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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.02.2005
Aktenzeichen: 4 Bs 488/04
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 80
Eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage angedrohten Abschiebung aus Gründen entgegengetreten wird, die nicht asylrechtlicher Natur sind (Änderung der Rechtsprechung des Senats).
HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

4 Bs 488/04

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht, 4. Senat, durch den Richter Pradel, die Richterin Dr. Thies und den Richter Wiemann am 16. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 6. Oktober 2004 wird zurückgewiesen

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

1. Die Beschwerde ist statthaft.

Die Beschwerde ist nicht nach § 80 AsylVfG ausgeschlossen. Es liegt keine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit im Sinne dieser Regelung vor. Ob sich dies bereits daraus ergibt, dass neben der auf §§ 71 Abs. 4, 34 Abs. 1 AsylVfG, 50 AuslG gestützten Abschiebungsandrohung im letzten Bescheid des Bundesamtes vom 4. Januar 2002 eine neuere Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bezirksamtes Hamburg-Nord vom 27. August 2004 existiert, kann offen bleiben. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob eine neue Abschiebungsandrohung der Ausländerbehörde den Fortbestand einer zuvor im Asylverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung des Bundesamtes beeinflusst und ob die Ausländerbehörde zum Erlass einer weiteren Abschiebungsandrohung berechtigt ist (vgl. hierzu: VGH München, Beschl. v. 13.11.1995, InfAuslR 1996, 80; Funke/Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 34 Rdnr. 9). Offen bleiben kann auch, auf welche dieser Abschiebungsandrohungen - sollten sie nebeneinander wirksam sein - die Antragsgegnerin die geplante Abschiebung des Antragstellers stützen will. Auch wenn die Abschiebung maßgeblich auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes erfolgen soll, handelt es sich bei der beantragten einstweiligen Anordnung, mit der die Abschiebung einstweilen unterbunden werden soll, nicht um eine Entscheidung in einer Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz.

Die Frage, ob derartige Verfahren als asylverfahrensrechtliche Streitigkeiten im Sinne des § 80 AsylVfG anzusehen sind, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.

Der beschließende Senat hat - wie andere Oberverwaltungsgerichte auch - in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, bei einem derartigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dessen Gegenstand es ist, die Vollziehung der Abschiebungsandrohung in einem Asylbescheid des Bundesamtes auszusetzen, handele es sich um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit. Hieran hat der beschließende Senat auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 1997 (BVerwG 1 C 6.97, InfAuslR 1998, 15) festgehalten (zuletzt: Beschl. v. 4.2.2004, 4 Bs 29/04, m.w.N.). Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, es handele sich in Fällen dieser Art nicht um asylverfahrensrechtliche Streitigkeiten, weil nicht auf die Rechtsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung abzustellen sei, sondern auf die Rechtsgrundlage für ihre Aussetzung, die als Duldung aber ausländerrechtlicher Natur sei (vgl. u.a. VGH Mannheim, Beschl. v. 6.12.1999, NVwZ 2000, 589, m.w.N.). Schließlich wird noch vertreten, dass nach der Art des Vollstreckungshindernisses zu differenzieren sei und dass eine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz nicht vorliege, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Asylverfahren die Erteilung einer Duldung lediglich wegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses nach § 55 Abs. 2 oder 3 AuslG begehre (OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.11.2003, AuAS 2004, 34).

Die anderen Senate des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vertreten in ständiger Rechtsprechung übereinstimmend die Auffassung, dass die auf Erteilung einer Duldung oder einer Aufenthaltsbefugnis gerichtete Klage eines Ausländers, dem nach erfolglosem Asylverfahren die Abschiebung angedroht worden ist, grundsätzlich keine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz im Sinne von § 80 AsylVfG darstelle und dass Entsprechendes für ein diesbezügliches Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO gelte (vgl. u.a. Beschl. v. 24.3.2003 - 1 Bs 137/02 - und v. 18.3.2002 - 2 Bs 33/02 - ). Hiernach liegt jedenfalls dann keine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit vor, wenn der auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage angedrohten Abschiebung aus Gründen entgegengetreten wird, die nicht asylrechtlicher Natur sind (vgl. Beschl. v. 26.5.2003 - 3 Bs 172/03 - ). Im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung am Hamburgischen Oberverwaltungsgericht und der dadurch gewährleisteten Rechtssicherheit für die an Verfahren dieser Art Beteiligten sowie die erste Instanz schließt sich der beschließende Senat dieser Auffassung an. Ob der in der Rechtsprechung des 3. Senats enthaltenen Einschränkung für Duldungsgründe, die asylverfahrensrechtlicher Art bzw. nicht inlandsbezogen sind, zu folgen sein wird, kann vorerst offen bleiben, da ein derartiger Fall nicht vorliegt. Der Antragsteller macht ausschließlich Duldungsgründe im Hinblick auf den Schutz seiner Beziehung zu seinem deutschen Kind geltend.

2. Die auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Aus den von der Antragsgegnerin dargelegten Gründen, die das Beschwerdegericht nur zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), ist die angefochtene Entscheidung weder abzuändern noch aufzuheben. Mit der Beschwerde hat die Antragsgegnerin keine Gründe vorgetragen, welche die Richtigkeit dieser Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht sie verpflichtet hat, den Antragsteller vorerst zu dulden, hinreichend in Zweifel ziehen.

Die Antragsgegnerin hält eine vorübergehende Trennung des Antragstellers von seiner jetzt ca. 2 1/2 Jahre alten Tochter für zumutbar. Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass sich in der Zeit, in der der Antragsteller von der Türkei aus das Visumsverfahren betreibt, die Mutter um das Kind kümmern könne, setzt sie sich bereits nicht ausreichend mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Denn das Verwaltungsgericht hatte ausdrücklich ausgeführt, dass hierauf nicht abgestellt werden könne, da die Vater-Kind-Beziehung und der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter nicht ersetzt werde. Hiergegen wird mit der Beschwerde nichts angeführt.

Die Antragsgegnerin hat mit der Beschwerde aber auch nicht ausreichend dargelegt, warum die Trennung des Kindes von seinem Vater entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts im konkreten Falle zumutbar sei. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die eidesstattliche Versicherung der Mutter des Kindes darauf abgestellt, dass sich der Antragsteller intensiv um das Kind kümmere, mit dem er in familiärer Lebensgemeinschaft lebe, und dass der durch eine Trennung hervorgerufene Kontaktverlust das Kindeswohl in gravierender Weise beeinträchtigen könne. Dem hat die Antragsgegnerin lediglich entgegengehalten, dass sie davon ausgehe, dass die Trennung während der Dauer des Visumsverfahrens höchstens 4 Monate betragen werde. Dieses Vorbringen macht bereits nicht deutlich, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts bei dieser angenommenen Dauer des Visumsverfahrens im Ergebnis unrichtig sein soll. Vor allem aber wird nicht in nachvollziehbarer Weise die Dauer des Visumsverfahrens konkretisiert. Die Antragsgegnerin hat bereits nicht erklärt, dass das Visumsverfahren innerhalb einer bestimmten Dauer abgeschlossen werde. Sie hat lediglich erklärt, dass sie von einer Dauer von höchstens vier Monaten ausgehe. Worauf sich diese Annahme stützt, hat sie nicht dargelegt. Zudem geht sie inzwischen von einer deutlich längeren Dauer des Visumsverfahrens aus als noch im erstinstanzlichen Verfahren. Während sie dort noch von einer Dauer von nur wenigen Wochen ausgegangen war, nimmt sie jetzt im Ergebnis eine Dauer von wenigen Monaten an. Gerade bei dieser eigenen Ungewissheit über die tatsächlich zu erwartende Dauer des Visumsverfahrens wäre eine nähere Darlegung zur Dauer und zu den für sie maßgeblichen Umständen erforderlich gewesen, um eine verlässliche Prognose darüber zu ermöglichen, ob das Kindeswohl durch die Dauer des Visumsverfahrens beeinträchtigt wird.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.



Ende der Entscheidung

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