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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 21.11.2007
Aktenzeichen: 4 Bf 154/06.Z
Rechtsgebiete: SGB X


Vorschriften:

SGB X § 111 Satz 1
SGB X § 113
1. In einer Anzeige nach § 111 Satz 1 SGB X muss der Sozialleistungsträger die zu erstattenden Leistung noch nicht beziffern.

2. Die einjährige Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X lebt nicht (zugunsten des an sich erstattungspflichtigen Sozialleistungsträgers) für den Fall wieder auf, dass der erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger auf die Ablehnung der geltend gemachten Erstattungsansprüche zunächst über längere Zeit nicht reagiert. Vor einem zeitlich unbegrenzten Hinausschieben des Erststattungsfalls ist der erstattungspflichtige Sozialleistungsträger durch die Verjährungsvorschrift in § 113 SGB X ausreichend geschützt.

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen gegebenenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben in Betracht kommen könnte, sofern sich ein an sich erstattungsberechtigter Sozialleistungsträger, der den Anspruch zunächst nicht aktiv verfolgt (hier drei Jahre), auf eine längere Zeit zurückliegende Anmeldung seines Erstattungsanspruchs im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X (und damit auf deren rechtswahrende Wirkung) beruft.


Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Beschluss

4 Bf 154/06.Z

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel und Wiemann sowie die Richterin Huusmann am 21. November 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. April 2006 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens nach einem Streitwert von 14.781,73 Euro.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§§ 124 Abs. 2 Nr.1 und 3, 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) sind nicht gegeben.

1. Aus den Darlegungen der Beklagten im Zulassungsantrag, auf die die Prüfung grundsätzlich beschränkt ist (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger die Kosten der Hilfe zur Erziehung in Höhe von 14.781,73 Euro zu erstatten. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe dem Kind K. M. (Hilfeempfänger) nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 86 Abs. 6 SGB VIII als örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe ab Dezember 1998 Hilfe zur Erziehung durch Übernahme der Kosten der (in seinem Bereich gelegenen und auf Dauer angelegten) Vollzeitpflegestelle gewährt. Auch habe der Kläger seinen Kostenerstattungsanspruch nach § 89 a Abs. 1 SGB VIII entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erst im März 2003, sondern bereits mit Schreiben vom 29. Januar 1999 geltend gemacht. Dass die Beklagte die Kostenerstattung (unter Hinweis auf die ihrer Auffassung nach bestehende Erstattungspflicht der Stadt Kiel) im September desselben Jahres abgelehnt habe und der Kläger daraufhin zunächst gegen diesen Jugendhilfeträger - erfolglos - gerichtlich vorgegangen sei (Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 12.6.2002 und Beschluss des OVG Schleswig vom 28.1.2003), führe nicht zu einem neuen Erstattungsfall. Der Kläger habe insbesondere nach der Ablehnung der Kostenerstattung durch die Beklagte nicht erklärt, er werde nunmehr einen Erstattungsanspruch nur noch gegen die Stadt Kiel verfolgen. Auch angesichts der schwierigen Rechtslage betreffend den nach § 89 a Abs. 1 SGB VIII erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger habe es die Beklagte nicht überraschen können, dass der Kläger nach dem erfolglosen Klageverfahren auf den im Januar 1999 geltend gemachten Erstattungsanspruch zurückgekommen sei. Gegen eine übermäßige Inanspruchnahme sei sie durch die Verjährungsregelung geschützt. Insoweit habe der Kläger seinen Erstattungsanspruch bereits auf die Zeit ab Januar 1999 begrenzt.

Dagegen bringt die Beklagte mit dem Zulassungsantrag keine durchgreifenden Gründe vor.

Die Beklagte macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass sie, die Beklagte, nach ihrer Ablehnung des vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruchs durch das Schreiben vom 14. September 1999 von einer Erledigung dieser Sache habe ausgehen dürfen. Andernfalls hätten - wie in diesen Fällen sonst üblich - nach der Ablehnung einer Erstattungspflicht Absprachen zwischen ihr und dem Kläger etwa hinsichtlich eines Verzichts auf die Einrede der Verjährung erfolgen müssen. Insbesondere der letztgenannte Umstand zeige, dass auch der Kläger, der sie, die Beklagte, auch nicht über die Erhebung einer Klage gegen die Stadt Kiel informiert habe, die Anmeldung seines Erstattungsbegehrens im Schreiben vom 29. Januar 1999 als erledigt betrachtet habe. Zudem habe sich das Verwaltungsgericht nicht genügend mit Sinn und Zweck des § 111 SGB X auseinandergesetzt. Danach könne von einem fortwirkenden Geltendmachen eines Erstattungsanspruchs nur ausgegangen werden, wenn der erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger, hier der Kläger, den geltend gemachten Erstattungsanspruch tatsächlich auch weiter verfolge und insoweit rechtssichernd tätig werde. Das sei nicht geschehen.

Aus diesem Vortrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Urteil - zum einen - zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger im Schreiben vom 29. Januar 1999 seine - aus § 89 a Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 6 SGB VIII folgenden und von der Beklagten im Zulassungsantrag auch nicht bestrittenen - Ansprüche auf Ersatz der von ihm, dem Kläger, gewährten Kosten der Hilfe zur Erziehung für den Hilfeempfänger in Form der Vollzeitpflege in einer den Anforderungen des § 111 Satz 1 SGB X genügenden Weise geltend gemacht hat. Das Verwaltungsgericht hat - zum anderen - weiter zu Recht festgestellt, dass es dem Kläger nicht verwehrt war, sich - etwa aus den von der Beklagten angeführten Gründen (u.a. fehlende Absprachen, keine aktive Anspruchsverfolgung, Zeitablauf) - auf dieses Geltendmachen seiner Erstattungsansprüche zu berufen und sodann auf dieser Grundlage die Beklagte mit Schreiben vom 13. Februar 2003 zu deren Begleichung aufzufordern (mit Ausnahme des nach § 113 SGB X verjährten Kostenerstattungsanspruchs für Dezember 1998). Dazu im Einzelnen:

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diesen rechtlichen Vorgaben für eine (fristwahrende) Meldung des Erstattungsanspruchs wird das Schreiben des Klägers vom 29. Januar 1999, dessen Zugang bei der Beklagten nicht streitig ist, gerecht. Darin hat der Kläger den Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten eindeutig geltend gemacht und zugleich die maßgeblichen Einzelheiten des Hilfefalles, des Erstattungszeitraums und der rechtlichen Grundlagen aufgeführt. Das genügt den Anforderungen einer Anzeige nach § 111 Satz 1 SGB X; der Bezifferung der zu erstattenden Leistung bedarf es nicht (vgl. dazu Klattenhof in: Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, § 111 Rdnr. 5, m.w.N.; Giese in: Giese/Wahrendorf, SGB X, Kommentar, § 111 Rdnr. 6). Durch dieses Schreiben hat der Kläger den Eintritt der (von Amts wegen zu beachtenden) Ausschlussfrist betreffend die Erstattungsansprüche für die von ihm seit Dezember 1998 gewährte Jugendhilfe verhindert.

Weitergehende Anforderungen, von deren Erfüllung der Eintritt oder das Fortbestehen der genannten (Rechts-)Wirkung der Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs abhängig sein könnte, enthält § 111 SGB X nicht. Das gilt namentlich für ein von der Beklagten offenbar für notwendig gehaltenes, weitergehendes aktives Verfolgen des Erstattungsanspruchs durch den Kläger ("rechtssicherndes Tätigkeitwerden"). Insoweit bietet weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 111 SGB X noch dessen systematische Stellung im System der Kostenerstattung (§§ 102 ff. SGB X) einen Anhalt für die Rechtsansicht der Beklagten, dass von einem "Wiederaufleben" der einjährigen Ausschlussfrist (zugunsten des an sich erstattungspflichtigen Sozialleistungsträger) für den Fall auszugehen ist, dass der erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger auf die Ablehnung der geltend gemachten Erstattungsansprüche zunächst nicht reagiert. Der Gesetzgeber überlässt insoweit dem erstattungsberechtigten Leistungsträger die Entscheidung über sein weiteres Vorgehen im Anschluss an eine den Anforderungen des § 111 SGB X genügenden Anmeldung seiner Ansprüche und eine etwaige Ablehnung. Der erstattungspflichtige Träger, der seine Leistung (zunächst) verweigert, ist vor einem zeitlich unbegrenzten Hinausschieben des Erststattungsfalls durch die Verjährungsvorschrift in § 113 SGB X ausreichend geschützt. In dem durch diese gesetzlichen Regelungen gesetzten zeitlichen Rahmen hängt der Fortbestand der Wirkung der Anmeldung der Erstattungsanspruchs nach § 111 SGB X grundsätzlich nicht von weiteren Aktivitäten des erstattungsberechtigten Sozialleistungsträgers ab.

Die Beklagte trägt weiter vor - allerdings erst im Zusammenhang mit dem ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - , der Kläger habe durch die Hinnahme der Ablehnung seiner Erstattungsforderung und durch die jahrelange Nichtverfolgung des Erstattungsanspruchs im Anschluss an das Schreiben vom 14. September 1999 sein Recht verwirkt, sich im Februar 2003 auf die Anmeldung dieses Anspruchs im Schreiben vom 29. Januar 1999 zu beziehen. Auch aus diesem Vorbringen folgen, soweit es zugunsten der Beklagten auch bei der Prüfung des hier fraglichen Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berücksichtigt wird, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Dabei kann dahinstehen, ob es in einem Einzelfall dem an sich erstattungsberechtigten Sozialleistungsträger verwehrt sein könnte, sich auf eine längere Zeit zurückliegende Anmeldung seines Erstattungsanspruchs im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X (und damit auf deren rechtswahrende Wirkung) zu berufen, etwa wenn und soweit er mit diesem Rückgriff im Verhältnis zu dem später (erneut) angegangenen Träger gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde. Das könnte allenfalls dann näher in Betracht zu ziehen sein, wenn sich zwischen den Sozialleistungsträgern der einzelnen Länder eine feste Verwaltungspraxis herausgebildet haben sollte, nach welcher ein an sich erstattungspflichtiger Träger (hier die Beklagte) von der endgültigen Erledigung eines Erstattungsstreits bzw. vom Eingreifen der Ausschlussfrist nach § 111 SGB X für den Fall ausgehen kann, dass der erstattungsberechtigte Träger (hier der Kläger) auf die Ablehnung seiner (entsprechend § 111 SGB X angemeldeten) Ansprüche nicht reagiert und zwischen den Beteiligten auch keine Absprachen etwa betreffend den Verzicht auf die Einrede der Verjährung getroffen worden sind. Für eine derart durchgängige und feste Praxis der Sozialleistungsträger, nach der sich der erstattungsberechtigte Träger bei einer später gleichwohl erneuerten Forderung nach Kostenerstattung nicht auf sein früheres Geltendmachen beruft und insoweit den Eintritt der Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 SGB X für ein Teil des Erstattungszeitraums akzeptiert, enthält der Zulassungsantrag keine Anhaltspunkte. Hierfür reicht der nicht weiter substantiierte Vortrag der Beklagten nicht aus, im Fall der Ablehnung eines Erstattungsantrags und bei verbleibenden Restzweifeln an der Richtigkeit dieser Ablehnung würden die Beteiligten üblicherweise informiert und es würden Absprachen (Verzicht auf Verjährungseinrede) getroffen. Daraus lässt sich nicht auf eine gegebenenfalls den Kläger bindende Verwaltungspraxis schließen, nach der ihm eine Berufung auf die erste Geltendmachung seines Kostenerstattungsanspruch zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sein könnte.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der Beklagten im Zulassungsantrag insoweit aufgeworfene Frage, "ob nach Ablehnung eines Erstattungsanspruchs die erstmalige Geltendmachung rechtssichernd zukunftsoffen wirksam bleibt, auch wenn der Anspruch nach der Ablehnung länger als drei Jahre nicht weiter verfolgt worden ist", bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie ist nach den oben näher dargelegten Gründen zu bejahen, und diese Antwort ergibt sich unmittelbar aus den gesetzlichen Vorschriften im Zweiten Abschnitt des SGB X über die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander und hier insbesondere aus den §§ 111, 113 SGB X.

Soweit die Beklagte in ihrem Antrag im Zusammenhang mit dem Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO noch die Frage aufwirft, ob der Anspruch des Klägers verwirkt ist, weil im vorliegenden Fall seine verspätete Geltendmachung nach vorangegangener Akzeptanz der Ablehnung und jahrelanger Untätigkeit gegen Treu und Glauben verstoße, wird damit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Ob in diesem Sinne von einer Verwirkung auszugehen sein könnte, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und ist einer darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Im Übrigen besteht nach den obigen Darlegungen unter 1. im vorliegenden Erstattungsfall kein Anhalt dafür, dass dem Kläger eine Bezugnahme auf die erste Anmeldung des Erstattungsanspruchs im Januar 1999 aus Gründen von Treu und Glauben verwehrt sein könnte und dass dem hier streitigen Erstattungsanspruch deshalb § 111 SGB X entgegensteht.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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