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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.05.2000
Aktenzeichen: 1 TZ 591/00
Rechtsgebiete: GG, VwGO, HVwVfG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 161 Abs. 2
HVwVfG § 39 Abs. 1
1. Erhält ein Bewerber erstmals im Verwaltungsstreitverfahren im Wege der Akteneinsicht Kenntnis von den eine Personalauswahlentscheidung tragenden Erwägungen des Dienstherrn, so hat er die Wahl, das Verfahren fortzuführen, die Hauptsache für erledigt zu erklären oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzunehmen.

2. Der Dienstherr trägt in den Fällen einer nicht bekannt gegebenen Auswahlbegründung das Risiko, mit den Kosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Verfahrens belastet zu werden.


Gründe:

Die Anträge auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2000, soweit darin die Erledigung der Hauptsache festgestellt worden ist, haben keinen Erfolg.

Die Anträge sind zulässig, obwohl sie letztlich in der Sache nur darauf gerichtet sind, im Beschwerdeverfahren die Ablehnung des Antrags der Antragstellerin auf Feststellung der Erledigung und damit eine Korrektur der Kostenentscheidung zu erwirken. Die Kostenentscheidung ist nicht nach § 158 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unanfechtbar, weil der Rechtsstreit nicht übereinstimmend, sondern nur einseitig von der Antragstellerin in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist. In der Hauptsache ist eine Entscheidung über das als Feststellungsantrag auszulegende prozessuale Begehren der Antragstellerin ergangen (siehe dazu Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., Rdnr. 5 zu § 158 m.w.N.). Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht nicht nach § 161 Abs. 2 VwGO, sondern nach § 154 Abs. 1 VwGO über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens entschieden.

Die Anträge sind jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen der vom Antragsgegner geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3, 4 und 5 VwGO liegen nicht vor. Die Beigeladene hat die Gründe, aus denen nach ihrer Auffassung die Beschwerde zuzulassen ist, nicht hinreichend dargelegt (§ 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO).

Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Die vom Antragsgegner aufgeworfenen Rechtsfragen, "ob Akteneinsichtnahme ein erledigendes Ereignis darstellen kann", und "ob sich die Antragstellerin im Rahmen des Rechtsstreits kostenwirksam auf die Nichtbegründung des Verwaltungsakts stützen konnte", bedürfen über den Einzelfall hinaus keiner Klärung in einem Beschwerdeverfahren im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts; denn sie lassen sich teils unmittelbar anhand der gesetzlichen Regelung (§ 39 Abs. 1 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HVwVfG -), teils mit Hilfe der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung beantworten.

Die Mitteilung über den Ausgang des Stellenbesetzungsverfahrens an den unterlegenen Bewerber stellt nach übereinstimmender und zutreffender Ansicht der Beteiligten einen Verwaltungsakt dar, der schriftlich zu begründen ist (§ 39 Abs. 1 HVwVfG); die Voraussetzungen eines Ausnahmefalles nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 HVwVfG dürften im sog. Konkurrentenstreit regelmäßig nicht vorliegen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats wird dem Begründungserfordernis seit jeher eine zentrale Bedeutung als unabdingbarer Bestandteil einer rechtsfehlerfreien Personalauswahlentscheidung beigemessen (vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1992 - 6 C 3.92 - BVerwGE 91, 262 = DVBl. 1993, 503; Urteil des Senats vom 1. Dezember 1993 - 1 UE 691/91 - DÖD 1995, 38 = IÖD 1994, 107; Beschlüsse vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 - DVBl. 1994, 593; vom 2. Juli 1996 - 1 TG 1445/96 - NVwZ 1997, 615 sowie zuletzt vom 25. Januar 2000 - 1 TZ 3340/99 -), und zwar im Lichte des Verfassungsgebots der Gewährleistung tatsächlich wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) im Rahmen ihrer Überprüfung. Im Beförderungsauswahlverfahren gewinnt dieses Gebot den Sinn, dem unterlegenen Bewerber eine verantwortliche Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob er Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Dieser Zweck kann in aller Regel nur erreicht werden, wenn dem Bewerber die mit Gründen versehene Auswahlentscheidung mitgeteilt wird.

Vor diesem Hintergrund kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Akteneinsichtnahme, mit der ein unterlegener Bewerber erstmals Kenntnis von einer zwar aktenkundigen, ihm aber nicht bekannt gegebenen Begründung erhält, ein erledigendes Ereignis im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO darstellen kann; denn mit ihr wird der Bewerber erst in die Lage versetzt, die Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens zu überprüfen. Bei Unkenntnis der Auswahlbegründung können Widerspruch und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs zunächst geboten sein, um sowohl die Bestandskraft der Ablehnungsmitteilung als auch die Schaffung vollendeter Tatsachen durch eine statusberührende Personalmaßnahme des Dienstherrn zu verhindern. Die Kenntnisnahme von den maßgeblichen Erwägungen des Dienstherrn stellt somit ein erledigendes Ereignis dar, das die prozessuale Situation des unterlegenen Bewerbers unmittelbar berührt; denn er kann erst jetzt seinen Antrag substantiiert begründen oder aber die Richtigkeit der getroffenen Personalentscheidung anerkennen.

Insofern unterscheidet sich die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht von den Fällen, in denen der Dienstherr die ursprünglich fehlende oder unvollständige Begründung erst später, etwa während des Verwaltungsstreitverfahrens nachholt oder einzelne für eine rechtsfehlerfreie Begründung erforderliche Elemente ergänzt (siehe dazu ausführlich Beschluss des Senats vom 18. August 1992 - 1 TG 1074/92 - ESVGH 43, 78 = NVwZ 1993, 284). Bei einer derartigen Verfahrensweise, die einer nachträglichen Erfüllung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gleichkommt, trägt der Dienstherr regelmäßig das Kostenrisiko im Falle einer Hauptsachenerledigung (ebenso VGH BW, Beschluss vom 7. August 1996 - 4 S 1929/96 - NJW 1996, 2525, 2527). Nichts anderes kann gelten, wenn die tragenden Gründe der Auswahlentscheidung nicht nachgeschoben, sondern dem unterlegenen Bewerber durch Akteneinsicht bekannt werden.

Dem kann nicht entgegen gehalten werden, die Akteneinsicht könne jedenfalls im vorliegenden Verfahren kein erledigendes Ereignis darstellen, weil der Antragstellerin bereits in der Mitteilung vom 15. Juli 1999 ein schulfachliches Gespräch zur Erläuterung der Auswahlgründe angeboten worden sei. Bei Beachtung der eingangs dargelegten Anforderungen an die Begründung von Personalauswahlentscheidungen erweist sich dieses Angebot vielmehr als unzulänglich, und zwar nicht nur wegen des Hinweises auf das laufende personalvertretungsrechtliche Verfahren, sondern vor allem wegen des Fehlens jeglicher Bezugnahme auf die vorhandene Begründung. Bei dieser Sachlage kann der Senat dahinstehen lassen, ob im Einzelfall ein Hinweis auf einen im Verwaltungsvorgang bereits vorhandenen Auswahlvermerk ausreichend sein kann; denn die Antragstellerin ist jedenfalls erst mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 3. September 1999 davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die Auswahlerwägungen des Dienstherrn bereits in einem Vermerk vom 14. Juli 1999 schriftlich niedergelegt worden waren.

Es kann deshalb auch nicht die Rede davon sein, dass das prozessuale Verhalten der Antragstellerin in Beispiel gebender Weise zu einer ungerechtfertigten Kostenbelastung des Antragsgegners geführt habe. Vielmehr obliegt es dem Dienstherrn, den formellen und inhaltlichen Erfordernissen einer fehlerfreien Auswahlentscheidung zu genügen und insbesondere durch eine nachvollziehbare Darlegung seiner maßgeblichen Erwägungen der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes vorzubeugen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist gleichfalls nicht gegeben. Die vom Antragsgegner behauptete Abweichung des angefochtenen Beschlusses von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats liegt nicht vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in den vom Antragsgegner angeführten Urteilen vom 31. Oktober 1990 - 4 C 7.88 - (BVerwGE 87, 62 = NVwZ 1991, 162) und vom 22. Januar 1993 - 8 C 40.91 - (NVwZ 1993, 979) eine Erledigung der Hauptsache dann angenommen, wenn ein nach der Klageerhebung eingetretenes außerprozessuales Ereignis dem Klagebegehren die Grundlage entzogen hat bzw. wenn das Verfahren infolge einer Rechtsänderung oder einer anderen wesentlichen Änderung eine derartige Wendung zu Ungunsten des Klägers genommen hat, dass eine bis dahin aussichtsreiche Klage unbegründet geworden oder ihre Erfolgsaussicht entscheidend geschmälert worden ist. Von dieser Rechtsprechung weicht der angefochtene Beschluss nicht ab; denn auch die Antragstellerin hatte aufgrund der Wendung, die das Verfahren durch die im Wege der Akteneinsicht bekannt gewordene, mithin aus ihrer Sicht nachträglich erfolgte Begründung der Auswahlentscheidung erfahren hat, nunmehr das prozessuale Recht, ihr Begehren weiter zu verfolgen oder eine verfahrensbeendende Erklärung abzugeben. Dabei war sie nicht genötigt, den Antrag mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO zurückzunehmen.

Eine Abweichung von der Entscheidung des Senats vom 29. August 1987 - 1 TG 2160/87 - (NVwZ 1989, 73 = HessVGRspr. 1987, 86) kann schon deshalb nicht vorliegen, weil diese lediglich die Frage der Anwendbarkeit bestimmter Verfahrensvorschriften auf ein schulfachliches Überprüfungsgespräch betraf. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass beamtenrechtliche Personalauswahlverfahren insgesamt unter die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Nr. 2 HVwVfG zu subsumieren seien, hat der Senat weder in der zitierten Entscheidung noch anderweit aufgestellt, wie seine Rechtsprechung zu § 39 Abs. 1 HVwVfG zeigt.

Die Beschwerde ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Zu Unrecht rügt der Antragsgegner eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung, die er darin sieht, dass das Verwaltungsgericht in einigen Entscheidungen das vom Antragsgegner praktizierte Auswahlverfahren unbeanstandet gelassen und in keinem Fall auf die fehlende schriftliche Begründung hingewiesen habe. Abgesehen davon, dass im Verfahren der einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) eine Hinweispflicht des Gerichts nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt, ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund das Verwaltungsgericht sich zu einem derartigen Hinweis in Verfahren hätte veranlasst sehen sollen, in denen es im Ergebnis auf die Beachtung des Begründungserfordernisses offenbar nicht ankam. Im Übrigen lässt sich auch nicht feststellen, dass die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruht; denn da der Antragsgegner das Erfordernis einer schriftlichen Begründung insgesamt bestreitet, spricht nichts dafür, dass auf einen entsprechenden richterlichen Hinweis eine verfahrensbeendende Erklärung abgegeben worden wäre.

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Beschwerde hat gleichfalls keinen Erfolg. Die Antragsschrift vom 11. Februar 2000 genügt bereits nicht dem gesetzlichen Erfordernis der Darlegung der Gründe, aus denen nach Auffassung der Beigeladenen die Beschwerde zuzulassen ist (§ 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO).

Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers dient die Begründungspflicht nach § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO dem Zweck, den Bearbeitungsaufwand für Zulassungsanträge zu verringern und so die Berufungs- und Beschwerdeinstanz zu entlasten (vgl. BT-Drucksache 13/3993, S. 13 zu Nr. 16, § 124a VwGO). Mit Rücksicht auf den gleichzeitig eingeführten Vertretungszwang, der ausdrücklich auch für das Zulassungsverfahren gilt (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO), ergibt sich deshalb als Mindestanforderung an den Inhalt einer Antragsbegründung, dass der rechtskundige Prozessbevollmächtigte dem Gericht die für die Entscheidung im Zulassungsverfahren erheblichen Gesichtspunkte darlegt, und zwar geordnet in dem Sinne, dass die nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO in Betracht kommenden Zulassungsgründe genau bezeichnet werden und in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erläutert wird, aus welchen Gründen der jeweils geltend gemachte konkrete Zulassungsgrund als gegeben erachtet wird. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich aus der Antragsschrift etwaige Zulassungsgründe gleichsam selbst herauszusuchen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1995 - 9 B 362.95 - NJW 1996, 1554; OVG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 1997 - Bs IV 2/97 - NVwZ 1997, 689; Hess. VGH, Beschluss vom 9. Januar 1998 - 8 TZ 4242/97 - RiA 2000, 35).

Diesen Anforderungen wird der Antrag vom 11. Februar 2000 nicht gerecht. Weder wird ein bestimmter Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 VwGO namentlich oder mit dem entsprechenden Paragraphen benannt, noch wird das Vorbringen der Beigeladenen einem oder mehreren der in Betracht kommenden Zulassungsgründe zugeordnet. Die Antragsschrift enthält vielmehr lediglich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses und entspricht damit der Begründung einer bereits zugelassenen Beschwerde. Dies vermag die gesetzlich vorgeschriebene Darlegung der Zulassungsgründe ebenso wenig zu ersetzen wie die pauschale Verweisung auf anderweitiges Vorbringen (hier: den Inhalt der Antragsschrift des Antragsgegners vom 9. Februar 2000; vgl. zur revisionsrechtlichen Vorschrift des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; s. ferner VGH BW, Beschluss vom 12. Mai 1997 - A 12 S 580/97 - DVBl. 1997, 1327).

Da die Anträge auf Zulassung der Beschwerde erfolglos bleiben, haben der Antragsgegner und die Beigeladene die Kosten des Zulassungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen (§§ 154 Abs. 1 und 3, 159 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO). Da die Beigeladene selbst ohne Erfolg einen Zulassungsantrag gestellt hat, bestand kein Anlass, ihre außergerichtlichen Kosten aus Billigkeit nach § 162 Abs. 3 VwGO dem gleichfalls unterliegenden Antragsgegner aufzuerlegen.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG. Da in einem Beschwerdeverfahren letztlich nur noch die Abänderung der Kostenentscheidung erreicht werden könnte, legt der Senat das Kosteninteresse zu Grunde, das er ebenso berechnet wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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