigen Nutzung der Räumlichkeiten hätte die Untersagung nicht an den Grundstückseigentümer ergehen dürfen, sondern an die Mieter gerichtet werden müssen, da der Grundstückseigentümer zivilrechtlich ggf. nicht in der Lage sei, kurzfristig die Nutzung zu unterbinden, wenn die Mieter zu deren Aufgabe bzw. Räumung nicht bereit seien; auch sei die Verpflichtung zur Kündigung zu unbestimmt gehalten. Für die Entfernung der Siegel und der Untersagungsmitteilung bedürfe es keiner gerichtlichen Entscheidung, da die Antragsgegnerin diese im Hinblick auf die gerichtliche Entscheidung entfernen werde.

Gegen die ihr am 21. April 2005 zugestellte Entscheidung hat allein die Antragsgegnerin am 29. April 2005 Beschwerde eingelegt. Auf einen weiteren Antrag der Antragsgegnerin hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 4. Mai 2005 die Vollziehung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgesetzt.

Der Antragsteller hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie hat den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO genügend dargelegt, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht zu rechtfertigen vermag (1.); auch im Übrigen rechtfertigen die Interessen des Antragstellers in Abwägung mit dem besonderen öffentlichen Interesse am Sofortvollzug der Verfügung keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs (2.).

1. Zutreffend rügt die Antragsgegnerin, dass es nicht ermessensfehlerhaft war, die Nutzungsuntersagung gegen den Antragsteller als Grundstückseigentümer und Verfügungsberechtigten über das Grundstück zu richten (a) und die Verfügung auch hinreichend klar erkennen lässt, welches Verhalten vom Antragsteller verlangt wird (b).

a) Unzutreffend ist die die Entscheidung tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe keine Möglichkeit, die bordellartige Nutzung der beiden Ladenwohnungen umgehend zu beenden, weil er selbst eine ggf. fristlose Kündigung zivilrechtlich nur im Wege einer Räumungsklage gegenüber Mietern durchsetzen könne, wenn diese die Nutzung nicht aufgäben und die Räumlichkeiten nicht selbst räumten, und deshalb müsse die Antragsgegnerin im Rahmen der Auswahl, gegen wen (als Störer) eingeschritten werden solle, gegen die Mieter vorgehen.

Dem steht bereits die beabsichtigte Reichweite der Verfügung entgegen. Denn die Antragsgegnerin hat nicht nur die aktuelle Nutzung der Wohnung zu bordellartigen Zwecken (durch die gegenwärtigen Nutzer) untersagt, sondern die Nutzungsuntersagung für diesen Zweck "auf Dauer", d.h. auch für die Zukunft ausgesprochen, solange keine veränderte bauplanungsrechtliche Ausweisung diese Nutzungsform zulässt. Eine solche Verfügung kann nur an den Grundeigentümer bzw. den Verfügungsberechtigten gerichtet werden, da nur diese Personen es in der Hand haben, nach Beendigung der aktuellen Nutzungsverhältnisse zukünftig für eine dauerhafte Beendigung der bordellartigen Nutzung und eine ordnungsgemäße Nutzung der Räumlichkeiten zu sorgen.

Auch mit Blick auf die zum Zeitpunkt des Einschreitens bestehenden aktuellen Nutzungsverhältnisse erweist sich die Auswahl des Antragstellers als - wie von der Antragsgegnerin unterstellt - (nur) bodenrechtlich Verantwortlicher jedoch nicht als rechtsfehlerhaft. Die Nutzungsuntersagung legt dem Antragsteller die Verpflichtung auf, gibt ihm aber zugleich auch die Möglichkeit, die von ihm getroffenen Regelungen über die Nutzungsverhältnisse unverzüglich zu beenden. Soweit eine tatsächliche Beendigung der Nutzung nicht erfolgt, ist die Antragsgegnerin selbst unter Verwendung von Duldungsverfügungen gegenüber den Mietern bzw. Nutzern - wie diese gegenüber den in den Räumen angetroffenen Personen erlassen worden sind - in der Lage, die Nutzungsuntersagung zu vollstrecken.

Die vom Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene vorrangige Nutzungsuntersagung gegenüber den Mietern bzw. sonstigen Nutzungsberechtigten wird bei der bordellartigen Nutzung im Übrigen vielfach auch deshalb ungeeignet sein, weil diese - ohne entsprechende Offenlegung durch den Grundstückseigentümer oder Verfügungsberechtigten - von der Antragsgegnerin nicht oder nur schwer ermittelt werden können. Anders als etwa bei einer normalen Wohnnutzung ist milieutypisch nicht zu erwarten, dass vor Ort angetroffene Prostituierte die Mieter bzw. die verantwortlichen Nutzer der Räumlichkeiten sind oder diese offenbaren. Eine lediglich gegenüber den in den Räumlichkeiten angetroffenen Personen ausgesprochene Nutzungsuntersagung böte schon von daher für die Antragsgegnerin keine hinreichende Gewähr für eine rasche und erfolgreiche Beendigung der unzulässigen Nutzung. Die entsprechende Einschätzung der Antragsgegnerin hat sich im Übrigen durch den Verlauf des gerichtlichen Verfahrens bestätigt. Der Antragsteller hat sich auch auf einen entsprechenden Hinweis des Beschwerdegerichts nicht veranlasst gesehen, die maßgeblichen Mietverträge für die Räume oder die verantwortlichen Nutzungsberechtigten und die von ihm zugelassene Nutzung offen zu legen.

Dementsprechend wird bei unzulässigen bordellartigen bzw. vergleichbaren Nutzungen auch in der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte ein Einschreiten gegen den Grundstückseigentümer nicht beanstandet (vgl. z.B. VGH Mannheim, Urt. v. 24.7.2002, GewArch 2003, S. 496 ff.; OVG Berlin Beschl. v. 9.4.2003, GewArch 2003, S. 498 f.); die vom Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidungen (OVG Münster, Beschl. v. 24.11.1988, 7 B 2677/88 - in Juris; VG Neustadt/W., Beschl.v. 23.7.2004, 4 L 1673/04 - in Juris -) zu unzulässigen Wohnnutzungen erfassen die damit verbundene Problematik nicht.

b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist nicht ersichtlich, dass die getroffene Anordnung nicht den Bestimmtheitsanforderungen des § 37 Abs. 1 HmbVwVfG genügt, da nicht die Kündigung der bestehenden Mietverhältnisse mit namentlich bestimmten Personen verlangt werde. Sie lässt auf der Basis eines objektiven Empfängerhorizonts eindeutig erkennen, dass der Antragsteller verpflichtet wird, bestehende Mietverträge oder andere Nutzungsverhältnisse für die Wohnungen zu kündigen und die tatsächliche Nutzung für bordellartige Zwecke beenden zu lassen. Die vom Verwaltungsgericht bemängelte fehlende Benennung konkreter Personen war nicht erforderlich. Denn dem Antragsteller muss bekannt sein, wem er die Räumlichkeiten vermietet oder in sonstiger Weise verantwortlich zur Verfügung gestellt hat und wer insofern Adressat seiner Maßnahmen zu sein hat.

Eine etwaige Meinungsverschiedenheit darüber, ob in den Räumen tatsächlich bordellartige Betriebe geführt werden, berührt die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Verfügung hinsichtlich der Adressaten einer Kündigung oder sonstigen Aufforderung des Antragstellers nicht.

2. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht aus anderen Gründen im Ergebnis aufrecht zu erhalten. Die Interessen des Antragstellers rechtfertigen in Abwägung mit dem besonderen öffentlichen Interesse am Sofortvollzug der Verfügung keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Dabei sieht das Beschwerdegericht Anlass zu dem Hinweis, dass für den objektiven Empfängerhorizont die Anordnung des Sofortvollzugs - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht auf die Beendigung der ungenehmigten Nutzung der zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung bestehenden Nutzungsverhältnisse begrenzt ist, sondern auch alle weiteren (neuen) bordellartigen Nutzungen erfasst. Die für die sofortige Vollziehung maßgeblichen Gründe gelten hierfür gleichermaßen und rechtfertigen deshalb im Ergebnis keine einschränkende Auslegung der Anordnung der sofortigen Vollziehung.

Dahinstehen kann, ob in der vorliegenden Fallkonstellation die Voraussetzungen vorlagen, die nach § 28 Abs. 2 HmbVwVfG der Antragsgegnerin die Möglichkeit geben, wie geschehen, die Nutzungsuntersagung ohne vorherige Anhörung des Antragstellers auszusprechen. Der Verstoß gegen diese Regelung kann und wird im Widerspruchsverfahren geheilt werden, in dem der Antragsteller alle Gründe geltend machen kann, die aus seiner Sicht gegen die Nutzungsuntersagung sprechen. Die mit der erfolgten Versiegelung der Räume verbundenen Fragen sind nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und betreffen nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung selbst, sondern deren Vollstreckung.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht nach den aus dem Sachvorgang der Antragsgegnerin ersichtlichen und im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Umständen davon ausgegangen, dass die beiden streitigen ehemaligen Läden und Nebenräume bordellartig genutzt werden. Der erstinstanzlich geäußerte Einwand des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe mit der Bezugnahme auf einschlägige Internet-Annoncen nicht hinreichend dargelegt, dass auch tatsächlich eine bordellartige Nutzung stattfinde und mögliche Interessenten nicht lediglich zu einem entsprechenden Angebot eingeladen würden, ohne dass klar sei, ob es hierzu komme, entbehrt angesichts der nutzungstypischen Gestaltung der Eingangsbereiche, die vor Erlass der Verfügung für Jedermann von außen wahrnehmbar war und auf den zur Sachakte gelangten Photos erkennbar ist, sowie der Lebenswirklichkeit jeder sachlichen Grundlage.

Vor diesem Hintergrund wird sich die Nutzungsuntersagung in der Sache als rechtmäßig erweisen. Es ist weder ersichtlich noch vom Antragsteller geltend gemacht, dass er über eine baurechtliche Genehmigung verfügt, die die Nutzung der beiden ehemaligen Läden zu bordellartigen Zwecken gestattet. Bereits dieser Umstand der formellen Illegalität rechtfertigt, wie das Beschwerdegericht schon in seinem Beschluss vom 4. Mai 2005 zur Aussetzung der Wirkungen des erstinstanzlichen Beschlusses ausgeführt hat, eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung, sofern die Genehmigungsfähigkeit der Nutzung nicht offensichtlich ist (st. Rechtsprechung d. Senats, zuletzt z.B. Beschl. v. 19.11.2003, 2 Bs 555/03; Beschl. v. 1.6.2004, 2 Bs 154/04; vgl. ferner z.B. VGH Kassel, Beschl. v. 14.10.2002, NVwZ-RR 2003, S. 720, 721; Alexejew/Haase/Großmann, Hamburgisches Bauordnungsrecht, Kommentar, Stand 2004, § 76 HBauO Rn. 82 m.w.N.).

Die bordellartige Nutzung der Räumlichkeiten, die zumindest als nicht unerhebliche Störpotentiale auslösende gewerbliche Nutzung anzusehen ist (vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 29.10.1997, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 187; OVG Koblenz, Beschl. v. 15.1.2004, BauR 2004, S. 644 f.; OVG Berlin a.a.O. m.w.N.; VGH Kassel, a.a.O.), ist wegen ihres Störpotentials in einem Wohngebiet nach § 10 Abs. 4 BPVO nicht - erst recht nicht offensichtlich - zulässig. Auch bei einer Konkretisierung des Begriffs der Wohnbedürfnisse anhand von § 4 BauNVO gehört eine derartige Nutzung nicht zu den in einem Wohngebiet nach § 4 Abs. 3 BauNVO zulassungsfähigen gewerblichen Nutzungen (vgl. BVerwG a.a.O.; OVG Koblenz a.a.O.; OVG Berlin a.a.O.). Auf die Frage in welchem Umfang nicht störende gewerbliche Nutzungen zum Begriff der "Wohnbedürfnisse" i.S.d. § 10 Abs. 4 BPVO gezählt werden können (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 10.4.1997, NordÖR 1999, S. 354 ff.; Urt. v. 13.2.2002, NordÖR 2002, S. 412 ff.), kommt es insofern nicht an.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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