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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.01.2000
Aktenzeichen: 10 UZ 2119/97.A
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 116 Abs. 3
Ein Urteil, das gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, wird nach § 116 Abs. 3 VwGO erst mit der Zustellung an die Beteiligten wirksam, so dass eine vor diesem Zeitpunkt aber nach dem Zeitpunkt der Beratung des angefochtenen Urteils ergangene und die Divergenz begründende Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG maßgeblichen Gerichte keinen Fall der sog. nachträglichen Divergenz darstellt.
Gründe:

Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Berufung gegen das Urfeil des Verwaltungsgerichts Darmstadt ist zulässig und auch begründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weicht von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG).

In Asylrechtsstreitigkeiten ist die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zuzulassen, wenn das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Divergenzrüge kann im Hinblick auf die Funktion des Rechtsmittels der Berufung und die Aufgaben der Berufungsinstanz gerade in Asylstreitigkeiten - ähnlich wie die grundsätzliche Bedeutung bei der Grundsatzberufung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG (vgl. dazu: BVerwG, 31.07.1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24) sowohl rechtliche als auch tatsächliche Fragenbereiche betreffen (BVerwG, a.a.O.; Hess. VGH, 18.02.1985 - 10 TE 263/83 -). Dabei setzt eine die Berufungszulassung rechtfertigende Divergenz im rechtlichen Bereich voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil bei objektiver Betrachtung von einem Rechtssatz abweicht, den z.B., das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt hat. Erforderlich ist hierfür nicht, dass die Abweichung bewusst oder gar vorsätzlich erfolgt; es genügt vielmehr ein Abgehen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Weise, dass das Verwaltungsgericht dem Urteil erkennbar eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht (Hess. VGH, 10.07.1986 - 10 TE 641/86 -; Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13). Andererseits kann eine zur Berufungszulassung führende Abweichung dann nicht festgestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht gegen vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Grundsätze verstößt, indem es diese stillschweigend übergeht oder sie übersieht (vgl. dazu BVerwG, 23.08.1976 - III B 2.76 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 147), den Sachverhalt nicht in dem erforderlichen Umfang aufklärt, eine rechtlich gebotene Prüfung tatsächlicher Art unterlässt (Hess. VGH, 15.02.1995 - 12 UZ 191/95 -, EZAR 633 Nr. 25) oder den festgestellten Sachverhalt fehlerhaft würdigt (vgl. dazu BVerwG, 17.01.1975 - VI CB 133.74 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 128) und damit Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend auslegt oder anwendet; denn nicht jeder Rechtsverstoß in der Form einer unzutreffenden Auslegung oder Anwendung von Rechtsgrundsätzen gefährdet die Einheit der Rechtsprechung, die durch die Vorschrift des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (ähnlich wie durch die Vorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO über die Divergenzrevision) gesichert werden soll (vgl. zu § 32 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG a.F.: Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13 m.w.N.). Die Divergenzzulassung setzt voraus, dass das erstinstanzliche Urteil auf der festgestellten Abweichung beruht. Sie kann aber nicht mit der Begründung versagt werden, das Urteil erweise sich aus anderen Gründen als richtig (a. A. OVG Nordrhein-Westfalen, 05.11.1991 - 22 A 3120/91 A -, EZAR 633 Nr. 18); für die Beschwerdezulassung fehlt nämlich eine dem § 144 Abs. 4 VwGO vergleichbare Vorschrift (Hess. VGH, 12.06.1995 - 12 UZ 1178/95 -; Hess. VGH, 20.12.1993 - 12 UZ 1635/93; vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., 1998, Rdnr. 19 zu § 132).

Zutreffend rügt der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, dass das erstinstanzliche Urteil von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1997 (- 9 C 35.96 u.a. -, BVerwGE 104, 362) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass auf Kinder, die nach Asylantragstellung und vor Anerkennung des asylberechtigten Elternteils geboren sind, gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG die Fristbestimmung des § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG (n.F.) entsprechend anzuwenden ist mit der Folge, dass der Asylantrag ebenso wie bei dem Ehegatten vor oder gleichzeitig mit dem Asylantrag des Elternteils oder unverzüglich nach der Einreise zu stellen ist. Wird das Kind - wie im vorliegenden Fall - erst nach der Asylantragstellung des Elternteils geboren, scheiden die beiden ersten Möglichkeiten von vornherein aus, so dass das Kind die Asylanerkennung unverzüglich nach der Geburt beantragen muss, weil diese bei entsprechender Anwendung an die Stelle der Einreise tritt. Als unverzüglich hat insoweit im Regelfall eine Frist von zwei Wochen nach der Geburt zu gelten.

Das Verwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt, die Vorschrift des § 26 Abs. 2 AsylVfG enthalte für den hier in Frage stehenden Regelungskreis der Kinder, die nach Asylantragstellung, aber vor Asylanerkennung des Elternteils, von dem der Anspruch abgeleitet werde, in der Bundesrepublik Deutschland geboren werden, die Voraussetzung der unverzüglichen Antragstellung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei es aber ausreichend, wenn derjenige, der Familienasyl beantrage, den Asylantrag jeweils bis zu dem Zeitpunkt stellen könne, von dem ab jede spätere Antragsstellung zu einer zusätzlichen Belastung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge führe und eine zügige Entscheidung über den Kreis der Familienasylberechtigten verhindere. Dies könne nur in jedem Einzelfall festgestellt werden.

Damit weicht das Verwaltungsgericht von den oben dargestellten Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts ab. Da andere Gründe für die Asylanerkennung der Beigeladenen nicht bejaht werden, beruht das angefochtene Urteil auf der Abweichung.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine sog. "nachträgliche" Divergenz handelt, so dass auf die mit dieser Fallgestaltung verbundene Problematik hier nicht eingegangen werden muss. Da das angefochtene Urteil mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, wurde es gemäß § 116 Abs. 3 VwGO erst mit der Zustellung an die Beteiligten überhaupt wirksam, die hier ausweislich der Akten erst am 16. Mai 1997 bzw. am 21. Mai 1997 erfolgt ist, also nach Ergehen der die Divergenz begründenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. dazu etwa Redecker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, Rdnr. 7 zu § 116 m.w.N.). Dass dem Verwaltungsgericht bei der Beratung bzw. Entscheidungsfindung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht bekannt war bzw. bekannt sein konnte, ist ohne Bedeutung.

Das Verfahren wird gemäß § 78 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung bedarf. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen, sie muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).

Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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