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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 10 UE 43/06
Rechtsgebiete: Rundfunkgebührenstaatsvertrag 1991


Vorschriften:

Rundfunkgebührenstaatsvertrag 1991 § 1 Abs. 2
Rundfunkgebührenstaatsvertrag 1991 § 2 Abs. 2
Rundfunkgebührenstaatsvertrag 1991 § 5 Abs. 3 Satz 1
Ein Lebensmittel-Discounter, der bei Sonderaktionen originalverpackte Rundfunkempfangsgeräte ohne Vorführung anbietet, ist nicht rundfunkgebührenpflichtig.

Er hält die Geräte nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags 1991 zum Empfang bereit. Auch aus der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags 1991 ist in diesem Fall keine Gebührenpflicht herzuleiten (ebenso bereits OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 18.07.2005 - 12 A 10203/05 - und vom 04.11.2004 - 12 A 11402/04 -).


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

10 UE 43/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Rundfunk- u. Fernsehgebühren

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Thorn, Richter am Hess. VGH Dr. Jürgens

am 27. Juni 2006 gemäß § 130 a VwGO beschlossen:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. August 2005 - 10 E 4208/04 (V) - geändert.

Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 14. Juli 2004 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der außergerichtlichen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 852,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine regional begrenzt tätige Gesellschaft, die unter dem Namen eines Lebensmittel-Discounters mehrere Verkaufsstellen betreibt. Dort bietet sie in Verkaufsaktionen auch Fernsehgeräte und Hörrundfunkgeräte an. Sie wendet sich dagegen, dass der Beklagte sie wegen dieser Verkaufsaktionen zu Rundfunkgebühren herangezogen hat.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2004 setze der Beklagte gegenüber der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 30. Juni 2004 für jeweils ein Hörfunk- und Fernsehgerät Rundfunkgebühren in Höhe von insgesamt 851,59 € fest, und zwar wegen der Geräte, die sie in der Verkaufsstelle in L. zum Verkauf angeboten hatte

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass die Geräte originalverpackt an die Kunden abgegeben würden. Sie halte die Geräte daher nicht - im Sinne der Gebührenregelung - zum Empfang bereit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte zur Begründung aus, dass die Klägerin über ein uneingeschränktes Bestimmungsrecht hinsichtlich der von ihr angebotenen Rundfunkempfangsgeräte verfüge. Daraus folge, dass sie hinsichtlich dieser Geräte als Rundfunkteilnehmerin anzusehen sei.

Daraufhin hat die Klägerin am 15. September 2004 bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Sie hat ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und beantragt,

den Gebührenbescheid des Beklagten vom 14. Juli 2004 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat seine Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid ergänzt.

Mit Urteil vom 25. August 2005 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin sich mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung gewandt. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 3. Januar 2006 - 10 UZ 2373/05 - entsprochen. Nachdem dieser Beschluss ihr am 11. Januar 2006 zugestellt worden ist, hat die Klägerin die Berufung am 8. Februar 2006 begründet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. August 2005 - 10 E 4208/04 (V) - zu ändern und den Gebührenbescheid des Beklagten vom 14. Juli 2004 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch er begründet seinen Antrag.

Das Berufungsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach § 130 a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Betracht komme, und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Anlagen zu diesen Schriftsätzen, das angefochtene Urteil, den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Behördenakte des Beklagten.

II.

Die Berufung der Klägerin, die der Senat zugelassen hat und die auch im Übrigen zulässig ist, ist begründet. Da der Senat einstimmig dieser Ansicht ist und er einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, kann er nach § 130 a VwGO durch Beschluss über die Berufung entscheiden. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Die Begründetheit der Berufung folgt daraus, dass auch die Klage begründet ist.

Der angefochtene Gebührenbescheid ist entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Es ist keiner der Gebührentatbestände des Rundfunkgebührenstaatsvertrags vom 31. August 1991, der auf Grund des hessischen Gesetzes vom 13. Dezember 1991 (GVBl. I, 367) Gesetzesrang hat, erfüllt.

Der Senat folgt nicht der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass in § 5 Abs. 3 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags fingiert werde, dass Unternehmen, die sich gewerbsmäßig mit dem Verkauf von Rundfunkgeräten befassten, zumindest ein solches Gerät zum Empfang bereit hielten und deshalb für zumindest ein Gerät gebührenpflichtig seien.

Die genannte Vorschrift ist vielmehr dahin zu verstehen, dass sie für Unternehmen nicht selbständig eine Gebührenpflicht begründet, sondern nur bestimmt, dass die Unternehmen dann, wenn sie Rundfunkgebühren für ein Rundfunkempfangsgerät zahlen, berechtigt sind, weitere entsprechende Geräte für Prüf- und Vorführzwecke auf ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken gebührenfrei zum Empfang bereit zu halten.

Die Vorschrift begründet damit keine Gebührenpflicht, sondern regelt nur die Gebührenbefreiung für weitere Geräte (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 18. Juli 2005 - 12 A 10203/05 - und vom 4. November 2004 - 12 A 11402/04 -, die den Beteiligten bekannt sind).

Für diese Sicht spricht auch die Überschrift der Vorschrift des § 5 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags, die lautet: "Zweitgeräte, gebührenfreie Geräte".

Da die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Gebührenbescheid ausscheidet, kommt es für seine Rechtmäßigkeit darauf an, ob die Klägerin hinsichtlich der Rundfunkempfangsgeräte, die sie bei Verkaufsaktionen anbietet, Rundfunkteilnehmerin im Sinne von § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags ist und deshalb gebührenpflichtig ist. Dies ist aber zu verneinen.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags ist Rundfunkteilnehmer, wer ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereithält. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags wird ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen empfangen werden können. Danach ist die Möglichkeit der Nutzung für den Empfang von Rundfunksendungen für die Gebührenpflicht entscheidend und ausreichend. Dadurch, dass auf die Nutzungsmöglichkeit abgestellt wird, wird bezweckt, aus Gründen der Praktikabilität des Massenverfahrens "Rundfunkgebühreneinzug" Schutzbehauptungen Gebührenpflichtiger vorzubeugen, man habe zwar ein Gerät in Besitz, es werde aber weder genutzt, noch sei dies beabsichtigt. In diesen Fällen ist es zulässig, die Gebührenpflicht allein an das Vorhandensein eines Empfangsgeräts zu knüpfen. Denn im privaten Bereich kann typisierend angenommen werden, dass der Besitz des Geräts auf dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch gerichtet ist. Die objektive Zweckbestimmung des Besitzes besteht hier gerade in der Nutzung des Geräts zum Rundfunkempfang (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Juli 2005 - 12 A 10203/05-).

Wenn ein Unternehmen aber Rundfunkempfangsgeräte von vornherein bestimmungsgemäß nur zum Verkauf bereit hält und die Konzeption des Verkaufs dahin geht, die Geräte gerade nicht vorzuführen, also in der Verkaufsstelle vor dem Verkauf nicht den Empfang von Rundfunksendungen zu ermöglichen, so ist der Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags nicht erfüllt (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).

Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 30. Juni 2004 kann nicht festgestellt werden, dass in der Verkaufsstelle, die in dem Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2004 und dem Widerspruchsbescheid genannt ist, zumindest ein Rundfunkempfangsgerät den Kunden vorgeführt worden ist, so dass diese Rundfunksendungen empfangen konnten.

Zwar hat der Beklagte im Berufungsverfahren ein anonymes Schreiben vom 1. September 2005 (Bl. 423 der Gerichtsakte) vorgelegt, in dem der Schreiber unter anderem folgendes behauptet: Er sei 29 Jahre für den Lebensmittel-Discounter, dessen Waren in den vorliegenden Rechtsstreit betroffen sind, als Filialleiter tätig gewesen und habe aus den Medien von dem Rechtsstreit erfahren. Die Mitarbeiter in den Filialen seien immer angewiesen gewesen, bei Verkaufsaktionen ein Rundfunk- oder Fernsehgerät zu Schauzwecken den Kunden zu präsentieren und bei Bedarf auch anzuschließen, so dass der Kunde sich habe überzeugen können, ein funktionierendes Gerät zu erwerben.

Dem steht aber gegenüber, dass der Verkaufsleiter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt hat, er habe in den 15 Jahren, die er bei der Klägerin beschäftigt sei, noch nicht erlebt, dass Rundfunk- und Fernsehgeräte ausgepackt und vorgeführt worden seien. Auf Grund der Knappheit des Personals sei dies arbeitsmäßig gar nicht zu leisten. Die Mitarbeiter wüssten, dass es Stress mit dem Filialleiter gebe, wenn sie die Kartons auspackten.

Da das Schreiben vom 1. September 2005 anonym erfolgt ist und nicht ersichtlich ist, dass der Schreiber gerade in einer Verkaufsstelle der Klägerin tätig war, ist dieses Schreiben nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit der Angaben des Verkaufsleiters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu erschüttern. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Konzeption der Klägerin bei dem Verkauf von Fernseh- und Hörrundfunkgeräten in dem hier maßgeblichen Zeitraum dahin ging, dass diese Geräte nicht vorgeführt wurden und die Klägerin etwaigen Vorbehalten der Kunden dadurch Rechnung trug, dass die Geräte auf Wunsch der Kunden zurückgenommen wurden und die Kaufpreise erstattet wurden.

Zwar bestand in dem hier maßgebenden Zeitraum keine schriftliche Anweisung an das Personal, Fernsehgeräte und Hörrundfunkgeräte nicht vorzuführen. Dies ist aber nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, dass in der hier betroffenen Verkaufsstelle die durchgängige Übung bestand, diese Geräte nicht vorzuführen.

Der Senat ist auf Grund der Angaben des Verkaufsleiters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass eine solche durchgängige Übung bestand. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für Zweifel in diesem Punkt sprechen, sieht der Senat auch keinen Anlass, insoweit den maßgeblichen Sachverhalt etwa durch die Vernehmung des Verkaufspersonals weiter aufzuklären.

Da die Klägerin danach hinsichtlich der Fernsehgeräte und Hörrundfunkgeräte, die sie in dem Zeitraum von Januar 2000 bis Juni 2004 als Aktionsware zum Verkauf angeboten hat, nicht Rundfunkteilnehmerin im Sinne von § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags war, war der Beklagte nicht berechtigt, sie insoweit zu Rundfunkgebühren heranzuziehen.

Da der angefochtene Gebührenbescheid und der Widerspruchsbescheid rechtswidrig sind und mithin die Klägerin in ihren Rechten verletzen, sind sie aufzuheben.

Der Beklagte hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu tragen, da er unterlegen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht erfüllt.

Der Streitwert ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes in Höhe von 852,00 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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