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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 25.11.2009
Aktenzeichen: 3 Bs 80/09
Rechtsgebiete: GG, WaffG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
WaffG § 45
Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den in § 45 Abs. 5 WaffG bestimmten Fallgruppen verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

3 Bs 80/09

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 3. Senat, durch die Richter Korth, Jahnke und Kollak am 25. November 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. April 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Streitwert von 5.875,-- Euro.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die erstinstanzliche Streitwertentscheidung geändert. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 9.875,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. April 2009, mit dem u. a. sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerruf von sechs Waffenbesitzkarten abgelehnt wurde, ist nicht begründet. Die mit dem Beschwerdevorbringen dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ausschließlich zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

a) Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Juni 2007 wegen Bestechlichkeit in 279 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt; seit dem 12. Juli 2008 ist das Urteil rechtskräftig. Im Hinblick hierauf widerrief die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. Oktober 2008 gemäß §§ 45 Abs. 2, 4 und 5 WaffG die dem Antragsteller erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse, ordnete gemäß § 46 Abs. 2 WaffG die Unbrauchbarmachung von (noch) im Besitz des Antragstellers befindlichen (10) Waffen sowie der dazugehörigen Munition oder deren Überlassung an einen Berechtigten an, erklärte gemäß §§ 17, 18 BJagdG den Jagdschein des Antragstellers für ungültig und zog ihn ein. Der Antragsteller hat dagegen Widerspruch eingelegt und am 23. Dezember 2008 beim Verwaltungsgericht Hamburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt. Nachdem der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2008 von der Antragsgegnerin zurückgewiesen worden war, hat der Antragsteller am 19. Januar 2009 Klage erhoben.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 7. April 2009 abgelehnt und den Streitwert auf 16.500 € festgesetzt: Die aufschiebende Wirkung der Klage sei nicht ausnahmsweise anzuordnen. Die Entscheidung der Antragsgegnerin sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Umsetzung des Widerrufs würden die privaten Interessen des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsmittels überwiegen. Der verfügte Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers sei nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig. Die Erlaubnisse seien wegen der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers vom 19. Juni 2007 wegen Bestechlichkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren nach § 45 Abs. 2 WaffG zu widerrufen, weil der Antragsteller damit die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 WaffG nicht mehr besitze; die erforderliche Zuverlässigkeit besäßen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG solche Personen nicht, die innerhalb der letzten zehn Jahre wegen der Begehung vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung seien nicht erkennbar. Der Ausschluss des Suspensiveffektes in § 45 Abs. 5 WaffG sei nicht zu beanstanden. Insbesondere verstoße er weder gegen die in Art. 19 Abs. 4 GG geregelte Rechtsweggarantie noch sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Gültigkeitszweifel seien auch in Bezug auf die Vorschrift in § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG nicht begründet. Bei der Festsetzung des Streitwerts würde sich bei Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für die sechs Waffenbesitzkarten und die vier weiteren Waffen ein Hauptsachestreitwert von 33.000 € ergeben, der in Anlehnung an die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg auf 25.000 € begrenzt werde; hinzu komme der Wert des für ungültig erklärten Jagdscheins in Höhe von 8.000 €. Im Eilverfahren sei dieser Streitwert auf 16.500 € zu halbieren.

b) Mit seiner Beschwerde beantragt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung allein seines Widerspruchs gegen den Widerruf der ihm erteilten sechs Waffenbesitzkarten. Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag ist nicht erkennbar. Denn der Widerspruch ist bereits mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2008 beschieden worden. Das Suspensionsinteresse knüpft nunmehr an die erhobene Anfechtungsklage an. Aber auch eine - möglicherweise gewollte - Beschwerde mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerruf der Waffenbesitzkarten anzuordnen, würde nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung führen.

Durch die gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs in § 45 Abs. 5 WaffG werden Interessen oder Rechte des Antragstellers - der ausdrücklich nicht beanstanden will, dass die Antragsgegnerin gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG seine Waffenbesitzkarten widerrufen hat - nicht in einer Weise verletzt, die es rechtfertigen würde, dem Antragsteller die Waffenbesitzkarten bis zur Unanfechtbarkeit des Widerrufs bzw. bis zu dem in § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmten Zeitpunkt zu belassen.

aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Vollzugsregelung in § 45 Abs. 5 WaffG nicht zu beanstanden. Sie verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Insoweit wird zum Umfang des Anspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung, insbesondere auf die dort wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, verwiesen. Danach gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Verwaltungsprozess nicht schlechthin; überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Im vorliegenden Fall ist ein effektiver Rechtsschutz trotz des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in § 45 Abs. 5 WaffG gewährleistet, weil der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen kann, dessen Erfolgaussichten im Wesentlichen davon abhängen, wie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu beurteilen sind. Lediglich bei offenen Erfolgsaussichten ist im Rahmen der dann erfolgenden Interessenabwägung die Entscheidung des Gesetzgebers für einen Vorrang der öffentlichen Interessen zu berücksichtigen.

Es ist auch nicht zu bezweifeln, dass es für den Sofortvollzug der Rücknahme oder des Widerrufs von waffenrechtlichen Erlaubnissen wegen Fehlens der erforderlichen Zuverlässigkeit oder persönlichen Eignung regelmäßig ein öffentliches Interesse gibt, die Bevölkerung schon vor rechtkräftigem Abschluss des Verfahrens vor unzuverlässigen oder ungeeigneten Waffenbesitzern zu schützen. Zwar wird in der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 45 Abs. 5 WaffG nur ausgeführt (BT-Drs. 16/8224 v. 20.2.2008 S. 18), dass eine Anregung des Bundesrates aufgegriffen werde, die den Vollzug nach Aufhebung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erleichtere. Aber daraus kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die vom Bundesrat für die Anregung gegebene Begründung (BR-Drs. 838/07 v. 20.11.2007 S. 11) nicht teile, in den Fallgruppen der zwingenden Rücknahme/des zwingenden Widerrufs wegen bestehender bzw. nachträglich eingetretener Unzuverlässigkeit oder Nichteignung, die sowohl eine besondere Praxisrelevanz als auch eine hervorgehobene Bedeutung für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufwiesen, erscheine die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzw. der Verzicht auf eine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage durch den Gesetzgeber dringend angezeigt, weil in derartigen Fällen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung immer eine umgehende Beendigung des Waffenbesitzes geboten bzw. ein höherwertiges legitimes Interesse an einem weiteren Waffenbesitz bis zum Eintritt von Bestands- oder Rechtskraft (unter Umständen mehrere Monate oder Jahre) überhaupt nicht zu erkennen sei. Dies sind im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers auch nicht bloß reine Praktikabilitätserwägungen. Die Erwägungen bezeichnen das besondere Gewicht des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug in diesem Sachbereich, das sich in der bisherigen Vollzugspraxis in der regelmäßigen behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgedrückt hat.

bb) Anhaltspunkte, dass § 45 Abs. 5 WaffG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen könnte, lassen sich der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht entnehmen. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat, die je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. z. B. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 16.9.2009, 1 BvR 2275/07, m. weit. Nachw., juris). Mit der Einschränkung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage für die Fallgruppen der zwingenden Rücknahme/des zwingenden Widerrufs wegen bestehender bzw. nachträglich eingetretener Unzuverlässigkeit oder Nichteignung hat der Gesetzgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit im verwaltungsgerichtlichen Verfahrensrecht nicht überschritten. Sinn und Zweck dieser Regelung ergeben sich aus der o. a. Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drs. 838/07 v. 20.11.2007 S. 11). Damit hat der Gesetzgeber die Vorschrift im Hinblick auf ein besonderes öffentliches Sicherheitsinteresse sachlich und nachvollziehbar begründet.

Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang rügt, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG (nach dem die erforderliche Zuverlässigkeit solche Personen nicht besitzen, die innerhalb der letzten zehn Jahre wegen der Begehung vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sind) nicht zwischen dem Typus der begangenen Straftat differenziere und auch in § 45 Abs. 5 WaffG insoweit keine unterschiedliche Behandlung vorgenommen habe, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen, warum der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG deshalb den Sofortvollzug für die Fallgruppen der zwingenden Rücknahme/des zwingenden Widerrufs wegen bestehender bzw. nachträglich eingetretener Unzuverlässigkeit oder Nichteignung nicht in Anknüpfung an die in § 5 Abs. 1 WaffG bestehende Regelung der Zuverlässigkeit hätte regeln dürfen. Sollte § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG verfassungswidrig sein - wofür es keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt (vgl. die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts S. 10 f.) -, würde das gegebenenfalls im Eilverfahren zu einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung führen. Die generelle Regelung in § 45 Abs. 5 WaffG würde davon nicht berührt oder gar in Frage gestellt werden. Gleiches gilt für die Einwendungen, die der Antragsteller gegen die Gültigkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG im Hinblick auf die Anknüpfung an das Strafmaß und den Fristbeginn erst mit Rechtskraft der Verurteilung vorbringt.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Beschwerdesenat schließt sich der Auffassung u. a. des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Beschl. v. 9.1.2009, 11 OA 409/08, juris) an, dass bei einem Widerruf unabhängig von der Anzahl der im Streit befindlichen Waffenbesitzkarten einmalig der Auffangwert von 5.000 € für eine Waffenbesitzkarte einschließlich einer Waffe anzusetzen ist und für jede weitere Waffe (auch wenn sie in zusätzlichen Waffenbesitzkarten eingetragen ist) lediglich noch ein Betrag von 750 €. Hierfür spricht, dass es für den Betroffenen ohne Bedeutung ist, ob der Besitz seiner Waffen durch eine oder mehrere Waffenbesitzkarten legitimiert wird. Der Streit um die sechs Waffenbesitzkarten des Antragstellers ist demgemäß bei der Streitwertbemessung in der Hauptsache mit 5.000 € zu berücksichtigen. Unklar ist, wie viele Waffen der Antragsteller zum Zeitpunkt des Widerrufs aufgrund dieser Waffenbesitzkarten besitzen durfte. Jedenfalls dürften (mindestens) die zehn Waffen in den Waffenbesitzkarten eingetragen gewesen sein, deren Entziehung gemäß § 46 Abs. 2 WaffG die Antragsgegnerin zusammen mit dem Widerruf der Waffenbesitzkarten angeordnet hat. Neun dieser Waffen gehen mit je 750 € in den Streitwert der Hauptsache ein (= 6.750 €). Die sich ergebende Summe von 11.750 € ist wegen des vorläufigen Charakters der Eilentscheidung auf 5.875 € zu halbieren.

3. Die Streitwertbeschwerde ist teilweise begründet. Die erstinstanzliche Streitwertentscheidung ist entsprechend abzuändern. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen ist der Streit um die Waffenbesitzkarten in der Hauptsache mit 11.750 € zu bewerten. Hinzu kommen 8.000 € für den von der Antragsgegnerin für ungültig erklärten Jagdschein des Antragstellers (vgl. Ziffer 20.3 des Streitwertkatalogs), der ausweislich der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch Gegenstand des erstinstanzlichen Streits war. Die sich ergebende Summe von 19.750 € ist wegen des vorläufigen Charakters der Eilentscheidung - auf 9.875 € - zu halbieren.

Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren ist eine Kostenentscheidung im Hinblick auf § 68 Abs. 3 GKG nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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