Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.02.2004
Aktenzeichen: 10 UZ 2985/02
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 69a Abs. 3
BSHG § 69a Abs. 5
BSHG § 69b Abs. 1
BSHG § 69c Abs. 2 S. 2
1. "Eigenverantwortliche Sicherstellung der Pflege" i.S.v. § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG bedeutet, dass der Pflegebedürftige tatsächlich imstande ist, die Pflege durch nahestehende Personen oder Nachbarn zu organisieren. Weder ist die tatsächliche Inanspruchnahme derartiger Leistungen erforderlich noch darf der Sozialhilfeträger den Pflegebedürftigen im Einzelfall anweisen, wie er das pauschalierte Pflegegeld einzusetzen hat.

2. Der Anspruch auf das gekürzte Pflegegeld nach § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG entfällt nicht bereits deshalb, weil der Pflegebedürftige auf eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG zurückgreifen kann (so auch BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 -5 C 7.02-, NDV-RD 2004, 10).


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

10 UZ 2985/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sozialhilferechts

hier: Kürzung des Pflegegeldes nach § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 10. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Pieper, Richter am Hess. VGH Dr. Saenger, Richter am Hess. VGH Dr. Jürgens

am 3. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. August 2002 - 9 E 625/01 (2) - zugelassen.

Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 10 UE 408/04 als Berufungsverfahren fortgesetzt.

Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der Entscheidung über die Kosten im Berufungsverfahren.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt ist zulässig und auch begründet, da die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vorliegen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf das gekürzte Pflegegeld nach §§ 69 a Abs. 3, 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG verneint.

Das Verwaltungsgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass auch dann ein Anspruch auf das Pflegegeld nach § 69 a Abs. 3 BSHG bestehen kann, wenn eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Pflegebedürftigen vorliegt. Im vorliegenden Fall erhält der Kläger volle häusliche Pflege durch professionelle Pflegekräfte nach § 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG. Das Verwaltungsgericht verweist sodann auf § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG, wonach der Anspruch auf das Pflegegeld voraussetzt, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellen kann. Dabei könne und müsse erwartet werden, dass der Pflegebedürftige darlege, dass er einer Pflege bedürfe, die über das hinausgehe, was der Pflegedienst nach § 69 b Abs. 1 BSHG zu leisten im Stande sei. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Die konkrete Notwendigkeit, die Pflegebereitschaft dritter Personen zu fördern bzw. dem Kläger zu erhalten, sei nicht nachgewiesen worden, und zwar auch nicht durch den Vortrag des Klägers, er bedürfe bei der Benutzung seines Pkw auf Grund seines Krankheitszustandes der Hilfe einer dritten Person.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Bei der Auslegung des § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG ist auf den Charakter des Pflegegeldes abzustellen, das nicht auf die Entlohnung von Pflegepersonen oder Pflegekräften zielt. Mit ihm soll nicht unmittelbar der Pflegebedarf gedeckt werden. Wirtschaftlich messbare Belastungen durch die Pflege selbst stehen nicht im Vordergrund. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass Wartung und Pflege durch nahestehende Personen oder im Wege der Nachbarschaftshilfe unentgeltlich geleistet werden. Nur für die neben oder anstelle der Wartung und Pflege durch sie erforderliche Heranziehung einer besonderen Pflegekraft ist vom Gesetz eine Kostenübernahme vorgesehen (§ 69 b Abs. 1 Satz 2 BSHG). Das pauschalierte Pflegegeld des § 69 a BSHG dient folglich dazu, es dem Pflegebedürftigen zu ermöglichen, sich die unentgeltliche Pflegebereitschaft einer nahestehenden Person oder eines Nachbarn - durch Übernahme von deren Aufwendungen oder auch durch kleinere Zuwendungen - zu erhalten. Die tatsächliche Inanspruchnahme der Pflege durch nahestehende Personen oder im Wege der Nachbarschaftshilfe ist nicht Voraussetzung (OVG Münster, Urteil vom 20. Juni 2001 - 12 A 3386/98 -, FEVS 53, 84 ff., 89 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG, siehe insbesondere Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 82/88 -, FEVS 43, 109 ff. = BVerwGE 90, 217 ff.).

Dementsprechend kann vom Hilfesuchenden nicht verlangt werden, konkret und im Einzelnen nachzuweisen, ob, in welcher Weise und mit welchen Aufwendungen der Bedarf in der Vergangenheit gedeckt worden ist (OVG Münster, a.a.O.; so schon Hess. VGH, Urteil vom 12. Juni 1990 - 9 UE 1622/89 -, FEVS 42, 1 ff., 7 zu § 69 Abs. 3 Satz 1 BSHG a.F.).

Die eigenverantwortliche Sicherstellung der Pflege im Sinne von § 69 a Abs. 5 Satz 1 BSHG kann dann nur so verstanden werden, dass dem Pflegebedürftigen die Organisation seiner Pflege durch das Pflegegeld möglich sein muss. Er muss die Fähigkeit besitzen, sich mit dem Pflegegeld gegenüber Pflegenden und auf andere Art engagierten Verwandten, Nachbarn und Laienhelfern, gegebenenfalls auch gegenüber professionellen Pflegekräften, erkenntlich zu zeigen. Nur wenn der Pflegebedürftige zu einer entsprechenden Verwendung des Pflegegeldes etwa krankheitsbedingt überhaupt nicht mehr in der Lage ist, kann die vom Beklagten vorgenommene vollständige Streichung des Pflegegeldes in Betracht kommen (siehe Krahmer in: LPK-BSHG § 69 a Rdnr. 12 m.w.N.).

Davon kann aber hier keine Rede sein, wie sich bereits aus dem Vortrag des Klägers ergibt, wie er das Pflegegeld einzusetzen gedenkt. Wenn das Verwaltungsgericht den Wegfall des bereits gekürzten Pflegegeldes nach § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG deshalb für rechtens hält, weil der Kläger den Behindertenfahrtdienst des Kreises Offenbach in Anspruch nehmen könne, so widerspricht dies bereits dem oben aufgezeigten Prinzip, dass vom Hilfesuchenden nicht verlangt werden kann, konkret und im Einzelnen nachzuweisen, ob, in welcher Weise und mit welchen Aufwendungen er den Bedarf in der Vergangenheit gedeckt hat bzw. künftig decken möchte. Denn daraus folgt, dass es dem Sozialhilfeträger untersagt ist, den Pflegebedürftigen im Einzelfall anzuweisen, wie er das Pflegegeld einzusetzen habe.

In der Literatur wird obendrein die vollständige Streichung des Pflegegeldes dann für rechtmäßig gehalten, wenn der Pflegebedürftige keine Angaben über die entsprechende Verwendung des Pflegegeldes machen will (Krahmer, a.a.O.). Auch hiervon kann hier keine Rede sein, da der Kläger bereits mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. November 2001 Ausführungen zum Unterstützungsbedarf durch eine dritte Person bei Benutzung seines Pkw gemacht hat.

Da der Kläger offensichtlich noch heute der Pflege bedarf und in der Lage ist, diese selbstbestimmt zu organisieren, kann in diesem Verfahren auf Zulassung der Berufung dahingestellt bleiben, ob der Grundsatz "keine Hilfe für die Vergangenheit" dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch Grenzen setzt (siehe dazu ausführlich OVG Münster, a.a.O.).

Das Antragsverfahren wird nach § 124 a Abs. 5 Satz 5 VwGO als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen, die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Senatsvorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe), siehe § 124 a Abs. 6, Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO).

Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück