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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.01.2004
Aktenzeichen: 11 TG 326/04
Rechtsgebiete: GG, WRV, HFeiertagsG


Vorschriften:

GG Art. 140
WRV Art. 139
HFeiertagsG § 14
HFeiertagsG § 6
Das Schlachten von Tieren im Rahmen des muslimischen Opferfestes ist als gewichtiges schutzwürdiges Interesse bei der Entscheidung über eine Befreiung nach dem Hessischen Feiertagsgesetz zu berücksichtigen.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

11 TG 326/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Befreiung nach dem Hessischen Feiertagsgesetz für die Schlachtung von Schafen am muslimischen Opferfest an einem Sonntag

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 11. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Dr. Dyckmans, Richterin am Hess. VGH Lehmann, Richter am VG Spillner (abgeordneter Richter)

am 30. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 30. Januar 2004 - 10 G 329/04 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgegeben, die Schlachtung von bis zu 200 Schafen und Lämmern im Rahmen des muslimischen Opferfestes durch den Antragsteller am 1. Februar 2004 im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Hessisches Feiertagsgesetz zu dulden.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller eine Ausnahmegenehmigung nach § 14 Abs. 1 HFeiertagsG zur Schlachtung von Schafen im Rahmen des muslimischen Opferfestes am Sonntag, dem 1. Februar 2004, zu erteilen, abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers ist der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Schlachtung von Tieren im Rahmen des muslimischen Opferfestes am Sonntag, dem 1. Februar 2004, im dem im Tenor bestimmten Umfang zu dulden.

Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung ist unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren auch unter Berücksichtigung des Umstandes zu bejahen, dass der ursprünglich bei der Antragsgegnerin gestellte Antrag von dem Antragsteller als Inhaber unter dem Briefkopf ................. gestellt wurde. Es würde insoweit eine unverhältnismäßige Verweigerung des Rechtsschutzes darstellen, mangels zeitlicher Möglichkeiten der Aufklärung der Differenzierung zwischen dem Antragsteller und dem ............................... als Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin im behördlichen Verfahren, das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers im Eilverfahren zu verneinen. Es ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Erteilung der Befreiung auch gegenüber dem Antragsteller ablehnte, wenn dieser den Befreiungsantrag im Verwaltungsverfahren stellte.

Der Antragsteller hat grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller die begehrte Befreiung erteilt. Dieser Anordnungsanspruch ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand zu sichern, da die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung dieses Rechts des Antragstellers vereitelt würde. Der Senat legt dabei zugrunde, dass der Antragsteller bei verständiger Auslegung seines Begehrens eine einstweilige Anordnung im Hinblick auf den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer "Befreiung" im Sinne des § 14 Abs. 1 Hessisches Feiertagsgesetz - HFeiertagsG - (in der Fassung des letzten Änderungsgesetzes vom 26.11.1997, GVBl. I S. 396) in der tenorierten Form begehrt. Ein Anordnungsgrund für die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller eine Befreiung zu erteilen, liegt im Hinblick auf die damit verbundene Vorwegnahme der Hauptsache nicht vor. Es reicht insoweit aus, der Antragsgegnerin aufzugeben, die von dem Antragsteller beschriebene Handlung des Schlachtens von Schafen am Sonntag, dem 1. Februar 2004, zu dulden.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf den Erlass dieser einstweiligen Anordnung, da ganz überwiegende Gesichtspunkte dafür sprechen, dass er in der Sache einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 14 Abs. 1 HFeiertagsG hat. Danach kann die örtliche Ordnungsbehörde für einzelne Feiertage von den im zweiten Abschnitt dieses Gesetzes vorgesehenen Beschränkungen und Verboten Befreiung gewähren. Einschlägig ist hier eine Befreiung von dem Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG, nach dem an den gesetzlichen Feiertagen Arbeiten verboten sind, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu beeinträchtigen, soweit ihre Ausübung nicht nach Bundes- oder Landesrecht besonders zugelassen ist. Das Ermessen der Antragsgegnerin als zuständiger Ordnungsbehörde ist im vorliegenden Fall auf die einzig rechtmäßige Entscheidung reduziert, dem Antragsteller für das Schlachten von Schafen an dem genannten Sonntag, dem ersten Tag des muslimischen Opferfestes in diesem Jahr, eine Befreiung von diesem Verbot zu erteilen. Nach der Verwaltungsvorschrift zum Hessischen Feiertagsgesetz vom 15. Dezember 1994 (StAnz. für das Land Hessen vom 2. Januar 1995, 16) besteht der Zweck der Ermächtigung des § 14 Abs. 1 HFeiertagsG darin, in atypischen Einzelfällen die zur Gewährleistung des Feiertagsschutzes erlassenen Verbote zur Vermeidung unverhältnismäßiger Härten außer Vollzug zu setzen, sofern das Schutzgut des Feiertagsgesetzes im Allgemeinen dabei nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Befreiungen dürften danach nur dann erteilt werden, wenn hierfür ein dringendes Bedürfnis vorliege. Dies bedeute, dass nur ein gewichtiges und schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit oder des einzelnen ein Abweichen von den Schutzvorschriften des Gesetzes rechtfertigen könne(zum Maßstab des gewichtigen, schutzwürdigen Interesses vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.9.1996 - 9 S 1881/93 -, NVwZ-RR 1997, 223 <224>).

Im vorliegenden Falle liegt ein solches gewichtiges und schutzwürdiges Interesse des Antragstellers für die Erteilung einer Befreiung vor. Das Interesse des Antragstellers, am ersten Tag des muslimischen Opferfestes als Muslim und Metzger, dessen Sachkunde die zuständige Behörde im Hinblick auf das Schächten von Tieren anerkannt hat, am muslimischen Opferfest rituell Schafe und Lämmer zu schächten, ist durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG rechtlich geschützt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem den Antragsteller betreffenden Urteil vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 - (BVerfGE 104, 337) festgestellt, dass der Antragsteller als türkischer Staatsangehöriger zwar nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG, aber durch Art. 2 Abs. 1 GG in der Ausübung seines Berufs als Metzger, der seinen muslimischen Kunden den Genuss von Fleisch geschächteter Tiere ermöglicht, geschützt ist. Ihm stehe auch der Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 GG zu, da das Schächten für den Antragsteller Ausdruck einer religiösen Grundhaltung sei, die für ihn als gläubigen sunnitischen Muslim die Verpflichtung einschließe, die Schächtung nach den von ihm als bindend verstandenen Regeln seiner Religion vorzunehmen. Auch wenn das Schächten selbst nicht als Akt der Religionsausübung verstanden werde, werde der Schutz der Berufsfreiheit des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 GG durch den speziellen Freiheitsgehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstärkt. Im Hinblick auf die Bedeutung und Reichweite der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die Schächtung von Tieren im Hinblick auf die Speisevorschriften seines Glaubens und des Glaubens seiner Kunden vornehme, um deren Versorgung mit dem Fleisch betäubungslos geschlachteter Tiere sicherzustellen. Der Antragsteller kann sich somit im Hinblick auf das nach seiner Überzeugung ihm durch den muslimischen Glauben vorgeschriebene Schächten von Tieren auf die genannten Grundrechte berufen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies im vorliegenden Zusammenhang vor allem auch deshalb gilt, weil nach dem substantiierten und nachvollziehbaren Vortrag des Antragstellers das Schächten bzw. Schlachten am ersten Tag des muslimischen Opferfestes nicht nur der Versorgung seiner muslimischen Kunden mit geschächtetem Fleisch dient, sondern vorrangig selbst eine rituell-religiöse Handlung darstellt. Der Antragsteller hat unter Vorlage einer Stellungnahme der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen vom 29. Januar 2004 zum "Schächten beim Opferfest" glaubhaft gemacht, dass das Schächten bzw. Schlachten von Opfertieren im Rahmen des Opferfestes für alle volljährigen Muslime, die finanziell in der Lage sind, ein Opfertier zu schächten, ein rituelles Gebot und verbindliche Pflicht ist. Danach sollen die Muslime am ersten Tage des Opferfestes nach dem gemeinschaftlichen Festgebet in den Moscheen der islamischen Tradition und der Sunna entsprechend mit dem rituellen Schächten beginnen.

Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die von dem Antragsteller beschriebene Handlung, für die er eine Befreiung nach dem Hessischen Feiertagsgesetz begehrt, die Erfüllung einer rituell-religiösen Pflicht im Rahmen der Begehung des Opferfestes als einem bedeutenden muslimischen Fest darstellt. Dieses grundrechtlich geschützte Interesse des Antragstellers verkennt das Verwaltungsgericht, wenn es ohne nähere Begründung die Auffassung vertritt, die Ablehnung der Erteilung der Befreiung widerspreche nicht der Religionsfreiheit des Antragstellers. Der Antragsteller wird in seiner grundrechtlich verbürgten Religionsfreiheit unzumutbar beeinträchtigt, wenn ihm das durch seine Religion vorgeschriebene rituelle Schächten am Opferfest unmöglich gemacht wird, soweit das Opferfest auf einen Sonntag bzw. einen anderen gesetzlich geschützten Feiertag fällt. Insoweit ist im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung nach § 14 Abs. 1 HFeiertagsG nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abwägung zwischen den durch das Hessische Feiertagsgesetz geschützten Gütern der Sonntags- und Feiertagsruhe und der Vornahme einer rituell-religiösen Handlung an einem bedeutenden Fest einer Religionsgemeinschaft vorzunehmen, dessen Begehung durch die Freiheit der Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG geschützt ist (vgl. zur notwendigen Verhältnismäßigkeit der zum Feiertagsschutz getroffenen Regelungen: BVerwG, U. v. 25.8.1992 - 1 C 38/90 -, BVerwGE 90, 337 = NVwZ 1993, 182 >183>).

Bei dieser Abwägung ist zu beachten, dass die Regelungen des Hessischen Feiertagsgesetzes der Verwirklichung des dem Staat durch das Grundgesetz bzw. die Hessische Verfassung aufgegebenen Verpflichtung zum Schutz von Sonn- und Feiertagen dienen und deshalb nach deren Zwecksetzung auszulegen und anzuwenden sind. Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Dieses Schutzgebot findet sich wortgleich in Art. 53 der Hessischen Verfassung. Nach § 5 HFeiertagsG erfolgt dieser Feiertagsschutz nach Maßgabe des Hessischen Feiertagsgesetzes. An den gesetzlichen Feiertagen sind deshalb gemäß § 6 Abs. 1 HFeiertagsG Arbeiten verboten, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu beeinträchtigen, sofern ihre Ausübung nicht nach Bundes- oder Landesrecht besonders zugelassen ist. Dies ist im Hinblick auf die hier von dem Antragsteller beabsichtigte Tätigkeit nicht der Fall. Damit ist zunächst zugrunde zu legen, dass das Schlachten von Tieren an gesetzlichen Feiertagen die äußere Ruhe gesetzlich festgelegter Feiertage beeinträchtigen kann und deshalb unter das Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG fällt. Es handelt sich dabei in der Regel um eine typisch werktägliche, meist in Zusammenhang mit gewerblicher Tätigkeit erfolgende Handlung (vgl. zu diesen Kriterien BVerwG, U. v. 15.03.1988 - 1 C 25/84 -, BVerwGE 79, 236 = NJW 1988, 2254<2255 f.>). Zwar dient im vorliegenden Zusammenhang das Schlachten der Schafe und Lämmer als dem Muslimen zur Begehung des Opferfestes aufgegebene rituell-religiöse Handlung feiertäglichen Zwecken der muslimischen Religionsgemeinschaften. Da diese Feiertage, wie insbesondere auch das Opferfest, aber nicht als gesetzliche Feiertage normiert sind, ist die hier streitbefangene Tätigkeit nicht von dem Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG ausgenommen. Denn nur religiöse Handlungen, die der Begehung der in § 1 HFeiertagsG gesetzlich festgelegten Feiertage dienen, unterfallen, auch wenn sie - wie Prozessionen oder Gottesdienste im Freien - in gewissem Umfang die äußere Ruhe des Tages beeinträchtigen können, nicht dem Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG (vgl. dazu im Hinblick auf Art. 140 GG, Art. 139 WRV: BVerwG, B. v. 16.1.1995 - 1 B 241/94 -, NVwZ-RR 1995, 516). Der Antragsteller bedarf daher, wovon die Beteiligten zutreffend ausgegangen sind, zur Durchführung der von ihm beabsichtigten Tätigkeit einer Befreiung von dem Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG nach § 14 Abs. 1 HFeiertagsG.

Die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Befreiung liegen vor; zudem ist auf dieser Grundlage das Ermessen der Antragsgegnerin auf die allein rechtmäßige Entscheidung einer Erteilung der Befreiung reduziert, so dass sie im Hauptsacheverfahren voraussichtlich zu verpflichten wäre, diese Befreiung zu erteilen. Es liegt ein gewichtiges und schutzwürdiges Interesse des Antragstellers für eine Befreiung von dem Verbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG vor. Zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Härte in einem atypischen Einzelfall ist deshalb das Schlachten der Schafe und Lämmer am Sonntag zu erlauben, zumal damit das Schutzgut des Feiertagsgesetzes nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Für diese Beurteilung ist maßgeblich auf die durch die oben genannten Verfassungsvorschriften vorgegebenen Grundsätze zurückzugreifen (so auch Hoeren/Mattner, Feiertagsgesetze der Bundesländer, 1989, § 8 Rdnr. 2). Danach fällt auch die Begehung von religiösen Festen durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV. Auch wenn der Gesetzgeber, wie in § 1 HFeiertagsG, Feiertagen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften anders als etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, wo der Schutz jüdischer Feiertage ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. Art. 6 des Bayerischen Gesetzes über den Schutz der Sonn- und Feiertage, § 9 des Gesetzes über Sonn- und Feiertage des Landes Nordrhein-Westfalen) keinen gesetzlichen Schutz zukommen lässt, ist deshalb die Begehung eines religiösen Festes auch durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften eine grundrechtlich durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 geschützte Tätigkeit, die dem Schutzgut des Art. 140 WRV, Art. 139 WRV unterfällt. Insoweit sind die grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit und der Religionsausübung und das Schutzgut des Art. 139 WRV in gegenseitiger Abstimmung der Gewährleistungsbereiche zu interpretieren. Die Gewährleistungsbereiche dieser verfassungsrechtlichen Normen sind inhaltlich einander zugeordnet (vgl. Korioth in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: 42. Lieferung Februar 2003, Art. 140 GG Rdnr. 14). Art. 140 GG stellt insoweit ein Mittel zur Erleichterung der Religionsfreiheit dar und wirkt unmittelbar auf den Gehalt der grundrechtlichen Gewährleistung ein (Korioth, a. a. O., Art. 140 GG Rdnr. 15). Für den vorliegenden Zusammenhang ist dabei wesentlich, dass die durch Art. 140 GG in Verbindung mit den dort genannten Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung geschützten Institute des Staatskirchenrechts rechtlich nicht auf christliche Kirchen begrenzt sind. Art. 140 GG enthält vielmehr das institutionelle Staatskirchenrecht für eine multireligiöse Gesellschaft. Daraus folgt für die Auslegung des Art. 140 GG in Verbindung mit den dort genannten Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, dass das Ordnungssystem des Art. 140 GG im Blick auf die Stellung nichtchristlicher Religionen weiterentwickelt und ergänzt werden muss (Korioth, a. a. O., Art. 140 Rdnr. 11).

Auf dieser Grundlage ist der Schutzzweck des Art. 139 WRV, Gläubigen durch die Normierung staatlicher Feiertage zu ermöglichen, ihre innerkirchlichen Pflichten zu erfüllen, in seiner Ausstrahlungswirkung auf die Begehung religiöser Feste durch Religionsgemeinschaften, deren Feiertage nicht gesetzlich geschützt sind, dahingehend zu interpretieren, dass Art. 139 WRV offen ist für religiöse und nichtreligiöse Zwecke, insbesondere auch für religiöse Zwecke nichtchristlicher Religionsgemeinschaften (Korioth, a. a. O., Art. 140 GG, Art. 139 WRV Rdnr. 1). Art. 139 WRV dient nicht den Interessen bestimmter Religionsgemeinschaften. Der religiös neutrale Staat des Grundgesetzes ist zur paritätischen Behandlung aller Religionsgemeinschaften und ihrer Angehörigen verpflichtet (von Campenhausen in: von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 14, 3. Aufl. 1991, Art. 140 GG Rdnr. 14 f.). Auch wenn der Staat deshalb dem Gewährleistungsgebot des Art. 140 GG, Art. 139 WRV nicht dadurch nachkommt, dass er auch Feiertage anderer Religionsgemeinschaften in den gesetzlichen Schutz einbezieht, wozu er nicht verpflichtet ist, ist er gleichwohl verfassungsrechtlich gehalten, auch Angehörigen anderer als christlicher Religionsgemeinschaften die Einhaltung ihrer Feiertage zu erleichtern (vgl. BSG, U. v. 10.12.1980 - 7 Ar 93/79 -, BSG 51, 70 <74>). Der objektiv-rechtlichen Verpflichtung des Staates zur Neutralität gegenüber unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen korrespondiert das Verbot, dass der Staat sich mit einem bestimmten religiösen Bekenntnis identifiziert (BVerfG, B. v. 31.03.1971 - 1 BvR 744/67 -, BVerfGE 30, 415 <422>; B. vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1 <17>). Daraus folgt, dass auch religiöse Feiertage anderer als christlicher Religionsgemeinschaften Gegenstand des Schutzbereichs des Art. 139 WRV sind. Insoweit besteht kein rechtlicher Unterschied zwischen den Feiertagen der christlichen Kirchen und den Feiertagen anderer Religionsgemeinschaften, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geschützt sind (Korioth, a. a. O., Art. 140 GG, Art. 139 WRV Rdnr. 47).

Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Gewährleistung ist bei der Frage, ob eine religiöse Handlung zur Begehung eines Festes einer Religionsgemeinschaft an einem gesetzlich geschützten Feiertag wie einem Sonntag durchgeführt werden darf, das Gewicht des verfassungsrechtlichen Schutzes auch von Feiertagen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, deren Feiertage nicht gesetzlich geschützt sind, als ein wichtiges schützenswertes Interesse zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei der Entscheidung über eine Befreiung für religiös-rituelle Handlungen zur Begehung eines wichtigen Feiertages einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft an einem Sonntag. Da die Schlachtung bzw. Schächtung von Opfertieren zu den für einen Muslimen im Rahmen der Begehung des muslimischen Opferfestes geltenden religiösen Geboten gehört, ist diese Handlung durch Art. 140 GG, Art. 139 WRV geschützt. Zwar unterfallen religiöse Handlungen zur Begehung des gesetzlich nicht geschützten Feiertages des muslimischen Opferfestes nicht unmittelbar dem Schutzzweck des Art. 139 WRV und unterliegen deshalb anders als religiöse Tätigkeiten, die zur Verwirklichung der aufgrund des Art. 139 WRV gesetzlich geschützten Feiertage dienen (Korioth, a. a. O., Art. 140 GG, Art. 139 WRV Rdnr. 32), dem Ruhegebot des Art. 139 WRV. Im Rahmen der mit der notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung verbundenen Abwägung der Beeinträchtigung eines gesetzlich geschützten Feiertages mit dem Gewicht einer religiösen Handlung im Rahmen eines bedeutenden Festes einer Religionsgemeinschaft, das nicht als gesetzlicher Feiertag geschützt ist, ist aber zu berücksichtigen, dass diese religiös-rituelle Handlung Teil der Begehung eines Feiertages ist, der grundsätzlich auch in den Schutzbereich des Art. 139 WRV fällt. Für die Bewertung der hier in Frage stehenden Handlung als gewichtiges und schutzwürdiges Interesse für die Erteilung einer Befreiung nach § 14 Abs. 1 HFeiertagsG bedeutet dies, dass die rituelle Handlung des Schlachtens bzw. Schächtens von Tieren am muslimischen Opferfest als religiöse Tätigkeit zu schützen und zu ermöglichen ist, soweit damit nicht der gesetzlich geregelte Schutz von Feiertagen im Sinne des § 1 HFeiertagsG unzumutbar beeinträchtigt wird.

Davon ist im vorliegenden Falle nicht auszugehen. Die Schlachtung der Tiere erfolgt im Betrieb des Antragstellers und damit in einem räumlich abgegrenzten privaten Gelände. Auch wenn insoweit, insbesondere durch die Anwesenheit von Muslimen während der Schächtung der Tiere und durch das Schächten selbst Emissionen von diesem Grundstück ausgehen sollten, führt dies nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Sonntagsruhe. Die Unzumutbarkeit ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht daraus, dass der Betrieb des Antragstellers ausweislich der von der Antragsgegnerin zur Gerichtsakte gereichten Ortsskizze von A-Stadt-W... nahe dem Ortskern an der Hauptstraße liegt. Eine unmittelbare und übermäßige Störung der Gottesdienste der im Ortskern liegenden evangelischen Kirche und des nahe dem Ortskern, aber weiter von dem Betrieb des Antragstellers entfernt liegenden Gemeinderaumes der Evangelischen Gemeinschaft ist nach den Darlegungen der Beteiligten nicht zu besorgen. Im Übrigen genießt die religiös-rituelle Handlung des Schlachtens bzw. Schächtens zur Begehung des Opferfestes, wie oben dargestellt, in dem zur Ausführung dieser Handlung notwendigen Maße grundrechtlich und grundgesetzlich gesicherten Schutz. Soweit Beeinträchtigungen der Sonntagsruhe zu befürchten sein sollten, die nicht notwendig mit der religiösen Handlung verbunden sind, kann dies grundsätzlich durch der Befreiung beigegebene Auflagen und Bedingungen berücksichtigt werden. Dafür bestehen aber nach den dem Senat aus dem Vortrag der Beteiligten zur Verfügung stehenden Erkenntnissen im Rahmen dieses Eilverfahrens keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die bauplanungsrechtliche Situation des Betriebes des Antragstellers spricht dabei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegen die Möglichkeit einer Befreiung nach § 14 HFeiertagsG. Insoweit ist nicht erkennbar, inwieweit dieser Gesichtspunkt, der unabhängig von der Frage des Schlachtens an einem Feiertag auch für das Schlachten an Werktagen gilt, für die hier zu beurteilende Frage des religiös-rituellen Schächtens am ersten Tag eines muslimischen Opferfestes, der auf einen Sonntag fällt, maßgeblich sein sollte. Soweit das Verwaltungsgericht meint, der Schutz der Anwohner, vor diesen Geräuschen am Sonntag verschont zu bleiben, dränge sich geradezu auf, fehlt es insoweit an der nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben notwendigen Einordnung und Gewichtung der streitgegenständlichen Tätigkeit als religiös-rituelle Handlung. Anwohner müssen auch die Durchführung anderer grundgesetzlich geschützter religiöser Handlungen wie von Gottesdiensten im Freien und Prozessionen auf der Grundlage des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG i. V. m. Art. 140 GG, Art. 139 WRV im notwendigen Umfange hinnehmen.

Im Ergebnis sind somit keine durchgreifenden Gesichtspunkte dafür erkennbar, dass mit der religiös-rituellen Handlung des Schächtens von Schafen und Lämmern am muslimischen Opferfest vermeidbare und unzumutbare Beeinträchtigungen der Sonntagsruhe verbunden wären, so dass angesichts des gewichtigen und schutzwürdigen Interesses des Antragstellers an dieser Tätigkeit das Ermessen der Antragsgegnerin auf die einzig rechtmäßige Entscheidung beschränkt ist, ihm diese Befreiung zu erteilen. Da die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch die Verpflichtung zur Erteilung der Befreiung an den Antragsteller nicht vorliegen, beschränkt sich der Senat darauf, der Antragsgegnerin aufzugeben, die im Tenor genannte Tätigkeit zu dulden.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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