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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.02.2005
Aktenzeichen: 4 Bf 206/03
Rechtsgebiete: ENA, AuslG, AufenthG


Vorschriften:

ENA Art. 3 Abs. 3
AuslG § 47
AufenthG § 53
AufenthG § 54
Soll ein Ausländer, der sich auf den europarechtlichen Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 ENA berufen kann, wegen besonderer Gefährlichkeit (§ 47 AuslG, jetzt §§ 53, 54 AufenthG) ausgewiesen werden, so ist individuell zu prüfen, ob sein weiterer Aufenthalt hingenommen werden kann.

Auch wenn der Tatbestand einer sog. Ist-Ausweisung erfüllt ist, kommt deshalb in Betracht, dass in einem Ausnahmefall von der Ausweisung abgesehen wird bzw. aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht festgestellt werden kann, dass besonders schwer wiegende Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA vorliegen, oder es kann eine aus der Schwere der Tat ggf. folgende entsprechende Vermutung widerlegt sein.


4 Bf 206/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch die Richter Pradel, Richter Pauly und Wiemann am 24. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. Mai 2003 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens nach einem Streitwert von 4.000 Euro.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3, 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) sind nicht gegeben.

1. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 12. November 1998 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1999 aufgehoben, mit dem die Beklagte den 1943 geborenen Kläger nach seiner Verurteilung durch das Landgericht Hamburg vom 13. November 1997 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen versuchten Totschlags aus dem Bundesgebiet ausgewiesen hat. Der Kläger war bereits 1966 als angeworbener Arbeitnehmer in das Bundesgebiet eingereist, und die Beklagte hatte ihm eine - zunächst befristete und jeweils verlängerte, 1983 eine unbefristete - Aufenthaltserlaubnis erteilt. Seine deutsche Ehefrau, die er 1974 geheiratet hatte und mit der er zwei zwischenzeitlich erwachsene Kinder hat, ist 1993 verstorben. Zur Begründung seiner stattgebenden Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Ausweisung des Klägers sei zwar nach nationalem Recht nicht zu beanstanden, da er nach seiner Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe den Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfülle und der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG nach dem Tod seiner Ehefrau entfallen sei. Die Ausweisung verstoße aber gegen Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (ENA). Danach sei diese Maßnahme nach einem mehr als zehn Jahre währenden ordnungsgemäßen Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder aus besonders schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit zulässig. Dieser Ausweisungsschutz müsse nicht wegen zureichender spezial- oder generalpräventiver Ausweisungszwecke zurücktreten. Die Ausweisung sei angesichts der Besonderheiten der abgeurteilten Tat, der Persönlichkeit des Klägers, seines Alters und seiner gesicherten wirtschaftlichen und sozialen Lage weder zur Vermeidung ähnlich schwerwiegender Straftaten noch zur Abschreckung anderer Ausländer erforderlich.

2. Die Beklagte bringt dagegen vor, dass die - nach ihrer Auffassung vom Verwaltungsgericht zu Unrecht bejahte - Frage, ob "ein türkischer Staatsangehöriger, der nach nationalem Recht zwingend auszuweisen sei, sich mit Erfolg auf besonderen Ausweisungsschutz aus dem ENA berufen" könne (Zulassungsantrag S. 2), grundsätzliche Bedeutung und für die Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen mit langjährigem rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet "große praktische Bedeutung" habe. Damit wird der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargelegt.

Die Frage, ob Ausländer, die den Tatbestand einer Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG (jetzt § 53 Nr. 1 AufenthG) erfüllen und denen der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG (jetzt § 56 Abs. 1 AufenthG) wegen Fehlens bzw. nach Wegfall der dort genannten Voraussetzung nicht (mehr) zu Gute kommt, Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 1 und 3 ENA beanspruchen können, soweit sie (wie der Kläger) Staatsangehörige eines Vertragstaates sind und seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalts im Bundesgebiet haben, bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie ist vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11. Juni 1996 (BVerwGE 101, 247 ff. = InfAuslR 1997, 8 ff.), auf das sich das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich bezogen hat (UA Seite 7), bereits entschieden. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht zum einen ausgeführt, dass zwischen den "schwerwiegenden Gründen" im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG und den "besonders schwerwiegenden Gründen" des Art. 3 Abs. 3 ENA kein qualitativer Unterschied besteht und dass insoweit hinsichtlich der Anforderungen an spezial- und generalpräventive Zwecke der Ausweisung dieselben Maßstäbe anzulegen sind. Zum anderen hat es in diesem Urteil dargelegt, dass ein Ausweisungsschutz auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge auch dann zu beachten ist, wenn er über das europäische Gemeinschaftsrecht und über das Ausländergesetz hinausgeht, und dazu auf seine feste Rechtsprechung verwiesen (a.a.O. S. 260). Dementsprechend sei eine sonst (nach nationalem Recht) zulässige Ausweisung von Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des Europäischen Niederlassungsabkommens gemäß Art. 3 Abs. 3 ENA nach einem mehr als zehn Jahre währenden ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates nur aus Gründen der Sicherheit des Staates oder aus besonders schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit zulässig.

Soweit die im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage - weitergehend - dahin zu verstehen sein sollte, dass grundsätzlich zu klären sei, ob bei Erfüllung des Tatbestandes einer Ist-Ausweisung das Vorliegen einer besonders schwerwiegenden Gefährdung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA bereits feststeht und es insoweit keiner individuellen Begründung eines spezial- oder generalpräventiv motivierten Ausweisungszweckes (mehr) bedürfe, rechtfertigt das ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung. Denn durch die o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juni 1996 ist ausreichend geklärt, dass Ausweisungen wegen besonderer Gefährlichkeit nach § 47 Abs. 1 AuslG bei Ausländern, die sich nach Verfestigung ihres ordnungsgemäßen langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf den Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 ENA berufen können, nicht ausnahmslos und zwingend und ohne Berücksichtigung privater Belange zu erfolgen haben. Nach dieser Entscheidung geht der europarechtliche Ausweisungsschutz inhaltlich zwar nicht über den Ausweisungsschutz durch das nationale Recht in § 48 Abs. 1 AuslG hinaus, d.h. die Ausweisung des durch Art. 3 Abs. 3 ENA geschützten Ausländers ist nicht von noch höheren Voraussetzungen abhängig (a.a.O. S. 262), der Schutz bleibt in der Sache aber auch nicht dahinter zurück. Insoweit schließt die Bezugnahme des Bundesverwaltungsgerichts auf das System der Ist-Ausweisung und Regelausweisung (einschließlich der qualitativen Gleichstellung der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach nationalem Recht mit den besonders schwerwiegenden Gründen nach dem Europäischen Niederlassungsabkommen) auch die darin enthaltenen Möglichkeiten ein, dass bei bestehendem europarechtlichen Ausweisungsschutz trotz Erfüllung des Tatbestandes einer Ist-Ausweisung in einem Ausnahmefall von der Ausweisung abgesehen bzw. aufgrund der Umstände des Einzelfalles die Feststellung des Vorliegens besonders schwerwiegender Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA nicht getroffen werden kann oder eine aus der Schwere der Tat ggf. folgende entsprechende Vermutung widerlegt ist. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 11. Juni 1996 ausdrücklich ausgeführt, dass auch bei einem besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA private Belange des Ausländers einer Ausweisung entgegen stehen können (a.a.O., S. 261). Daran hat es die Feststellung angeschlossen, dass im Hinblick auf den spezialpräventiven Zweck der Ausweisung der Ausländer durch sein Verhalten dargetan haben muss, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet durch ihn zukünftig besonders schwerwiegend gefährdet ist und dass daneben generalpräventive Zwecke im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 ENA eine Ausweisung nur ausnahmsweise und nur unter den für deutschverheiratete Ausländer geltenden Einschränkungen ermöglichen (a.a.O., S. 261, 262). Hiermit wäre die von der Beklagten für zutreffend erachtete Auslegung dieser Regelung unvereinbar, wonach Art. 3 Abs. 3 ENA in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG ausnahmslos keinen Ausweisungsschutz mehr vermitteln kann, auch wenn - wie hier (siehe dazu unten 2.) - spezial- oder generalpräventive Gründe für die Ausweisung nicht vorliegen. Vielmehr ist auch bei der beabsichtigten Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit (§ 47 AuslG) eine individuelle Bewertung der Hinnehmbarkeit des weiteren Aufenthalts des Ausländers vorzunehmen, soweit er sich auf europarechtlichen Ausweisungschutz nach Art. 3 Abs. 3 ENA berufen kann (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 13.4.2004, NVwZ-RR 2004, 898, 899; VGH Mannheim, Urt. v. 9.7.2003, EzAR 033 Nr. 18; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999 § 45 AuslG Rdnr. 42; a.A. OVG Münster, 5.3.1998, InfAuslR 1998, 354, 356).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zuzulassen. Aus den weiteren Darlegungen der Beklagten im Zulassungsantrag, auf die die Prüfung grundsätzlich beschränkt ist (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen dieses Zulassungsgrundes.

Soweit die Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils damit begründet, dass das Verwaltungsgericht wegen Erfüllung des Tatbestandes der Ist-Ausweisung einen etwaigen Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 ENA nicht habe berücksichtigen dürfen und die Ausweisung deshalb auch ohne gesonderte Feststellung des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr bzw. generalpräventiver Gründe rechtmäßig sei, kann auf die vorstehenden Ausführung verwiesen werden. Danach ist das Verwaltungsgericht bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte hier europarechtlichen Ausweisungsschutz zu berücksichtigen hatte und dass insoweit eine individuelle Bewertung der Hinnehmbarkeit des weiteren Aufenthalts des Klägers unter Berücksichtigung etwaiger spezialpräventiver oder generalpräventiver Ausweisungzwecke vorzunehmen war.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts werden ferner nicht dargelegt, soweit die Beklagte mit dem Zulassungsantrag vorträgt, das Verwaltungsgericht habe - falls entgegen ihrer Ansicht hier überhaupt Ausweisungszwecke noch gesondert geprüft werden müssten - zu Unrecht angenommen, die Ausweisung könne weder auf ausreichende spezial- noch generalpräventive Gründe gestützt werden. Die dazu vorgebrachten Gründe erschüttern die Darlegungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil nicht.

Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung (Prognose), dass trotz der Schwere der abgeurteilten Straftat eine Wiederholungsgefahr nicht festzustellen sei - und deshalb ein Bedürfnis für eine spezialpräventiv motivierte Ausweisung nicht bestehe - , entscheidungserheblich auf eine Vielzahl von Besonderheiten des vorliegenden Falles gestützt. Dabei hat es zum einen zutreffend auf die Einzelumstände der Straftat verwiesen (Tatentstehung und konkrete Tatausführung, schwerwiegende Provokation und Eskalation des Streits durch das Opfer, das den Kläger zuvor u.a. mit einem sog. Faustdolch bedroht hatte). Zum anderen hat das Verwaltungsgericht die Persönlichkeit des Klägers gewürdigt, von der es sich nach der Darstellung in den Entscheidungsgründen in der mündlichen Verhandlung ein eigenes Bild gemacht hat. Danach hatte das Verwaltungsgericht von dem Kläger den Eindruck einer besonnenen und gereiften Person. Es hat insoweit bei der Einschätzung einer möglichen Wiederholungsgefahr weiter berücksichtigt, dass der Kläger nicht zur Begehung von Gewalttaten neigt. Er sei weder vor der abgeurteilten Tat vom 3. Juni 1997 noch danach einschlägig aufgefallen. Zudem befinde der Kläger sich im vorgerückten Lebensalter (er ist zwischenzeitlich 62 Jahre) und lebe in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Zulassungsantrag bringt gegen diese Einzelfallbewertung durchgreifende Gründe nicht vor.

Soweit die Beklagte mit den Ausführungen im Zulassungsantrag der Sache nach vorbringt, der Kläger gehöre offenbar zu einem Täterkreis, der (ggf. soziokulturell bedingt) auch vor schwerwiegenden Gewalttaten nicht zurückschrecke, wenn er in Wut gerate, sich rächen wolle oder glaube, dadurch "seine gekränkte Ehre herzustellen" zu müssen, wird diese Vermutung weder durch Feststellungen des Landgerichts im Strafurteil noch durch sonst vorgetragene Anhaltspunkte näher belegt. Diese Annahme kann daher die günstige Prognose des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. Das Verwaltungsgericht hat dagegen zutreffend die ungewöhnlichen Umstände der abgeurteilten Straftat berücksichtigt, und es hat zutreffend angenommen, dass mit einer Wiederholung einer derart ungewöhnlichen Situation nicht zu rechnen ist. Insoweit sprechen die Einzelheiten der "Vorgeschichte" der abgeurteilten Straftat (u.a. verbale Attacken des Opfers gegenüber dem Kläger bereits am Vormittag des Tattages in einem Einkaufszentrum, Aufsuchen der Wohnung des Klägers durch das Opfer in der Absicht, den Streit gewaltsam fortzusetzen, Drohung mit einem Messerangriff ["Faustdolch"] und Fußtritte gegen die vom Kläger verschlossene Wohnungtür) und die sonstigen Feststellungen zur Persönlichkeit des Klägers für die Richtigkeit der Annahme der Verwaltungsgerichts, dass eine Wiederholung der Tatumstände unwahrscheinlich ist und Gewaltdelikte für den Kläger an sich persönlichkeitsfremd sind.

Der Zulassungsantrag stellt die positive Prognose des Verwaltungsgerichts auch nicht ernsthaft in Zweifel, soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, die annähernd 30 bzw. 12 Jahre zurückliegenden Verurteilungen des Klägers wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (aus 1974 und 1991) stünden nicht im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen versuchten Totschlags und zudem fehlten Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger werde nochmals mit Betäubungsmitteln Handel treiben. Angesichts des genannten, ganz erheblichen Zeitablaufs von z.T. mehreren Jahrzehnten insgesamt und den Zeitabständen zwischen den einzelnen Taten reicht der allgemeine Hinweis der Beklagten darauf, der Kläger sei immer wieder bereit gewesen, auch schwere Straftaten zu begehen, nicht zur Entkräftung der positiven Einschätzung des Verwaltungsgerichts aus.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts werden schließlich auch nicht durch den Vortrag dargelegt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass eine Ausweisung des Klägers nicht auf generalpräventive Erwägung gestützt werden könne. Das Verwaltungsgericht hat insoweit (unter Bezugnahme auf das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.6.1996, a.a.O.) zunächst ausgeführt, aus der Bedeutung des Merkmals "besonders schwerwiegend" folge, dass auch der generalpräventive Zweck der Ausweisung im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 ENA eine solche Maßnahme nur ausnahmsweise ermögliche und dass der davon erfasste Personenkreis zum Zwecke der Generalprävention nur ausgewiesen werden dürfe, wenn die Straftat besonders schwer wiege und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (vgl. UA Seite 7). Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht sodann im vorliegenden Fall auch angesichts der an sich festzustellenden Schwere der Straftat als nicht gegeben angesehen. Diese Einschätzung hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles einschließlich der Besonderheiten der abgeurteilten Straftat gestützt. Dem ist der Zulassungsantrag nicht mit ebensolchen Argumenten entgegengetreten.

Das gilt zum einen, soweit die Beklagte vorträgt, der Gedanke der Generalprävention bilde nicht nur im Rahmen des Strafverfahrens einen eigenständigen Strafzweck, sondern könne auch im Ausweisungsverfahren zum Zweck der Abschreckung anderer Ausländer Geltung beanspruchen. Diese allgemeine Aussage wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass das Verwaltungsgericht für die generalpräventiv motivierte Ausweisung von Ausländern, die sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 ENA berufen können, das Vorliegen besonderer Voraussetzungen fordert, deren Vorliegen es im Einzelfall wegen besonderer Umstände nicht feststellen konnte. Hiermit setzt sich die Beklagte nicht durch das - ebenfalls allgemein gehaltene - weitere Vorbringen ausreichend auseinander, im Bundesgebiet lebenden Ausländern müsse deutlich gemacht werden, dass sie auch bei einem sehr langen Aufenthalt nicht davor geschützt seien, in Fällen schwer wiegender Straftaten ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG in der bis zum 1. Juli 2004 geltenden alten Fassung, die nach § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718 ff.) weiterhin anzuwenden ist.

Ende der Entscheidung

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