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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.11.2005
Aktenzeichen: 1 TG 1668/05
Rechtsgebiete: SigG, VwGO


Vorschriften:

SigG § 2 Nr. 3
VwGO § 70 Abs. 1 S. 1
Ein verfahrenseinleitender Schriftsatz (hier: Widerspruchsschreiben), der mit einfacher e-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur übermittelt wird, genügt nicht dem Erfordernis der Schriftlichkeit.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 TG 1668/05

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Vollstreckung eines Beitragsbescheides

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 1. Senat - durch

Präsident des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Dr. Bark

am 3. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Soweit die Beschwerde gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. zurückgenommen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren eingestellt.

Im übrigen wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 31. Mai 2005 - 10 G 608/05 - zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 518,00 € festgesetzt.

Gründe:

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 4. Juli 2005 die Beschwerde gegenüber der Antragsgegnerin zu 2. zurückgenommen hat, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

In der Sache selbst hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die Beitragsbescheide (Rückstandsverzeichnisse) der Antragsgegnerin zu 1. vom 19. August 2004 zu gewähren. Diese Bescheide sind bestandskräftig geworden, da der Antragsteller innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe (§ 79 HVwVfG i. V. m. § 70 Abs. 1 VwGO) nicht in rechtswirksamer Weise Widerspruch eingelegt hat. Insbesondere genügte seine e-Mail vom 14. September 2004 mit dem Vermerk: " A. (Die Unterschrift ist elektronisch gesichert. Sofern ein konventionelles Schreiben gewünscht wird, bitte ich um einen entsprechenden Hinweis.)", entgegen der mit der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht dem Schriftformerfordernis nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Bei der Auslegung und Anwendung des Begriffs der Schriftlichkeit in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist ebenso wie im Fall der Klageerhebung (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO) von den Grundsätzen der Authentizität und der Rechtsklarheit auszugehen. Diesen Grundsätzen wird entsprochen, wenn Urheber und Inhalt der rechtsgestaltenden Erklärung einwandfrei feststehen und ausgeschlossen werden kann, dass es sich dabei lediglich um einen Entwurf handelt. Von der ernsthaften und authentischen Einlegung des Rechtsbehelfs ist in den Fällen des § 70 Abs. 1 VwGO grundsätzlich auszugehen, wenn der Widerspruchsführer die Widerspruchsschrift eigenhändig unterschrieben hat, so dass ihm das Schriftstück zuverlässig und zweifelsfrei zugeordnet werden kann. Soweit die Rechtsprechung im Hinblick auf die Entwicklung moderner Kommunikationstechniken Ausnahmen zugelassen hat (Einlegung des Widerspruchs durch Fernschreiben, Telegramm oder Telefax, elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift; vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1987 - 1 BvR 475/85 - BVerfGE 74, 228; BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1987 - 8 C 25.85 - BVerwGE 77, 38; zusammenfassend VG Sigmaringen, Beschluss vom 17. Dezember 2004 - 5 K 1313/04 - VBlBW 2005, 154), besteht deren gemeinsames Merkmal darin, dass die Identität des Absenders auf Grund der auf seine Veranlassung beim Empfänger erstellten Urkunde eindeutig bestimmt ist, auch wenn das empfangene Dokument wegen der Art der Übertragung keine Originalunterschrift aufweist.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob es entsprechend der Ansicht des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (a. a. O.) ein "unverzichtbares Mindesterfordernis" der Schriftform darstellt, dass ein Papierdokument als verkörpertes Schriftstück bei Gericht eingeht. Die e-Mail vom 14. September 2004 erfüllt das Schriftformerfordernis jedenfalls deshalb nicht, weil sie keine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne von § 2 Nr. 3 Signaturgesetz - SigG - vom 16. Mai 2001 (BGBl. I S. 876) trägt, ohne die nicht mit der durch § 70 Abs. 1 VwGO gebotenen Sicherheit festgestellt werden kann, ob die betreffende e-Mail vollständig und richtig ist, und ob sie tatsächlich von dem in ihr angegebenen Urheber stammt (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17. Januar 2005 - 2 PA 108/05 -, S. 4 des Abdrucks). Wird ein elektronisches Dokument gleichwohl ausgedruckt und zur Akte genommen, ändert dies nichts an der Unwirksamkeit (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29. Juli 2004 - 11 LA 176/04 - zu § 86a VwGO m. w. N.).

Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auslegung des Begriffs der Schriftform in Bezug auf die Übermittlung verfahrenseinleitender Schriftsätze per e-Mail spricht insbesondere auch der Umstand, dass der elektronische Rechtsverkehr durch zahlreiche ergänzende Vorschriften neu geregelt worden ist (vgl. etwa §§ 86a - seit 1. April 2005: § 55a und b - VwGO, § 3a VwVfG, § 77a FGO, § 130a ZPO). Damit wird hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist, dass eine einfache e-Mail dem Schriftformerfordernis genügt. Es ist deshalb entgegen der Auffassung des Antragstellers gerade nicht maßgeblich, ob der Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 1. vor und nach Erlass der angefochtenen Bescheide schriftlich, telefonisch oder per e-Mail miteinander kommuniziert haben, und ob die Antragsgegnerin ihrerseits davon ausgegangen ist, dass die fragliche e-Mail tatsächlich vom Antragsteller herrührte, oder ob diesbezügliche Zweifel aktenkundig geworden sind. Die Antragsgegnerin zu 1. war auch nicht nach Treu und Glauben verpflichtet, den Eintritt der Bestandskraft ihrer Bescheide durch einen rechtzeitigen rechtlichen Hinweis an den Antragsteller zu verhindern; für eine derartige Verpflichtung ist im Verhältnis zwischen den Parteien keine Rechtsgrundlage ersichtlich.

Die vom Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 40.87 - BVerwGE 81, 32, 36) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 10. August 1992 - 12 UE 2254/89 - NVwZ-RR 1993, 434) betreffen die weit vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Wahrung der Schriftform durch eigenhändige Unterschrift bzw. die Wirksamkeit einer mit handschriftlichem Vermerk beglaubigten Abschrift; sie sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Auf die Neuregelung des § 3a Abs. 2 HVwVfG kann sich der Antragsteller schon deshalb nicht berufen, weil diese die elektronische Kommunikation betreffende Vorschrift erst durch Gesetz vom 21. März 2005 (GVBl. I S. 218) eingeführt und am 30. März 2005 in Kraft getreten ist. Im übrigen wäre auch nach dieser Vorschrift entsprechend der zutreffenden Darstellung des Verwaltungsgerichts (S. 5 f. des Abdrucks) mangels einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz nicht von einer Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform auszugehen.

Die gleichen Erwägungen gelten auch im Hinblick auf die Frage, ob mit der e-Mail vom 24. November 2004 im Rahmen eines Wiedereinsetzungsgesuchs gemäß § 70 Abs. 2 i. V. m. § 60 Abs. 3 Satz 2 VwGO die versäumte Rechtshandlung wirksam nachgeholt worden ist. Im Übrigen folgt der Senat den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung (S. 6 des Abdrucks) und sieht gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO von einer weiteren Begründung ab.

Unter den gegebenen Umständen ist es dem Senat verwehrt, inhaltlich zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Voraussetzungen einer Beitragserhebung in der Person des Antragstellers gegeben sind. Hiergegen bestehen aus den im Vergleichsvorschlag des Gerichts vom 1. September 2005 angedeuteten Gründen erhebliche Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Teilrücknahme auf § 155 Abs. 2 VwGO und im übrigen auf § 154 Abs. 2 VwGO, da die Beschwerde gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. ohne Erfolg geblieben ist.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Er entspricht der Beitragsforderung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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