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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.10.2003
Aktenzeichen: 11 N 2952/00
Rechtsgebiete: EGStGB, Sperrgebietsverordnung, VwGO


Vorschriften:

EGStGB Art. 297
Sperrgebietsverordnung Darmstadt vom 4. April 2000
VwGO § 47
Zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO des Anliegers eines in einer Sperrgebietsverordnung als Toleranzzone für die Straßenprostitution ausgewiesenen Straßenzugs.

Es bleibt offen, ob das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis des Anliegers einer Toleranzzone innerhalb eines Sperrgebiets auch die gerichtliche Überprüfung der Festsetzung des gesamten Sperrgebiets umfasst.

Die Ausweisung einer bisherigen faktischen Toleranzzone als Verbotszone und die Festlegung eines neuen Toleranzbereichs für die Ausübung der Straßenprostitution entspricht dem Normzweck des Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB, wenn dies dem Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes besser zu dienen geeignet ist als dies vor Erlass der Sperrgebietsverordnung der Fall war, und dadurch für den Anlieger des neuen Toleranzbereichs keine unzumutbaren Beeinträchtigungen hervorgerufen werden.

Die Erkenntnis des Verordnungsgebers, dass ein bestimmtes Stadtgebiet nicht als Toleranzgebiet für die Aufnahme der Straßenprostitution geeignet ist, hat nicht ohne weiteres zur Folge, dass dessen Ausweisung als Sperrgebiet erforderlich ist. Hinzutreten muss vielmehr eine der Ausweisung vorangehende, positive Einschätzung eines Gefährdungspotentials von hinreichender Wahrscheinlichkeit, derzufolge das ordnungsrechtliche Verbot der Prostitutionsausübung zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes notwendig erscheint. Hierfür reichen nachvollziehbare, auf allgemeine Erfahrungssätze gestützte Erwägungen aus.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

11 N 2952/00

In dem Normenkontrollverfahren

wegen Normenkontrolle Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Darmstadt vom 4. April 2000

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Präsidenten des Hess. VGH Reimers, Richter am Hess. VGH Dr. Dyckmans, Richter am Hess. VGH Schröder, Richter am Hess. VGH Igstadt, Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Horn

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2003 für Recht erkannt: Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Gültigkeit der am 1. Mai 2000 verkündeten Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Darmstadt vom 4. April 2000 (StAnz. S. 1409). Diese Verordnung hat folgenden Wortlaut:

Aufgrund des Art. 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160, 161) in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Übertragung der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen aufgrund des Art. 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 5. August 1975 (GVBl. I. S. 195) wird zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes Folgendes verordnet:

§ 1

(1) In der Stadt Darmstadt ist es innerhalb des wie folgt begrenzten Gebietes verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, der Prostitution nachzugehen:

Frankfurter Landstraße (B 3)/Zeissweg, Zeissweg, Merianstraße, In der Hahnhecke, landwirtschaftlicher Weg zur Messeler-Park-Straße, gedachte Linie Ecke landwirtschaftlicher Weg/Messeler-Park-Straße zur Ecke Dompfaffweg/Am Hasenpfad. Dompfaffweg, B 3, gedachte Linie südöstlich über äußere Bebauungsgrenzen von Obere Mühlstraße - Kalkofenweg - Am Bruderhaus - Rodgaustraße - Messeler Straße zur Jägertorstraße/Wachtelweg, Wachtelweg, Parkstraße, Matratzenweg, Kranichsteiner Straße bis Forsthaus Kranichstein, um das Jagdschloss Kranichstein herum zurück zur Kranichsteiner Straße, Kranichsteiner Straße, Fußweg Rückseite Steineckeweg, Waldrand, Bogenweg, Pfannmüllerweg, Kranichsteiner Straße, An der Fasaneriemauer, gedachte Linie südlich über Seitersweg - Scheftheimer Weg - Katharinenfalltorweg - Erbacher Straße zur Ecke Hanauer Straße (B 26) /Heinrichstraße, Heinrichstraße, Schnampelweg bis Vivarium, westlich zur Petersenstraße, Petersenstraße, Böllenfalltorweg, Klappacher Straße, Alte Bogenschneise, Auf der Marienhöhe, Steckenbornweg, Kühruhweg (Frankensteinschule), gedachte Linie südlich über Ostgrenze Mühltabad in der Mühltalstraße zur Gernsheimer Straße (B 426), Gernsheimer Straße, Karlsruher Straße, Pfungstädter Straße, Marienburgstraße, Waldschneise, Karlsruher Straße, Grenzweg, Eichbaumschneise, Eschollbrücker Straße, Langefeldschneise, Bergschneise, Rheinstraße (Radweg), Kellerweg, Ginsterweg, An der Posch, Rheinstraße, A 5, A 672, Rheinstraße (Radweg), Am Waldfriedhof, Eifelring, Waldrand, Darmbach, Mainzer Straße, gedachte Linie nordwestlich von Bunsenstraße und Zentralkläranlage, Gräfenhäuser Straße/Anliegerfahrbahn, Am Weselacker, B 3 neu, Weiterstädter Straße, Röntgenstraße, Auf der Sommeraue, B 3 neu, Bahntrasse Frankfurt, Trinkbornstraße, südliche Verlängerung Brückengasse, In den Niederwiesen, Hinter den Gehren, Brühlwiesengraben, Frankfurter Landstraße (B 3)/Zeissweg.

Die genannten Straßen und Wege sind Teile des Sperrgebietes, soweit sie es begrenzen.

§ 2

(1) Von dem Verbot des § 1 ist das nachfolgend begrenzte Gebiet (Toleranzgebiet) ausgenommen:

1. Bismarckstraße (Nordseite) - westlich des Grundstückes Nr. 107 bis zur Einmündung in die A-Straße - sowie

2. A-Straße beidseitig - von der Einmündung in die Bismarckstraße bis zur Einmündung in die Kreuzung Mainzer Straße/Landwehrstraße.

§ 3

Die Verordnung tritt vier Monate nach ihrer Verkündung im Staatsanzeiger für das Land Hessen in Kraft.

Darmstadt, 4. April 2000

Regierungspräsidium Darmstadt

gez. Dieke

Regierungspräsident

Die Antragstellerin, ein .......unternehmen, betreibt unter der Geschäftsadresse "A-Straße" ihr Werk Darmstadt mit ca. 1.400 Mitarbeitern. Ihr Fabrikgelände sowie sonstige zugehörige Liegenschaften befinden sich nördlich der zwischen den Einmündungen A-Straße und Feldbergstraße verlaufenden Bismarckstraße und an beiden Seiten der A-Straße bis zur Kreuzungsanlage Mainzer Straße / A-Straße / Landwehrstraße. An der östlichen Seite der A-Straße, ca. 100 m von der Abzweigung in die Bismarckstraße liegt der Haupteingangsbereich in das Fabrikgelände, bestehend aus einer Pforte sowie einer rechts und links davon befindlichen Ein- und Ausfahrt. Auf der gegenüberliegenden, der westlichen Seite der A-Straße wird die Anliegerschaft der Antragstellerin nur durch das Gebäude mit der Hausnummer ...... unterbrochen. Dort befinden sich Parkplätze, Bürogebäude und Freiflächen.

Mit Schriftsatz vom 29. August 2000 hat die Antragstellerin den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung führt sie aus, dass sich die in § 2 der angegriffenen Verordnung ausgewiesene Toleranzzone an ihrer Geschäftsadresse als ansehensmindernd, geschäftsschädigend, motivationshemmend und als belästigend, störend und gefährdend für sie und ihre Beschäftigten, darunter auch ca. 200 Auszubildende, auswirke. Mit der Straßenbezeichnung A-Straße verbinde sich demnächst die Assoziation mit dem Prostituiertenmilieu. Es stünde zu erwarten, dass Beschäftigte und Besucher ihres Betriebes, die das Gelände am Haupteingang in der A-Straße betreten wollen, von Prostituierten und ihren Kunden belästigt werden und sich in ihrem sittlichen Empfinden gestört fühlen. Das Kraftfahrzeugaufkommen auf der A-Straße habe sich durch den Suchverkehr der Freier und Neugierige beträchtlich erhöht. Der Haupteingangsbereich in das Werksgelände und die zugänglichen Freiflächen an der Westseite der A-Straße würden dabei als Wendeplätze genutzt. Während früher in der Umgebung ihres Betriebes nur vereinzelt Prostituierte anzutreffen gewesen seien, habe sich dort deren Zahl seit dem Verordnungserlass verdoppelt. Aufgefundenem Unrat und Beobachtungen des Werkschutzes der Antragstellerin zufolge würden vor allem ihre in der Nähe des Güterbahnhofs gelegenen Parkplätze von Freiern und Prostituierten aufgesucht, um dort geschlechtlich zu verkehren oder auch um zu urinieren und ihre Notdurft zu verrichten. Außerdem verbänden sich mit dem Straßenstrich als der untersten Form der Prostitutionsausübung in kriminogener Hinsicht besonders schlimme Begleiterscheinungen. Der Bereich der A-Straße / Bismarckstraße werde zur Verabreichung von Drogen und zu Drogenhandelsgeschäften genutzt, und auch in anderweitiger Hinsicht sei mit einer Steigerung des Kriminalitätsaufkommens zu rechnen. Um die üblicherweise von der Prostituiertenszene ausgehenden Störungen und Belästigungen einzudämmen, werde sie - die Antragstellerin - veranlasst, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Absehbar stelle sich ihr die Frage nach der Verlagerung ihres Haupteingangsbereichs und der Änderung ihrer Geschäftsadresse.

Die Antragstellerin sieht sich durch die geschilderten Umstände in den bisherigen Nutzungsmöglichkeiten ihrer Liegenschaften unzumutbar beeinträchtigt. Darin erblickt sie nicht nur einen Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F., sondern eine gegenwärtige und absehbare Verletzung ihrer subjektiven Rechte gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit 1. Januar 1997 geltenden Fassung. Geltend gemacht wird ein Verstoß gegen ihre Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG. Ferner stünde ihr gegen die Antragsgegnerin aus § 1 Abs. 1 und 4 HSOG ein Anspruch auf Beseitigung der durch die angegriffene Regelung verursachten und sie unmittelbar belastenden Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu. In der Sache rügt die Antragstellerin Ermessensdefizite bei Erlass der angegriffenen Verordnung. Weder die Notwendigkeit einer Sperrgebietsverordnung in Darmstadt noch die Möglichkeit eines Vollverbots der Straßenprostitution sei hinreichend geprüft worden. Jedenfalls sei die Festsetzung der Toleranzzone an der A-Straße auswahlfehlerhaft; durch sie werde die Antragstellerin einseitig belastet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom 29. August 2000, die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 15. Januar 2001 und vom 13. Oktober 2003 sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2003 verwiesen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Verordnung des Antragsgegners zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Darmstadt vom 4. April 2000 (StAnz. S. 1409) für nichtig zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt,

den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.

Er hält den Antrag für unzulässig und unbeschadet dessen auch für unbegründet.

Der Antragstellerin fehle die erforderliche Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht sei eine mögliche Beeinträchtigung der Antragstellerin im Hinblick auf Art. 2 oder Art. 14 GG gegeben. Sie werde weder in den Nutzungsmöglichkeiten ihrer Grundstücke noch in ihren Handlungsmöglichkeiten tangiert und befinde sich grundsätzlich in der gleichen Situation wie andere Bevölkerungsteile oder Gewerbetreibende in Bereichen eines Stadtgebiets, für die keine Verordnung erlassen worden sei mit der Folge, dass überall der Prostitution nachgegangen werden könne. Die Grundstücke der Antragstellerin selbst lägen nicht in der durch die Verordnung festgesetzten Toleranz-, sondern in der Sperrgebietszone. Was etwaige, durch Prostituierte und deren Kunden verursachte Belästigungen der Beschäftigten und Besucher der Antragstellerin anbetreffe, so stelle dies keine Beeinträchtigung der Antragstellerin in einer ihr zustehenden Rechtsposition dar und könne von ihr auch nicht stellvertretend für andere geltend gemacht werden. Sofern die Antragstellerin behaupte, die Ausweisung der Toleranzzone wirke sich für sie ansehensmindernd, geschäftsschädigend, motivationshemmend und als belästigend, störend und gefährdend aus, erschöpfe sich ihr Vortrag in allgemeinen Befürchtungen, ohne dass objektive Tatsachen vorgetragen würden, die eine Verletzung subjektiver Rechte möglich erscheinen ließen. Im übrigen handele es sich dabei um rein wirtschaftliche bzw. ideelle Interessen, die keine Antragsbefugnis vermittelten.

Im übrigen sei der Normenkontrollantrag auch unbegründet. Die angegriffene Verordnung sei ordnungsgemäß zustande gekommen, halte sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Sie beruhe auf einer sorgfältigen Abwägung zahlreicher Gesichtspunkte, die vor und während des Rechtsetzungsverfahrens in diversen Bestandsaufnahmen, Analysen, Erörterungen und Besprechungen gewonnen worden seien. Dabei seien auch die im Laufe des Verordnungsverfahrens vorgebrachten Bedenken der Antragstellerin berücksichtigt worden. Im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Ermächtigungsnorm habe sich der Verordnungsgeber davon leiten lassen, wie den Belangen des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes am besten Rechnung getragen werden könne. Hierbei habe er maßgeblich berücksichtigt, dass mit dem Verbot der Straßenprostitution im gesamten bebauten Stadtgebiet und der Ausweisung einer klar eingegrenzten Toleranzzone die Belastungen für die Bevölkerung insgesamt verringert und eine Verlagerung in schützenswertere Bereiche verhindert werden. Zugleich werde eine klare Grenzziehung erreicht und die Ausübung der Prostitution auch zahlenmäßig in einem gewissen Rahmen gehalten. Dadurch werde die Verordnung dem Schutzzweck des Art. 297 EGStGB besser gerecht als die bisherige Lage, in der es im Bereich der Stadt Darmstadt keine derartige Regelung gab mit der Folge, dass sich die Straßenprostitution faktisch im Bereich der Mornewegstraße / Feldbergstraße und in der Umgebung des Bahnhofes etabliert habe, wo sich neben Wohnbebauung und Gewerbebetrieben u.a. zwei Schulen, ein Kindergarten und eine Kirche befänden. Ein Vollverbot der Straßenprostitution für das gesamte Stadtgebiet sei wegen der angestammten Prostituiertenszene in Darmstadt und der Gefahr, dass diese in der Illegalität ein noch größeres Gefahrenpotential hervorrufen würde, nicht in Betracht gekommen. Die ausgewiesene Toleranzzone entspreche in ihrem Umfang dem bisher genutzten Bereich. Sie sei in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zur Aufnahme der Straßenprostitution geeignet. Eine relevante Beeinträchtigung von Belangen des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes sei dort nicht zu erwarten, ebenso wenig negative Ausstrahlungswirkungen auf schützenswerte Bereiche. Die Toleranzzone sei durch gewerbliche Nutzung geprägt; Wohnbebauung, Schulen, Kindergärten usw. lägen nicht in ihrer unmittelbaren Nähe. Den nicht gänzlich auszuschließenden Belästigungen sei im Blick auf das bisher betroffene Gebiet im Rahmen der Abwägung ein geringeres Gewicht beigemessen worden. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Infrastruktur, der Nähe zum bisherigen Bereich, der Straßenführung und des Straßenverkehrsaufkommens biete die ausgewiesene Toleranzzone hinreichend Möglichkeiten für die Ausübung der Prostitution und gewährleiste die Sicherheitsbelange der Prostituierten. Verkehrsbehinderungen oder gar -gefährdungen seien nicht zu befürchten. Mehrtägige Überprüfungen des Ordnungsamtes der Stadt Darmstadt und kontinuierliche Kontrollen des Polizeipräsidiums Südhessen hätten diese Einschätzungen bestätigt. Sie hätten insbesondere ergeben, dass der Umfang der in der Toleranzzone festzustellenden Straßenprostitution gering sei und dass die Parkplätze der Antragstellerin weder von den Prostituierten noch von den Freiern, auch nicht zur Verrichtung der Notdurft, genutzt würden. Auch sei weder eine Steigerung der Kriminalitätsrate festzustellen noch, dass Prostituierte im Bereich der Toleranzzone Drogen erwerben, verkaufen oder konsumieren. Die Ausweisung anderer Bereiche sei nicht in Betracht gekommen, weil infrastrukturelle oder planungsrechtliche Gesichtspunkte entgegengestanden hätten oder infolge der dort vorhandenen Siedlungsstrukturen die Schutzgüter des § 297 EGStGB gefährdet worden wären.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 31. Oktober 2000 und 12. März 2001 sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2003 verwiesen.

Das vorliegende Verfahren ist mit der unter dem Az. 11 N 424/01 geführten Normenkontrollsache zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden (§ 93 VwGO).

Dem Senat lagen drei Bände Behördenakten, eine Gebietsuntersuchung der Stadt Darmstadt vom 20. August 1996 nebst sieben Plänen, ein Plan "Sperrgebiet", ein Übersichtsplan "Sperrgebiet und Toleranzzone" sowie jeweils 13 von der Antragstellerin und dem Antragsgegner eingereichte Fotosätze vor, die die Örtlichkeit an der Bismarckstraße / A-Straße aktuell abbilden. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Für die Nachprüfung der Gültigkeit der angegriffenen Verordnung ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Nach inzwischen allgemeiner Meinung sind Sperrgebietsverordnungen der vorliegenden Art Normen des öffentlichen Rechts und nicht dem materiellen Strafrecht zuzuordnen (vgl. zuletzt Nds.OVG vom 24. Oktober 2002 - 11 KN 4073/01 -, NdsVBl. 2003, 154 [155] m.w.N.).

Der Normenkontrollantrag ist auch statthaft. Bei der angegriffenen Verordnung handelt es sich um im Range unter dem Landesgesetz stehendes hessisches Landesrecht im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, zu dessen Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 15 Abs. 1 HessAGVwGO berufen ist.

Die Antragstellerin ist ferner antragsbefugt. Sie kann im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltend machen, durch die angegriffene Verordnung insoweit in ihren Rechten verletzt zu sein, als § 2 der Verordnung ein begrenztes Gebiet als Toleranzzone der sogenannten Straßenprostitution festsetzt, an das mit Ausnahme eines Fremdgebäudes ausschließlich Liegenschaften der Antragstellerin angrenzen. Zwar reicht hierfür eine allein faktische Beeinträchtigung ebenso wenig aus wie die Betroffenheit in bloß wirtschaftlichen und ideellen Interessen. Die gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis wird jedoch in hinreichender Weise dadurch begründet, dass die Möglichkeit der Verletzung einer subjektiven Rechtsposition nicht ausgeschlossen werden kann (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47 Rn. 46). Das trifft für die Antragstellerin zu. Zwar liegen ihre Grundstücke nicht innerhalb des festgesetzten Toleranzgebiets, so dass sie durch die Verordnung in ihren Möglichkeiten zur Grundstücksnutzung nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Auch fehlt dem Art. 297 EGStGB als der gesetzlichen Verordnungsgrundlage jede Grundstücksbezogenheit, die der Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes eine subjektive Rechtsposition vermitteln könnte. Als Anliegerin der Toleranzzone wird sie jedoch in individualisierter und zugleich qualifizierter Weise mittelbar faktisch in ihren geschützten Interessen nach Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. Durch die Verlagerung der Prostitution in die festgesetzte Toleranzzone besteht die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass sich der Charakter der Standortadresse der Antragstellerin mit nachteiligen Auswirkungen für ihren Geschäftsbetrieb und die damit einhergehenden Grundstücksnutzungen verändert. Das ist von der Antragstellerin hinreichend substantiiert dargetan worden. Eine Betroffenheit hinsichtlich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG kann insoweit dahin stehen. Die Antragstellerin kann sich jedenfalls auf einen grundrechtlich fundierten Anspruch auf Unterlassung der Schädigung ihrer geschäftlichen Belange berufen, den der Antragsgegner im Zuge der Ausübung seines Normsetzungsermessens berücksichtigen musste. Der Antragsbefugnis steht es daher nicht entgegen, dass die Straßenprostitution in Darmstadt vor Erlass der angegriffenen Verordnung ordnungsrechtlich erlaubt war.

Hingegen kann der Normenkontrollantrag nicht auf einen vermeintlichen Anspruch der Antragstellerin auf polizeiliches Einschreiten gegen eine durch die Verordnung verursachte Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt werden, und ebenso wenig kann sich die Antragstellerin auf mutmaßliche Belange oder Rechte ihrer Mitarbeiter oder Auszubildenden berufen, weil § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausdrücklich die Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte voraussetzt.

Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Die Zwei-Jahres-Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. Rechtlich zweifelhaft bleibt allerdings die Frage, ob der Antragstellerin auch das erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die antragsgemäße (Voll-)Kontrolle der angegriffenen Verordnung zukommt. Denn durch § 1 dieser Verordnung, der die Grenzen des Sperrgebiets festlegt, wird sie - anders als durch die Festlegung der Toleranzzone in § 2 - bei isolierter Betrachtung nicht in ihren Rechten tangiert. Ob beide Verordnungsteile in dem Sinne eine untrennbare Einheit bilden, als sie Teile einer Gesamtregelung sind, die Sinn und Rechtfertigung verlöre, wenn ein Bestandteil herausgenommen würde, so dass auch das Normenkontrollinteresse der Antragstellerin in entsprechenden Umfang Anerkennung finden müsste, kann in vorliegendem Fall jedoch dahin gestellt bleiben, weil dem Begehren der Antragstellerin im Ergebnis ein sachlicher Erfolg zu versagen war.

2. Der Normenkontrollantrag ist nicht begründet.

a) Die Sperrgebietsverordnung ist auf der Grundlage des Art. 297 EGStGB, der mit höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl. BayVerfGH vom 16. November 1982 - Vf. 26 VII/80 u.a. -, NJW 1983, 2188; Nds.OVG, a.a.O., NdsVBl. 2003, 155 f. m.w.N.), formell ordnungsgemäß zustande gekommen. Gemäß Art. 297 Abs. 1 und Abs. 2 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Mai 2000 (BGBl. I S. 632) in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Übertragung der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen aufgrund des Art. 297 EGStGB vom 5. August 1975 (GVBl. I S. 175) ist der Regierungspräsident für den Erlass von Sperrgebietsverordnungen zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Darmstadt ergibt sich aus § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Grenzen der Regierungsbezirke und den Dienstsitz der Regierungspräsidenten (Art. 1 des Gesetzes über die Neuorganisation der Regierungsbezirke und der Landesplanung vom 15. Oktober 1980, GVBl. I S. 377). Ferner hat der Verordnungsgeber das auch für Sperrgebietsverordnungen geltende Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG beachtet und die streitgegenständliche Verordnung gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen, Organisationsanordnungen und Anstaltsordnungen vom 2. November 1971 (GVBl. I S. 258) ordnungsgemäß im Staatsanzeiger für das Land Hessen vom 1. Mai 2000 verkündet. Nach ihrem § 3 ist die Verordnung vier Monate später, also zum 1. September 2000 in Kraft getreten.

b) Die angegriffene Verordnung ist auch materiell rechtmäßig, weil sie sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB hält.

Nach Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB kann unabhängig von der Gemeindegröße durch Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gemeindegebiet oder nur in Teilen dieses Gebiets die Prostitution ("Straßenstrich") verboten werden. Dementsprechend hat der Verordnungsgeber bei Erlass der Sperrgebietsverordnung zunächst zu prüfen, ob sie hinsichtlich der in Rede stehenden Gebiete dem Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes dient. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu schützenden Rechtsgüter konkret gefährdet oder gestört sind. Es genügt vielmehr eine abstrakte Gefährdung, d.h. die Verordnung muss sich gegen Gefahren richten, die aus Handlungen oder Zuständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fortdauernd entstehen können. Für die Gültigkeit der Verordnung genügt es, dass ein Bezug auf die gesetzliche Zweckbestimmung erkennbar vorliegt und dass die Norm geeignet erscheint, dem mit der Ermächtigung verfolgten Zweck zu dienen (vgl. HessVGH vom 19. Februar 1990 - 11 N 2596/87 -, NVwZ-RR 1990, 472; vom 8. Dezember 1992 - 11 N 2041/91 -, NVwZ-RR 1993, 294 [295] m.w.N.). Bei der Überprüfung, ob der Verordnungsgeber diese Voraussetzungen eingehalten hat, darf das Gericht nicht dessen Überlegungen durch seine eigenen ersetzen. Die gerichtliche Kontrolle ist vielmehr auf die Nachprüfung beschränkt, ob die Abwägungen und Wertungen des Verordnungsgebers sachlich vertretbar sind und mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung in Einklang stehen (vgl. HessVGH, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind dabei grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verordnung, es sei denn, dass nachträglich eintretende Umstände das ursprüngliche Urteil ihrer Rechtmäßigkeit revidieren (vgl. HessVGH, a.a.O.; z.T. abweichend Kopp/Schenke, a.a.O., § 47 Rn. 137). Nach diesen Maßgaben hält die angefochtene Verordnung der rechtlichen Überprüfung stand.

Die Ausweisung der Toleranzzone in § 2 der angefochtenen Verordnung, wonach die Nordseite der Bismarckstraße und die A-Straße von dem in § 1 der Verordnung verfügten stadtgebietsweiten Verbot der Straßenprostitution ausgenommen ist, ist rechtmäßig.

Der Antragsgegner hat die Sperrgebietsverordnung auf Anregung der Stadt Darmstadt erlassen. Damit ist die Prostitution im Bereich der Stadt Darmstadt erstmals einer ordnungsrechtlichen Beschränkung unterworfen. Zuvor gab es keine Regelung, so dass die Prostitution, auch die Straßenprostitution, in den Grenzen der polizeirechtlichen Ge- und Verbote überall im Stadtgebiet erlaubt war. Faktisch hatte sich die Straßenprostitution seit vielen Jahren in der Nähe des Bahnhofs im Bereich der Mornewegstraße / Feldbergstraße und der Straße im Niederfeld etabliert. In diesem Gebiet befinden sich neben Wohnhäusern u.a. zwei Schulen, ein Kindergarten und eine Kirche. Seit dem Jahr 1991 hatte sich die Stadt Darmstadt - auch aufgrund von Anwohnerbeschwerden - mehrfach mit dem Anliegen an das Regierungspräsidium gewandt, für diesen Bereich eine Sperrgebietsregelung zu erlassen. Dem Anliegen wurde jedoch bis Ende des Jahres 1997 wiederholt nicht entsprochen, weil nach Ansicht des Regierungspräsidiums wie auch des Polizeipräsidiums Darmstadt die Voraussetzungen des Art. 297 EGStGB nicht erfüllt waren und eine Verdrängung der Prostitutionsszene aus dem gewohnten Gebiet negative Folgen für andere Bereiche der Stadt Darmstadt befürchten ließ. Im April 1998 - inzwischen hatte sich eine Bürgerinitiative Mornewegstraße / Feldbergstraße gebildet - trug die Stadt Darmstadt sodann das Ansinnen vor, das gesamte Stadtgebiet als Sperrbezirk auszuweisen und die Prostituiertenszene in eine ordnungsrechtlich bestimmte, nicht unweit vom bisherigen Bereich befindliche Toleranzzone an der Bismarckstraße über die A-Straße bis einschließlich Mainzer Straße zu verlagern. Nachdem das Regierungspräsidium seine grundsätzliche Zustimmung für die vorgeschlagene Gesamtregelung unter Voraussetzung der Vorlage hinreichender Entscheidungsunterlagen signalisierte, unterbreitete die Stadt Darmstadt schließlich eine entsprechende Gebietsuntersuchung, in der das gesamte Stadtgebiet mit seinen Stadtteilen Wixhausen, Arheiligen, Stadtkern und Eberstadt in Gebietstypen unterteilt und daraufhin beurteilt wurde, ob ein Aufkommen von Prostitution unterbunden werden oder bleiben muss oder zugelassen werden kann. Auf der Grundlage dieser Untersuchung sowie weiterer gezielter Prüfungen von Alternativgebieten für eine Toleranzzone hat die Stadt Darmstadt mit Schreiben vom 25. August 1999 ihren Antrag auf Ausweisung des gesamten Stadtgebiets als Sperrgebiet bekräftigt und sich dabei - auf Einwendung des Polizeipräsidiums Darmstadt sowie nach mehrfachen Erörterungen bei öffentlichen Anhörungen - für eine Einbeziehung der Mainzer Straße in das Sperrgebiet, mithin für eine nunmehr auf den Bereich Bismarckstraße (Nordseite) - westlich des Grundstücks Nr. .......bis zur Einmündung A-Straße - sowie A-Straße beidseitig - von der Einmündung Bismarckstraße bis zur Kreuzung Mainzer Straße / Landwehrstraße - beschränkte Toleranzzone ausgesprochen. Dabei wurde im Rahmen der Abwägung den Gesichtspunkten, die für den Erlass der Verordnung sprachen, ein größeres Gewicht eingeräumt als denen, die dagegen sprachen. Als Gründe für den Erlass wurden u.a. erkannt: die Möglichkeit der Regelung und Ordnung der Prostitution im gesamten Stadtgebiet, die Verhinderung der Ausdehnung der Prostitution in Richtung Innenstadt, die Möglichkeit der effektiveren Überwachung, die Abstellung der bisherigen Störungen und Belästigungen im Bereich Feldbergstraße / Mornewegstraße sowie die Geeignetheit des neuen Toleranzbereichs zur Aufnahme der Straßenprostitution. Zurückgestellt wurden demgegenüber die gegen den Erlass der Verordnung sprechenden Gründe, dass in der bisherigen faktischen Toleranzzone sowohl hinsichtlich der Prostitution als auch der Kriminalität in den letzten Jahren eine in etwa gleich gebliebene und sich nicht verschlimmernde Situation gegeben und die Sicherheit der Prostituierten auch in diesem Bereich gewährleistet sei. Mit Zustimmung des Polizeipräsidiums, das insofern Bedenken gegen die grundsätzliche Erforderlichkeit einer Sperrgebietsverordnung in Darmstadt zurückstellte, hat der Antragsgegner die Erwägungen der Stadt Darmstadt als eigene Einschätzung übernommen. Danach werde die ausgewiesene Toleranzzone den Belangen des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes besser gerecht als der bisher für die Straßenprostitution genutzte Bereich Feldbergstraße / Mornewegstraße.

Gegen die Entscheidung des Antragsgegners, von der Ermächtigung des Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB Gebrauch zu machen und für die Stadt Darmstadt eine das Aufkommen der Straßenprostitution regelnde Sperrgebietsverordnung zu erlassen, ist von Rechts wegen nichts zu erinnern. Der Ermächtigungsgrundlage sind keine Grenzen des Entschließungsermessens zu entnehmen, die der Normgeber vorliegend überschritten hätte. Die Vorschrift unterstellt das ordnungsrechtliche Verbot der Straßenprostitution - anders als Art. 297 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EGStGB - keiner anderen Voraussetzung als der, dass es geeignet sein muss, dem Zweck des Schutzes der Jugend oder des öffentlichen Anstandes zu dienen. Dass der Antragsgegner insofern in Darmstadt Handlungsbedarf gesehen hat, ist zumal in Anbetracht der zuvor gegebenen Situation im Bereich Feldbergstraße / Mornewegstraße nicht zu beanstanden. Mit der Beobachtung eines tatsächlichen Straßenprostitutionsaufkommens in diesem Bereich, in dem sich unter anderem mehrere Schulen, eine Kirche und Wohnhäuser befinden, ist jedenfalls ein hinreichender Grund gegeben, den Erlass einer Sperrgebietsverordnung unter der Voraussetzung einer der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gemäßen Zweckverfolgung für erforderlich halten zu dürfen.

Dem steht es nicht entgegen, dass sich die Straßenprostitution dort schon seit Jahren etabliert hatte. Durch den Umstand, dass ein Stadtgebiet eine gewachsene Prostituiertenszene aufweist, wird der Erlass einer Verbotsregelung, der auch dieses Gebiet unterfällt, nicht gehindert. Zwar wachsen die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Sperrgebietsausweisung, wenn die Prostitutionsausübung in einem solchen Gebiet eher als diese Gegend prägend, denn als störend empfunden wird. Diesen Anforderungen ist aber andererseits hinreichend Rechnung getragen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in diesem Bereich so entwickelt haben, dass der Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes in einem höheren Maße gefährdet ist, als dies in der Vergangenheit der Fall war (vgl. HessVGH, a.a.O., NVwZ-RR 1990, 473). Auf den Bereich Feldbergstraße / Mornewegstraße gewendet, ergibt sich: Es ist schon zweifelhaft, ob dort bisher von einer im vorgenannten Sinne gebietsprägenden Straßenprostitution die Rede sein kann. Jedenfalls hält sich der Verordnungsgeber innerhalb des Rahmens der Ermächtigungsnorm, wenn er nach jahrelanger gegenteiliger Einschätzung eine Veränderung der tatsächlichen Situation in besagtem Gebiet annimmt, die nunmehr zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes ein verordnungsrechtliches Verbot der Straßenprostitution erforderlich macht. Dabei ist es unschädlich, dass sich der Erlass der Verordnung auch als eine Reaktion auf Anwohnerbeschwerden und Bürgerinitiativen darstellt. Auch dass das Polizeipräsidium Darmstadt mit Hinweis auf das bescheidene und jahreszeitlich bedingt schwankende Ausmaß der Straßenprostitution in der Frage der Notwendigkeit einer Sperrgebietsverordnung eine zurückhaltende Haltung eingenommen hat, vermag in Anbetracht der gleichwohl erfolgten Zustimmung wie auch der eingeschränkten gerichtlichen Kontrollmöglichkeit des verordnungsgeberischen Normsetzungsermessens ein abweichendes Urteil nicht hervorzurufen.

Die Geeignetheit der Verordnung, dem Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes zu dienen, könnte allerdings zweifelhaft sein, wenn infolge der Neuausweisung der bisherigen faktischen Toleranzzone als Verbotszone bislang von der Prostitutionsausübung nicht betroffene und in nicht geringerem Maße schutzbedürftige Gemeindeteile in Mitleidenschaft gezogen und der Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes in diesen Teilen erstmals beeinträchtigt wird. Der Erlass einer Sperrgebietsverordnung darf nämlich nicht in Umkehrung des Normzweckes zu relevanten Beeinträchtigungen von Belangen des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes bei Teilen der Wohnbevölkerung führen, die bisher von solchen Belästigungen nicht berührt waren (vgl. HessVGH, a.a.O., NVwZ-RR 1990, 473). Diesen Maßgaben ist jedoch vorliegend Rechnung getragen. Sie tragen zunächst die Entscheidung des Verordnungsgebers, in Darmstadt von einem stadtgebietsweiten Vollverbot der Straßenprostitution abzusehen. Zu Recht sah er die Festlegung eines Toleranzgebiets als erforderlich an, weil andernfalls zu befürchten stand, dass sich die Prostituiertenszene unkontrolliert in schützwürdigere Bereiche namentlich der Innenstadt verlagert oder in die Illegalität abgleitet.

Ebenso genügt sodann die konkrete Ausweisung des in § 2 der Verordnung aufgeführten Bereichs als Toleranzzone den vorstehenden Maßgaben. Das folgt allerdings nicht schon allein daraus, dass damit die Verlagerung der Prostitutionsszene in ein Gemeindegebiet vorgesehen wird, das überwiegend gewerblich-industriell geprägt ist. Der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass Gewerbegebiete unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Jugendschutzes oder des öffentlichen Anstandes von vornherein als schutzbedürftige Gebiete ausfallen. Doch kommt dem in § 2 der Verordnung festgelegten Gebiet, in dem zuvor faktisch keine oder jedenfalls keine nennenswerte Straßenprostitution festzustellen war, wegen seiner baulichen Eigenart und ausschließlich gewerblichen Nutzung unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes und des öffentlichen Anstandes - auch bei Berücksichtigung der zum Teil jugendlichen Beschäftigten und des Publikumsverkehrs der dort ansässigen Firmen - eine geringere Schutzwürdigkeit zu als dem bisher zur Straßenprostitution genutzten (Wohn-)Bereich Feldbergstraße / Mornewegstraße.

Der Festlegung sind eine umfangreiche, auf das ganze Stadtgebiet ausgedehnte Gebietsuntersuchung sowie mehrere Ortsbesichtigungen und Erörterungen vorangegangen. In deren Verlauf wurden auch zahlreiche Alternativstandorte einer eingehenden Prüfung unterzogen. Bei der Abwägung ließ sich der Verordnungsgeber im wesentlichen von folgenden Gesichtspunkten leiten: Die Toleranzzone liege in einem Gewerbegebiet, in dem lediglich Gewerbeunternehmen ansässig seien. Schulen oder Kindergärten fehlten, ein Wohngebiet werde nicht berührt. Die Verkehrsführung und -belastung stelle kein Problem dar, auch nicht hinsichtlich des mit der Prostitutionsausübung verbundenen Fahrverkehrs. Der neue Toleranzbereich liege nicht allzu weit entfernt von dem bisher zur Straßenprostitution genutzten Gebiet und weise zu diesem eine etwa gleiche Größe auf. Die Sicherheit der Prostituierten sei durch Nachtbeleuchtung und Durchgangsverkehr hinreichend gewährleistet. Eine notwendige Infrastruktur (Toiletten, Kiosk) sei in zumutbarer Nähe vorhanden. Der neue Bereich werde daher voraussichtlich nach einer angemessenen Übergangszeit seitens der Prostituierten angenommen werden.

Diese Erwägungen lassen weder tatsächliche noch rechtliche Fehler erkennen. Weder seitens der sich in der Toleranzzone aufhaltenden Prostituierten noch durch den Suchverkehr der Freier sind relevante Beeinträchtigungen der in Art. 297 EGStGB genannten Schutzgüter oder der schutzwürdigen Belange der Antragstellerin zu erwarten. So enthalten die vom Antragsgegner unter dem 19. Juni 2001 vorgelegten Kontrollberichte der Stadt Darmstadt vom 19. Februar 2001 und des Polizeipräsidiums Südhessen vom 28. Februar 2001 keine Anhaltspunkte, die insofern die Geeignetheit des in § 2 der Verordnung festgesetzten Toleranzgebiets in Frage stellen. Als Ergebnis der durchgeführten Überprüfungen wurde vielmehr formuliert: "Wer im Rahmen des normalen Durchgangsverkehrs nicht weiß, dass hier der Darmstädter Straßenstrich ist, wird dies gar nicht bemerken". Auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen keine Anhaltspunkte vor, die ein abweichendes Urteil rechtfertigen. In der mündlichen Verhandlung erklärten der Terminsvertreter des Antragsgegners und ein sachkundiger Mitarbeiter der Stadt Darmstadt übereinstimmend, dass sich seit Erlass der Sperrgebietsverordnung die Prostituiertenszene im Toleranzbereich nicht verstärkt, sondern rückläufig entwickelt habe. Auch ein seit mehreren Jahren im Sachgebiet Prostitution tätiger Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Südhessen legte dar, dass seit dem Jahr 1999 ein deutlicher Rückgang der Straßenprostitution in Darmstadt zu vermerken sei. An einem Abend der letzten Tage vor der mündlichen Verhandlung habe er etwa neun Frauen, an einem warmen Augustabend des Jahres 2003 etwa 16 Frauen festgestellt, wobei gleichzeitig nicht mehr als fünf bis sechs Prostituierte im Straßenbild, und zwar vor allem an der Bismarckstraße, erkennbar seien; in der Mornewegstraße seien demgegenüber kaum noch Prostituierte zu sehen. Der Geschäftsführer der Antragstellerin bestätigte diese Angaben im Großen und Ganzen, auch wenn es Spitzenzeiten gebe, zu denen er mehr Prostituierte, die an ihrer Kleidung erkennbar seien, auch bis zu 60 m in die A-Straße hinein beobachten könne, was vor Inkrafttreten der Sperrgebietsverordnung allenfalls vereinzelt der Fall gewesen sei.

Unter Würdigung dieser Umstände und unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers, der eine entsprechend eingeschränkte Kontrolldichte des Verwaltungsgerichtshofs entspricht, überschreitet die Ausweisung des Bereichs Bismarckstraße / A-Straße als Toleranzzone für die Straßenprostitution nicht die Ermessens- und Zumutbarkeitsgrenzen, die dem Verordnungsgeber durch Art. 297 EGStGB gezogen sind. Die normgeberische Einschätzung, dass die Festlegung des neuen Toleranzbereichs dem Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes besser zu dienen geeignet ist, als dies in der Situation vor Erlass der Verordnung der Fall war, ist nicht zu beanstanden. Soweit dadurch Beeinträchtigungen rechtserheblicher Belange der Antragstellerin hervorgerufen werden, bewegen sie sich jedenfalls unterhalb jener Zumutbarkeitsschwelle, die die Ausweisung als sachlich und rechtlich nicht mehr vertretbar erscheinen ließe, und müssen daher im überwiegenden Interesse des Normzwecks der Ermächtigungsgrundlage hingenommen werden.

Auch im übrigen hält sich die angegriffene Sperrgebietsverordnung im Rahmen des Art. 297 EGStGB. Unabhängig davon, ob die Antragstellerin von dem in § 1 der Verordnung enthaltenen, für das gesamte bebaute Stadtgebiet von Darmstadt geltenden Verbot, der Straßenprostitution nachzugehen, in ihren Rechtsschutzinteressen berührt wird, wahrt die Verbotsregelung den notwendigen Bezug auf die gesetzliche Zweckbestimmung.

Die Ermächtigung schließt zweifelsfrei die Möglichkeit ein, auch weitaus überwiegende Teile eines Gemeindegebiets zum Sperrgebiet zu erklären. Anders als Art. 297 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ist der Ermächtigung in Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB gerade keine Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass oberhalb einer nach der Einwohnerzahl bemessenen Gemeindegröße die Straßenprostitution grundsätzlich zuzulassen sei. Davon unberührt bleibt gleichwohl das Erfordernis, dass die Sperrgebietsfestsetzung nachvollziehbar dem Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes dient. So kann der notwendige Bezug zum Zweck der Ermächtigungsgrundlage nicht mehr als gewahrt angesehen werden, wenn der Verordnungsgeber Bereiche zum Sperrgebiet erklärt, in denen eine Gefährdung der Jugend oder des öffentlichen Anstandes auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse des Gemeindegebiets in keiner erkennbaren Weise zu erwarten steht. Andererseits besteht keine Veranlassung zu einer gerichtlichen Beanstandung, wenn sich die Einschätzung des Verordnungsgebers, die Sperrgebietsausweisung richte sich auch und gerade in ihrer räumlichen Ausdehnung gegen Gefährdungen dieser Schutzgüter, die aller Erfahrung nach als Folgen bestimmter Handlungen und/oder Zustände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auftreten können, als sachlich vertretbar erweist. Das kann nach den Umständen des Einzelfalls auch für die Annahme gelten, dass der Schutzzweck der Verordnung im Blick auf die Struktur des Gemeindegebiets nicht anders als mit einer weiträumigen Verbotszone erreicht werden kann (vgl. HessVGH, a.a.O., NVwZ-RR 1990, 472 f.)

Diesen Anforderungen wird vorliegend Rechnung getragen. Allerdings folgt dies nicht allein daraus, dass die der Verordnungsgebung zugrunde liegende Gebietsuntersuchung der Stadt Darmstadt mit Ausnahme der Toleranzzone die übrigen Stadtgebiete (beanstandungsfrei) als für die Aufnahme der Straßenprostitution ungeeignet erklärt. Die Erkenntnis, dass ein bestimmtes Stadtgebiet nicht zur Aufnahme von Straßenprostitution geeignet ist, hat nicht ohne weiteres zur Folge, dass dessen Ausweisung als Sperrgebiet erforderlich ist. Hinzutreten muss vielmehr eine der Ausweisung vorangehende, von nachvollziehbaren Erwägungen getragene positive Einschätzung eines Gefährdungspotentials, derzufolge das ordnungsrechtliche Verbot der Prostitutionsausübung zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes notwendig erscheint. Insoweit hat sich der Antragsgegner, wie insbesondere seine Einlassungen in der mündlichen Verhandlung zeigen, von dem Erfahrungssatz leiten lassen, dass sich die Prostitutionsszene regelmäßig unkontrolliert eigene und neue Wege sucht, wenn die ihr zugewiesene Toleranzzone nicht angenommen wird. Für diesen Fall müsse mit einer Gefährdung der Jugend und des öffentlichen Anstands auch in Stadtgebieten gerechnet werden, in denen bisher ein solche nicht bestünde. Solchen Entwicklungen gelte es in der Stadt Darmstadt in Anbetracht der jahrelangen und unter intensiver Beteiligung der Öffentlichkeit geführten Debatte um eine gemeinverträgliche Neuordnung der Straßenprostitution vorzubeugen. Diese Erwägungen sind mit Rücksicht auf die dem Verordnungsgeber zustehende Einschätzungsprärogative in der Lage, in nachvollziehbarer Weise ein die ausgewiesenen Sperrgebietsflächen betreffendes Gefährdungspotential von hinreichender Wahrscheinlichkeit zu begründen. Auf ihrer Grundlage durfte der Verordnungsgeber daher zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands dem Zweck der bundesgesetzlichen Ermächtigung entsprechend ein Verbot der Straßenprostitution mit Ausnahme der ausgewiesenen Toleranzzone für das bebaute Stadtgebiet von Darmstadt für erforderlich halten.

Da die Normenkontrolle nach alledem erfolglos ist, hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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