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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.08.2002
Aktenzeichen: 1 TG 1229/02
Rechtsgebiete: GG, HV, HRiG, HBG, HGlG


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
HV Art. 134
HRiG § 2
HRiG § 7 Abs. 1
HBG § 8 Abs. 1
HBG § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
HGlG § 10 Abs. 1
Das landesbeamtenrechtliche Verbot der Beförderung innerhalb von zwei Jahren vor Erreichen der Altersgrenze gilt entsprechend für die Übertragung von Richterämtern mit höherem Endgrundgehalt als demjenigen des Eingangsamtes.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

1. Senat

1 TG 1229/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ernennung zur Vorsitzenden Richterin/zum Vorsitzenden Richter am

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Kittelmann, Richter am Hess. VGH Thorn, Richter am Hess. VGH Dr. Bark

am 20. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 16. April 2002 - 1 G 2579/01 (3) - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 13.843,23 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, den Beigeladenen bei der Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden Richters/einer Vorsitzenden Richterin am ... der Antragstellerin vorzuziehen. Die vom Hessischen Minister der Justiz am 8. Oktober 2001 gebilligte Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen verletzt die Antragstellerin in ihrem Bewerbungsverfahrensrecht, das nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse des Senats vom 2. Juli 1996 - 1 TG 1445/96 - HessVGRspr. 1996, 92 = NVwZ 1997, 615 m. w. N. sowie zuletzt vom 11. Juni 2002 - 1 TG 812/02 -) auch bei der Auswahl zwischen Bewerberinnen und Bewerbern um ein Richteramt mit höherem Endgrundgehalt als demjenigen des Eingangsamtes zu beachten ist.

Der Beigeladene hat am 1. September 2001 das 63. Lebensjahr vollendet. Ihm darf nach der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Hessisches Beamtengesetz (HBG) in der Fassung vom 11. Januar 1989 (GVBl. I S. 26, zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. April 2001, GVBl. I S. 1701), die gemäß § 2 Hessisches Richtergesetz (HRiG) auf Richterdienstverhältnisse entsprechend anzuwenden ist, innerhalb von zwei Jahren vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze (§ 7 Abs. 1 HRiG) ein höherwertiges Richteramt nicht mehr übertragen werden.

Nach § 2 HRiG gelten für die Rechtsverhältnisse der Richter die Vorschriften für die Beamten des Landes mit Ausnahme des Vierten Abschnitts des Hessischen Beamtengesetzes entsprechend, sofern nicht das Deutsche Richtergesetz (DRiG) und das HRiG etwas anderes bestimmen. Ebenso wie das Verwaltungsgericht hat auch der Senat keine Bedenken gegen die entsprechende Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HBG, obwohl diese Vorschrift nach der insoweit zutreffenden Ansicht des Antragsgegners dem beamtenrechtlichen Laufbahnrecht (§§ 17 ff. HBG, §§ 1 ff. Bundeslaufbahnverordnung - BLV -) zuzuordnen ist. Laufbahnrechtliche Bestimmungen sind auf das Richterdienstverhältnis grundsätzlich nicht übertragbar (v. Roetteken in: ders./v. Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, 7. Aufl., Stand: Mai 2002, § 19 HBG Anm. 8; Breunig, ebenda, § 2 HRiG Anhang 2, Anm. 52). es sei denn, sie enthalten Vorschriften allgemeiner Art, deren Anwendung weder Besonderheiten des Richterdienst- oder -amtsrechts noch insbesondere die richterliche Unabhängigkeit entgegenstehen. Um eine solche allgemeine Vorschrift handelt es sich bei dem sog. Verbot der Altersbeförderung in § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HBG.

Dieses Verbot ist in § 12 Abs. 4 Nr. 3 BLV und - mit z.T. abweichenden Maßgaben - in fast allen Beamtengesetzen der Länder enthalten (vgl. die Nachweise bei Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, 5. Aufl., Stand Juni 2002, Teil C § 25 LBG NW Rn. 3d); es gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (so ausdrücklich Bay. VGH, Urteil vom 4. März 1960, BayVBl. 1960, 155) und verstößt wie auch andere Höchstaltersgrenzen im beamtenrechtlichen Kontext weder gegen Verfassungsrecht noch gegen sonstige gesetzliche Vorschriften (vgl. dazu z.B. BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1997 - 2 BvR 1088/97 - NVwZ 1997, 1207 = ZBR 1997, 397 betr. Wählbarkeit als hauptamtlicher Bürgermeister; BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1980 - 2 C 22.79 - ZBR 1981, 228 betr. Übernahme als Berufssoldat; Beschluss vom 9. März 2000 - 1 WB 87.99 - Buchholz 236.11 § 33 SLV Nr. 1 betr. Laufbahnaufstieg; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Juli 1981 - 2 A 140/80 - ZBR 1981, 378).

Die zweijährige Beförderungssperre vor Erreichen der Altersgrenze stellt eine Ausprägung des in Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 Hessische Verfassung (HV), § 8 Abs. 1 HBG, § 10 Abs. 1 HGlG verankerten Leistungsgrundsatzes dar. Der Gesetzgeber bringt darin seine Erwartung zum Ausdruck, dass der Beamte im Interesse des Dienstherrn und zum Nutzen der Allgemeinheit die ihm übertragenen Aufgaben des höher bewerteten Amtes/Dienstpostens noch für eine längere Zeitdauer wahrnehmen werde (so insbes. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Juli 1981 a. a. O.); diese Erwartung liegt auch den jüngeren gesetzlichen Regelungen zur Übertragung von Leitungsfunktionen auf Zeit zu Grunde (vgl. § 19 b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 HBG). Der dem Dienstherrn im Rahmen seiner Organisationshoheit grundsätzlich zustehende Spielraum bei Personalauswahlentscheidungen erfährt auf diese Weise eine gesetzliche Einschränkung im Sinne einer sachgerechten Vorauswahl (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1980 a. a. O.). Diese Einschränkung verhindert zugleich, dass in die Auswahlentscheidung im Einzelfall altersbezogene und damit leistungsfremde Gesichtspunkte eingehen. Die Auswahl unter den übrigen Bewerbern erfolgt nach individueller Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung; darin liegt eine deutliche Stärkung des Leistungsprinzips im Sinne einer Personalplanung, die auf eine leistungsgerechte Besetzung von Führungs- und Leitungsfunktionen bei ausgewogener Altersstruktur gerichtet ist.

Der Senat verkennt keineswegs, dass Fälle denkbar sind, in denen der Entscheidungsspielraum des Dienstherrn gerade unter Eignungs- und Leistungsgesichtspunkten auf die Auswahl eines unter die Alterssperre fallenden Beförderungsbewerbers beschränkt wäre. Eine solche Konstellation kann zu individuellen Härtefällen führen, die jedoch bei einer jeglichen normativen Stichtagsregelung auftreten und im übergeordneten öffentlichen Interesse der sachgerechten Ausgestaltung des Lebenszeitbeamtenverhältnisses hinzunehmen sind. Ob darüber hinaus die in derartigen Fällen vorgesehene Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 3 HBG auch bei der Übertragung eines höherwertigen Richteramts in Betracht käme und welche Dienststelle hierfür zuständig wäre, kann dahinstehen, weil im vorliegenden Fall eine Genehmigung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht beantragt war. Zwar erscheint fraglich, ob bei einer entsprechenden Anwendung des § 19 Abs. 3 Satz 3 HBG die sachliche Zuständigkeit für eine Ausnahmeregelung beim Staatssekretär des für das Dienstrecht der Beamten zuständigen Ministeriums des Innern als Direktor des Landespersonalamts (§ 111 Satz 1 HBG) oder - wofür einiges spricht - bei der gemäß § 19 Abs. 3 Satz 4 HBG zur Letztentscheidung berufenen Landesregierung liegen könnte. Jedenfalls aber bedürfte es für die Herbeiführung einer solchen Entscheidung einer Initiative des Ministers der Justiz als Ernennungsbehörde (§ 3 Abs. 1 und 2 HRiG; vgl. zum Verfahren grundsätzlich BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1967 - VI C 73.64 - BVerwGE 26, 31 = ZBR 1967, 311; s. ferner Urteil vom 19. März 1969 a. a. O.). Daran fehlt es hier.

Auf der Ebene des Besoldungs- und Versorgungsrechts findet das Verbot der Altersbeförderung seine Entsprechung in der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG zur Ruhegehaltfähigkeit der Dienstbezüge eines höher bewerteten Amtes. Die erforderliche Mindestdauer, für die der Beamte oder Richter (§ 1 Abs. 2 BeamtVG) die entsprechenden Bezüge vor Eintritt in den Ruhestand erhalten haben muss, ist erst kürzlich durch Gesetz vom 29. Juni 1998 (BGBl. I S. 1666) von zwei auf drei Jahre heraufgesetzt worden. Auch in dieser versorgungsrechtlichen Ausprägung des Grundsatzes der funktionsgerechten Besoldung (§§ 18, 25 BBesG) wird der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Wahrnehmung höherwertiger Ämter und Funktionen mit dem Merkmal einer gewissen Dauer zu versehen und auf diese Weise sog. Altersbeförderungen vorzubeugen, die nicht in erster Linie auf der Eignung des Beamten für das Beförderungsamt beruhen, sondern dazu dienen, ihm die ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus diesem Amt zukommen zu lassen (vgl. dazu bereits BVerwG, Urteil vom 19. März 1969 - VI C 54.64 - BVerwGE 31, 345 = ZBR 1969, 314).

Es entspricht der feststehenden Rechtsprechung des Senats, dass auch die Übertragung von Richterämtern mit höherem Endgrundgehalt als demjenigen des Eingangsamts ausschließlich im Wege der Bestenauslese nach den Maßstäben von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu erfolgen hat (vgl. zuletzt Beschlüsse des Senats vom 10. Juli 2001 - 1 TG 1587/01 -, vom 25. Oktober 2001 - 1 TZ 1922/01, 1 TZ 2370/01, 1 TG 1840/01 und 1 TG 2865/01 - sowie vom 11. März 2002 - 1 TZ 3215/01 -). Eine laufbahnrechtliche Vorschrift, die der Stärkung des Leistungsprinzips dient, ist daher im Recht der Richter entsprechend anwendbar, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat (so im Ergebnis bereits Beschluss des Senats vom 25. August 1999 - 1 TZ 2027/99 -).

Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht schließlich auch die praktische Erwägung, dass die Funktion des/der Vorsitzenden eines Senats beim ... als Berufungs- und Beschwerdeinstanz sowohl im Hinblick auf die Aufgaben der Rechtsprechung als auch in den Belangen der Personalführung mit den Merkmalen der Dauer und Kontinuität versehen ist und häufige Wechsel im Abstand von weniger als zwei Jahren als unzuträglich erscheinen lässt; diese Erwägung ist auch dem Antragsgegner als Dienstherrn keineswegs fremd, wie die Aufnahme des Merkmals "Fähigkeit, die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung innerhalb eines Spruchkörpers zu fördern" in das entsprechende Anforderungsprofil dieses Richterdienstpostens zeigt (vgl. JMBl. 1999, 175, 179).

Da die Beschwerde erfolglos bleibt, hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Zu einer Billigkeitsentscheidung hinsichtlich außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein Anlass, da dieser keine Anträge gestellt und somit kein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1a und 2, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat berechnet den Streitwert ebenso wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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