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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.08.2002
Aktenzeichen: 10 UZ 2217/98.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 26 a Abs. 1
GG Art. 16 a Abs. 2 Satz 1
Die Drittstaatenregelung des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG erfährt nur durch § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG eine Durchbrechung. Sie gilt also auch dann, wenn der asylsuchend eingereiste Ausländer Nachfluchtgründe geltend macht, die zur Annahme einer politischen Verfolgung führen (so auch OVG Münster, Beschluss vom 22. Dezember 2000 - 1 A 2248/00.A -, in: juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 1. Juni 1999 - A 4 S 358/98 -, SächsVBl. 2000, 37 ff.).
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

10. Senat

10 UZ 2217/98.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richterin am Hess. VGH Hannappel

am 8. August 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 7. Mai 1998 - 2 E 20188/93.A (V) - wird abgelehnt.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor näher bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben.

Zunächst ist der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht gegeben. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtsstreitigkeit nur dann, wenn sie eine rechtliche oder eine tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf (BVerwG, 31.07.1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 = EZAR 633 Nr. 9; Hess. VGH, 27.12.1982 - X TE 29/82 -, EZAR 633 Nr. 4 = NVwZ 1983, 237; Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13). Die Rechts- oder Tatsachenfrage muss allgemein klärungsbedürftig sein und nach Zulassung der Berufung anhand des zugrundeliegenden Falls mittels verallgemeinerungsfähiger Aussagen geklärt werden können.

Die Klägerin, die im August 1993 als Asylsuchende über Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, macht im Hinblick auf die Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts zur Einreise aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26 a Abs. 1 AsylVfG (Urt. vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfG 94, 49 ff.) nicht mehr Vorfluchtgründe geltend, wohl aber beruft sie sich auf Verfolgungsgefahren, die erst nach Verlassen des Drittstaates und ihres Heimatlandes Irak entstanden seien, also auf (objektive) Nachfluchtgründe. Diese leitet sie aus der Publizität ab, die - gegen ihren Willen - ihr Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht insbesondere in der mündlichen Verhandlung vom 21. bis 23. November und 5. Dezember 1995 gefunden hat. Hierdurch sei ihre Identität, der Hintergrund ihrer Flucht und die Tatsache der Asylantragstellung den irakischen Geheimdiensten bekannt, ja geradezu aufgedrängt worden. Die hieraus resultierende Verfolgungsgefahr könne nur als objektiver, weil durch das Verhalten Dritter ausgelöster Nachfluchtgrund gewertet werden. Demgemäß hält die Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, "unter welchen Voraussetzungen in Drittlandfällen nach § 26 a AsylVfG, Art. 16 a Abs. 2 GG zumindest Nachfluchtgründe einer Asylanerkennung zugänglich sind". Diese Frage rechtfertigt indes die Zulassung der Berufung nicht, und zwar unabhängig davon, ob hier tatsächlich von einem (objektiven) Nachfluchtgrund gesprochen werden kann oder ob nicht vielmehr - was näher zu liegen scheint - der subjektive Nachfluchtgrund der Stellung eines Asylantrages gegeben ist (siehe dazu Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG-Kommentar, Stand August 2000, § 28 AsylVfG Rdnr. 34 m.w.N.; siehe zur Rückkehrgefährdung von irakischen Staatsangehörigen wegen Asylbeantragung und illegaler Ausreise: VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 5. Dezember 2000 - A 2 S 1/98 -, ESVGH 51, 121 (LS) = NVwZ 2001, Beilage Nr. 4, 44(). Mit dem OVG Münster (Beschluss vom 22. Dezember 2000 - 1 A 2248/00.A -, in juris) ist der beschließende Senat der Auffassung, dass sich die aufgeworfene Frage ohne weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (Art. 16 a Abs. 1 und 2 GG und § 26 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG) und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts beantworten lässt, so dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht bedarf.

Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt, dass ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne der vorgenannten Bestimmung eingereist ist, sich nicht auf Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen kann. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt (Art. 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Aufgrund seines eindeutigen Wortlautes schließt Art. 16 a Abs. 2 GG die Berufung auf das Asylrecht gänzlich aus und lässt keine Ausnahme hiervon zu (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 27 AsylVfG Rdnr. 10; siehe auch BVerfG, Urt. vom 14. Mai 1996, 49 ff., 95: "Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG schließt nach seinem Wortlaut die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG aus"). Allerdings enthält § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG eine Durchbrechung der Drittstaatenregelung. Nach dieser Vorschrift ist die Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland dann - und nur dann - vorgesehen, wenn der Ausländer am Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland gewesen ist (Nr. 1), wenn die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland mit dem Drittstaat vertraglich vereinbart ist (Nr. 2) oder wenn der Ausländer aufgrund einer besonderen Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben wird (Nr. 3).

Die Regelung des § 26 a AsylVfG verfolgt offenkundig den Zweck, die unkontrollierte Einreise einzudämmen und den Ausländer von den Ausschlusswirkungen der Drittstaatenregelung nur auszunehmen, wenn dies völkervertraglich vorgesehen oder im Einzelfall ausdrücklich - insbesondere durch Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung - vorab geprüft oder gebilligt worden ist (BVerwG, Urt. vom 6. Mai 1997 - 9 C 56/96 -, BVerwGE 104, 347 ff. = NVwZ 1998, 1190 f. = InfAuslR 1997, 422 ff.). Eine Einreise nach Deutschland in einem die Einreisebestimmungen wahrenden Verfahren ist auch Voraussetzung für das Funktionieren des ebenfalls hinter der Drittstaatenregelung stehenden Konzepts, die Lasten, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und der Behandlung ihres Schutzersuchens verbunden sind, unter den europäischen Staaten effektiv zu verteilen (BVerwG, a.a.O.; BVerfGE 94, 49 ff., 85, 96). Diese Lastenverteilung soll nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 und dem Dubliner Übereinkommen vom 15. Juni 1990 dadurch erreicht werden, dass nach Maßgabe bestimmter, in einem Katalog niedergelegter Kriterien die Pflicht und die Zuständigkeit eines der Vertragsstaaten begründet werden, einen Ausländer aufzunehmen, sein Schutzersuchen zu prüfen und über dieses mit Wirkung auch für die anderen Vertragsstaaten zu entscheiden (vgl. Art. 28 ff. des Schengener Durchführungsübereinkommens und Art. 3 ff. des Dubliner Übereinkommens; siehe BVerwG, Urt. vom 6. Mai 1997, a.a.O.).

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Drittstaatenregelung auch dann anwendbar ist, wenn der asylsuchend eingereiste Ausländer Nachfluchtgründe geltend macht, die zur Annahme einer politischen Verfolgung führen (so auch Sächsisches OVG, Urt. vom 1. Juni 1999 - A 4 S 358/98 - SächsVBl. 2000, 37 ff.). Wer anderweitig Zuflucht finden konnte, bedarf nach der Konzeption des Asylkompromisses von 1993 keines Asylverfahrens. Er wird dadurch nicht schutzlos. Soll der Ausländer nämlich in seinen Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat, der nicht sicherer Drittstaat ist, abgeschoben werden, so sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG stets zu prüfen (BVerfGE 94, 49 ff., 97). Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen mit der Folge, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. März 1997 die Feststellung getroffen hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Dieser Abhilfebescheid des Bundesamtes beruhte auch auf der Erkenntnis, dass die Rückführung des Klägerin in den sicheren Drittstaat Griechenland rechtlich nicht (mehr) möglich ist.

Der Einwand der Klägerin, die vom beschließenden Senat geteilte Auffassung des Verwaltungsgerichts würde in letzter Konsequenz dazu führen, dass der Grundrechtsausschluss dem Betroffenen lebenslänglich anhaften würde und dass selbst derjenige, der den sicheren Drittstaat noch nicht als Flüchtling (z. B. als Tourist) durchreist hat und in dessen Herkunftsland sich während seines visumsfreien Besuchsaufenthalts in der Bundesrepublik ein die Gefahr politischer Verfolgung auslösender Umsturz ereignet hat, vom Asylrecht ausgeschlossen wäre, berücksichtigt nicht den eindeutigen Gesetzeswortlaut und auch nicht den Umstand, dass dem Betroffenen ggf. das "Kleine Asyl" (§ 51 Abs. 1 AuslG) Schutz gewährt. Zudem ist die Klägerin als Asylsuchende in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so dass sich die Frage, ob eine weitere Durchbrechung der Drittstaatenregelung in Betracht kommt, wenn ein nicht asylsuchend aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereister Ausländer erst hier aufgrund eines während seines Aufenthaltes entstandenen Grundes um Asyl nachsucht, hier nicht stellt und somit nicht entscheidungserheblich ist.

Schließlich liegt auch der des weiteren geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) nicht vor. Eine Abweichung des angefochtenen Urteils vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 1991 (9 C 131.90 -, InfAuslR 1991, 310) sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Oktober 1990 (12 UE 2588/95 -, InfAuslR 1991, 93 (hier nur Leitsatz() ist nicht gegeben, da diese Entscheidungen zu einer ganz anderen Rechtsnorm ergangen sind, nämlich zu § 2 Abs. 1 AsylVfG 1987 (= § 27 AsylVfG i.d.F.d. Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (anderweitige Sicherheit vor Verfolgung().

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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